Discover millions of ebooks, audiobooks, and so much more with a free trial

Only $11.99/month after trial. Cancel anytime.

Next Generation - Awaken
Next Generation - Awaken
Next Generation - Awaken
Ebook363 pages4 hours

Next Generation - Awaken

Rating: 0 out of 5 stars

()

Read preview

About this ebook

Nachdem eine tödliche Grippe die Erde drastisch entvölkert hat, schwingt sich Curtis zum gefürchtetsten Mann in Awaken auf. Mit eiserner Hand herrscht der ehemalige Gladiator über eine Gruppe junger Diebe und Stricher. Bis einer von ihnen zu husten beginnt und damit sein Tod beschlossene Sache ist. Und ein anderer gegen den beschlossenen Mord aufbegehrt …
LanguageDeutsch
Release dateDec 4, 2015
ISBN9783945934463
Next Generation - Awaken

Read more from Sandra Busch

Related to Next Generation - Awaken

Related ebooks

Gay Fiction For You

View More

Related articles

Related categories

Reviews for Next Generation - Awaken

Rating: 0 out of 5 stars
0 ratings

0 ratings0 reviews

What did you think?

Tap to rate

Review must be at least 10 words

    Book preview

    Next Generation - Awaken - Sandra Busch

    Sandra Busch

    Next Generation-

    Awaken

    Impressum

    © dead soft verlag, Mettingen 2015

    http://www.deadsoft.de

    © the author

    Cover: Irene Repp

    http://www.daylinart.webnode.com/

    Bildrechte:

    © ASjack – fotolia.com

    © isoga – fotolia.com

    1. Auflage

    ISBN 978-3-945934-45-6

    ISBN 978-3-945934-46-3 (epub)

    Inhalt:

    Nachdem eine tödliche Grippe die Erde drastisch entvölkert hat, schwingt sich Curtis zum gefürchtetsten Mann in Awaken auf. Mit eiserner Hand herrscht der ehemalige Gladiator über eine Gruppe junger Diebe und Stricher. Bis einer von ihnen zu husten beginnt und damit sein Tod beschlossene Sache ist. Und ein anderer gegen den beschlossenen Mord aufbegehrt …

    Für Jobst und Josef

    zum Dank für eure Herzlichkeit und Gastfreundlichkeit

    Wenn das Glück, die leichte Dirne,

    Launisch dir den Rücken kehrt,

    Hebe doppelt kühn die Stirne,

    Gürte doppelt fest das Schwert.

    Rasch verwelkt ein Kranz aus Zweigen,

    Die du spielend dir gewannst;

    In der Not erst magst du zeigen

    Wer du bist und was du kannst.

    Emmanuel Geibel

    (1815 - 1884), deutscher Lyriker und Dramatiker

    1. Awaken

    Irgendwo in meinem Geiste

    Eine dunkle Kammer ist

    Gut verschlossen und gehütet

    Von niemandem vermisst

    Es liegt Schnee in dieser Kammer

    Tobt mit dem Wintersturm

    Kein Licht und auch kein Feuer

    Erhellen dort den dunklen Turm

    (Irgendwo in meinem Geiste – Saltatio Mortis)

    Raues Husten ertönte in dem Raum. Es klang gequält und tief aus dem Brustkorb heraus. Und es störte die anderen beim Schlafen. Trotzdem wagte niemand zu murren. Vielmehr versuchten die Gefährten es zu ignorieren oder lauschten schweigend den kratzigen Lauten.

    Er ist krank, dachte Keegan in einem Anflug von Mitleid und zog seine Decke fester um sich, als könnte ihn das vor einer Ansteckung bewahren.

    Er sollte zu einem Arzt, führte er den Gedanken fort. Dabei war ihm klar, dass ein Arzt das Allerletzte war, für das Geld ausgegeben wurde. Keegan hörte genau heraus, welcher der sechzehn Jungen, die zusammengepfercht in diesem winzigen Zimmer Schulter an Schulter schlafen mussten, derartig hustete. Es war der Star unter ihnen, der Jüngste … Cian.

    Warum er gerade mit ihm solches Mitleid hegte, blieb Keegan ein Rätsel. Bereits als schlitzohriger Knirps war ihm der Kleine aufgefallen. Vielleicht, weil der viel zu sensibel für einen von Curtis’ Jungen war, obwohl Cian von Anfang an sein Möglichstes tat, um sein eigentliches empfindsames Wesen zu verbergen. Stattdessen bemühte er sich hart und abgebrüht zu wirken. Doch Keegan ahnte, dass der Kleine eines Tages an diesem Job zerbrechen würde, noch bevor Curtis ...

    Wieder lauschte Keegan dem Husten.

    „Cian muss sich zusammenreißen, wisperte Galen neben ihm. „Wenn er heute Abend nicht anschaffen kann, wird Curtis seinen Ärger an ihm auslassen.

    Das war Keegan ebenfalls klar. Natürlich wusste er genauso gut wie Galen, wie es unter der strengen Fuchtel ihres Zuhälters zuging.

    Curtis war mittelgroß, glatzköpfig, ein Mann, der ausschließlich aus Sehnen und Muskeln bestand. In seinen jungen Jahren war er ein gefeierter Gladiator gewesen, bis es ihm als einem der wenigen gelungen war, sich vor knapp fünfzehn Jahren freizukämpfen. Als nunmehr freier Mann hatte er sich einen respektierten Namen in Awaken verschafft und wurde zu einem gefürchteten Mitglied derer, die sich an kein Gesetz und keine Moral hielten. Er scharrte kleine Waisenkinder um sich – hungernde, großäugige Bälger, die niemand haben wollte – und schickte sie stehlen. Die Straßenkinder waren klein, wendig, kannten jeden Winkel ihres Bezirkes und waren damit die idealen Diebe. Leicht zu beeindrucken und vollkommen fixiert auf eine trockene, sichere Unterkunft und einen Kanten Brot, bildeten sie Curtis’ Einheit Eins. Er nahm ausschließlich Jungen, wahrscheinlich weil es es seinen eigenen Triebbefriedigungen entgegenkam. Denn zur Feier ihres siebzehnten Geburtstages stiegen die Diebe in die Einheit Zwei auf. Zumindest die, die dermaßen begabt und flink waren, dass sie nicht erwischt wurden und anschließend als Gladiatoren in den Stadien landeten. Wer seinen Geburtstag nicht kannte, bekam von Curtis nach grober Schätzung einen gesetzt. Damit hielt er sich zumindest an eine moralische Regel, denn mit siebzehn galt man nach den neuen Erlassen offiziell als Erwachsener. Und ihre Volljährigkeit ging mit einem Wechsel vom Langfinger zum Stricher einher. Zumindest diejenigen, die dafür Talent hatten. Die anderen verschwanden … meistens spurlos.

    Spätestens zu diesem Zeitpunkt gehörten sie mit Haut und Haaren Curtis. Ihre Furcht vor ihm fesselte sie wirkungsvoller an seine drahtige Person, als es eiserne Ketten vermocht hätten. Sein Wort war ihr Gesetz und seine Skrupellosigkeit der Schlüssel zu ihrem absoluten Gehorsam. Dank seiner Kampfkunst, seiner arroganten Art und seiner gefährlichen Aura war es Curtis gelungen, ein anständiges Stück der Lustmeile für sich zu beanspruchen, das zum Arbeitsgebiet der Einheit Zwei wurde. Hier regierte er wie ein König, gab das Geld aus, das seine Jüngsten ihm durch das Stehlen verschafften, oder traf sich mit Hehlern, die ihm das Diebesgut abnahmen. Außerdem sorgte er mit eiserner Hand dafür, dass sich seine Stricher möglichst lukrativ verkauften und sich selbst als ein Stück Ware betrachteten.

    Inzwischen befand sich Cian seit knapp neun Monaten in der Einheit Zwei und die Kunden rissen sich regelrecht um seinen schlanken, attraktiven Körper und sein verdammt hübsches Gesicht. Den Ekel in seinen veilchenblauen Augen, den er in diesen Monaten nicht ablegen konnte, übergingen sie dabei großzügig. Schon einmal hatte Curtis ihn zusammengeschlagen, weil Cian versucht hatte, sich vor einem extrem unangenehmen Freier zu drücken. Es war ein dummer Zufall gewesen, dass Curtis dies mitbekommen hatte, denn normalerweise tauchte er immer etwas später in der Lustmeile auf – um abzukassieren. Seine wohldosierten Schläge hatten keine Spuren auf Cians Körper hinterlassen, aber der Kleine war derartig fertig gewesen, dass er einen Tag lang sein schmales Deckenlager in ihrem Quartier nicht verlassen konnte. Allein die Angst vor ihrem Zuhälter trieb ihn zurück auf die Straße. Überhaupt schien Cian Lektionen lediglich zu begreifen, wenn sie ihm eingeprügelt wurden. Oder Curtis hatte ein besonderes Faible für ihn. Als Cian noch in Einheit Eins arbeitete, war er öfters mit deutlichen Spuren von Curtis’ Züchtigungen auf seinem Leib herumgelaufen und mit seinem Aufstieg schien er ihren Zuhälter weiterhin zu provozieren, obwohl in den meisten Fällen keiner wusste wie oder warum.

    Erneut hustete es aus der hinteren Ecke, wo Cian lag.

    Dreh dich um, Keegan, und versuch zu schlafen. Der Kleine ist nicht dein Problem. Kümmere dich um deinen eigenen Scheiß. Er zog sich die Decke bis über die Ohren und bemühte sich, die Geräusche in dem Raum zu ignorieren und endlich einzuschlummern. Nur wenige Sekunden später gab er auf, stieg vorsichtig über die zusammengerollten Leiber seiner Einheit hinweg, um sich neben Cian niederzuknien. In der feuchtkalten Luft zitterte der Kleine erbärmlich, dennoch hatte er seine raue Decke von sich geschoben, weil er wie verrückt schwitzte. Eine Heizung gab es in ihrer Kammer nicht. Elektrizität war teuer und Curtis nicht bereit, für einen derartigen Luxus zu zahlen.

    „Hey", sagte Keegan leise. In dem schwachen Licht, das von draußen in ihre Kammer sickerte, konnte er Cians mattes, entschuldigendes Lächeln erkennen. Ebenso wie die Furcht in seinem Blick, die sein Gefährte nicht unterdrücken konnte.

    „Mir geht es gut. Ich kann arbeiten", flüsterte Cian mit heiserer Stimme, als hätte er ihn tadeln wollen. Ungeachtet der Bemerkung legte Keegan eine Hand auf Cians Stirn. Sie war glühend heiß. Er runzelte die Stirn, sämtliche inneren Alarmsirenen schrillten.

    „Du benötigst einen Arzt, Medikamente …"

    Heftig schüttelte Cian den Kopf. „Mir geht es gut. Ich kann arbeiten."

    „Dir geht es beschissen."

    „Mir geht es …" Hustend krümmte sich Cian zusammen. Keegan setzte sich, lehnte sich seufzend gegen die Wand und zog den Gefährten so an sich, dass Cian halb aufrecht lag und hoffentlich besser Luft bekam. Als Nächstes wickelte er ihn fest in die kratzende Decke ein, die Curtis für sie vom Militär organisiert hatte.

    „Nicht, mir ist heiß." Schwach wehrte sich Cian, bis er erschöpft aufgab und gegen seine Brust sackte. Keegan ließ resignierend seinen Kopf nach hinten gegen die Wand sinken und starrte an die Zimmerdecke hinauf. Was war in ihn gefahren, dass er sich nun kümmerte, anstatt sich um seinen eigenen Dreck zu scheren?

    Hoffentlich hat er nicht die Endzeit-Grippe. Rasch schob Keegan den unliebsamen Gedanken beiseite. Bestand der geringste Verdacht, dass sich Cian die gefährliche Grippe eingefangen hatte, die für das große Sterben verantwortlich war, würde Curtis ihm wie einem jämmerlichen Katzenwelpen das Genick brechen und ihn in dem stinkenden Fluss entsorgen.

    „Versuch zu schlafen", murmelte er in das schweißnasse Haar. Er spürte, wie Cian zaghaft nach seiner Hand tastete, und umfing die suchenden Finger. Auf diese Weise überstand Cian eine weitere Hustenattacke.

    „Kee!", zischte es durch die Kammer. Galen hatte sich halb aufgerichtet und starrte zu ihnen herüber. Mit einer unwirschen Geste wurde er aufgefordert, sich auf seinen Platz zu begeben. Als Ältester in ihrer Einheit hatte Galen das Sagen, trotzdem winkte Keegan verneinend. Er bezweifelte, dass Galen bei Curtis petzen würde, weil er damit den Eindruck erwecken würde, seine Einheit nicht im Griff zu haben. Und das käme bei Curtis überhaupt nicht gut an. Natürlich wunderte sich Galen, weshalb er sich um Cian kümmerte. Es wunderte ihn ja gleichfalls und er konnte sich sein eigenes Verhalten nicht erklären. Unauffällig bleiben, nicht bemerkt zu werden, das war eigentlich seine Überlebensstrategie.

    In Curtis Einheiten war sich jeder selbst der Nächste. Das eigene Leben stand ganz oben auf der Prioritätenliste. Für die meisten währte es ohnehin bloß kurz. Er sollte Cian wirklich den Rücken zudrehen und zusehen, dass er eine ausreichende Portion Schlaf bekam. Seine Kunden würden es ihm danken, wenn er nicht mitten in einem Fick einschlief.

    Keegan war schon kurz davor, Cian von sich zu schieben, als er das Bild von Curtis vor sich hatte, wie er nach der Ablehnung des Freiers auf den Kleinen einprügelte. Cian hatte nicht einmal die Gelegenheit zum Schreien bekommen, gleich der erste Hieb hatte ihm sämtliche Luft aus den Lungen getrieben. Für einen schrecklichen Moment hatte Keegan geglaubt, dass sein Gefährte ersticken würde. Oder Curtis ihn totschlug. Curtis …

    „Kee!" Galen ließ nicht locker. Seine Tage in der Einheit neigten sich dem Ende. Mittlerweile bediente er nur noch Stammfreier, die übrigen wandten sich lieber dem Frischfleisch zu. Bald wäre es so weit, dass Galen ohne eine Vorankündigung von der Bildfläche verschwinden würde. Hartnäckig hielt sich das Gerücht, dass Curtis die ausgedienten Jungen einfach davonjagte oder an eine andere Organisation weitervermittelte, sofern sie über eine Fähigkeit verfügten, die gerade jemand benötigte. Merkwürdigerweise kannte Keegan keinen einzigen dieser Jungen und auch niemand sonst aus ihrer Runde. Realistisch war es daher anzunehmen, dass Galens Tage gezählt waren. Curtis würde sicherlich niemanden laufen lassen, der über seine Diebesgeschäfte und Kontakte Bescheid wusste.

    Keegan schnaufte. Es war die Angst, die jeden von ihnen in ein zitterndes Wrack verwandeln konnte, die Furcht vor ihrem Zuhälter. Sie lähmte, ließ sie geduckt erstarren und schwebte wie ein düsteres Damoklesschwert über ihnen, sobald Curtis’ Schatten auf sie fiel.

    „Leck mich am Arsch!", gab er Galen zurück, eine offene Rebellion, die möglicherweise gleich zu einer Schlägerei führen würde.

    „Jetzt lass ihn endlich zufrieden, Galen, meldete sich überraschend eine weitere Stimme. „Vielleicht kehrt mit Kees Hilfe ein bisschen Ruhe ein.

    Heath, erkannte Keegan. Er würde Galens Nachfolger werden, wenn dieser aus der Einheit verschwand. Der Älteste knurrte, legte sich jedoch zu seinem Erstaunen wieder hin.

    Na also.

    Keegan seufzte erleichtert und schloss müde die Augen. In seinen Armen war Cian in einen unruhigen Schlaf gesunken. Hoffentlich fand der Kleine etwas Erholung, bevor ihn der hartnäckige Husten erneut wach schüttelte.

    ***

    Galen weckte sie alle – wie immer viel zu früh – scheuchte sie aus den Decken und runter in den Waschraum. Keegan streckte seinen steifen Rücken. Der Nachmittag, den sie stets schlafend verbrachten, war für ihn sehr unbequem gewesen. Cian war mehrfach wegen des quälenden Hustens aufgewacht und hatte jedes Mal auch ihn aus seinem Schlummer gerissen. Bestimmt hatte keiner durchschlafen können, dazu war die Kammer einfach zu eng. Niemand machte dem Kleinen deswegen Vorwürfe. Jeder hatte Sorge, dass es irgendwann ihn selbst treffen könnte und er auf die Gnade seiner Gefährten angewiesen war.

    Keegan traf ein dankbarer Blick aus veilchenblauen Augen. Cian drückte ihm kurz die Hand, bevor er hinter den anderen her ins Untergeschoss taumelte.

    „Wie geht es ihm?", erkundigte sich Galen an Keegans Seite leise. Entgegen seines vorherigen harschen Verhaltens schwang nun unterschwellige Sorge in seiner Stimme mit. Hatte er ebenfalls die Fieberflecken auf den Wangen des Kleinen bemerkt? Galen war verpflichtet, Curtis über ernste Erkrankungen Bericht zu erstatten. Wenn ihm etwas entging, musste er dafür büßen.

    „Er fühlt sich total heiß an", gab Keegan ehrlich Auskunft. Lügen hätte keinen Sinn. Galen brauchte lediglich Cians Stirn befühlen, um zu wissen, was los war.

    „Besser, er lässt sich nicht anmerken, dass er krank ist."

    Was für ein hervorragender Rat. Beinahe hätte Keegan abfällig geschnauft.

    „Wie soll er das anstellen?"

    Galen zuckte gleichgültig mit den Schultern und beeilte sich, zu der Gruppe aufzuschließen.

    Sie lebten in einem Gebäude, das vor der Seuche, die ihre Welt drastisch entvölkert hatte, ein Auffangort für Asylanten gewesen war. Es gab eine Großküche, mehrere kleine Zimmer, die als Schlafkammern, Vorratsräume und Büro dienten, einen Gemeinschaftsraum, in dem es einen Kamin gab, der an eisigen Tagen angefeuert wurde, und im Keller einen saalartigen Raum mit sanitären Anlagen. Mittlerweile blätterte überall die Farbe von den Wänden, der Linoleumboden war stumpf und die Waschbecken hatten Sprünge. Die darüber hängenden Spiegel waren zum Teil blind oder vom Wasserdampf beschlagen. Eine von Curtis beliebte Strafe war es, jemanden hier unten zum Grundreinigen zu verdonnern. Natürlich neben der üblichen Arbeit, die auch Botengänge, Reparaturen und das Säubern der üblichen Räume beinhaltete. Das bedeutete zusätzliche Stunden der Schufterei.

    Keegan konnte drei Kinder aus der Einheit Eins entdecken, die mit Wischlappen und Putzmittel an den Duschen herumschrubbten, und verzog mitleidig das Gesicht. Curtis kontrollierte das Ergebnis und er prüfte den winzigsten Winkel auf Sauberkeit. Er selbst hatte einmal vergessen, die Unterseite eines Abflussrohres zu wienern …

    Keegan schüttelte sich und schaute sich nach Cian um. Die zahlreichen Waschbecken und Duschen wurden noch von der Einheit Eins bevölkert. Die Kids im Alter von sechs bis sechzehn Jahren wurden je nach Befähigung zum Einbruch, Taschendiebstahl oder Betteln geschickt. Ein kleiner Teil der Jungs machte sich bei Einbruch der Dämmerung auf dem Weg, um in vorher ausgekundschaftete Häuser einzusteigen oder Nachtschwärmer auszunehmen, die ihr Geld bis zu dieser Stunde nicht zu Schnaps gemacht oder verhurt hatten.

    Ihre starren Mienen zeigten deutlich, dass sie längst fürs Leben gelernt hatten und diese Lektionen nicht gerade rosig gewesen waren. Sie alle hatten begreifen müssen, dass in ihrer Welt Brutalität und Gewissenlosigkeit zum Ziel führten.

    Keegans Blick fiel auf einen schmächtigen Jungen, der seit einem Unfall üble Narben im Gesicht und an den Händen hatte. Jeder Einzelne von ihnen wusste, dass es Billy niemals in die Einheit Zwei schaffen würde. Er war zu hässlich, als dass sich jemals ein Freier für ihn interessieren würde. Sollte er einen Wachstumsschub bekommen, würde Curtis ihn entsorgen, denn dann konnte er nicht mehr durch schmale Fenster in ein Haus einsteigen.

    Cian entdeckte er in einer der Duschkabinen. Er stützte sich mit den Händen an den Fliesen ab und hielt den Kopf gesenkt, während heißes Wasser auf ihn niederplätscherte. Keegan starrte auf seinen nackten Rücken, den festen Hinterbacken und die langen Beine. Beine, die sich schon bald über die Schultern eines Freiers legen würden. Falls Cian nicht bereits vorher zusammenklappte. Er bibberte sogar unter der Dusche.

    „Kee! Galen stieß ihm grob in die Seite. „Hör auf, ihn zu beobachten. Was ist los mit dir? Willst du Ärger mit Curtis, weil du nicht fertig wirst?

    Schweigend wandte sich Keegan ab und suchte sich ein freies Waschbecken. Cian war nicht sein Problem. Cian war irgendwer. In ein paar Jahren, wenn die Kunden Keegan zu verschmähen begannen, würden sich ihre Wege trennen.

    ***

    Curtis schritt die Reihe der Einheit Zwei ab und musterte einen jeden. Bei manchen der Jungen blieb er stehen, zupfte an der Kleidung herum oder prüfte, ob sie saubere Hände hatten. Er legte großen Wert auf Reinlichkeit. Dreckige Fingernägel und schlechter Atem stießen die Kundschaft ab, das bedeutete Einbußen. Heute traf es George. Ein schneller Hieb in den Magen ließ den Blonden pfeifend zusammenbrechen. Keegan zuckte erschrocken. Damit war er nicht allein, wie ihm bewusst wurde.

    „Habe ich dir nicht oft genug gesagt, dass du dir die Hände anständig schrubben sollst, Georgy?", säuselte Curtis mit falscher Freundlichkeit, richtete den stöhnenden Jungen auf und strich ihm die Haarsträhnen aus dem bleichen Gesicht. Für einen Fremden mochte es als eine beinahe fürsorgliche Geste erscheinen. Die Einheit dagegen wusste nur zu genau, was eine unterschwellige Drohung war.

    „Ja, Sir." George wischte sich hastig Tränen aus dem Gesicht und bemühte sich, nicht allzu laut nach Atem zu ringen. Es brauchte lediglich eine winzige Kopfbewegung von Curtis und er flitzte in leicht gekrümmter Haltung davon, um sein Versäumnis nachzuholen.

    Die Reihe war nun an Keegan. Er fixierte den Boden, studierte die Risse und Flecke auf dem grauen Linoleum, wobei er nervös auf seiner Unterlippe kaute, und seufzte erleichtert auf, als Curtis zum Nächsten weiterging.

    Cian!

    Keegan schielte zur Seite.

    „Ich habe dir mehrmals gesagt, dass du dein Hemd offen lassen sollst. Die Kunden wollen deine Vorzüge sehen."

    Im Prinzip hatte Curtis recht. Wenn Cian in lässiger Pose auf seinem Platz in der Lustmeile stand, das schwarze Hemd offen, sodass seine Brust und sein flacher Bauch betont wurden, dazu die schwarzen Haare und als Kontrast die veilchenblauen Augen … Beinahe hätte Keegan selbst einen hingerissenen Laut von sich gegeben. So mancher Freier war angesichts Cians ins Stolpern geraten. Er dagegen durfte sein Hemd geschlossen halten. Niemand sollte gleich auf die fingerlange Narbe an seiner Seite aufmerksam werden, die er sich während seines Dienstes in Einheit Eins zugezogen hatte, als er in eine Schlägerei unter Dieben geraten war. Mit dem Streit hatte er gar nichts zu tun gehabt, er stand ganz unverschuldet mitten in der Schlacht. Plötzlich hatte jemand ein Messer in der Hand und stach zu. Mit Müh und Not hatte es Keegan bis ins Quartier geschafft und er erinnerte sich daran, wie Curtis ihm völlig gefühllos die Verletzung mit winzigen Stichen nähte. Er selbst hatte wie ein Schlosshund geheult, eine Betäubung gab es nicht, und Curtis versuchte die künftige Narbe so unauffällig wie möglich zu halten. Das bezeichnete sein Zuhälter als Investition in die Zukunft.

    Neben ihm öffnete Cian ausdruckslos sein Hemd. Seine Finger zitterten dabei, er hatte sichtliche Schwierigkeiten mit den Knöpfen. Natürlich entging das Curtis nicht.

    „Was ist los mit dir?", fragte er barsch.

    „Es ist nichts, Sir."

    „Bist du krank?" Eine Hand legte sich auf Cians Stirn. Im nächsten Moment verfinsterte sich Curtis Miene.

    „Es geht mir gut", flüsterte Cian. Prompt begann er zu husten. Curtis wich einen Schritt zurück.

    „Scheiße", wisperte es kaum hörbar auf Keegans anderer Seite. Heath linste ebenfalls zu Cian hinüber.

    „Willst du mich verarschen?", brüllte Curtis. Erneut schraken alle zusammen.

    „Ich kann arbeiten, Sir. Ehrlich, das ist nichts." Die nackte Angst stand in Cians Gesicht geschrieben.

    „Er ist bloß ein bisschen erkältet, platzte es aus Keegan heraus. In der nächsten Sekunde hätte er sich am liebsten die Zunge abgebissen. Es war zu spät, den Mund zu halten, daher fuhr er tapfer fort: „Wenn er das Hemd wenigstens zulassen könnte, Sir, … es ist kalt und feucht draußen …

    Curtis blassblauer Blick bohrte sich regelrecht in ihn. „Bist du zur Wetterfee mutiert, Keegan?"

    Er knetete seine Hände, unfähig, die furchtsamen Bewegungen zu unterdrücken. „Nein, Sir."

    „Habe ich dich um deine Meinung gefragt?"

    „Nein, Sir."

    „Hast du vielleicht einen weiteren überaus nützlichen Vorschlag für mich?"

    „Sir, wenn Sie Cians Schicht verkürzen, könnte er sich etwas ausruhen und wäre morgen bestimmt wieder fit. Ich würde dafür länger …"

    „Reichen dir deine Stunden auf dem Rücken nicht?"

    Oh! Oh! Der Ton begann die Gefahrenskala um etliche Einheiten zu übersteigen.

    „Doch, Sir, flüsterte Keegan. „Ich wollte …

    „Hast du was mit ihm?", wurde er unterbrochen. Ihn überlief es eisig. Das oberste Gebot in ihrer Einheit lautete: Arsch und Schwanz gehören dem Kunden. Sex untereinander war verboten. Das Gebot war leicht einzuhalten. Keegan hatte bislang keinen Kameraden getroffen, der nach seiner Schicht Lust auf eine weitere Nummer unter Gefährten gehabt hätte.

    „Nein, Sir."

    „Galen?" Curtis wandte sich um Bestätigung heischend an den Ältesten. Keegan spürte, wie sich ein dicker Klumpen in seinen Magen bildete. Wenn Galen ihm nun eine reinwürgen wollte, aus welchem Grund auch immer, dann war das jetzt eine gute Gelegenheit. Glücklicherweise deutete Galen bloß ein Kopfschütteln an, bei dem sich sein dunkelblonder, langer Zopf nicht einmal bewegte.

    „Kannst du mir verraten, weshalb du dein Maul aufreißt?" Curtis’ Zeigefinger bohrte sich in Keegans Brust.

    „Cian bringt Geld, brachte Keegan hastig hervor. „Er trägt damit zu einem großen Teil für unseren Unterhalt bei.

    „Und du glaubst, ausgerechnet mich daran erinnern zu müssen, dass er eine Geldquelle ist?"

    „Nein, Sir, natürlich nicht", murmelte Keegan kleinlaut. Verdammt! Hätte er bloß die Klappe gehalten.

    „Kein Essen für dich, Keegan."

    „Verstanden, Sir." Beinahe hätte er erleichtert aufgeatmet. Da war er ja nochmal gut weggekommen. Lieber fastete er vierundzwanzig Stunden lang, als dass er sich Curtis’ Fäusten aussetzte. Oder Schlimmeres.

    Der Zuhälter wurde von ihm abgelenkt, denn George kehrte zurück, hielt ihm seine wund geschrubbten Hände entgegen und durfte sich nach einem gnädigen Nicken erneut in die Reihe eingliedern.

    „Cian, du gehst an deinen üblichen Platz, Keegan gleich daneben", nahm Curtis endlich die Einteilung vor. Beinahe konnte Keegan sein Erstaunen nicht unterdrücken, da der Platz neben Cian einer der besten war.

    „George, Ben, Steven und Mick, ihr geht mit Galen zu Harrisons Party. Der Rest sucht sich seine Plätze. Keegan!"

    Abermals blieb sein Herz vor Schreck beinahe stehen.

    „Ja, Sir?"

    „Gib mir auf Cian acht. Wenn er schlapp macht, trittst du ihm in den Arsch."

    „Ja, Sir", antwortete er schnell.

    „Das wird nicht nötig sein", erklärte Cian und unterdrückte sichtlich ein weiteres Husten. Curtis musterte ihn scharf.

    „Verschwindet", knurrte er endlich und gemeinsam hasteten sie davon.

    ***

    Vereinzelte Böen fegten schneidend durch die Straßen, trotzdem wagte er es nicht, sein Hemd wenigstens bis zur Lustmeile zu schließen. Man konnte nie wissen, ob Curtis ihnen nicht nachspionierte oder man von einem der anderen Jungs, die vor ihnen gingen, verpfiffen wurde. In der Gruppe liefen sie zwischen Häusern entlang, die lediglich teilweise bewohnt waren. Viele Fenster waren mit Pappe oder Brettern zugenagelt, weil die Scheiben zerbrochen waren. Efeu und andere Ranken zogen sich an vielen Gebäuden hinauf. Ehemalige Rasenflächen oder Spielplätze waren Beeten sowie kleinen Kartoffeläckern oder Maisfeldern gewichen. An den Straßenrändern rosteten Autos vor sich hin, deren Innenleben ausgeschlachtet war. Polster und Motorenteile waren gnadenlos herausgerissen worden. Viele Wagen zeigten Brandspuren. In den Hauseingängen standen vereinzelt kleine Gruppen dick vermummter Gestalten vor eisernen Tonnen, aus denen Flammen loderten. Nicht wenige hatten selbstgebrannten Fusel in den Händen. Und wahrscheinlich scharfe Waffen in den Taschen.

    Frierend schlang Cian die Arme um sich. Ein feiner Nieselregen hatte eingesetzt und irgendwie hatte er im Verdacht, dass es eine lange Nacht werden würde. Neben ihm stapfte Keegan in eine Pfütze, auf der sich eine hauchdünne Schicht Eis gebildet hatte. Der erste Bodenfrost war da.

    „Bist du irre?", fragte er den verbissen dreinschauenden Gefährten und hob gleich darauf die Hand zum Mund, als er husten musste.

    „Was heißt hier irre? Ich versuche dir deinen verdammten Arsch zu retten", zischte es ungehalten zurück. Keegans Augen funkelten ihn zornig durch seine ins Gesicht hängenden Haarsträhnen an, die etwas dunkler als seine Iris waren.

    „Versteh mich nicht falsch, Kee. Ich bin dir echt dankbar. Aber ich will nicht, dass du meinetwegen Ärger mit Curtis bekommst. Du bist einer der wenigen netten …"

    „Lass das mal meine Sorge sein, Sugar", würgte ihn Keegan ungehalten ab, als wäre er ein kleines Kind, dem man noch keine Entscheidung überlassen konnte. Und überhaupt … Sugar! Was sollte diese Bezeichnung? War Keegan etwa auf sein Gesicht neidisch? Für seine Visage konnte er schließlich nichts.

    Eine Weile trotteten sie stumm nebeneinander her. Dann hielt es Cian nicht mehr aus und flüsterte: „Er ist ein Schwein."

    Sofort hielt ihm Keegan den Mund zu und sah sich nervös um. Die Gefährten vor ihnen schienen nichts gehört zu haben, jedenfalls drehte sich niemand zu ihnen um.

    „Offenbar bist du der Verrückte von uns, grollte Keegan und ließ ihn los, um ihn unsanft vorwärts zu schubsen. „Verlier den Anschluss nicht, Sugar.

    Er fühlte sich matt und fiebrig. Es fiel ihm bereits schwer, auch nur einen Fuß vor den anderen zu setzen und dauernd flimmerte seine Sicht. Die Angst, ohnmächtig umzukippen, hockte ihm im Nacken. Er war froh, dass ausgerechnet Keegan auf ihn aufpassen sollte, da er ihm das Gefühl vermittelte, dass er nicht jede Verfehlung an Curtis petzen würde. Und vielleicht konnte er diese Nacht überstehen, wenn er wenigstens versuchte, sich ein wenig zu schonen. Verzweifelt schüttelte er den Kopf, denn wie sollte er das tun? Cian verzog das Gesicht. Allein der Gedanke an die möglichen Freier verursachte ihm Bauchschmerzen. Da war einer, den fand er besonders widerlich. Übergewichtig und wie ein Affe mit langen schwarzen Haaren bedeckt. Der wollte immer

    Enjoying the preview?
    Page 1 of 1