Der neue Kaplan
By Earl Warren
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Doch es erscheint ein 1,90 großer ehemaliger Zehnkampfmeister, der sich dem geistlichen Stand verschrieb. Der neue Kaplan ist eine Sportskanone – er hat eine besondere Art, mit Menschen umzugehen und auf sie zuzugehen. Außerdem fährt er leidenschaftlich Motorrad. Die Gemeinde steht kopf. Das beschaulich vor sich dahinplätschernde Leben ist gestört.
Schon beim Empfang des Kaplans gibt es die erste Panne. Kaplan Klingmann kommt bei der Jugend gut an, doch mit den Intrigen in der Gemeinde und all den Bigotten und Großkopfeten hat er Probleme. Das fängt mit dem allzu geschäftstüchtigen Bürgermeister Wurzer an und geht über den alteingesessenen Apotheker Lösch und seine dominante Gattin über den Pfarr- und den Gemeinderat bis hin zu den Dorfratschen und Klatschtanten, die ihn allesamt skeptisch beobachten.
Kaplan Klingmann bringt frischen Wind in die Gemeinde, doch der gefällt nicht jedem. Mit seinem Vorgesetzten, dem gestandenen Pfarrer, ist Klingmann nicht immer einer Meinung. Einige stehen kompromisslos zu ihm – der Organist Bernd Keller zum Beispiel, ein künstlerisch aussehender Typ und begnadeter Orgelspieler, die hübsche Apothekerstochter Manuela Lösch, die ganz aus der Art ihrer Eltern geschlagen ist.
Vor allem Erika Maus, die Haushälterin des Pfarrers, allgemein Kirchenmaus genannt, ist von Kaplan Klingmann begeistert. Der blendend aussehende junge Kaplan versetzt zudem die Frauenherzen in Wallung, was man von seinem Vorgesetzten, dem beschaulichen Pfarrer Schmieder, nicht sagen kann. Klingmann kümmert sich zudem sehr um die Armen und Benachteiligten in der Gemeinde, um Außenseiter und Verachtete und Verstoßene. Für sie setzt er sich ein – nicht immer zur Freude des Pfarrers, des Pfarrrats und anderer.
Das Geklüngel in der Gemeinde, wo jeder jeden kennt und die Hierarchie schon seit Generationen feststeht, ist nicht nach Klingmanns Geschmack. Er geht ungewöhnliche Wege.
Die einen vergöttern den Motorrad-Kaplan, die anderen verdammen ihn. Die Frage ist wer sich letztendlich durchsetzt und ob Kaplan Klingmann sich in der Gemeinde Schönwies behaupten kann.
Der Roman spielt in den 1980er Jahren in dem oberbayrischen Städtchen Schönwies und handelt von dessen Pfarrgemeinde, den Seelsorgern und ihren oft borstigen Schäflein.
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Der neue Kaplan - Earl Warren
Schönwies<
1. Kapitel
»Liebe Pfarrgemeinde, Brüder und Schwestern im Herrn. Bevor ich mit der sonntäglichen Predigt beginne, die diesmal unserer Heiligen Jungfrau Maria gewidmet ist, zum heutigen Fest von Mariä Lichtmess, habe ich euch eine Neuigkeit zu verkünden. Ich selbst erfuhr so kurzfristig davon, dass ich sie nicht mehr ins Wochenblatt unserer Gemeinde einsetzen konnte, das schon gedruckt war. Hört also: Unser hochwürdiger Herr Bischof hat endlich meinen zahlreichen Eingaben stattgegeben. Freut euch: Schönwies erhält einen Kaplan zugeteilt. Mein junger Kollege Jürgen Klingmann wird morgen schon in Schönwies eintreffen. Er soll...«
Hier konnte der grauhaarige Pfarrer nicht weitersprechen. Unruhe entstand unter den Kirchenbesuchern, die allesamt in ihrem Sonntagsstaat in den Bänken saßen. Vorn vom Altar aus gesehen die Kinder, nach Jahrgängen eingeteilt, hinter ihnen die erwachsenen Kirchenbesucher. Im Hintergrund, bei der Tür und im Eingang, standen welche. Auf der Empore oben, wo die Orgel war, saßen etabliertere Mitglieder der Pfarrei, meist ältere Männer, die hier ihren Stammplatz hatten.
Für sie alle war die Nachricht vom direkt bevorstehenden Eintreffen des Kaplans eine kleine Sensation. Schon einmal, vor zwölf Jahren, hatte der der Stadt Sonnbrunn eingemeindete Ort einen Kaplan gehabt. Doch der war nicht lange geblieben. Eine Tuberkulose, die er ausgeheilt geglaubt hatte, war bei ihm wieder ausgebrochen, und er hatte ins Sanatorium gemusst.
Danach hatte das bischöfliche Ordinariat in Sachen Kaplan kein Einsehen mehr gehabt. Schönwies sei nicht so groß, hieß es, dass der Pfarrer seinen seelsorgerischen Aufgaben nicht allein gerecht werden könne.
Pfarrer Schmieder war das an sich ganz recht gewesen. Erst mit dem steten Anwachsen seiner Gemeinde, wobei die Zahl der Kirchenbesucher jedoch konstant blieb oder sogar zurückging, und zunehmendem Alter hatte er um Entlastung ersucht.
»Er soll...« begann Pfarrer Schmieder wieder, konnte sich jedoch mit der Lautstärke gegen die Gemeinde nicht durchsetzen.
Ungeniert tauschten die Gottesdienstbesucher ihre Meinung aus. Sie tuschelten nicht nur, sondern redeten teils laut.
Auf der Empore der alte Hartung, der während der Predigt zu schlafen pflegte, war diesmal hellwach. Weil er schwerhörig war und mit seinem Hörgerät nie zurechtkam, musste ihm gesagt werden, was der Pfarrer gerade verkündet hatte.
»Kappe?«, fragte er. »Was für eine Kappe? - Ach so, der Kaplan. Jetzt hat er also seinen Hilfssheriff.«
Hartung war 86 und ein Original. Seine unverblümte Ausdrucksweise war bekannt und gefürchtet. Nach zwei Weltkriegen, die in seine Lebensspanne gefallen waren, zwei Inflationen und dem Tod zweier Ehefrauen und zwei seiner Kinder könne ihm auf dieser Welt nichts mehr passieren, sagte er, und er fürchtete keinen. Nicht mal den lieben Gott, wie er lästerlich sagte, denn mit dem habe er nach seinem Ableben erst einmal ein Wörtchen über die Zustände auf Erden zu reden, ehe er sich von ihm seine Sünden vorhalten ließ.
Vor dem Bodenpersonal Gottes, wie er die Kirchenleute nannte, hatte er erst recht keinen großen Respekt. Bei seiner Schwiegertochter, in deren Haus er lebte, schaute er viel Fernsehen und schnappte die Redensarten von seinen Enkeln auf. Er hatte daher einen für einen so alten Mann höchst seltsamen Wortschatz.
Pfarrer Schmieder hörte die mit Überlautstärke ausgestoßene Äußerung vom alten Hartung. Milde verweisend schüttelte er den Kopf. Paul Schmieder, seit zwanzig Jahren Seelsorger der inzwischen zehntausend Seelen zählenden Gemeinde, wusste, von wem es kam. Hartung zu ermahnen, hatte sowieso keinen Zweck.
Beim letzten Versuch unter vier Augen hatte der kernige Alte den immerhin auch schon sechzig Lenze zählenden Pfarrer respektlos mit »Bub« angesprochen. Erst auf den Verweis seiner Schwiegertochter hin hatte er sich ein Hochwürden abgerungen.
Weil immer noch keine Ruhe einkehrte und junge Leute sogar wegen des Ausspruchs von Hartung lachten, der in der ganzen Kirche gehört worden war, gab Pfarrer Schmieder dem Organisten einen Wink.
Bernd Keller, ein schlanker Künstlertyp, blendend aussehend mit seinen lang in den Nacken fallenden braunen Locken, der Schwarm aller Frauen und Mädchen von Schönwies, griff in die Tasten. Machtvoll brauste die Orgel auf. Das war an sich nicht Sitte bei einer Predigt. Doch diesmal musste es sein.
Der Akkord brachte die aufgeregten Gemüter zum Schweigen.
Pfarrer Schmieder räusperte sich, als die Orgel verstummte, und schaute von der Kanzel über seine Gemeinde hin. Er tadelte sie nicht.
»Kaplan Klingmann soll mich entlasten«, sagte er, was er die ganze Zeit nicht hatte vorbringen können. »Besonders wird er sich um die Belange der Jugend kümmern. Er gibt an der Mittelpunktschule und in der hiesigen Grundschule« - sie reichte bis zur vierten Klasse - »Religionsunterricht und nimmt alle seelsorgerischen Pflichten wahr. Der Kaplan hält am kommenden Sonntag einen festlichen Einführungsgottesdienst. Es würde mich freuen, wenn bei dieser Gelegenheit auch diejenigen in die Kirche kämen, die sich sonst selten hier blicken lassen. Der katholische Christ soll an allen gebotenen Sonn- und Feiertagen die Heilige Messe besuchen, wie ihr wißt. Sonst ist es eine Sünde. - Wenn ich mich als Pfarrer zur Ruhe setze, ist Kaplan Klingmann als mein Nachfolger vorgesehen. - Doch jetzt zur Predigt. Vierzig Tage nach der Geburt unseres Herrn Jesus Christus zog Maria zum Tempel, um sich zu reinigen und Gott zu danken. Die Reinigung ist als eine geistig-seelische Läuterung zu verstehen, die sie für ihre Verantwortung als Mutter des Knaben Jesus vorbereiten sollte. Zugleich war sie froh, dass sie und das Kind wohlauf waren, denn Geburten waren zu der Zeit nicht nur in Palästina eine risikoreiche Sache.«
Während Pfarrer Schmieder predigte und eine Brücke zur Neuzeit schlug, standen ein paar Männer vor der Kirche und rauchten eine Zigarette. Es waren diejenigen Gottesdienstbesucher, die es mit dem Kirchgang weniger ernst nahmen und sich schon auf den bevorstehenden Frühschoppen freuten. Wenn sie ihre Zigarette geraucht hatten, würden sie dann wieder in die Kirche gehen und sich hinten hinstellen.
In Schönwies herrschten in dem Punkt noch Zucht und Ordnung. Der sonntägliche Kirchgang gehörte für die Katholiken, jedenfalls die Alteingesessenen, dazu. Wer ihn nicht jedes Mal schaffte, musste sich doch ab und zu sehen lassen, oder es schadete seinem Ruf. Das konnte besonders bei Geschäftsleuten Nachteile bringen.
Pfarrer Schmieder predigte inzwischen weiter über die Gottesmutter Maria, ihre Demut und Ergebenheit in den Willen des Herrn und über ihren Vorsatz, ihr Kind im Geist Gottes zu erziehen. Das legte er den weiblichen Gemeindemitgliedern besonders ans Herz, ebenso zu verfahren.
»Möcht'st du den Heiligen Geist als Vater haben, Karli?«, fragte ein vierzehnjähriger Hauptschüler in einer der vorderen Bänke seinen Nachbarn und Freund.
»Nein. Das wär mir zu anstrengend«, tuschelte der zurück. »Alleweil brav sein müsst' man. Da wird zuviel von einem verlangt.«
Die beiden Rangen schauten nach vorn zum Altar, wo im Tabernakel das Allerheiligste stand, nämlich die geweihte Monstranz. Ein wenig bang waren sie doch wegen ihrer Keckheit. Doch es geschah nichts. Wenn der Liebe Gott schon wegen jeder lockeren Bubenredensart einen Blitz hätte hervorfahren lassen wollen, würde es bloß noch geblitzt haben.
Die jungen Männer schauten interessiert zu den Mädchen hinüber, Jungfrauen geheißen, wobei man den Begriff nicht immer so eng sehen durfte. Der sonntägliche Kirchgang war eine gute Gelegenheit, sich kennenzulernen, zu zeigen, dann nach der Messe Kontakte zu knüpfen. Böse Zungen behaupteten, dass manche Frauen hauptsächlich deswegen in die Kirche gingen, um dort ihre neuen Kleider zu zeigen.
Mitunter hatte der hochwürdige Pfarrer von seiner Kanzel aus sogar schon in Busenausschnitte sehen müssen, die er für einen Kirchgang nicht für züchtig genug erachtete. Jetzt am 2. Februar hatte er das Problem allerdings nicht. Dafür sorgte die Winterkälte.
Die Predigt endete. Pfarrer Schmieder stieg von der Kanzel herab und fuhr am Altar mit der Messe fort. Der Wortgottesdienst war beendet, der Opfergottesdienst mit Wandlung und Kommunion als Höhepunkten begann.
*
Schon vor dem Schlusssegen, was Pfarrer Schmieder missbilligend sah, verließen besonders