Das Abenteuer der Neujahrsnacht
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Heinrich Zschokke war zu seiner Zeit einer der meistgelesenen deutschsprachigen Schriftsteller und begeisterten vor allem seine Novellen ein großes Publikum.
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Das Abenteuer der Neujahrsnacht - Heinrich Zschokke
Inhaltsverzeichnis
Das Abenteuer der Neujahrsnacht
1.
2.
3.
4.
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10.
11.
12.
13.
14.
15.
Impressum
Das Abenteuer der Neujahrsnacht
1.
Mutter Käthe, des alten Nachtwächters Frau, schob am Silvesterabend um neun Uhr das Zugfensterlein zurück und steckte den Kopf in die Nacht hinaus. Der Schnee flog in stillen, großen Flocken, vom Fensterlicht gerötet, auf die Straßen der Residenz nieder. Sie sah lange dem Laufen und Rennen der frohen Menschen zu, die noch in den hell erleuchteten Laden und Gewölben der Kaufleute Neujahrsgeschenke einkauften oder von und zu Kaffeehäusern und Weinkellern, Kränzchen und Tanzsälen strömten, um das alte Jahr mit dem neuen in Lust und Freuden zu vermählen. Als ihr aber ein paar große, kalte Flocken die Nase belegten, zog sie den Kopf zurück, schob das Fensterlein zu und sagte zu ihrem Manne: »Gottliebchen, bleib zu Hause und lass die Nacht den Philipp für dich gehen. Denn es schneit vom Himmel, wie es mag, und der Schnee tut, wie du weißt, deinen alten Beinen kein Gutes, auf den Gassen wird es die ganze Nacht lebhaft sein. Es ist, als wäre in allen Häusern Tanz und Fest. Man sieht viel Masken. Da hat unser Philipp gewiss keine Langeweile.«
Der alte Gottlieb nickte mit dem Kopfe und sprach: »Käthchen, ich lass es mir wohl gefallen. Mein Barometer, die Schusswunde über dem Knie, hat mir's schon zwei Tage vorausgesagt, das Wetter werde sich ändern. Billig, dass der Sohn dem Vater den Dienst erleichtert, den er einmal von mir erbt.«
Nebenbei verdient hier gesagt zu werden, dass der alte Gottlieb vor Zeiten Wachtmeister in einem Regiment seines Königs gewesen, bis er bei Erstürmung einer feindlichen Schanze, die er als Erster im Kampfe für das Vaterland erstieg, zum Krüppel geschossen ward. Sein Hauptmann, der die Schanze bestieg, nachdem sie erobert war, empfing für solche Heldentat auf dem Schlachtfelde das Verdienstkreuz und Beförderung im Rang. Der arme Wachtmeister musste froh sein, mit dem zerschossenen Bein lebendig davonzukommen. Aus Mitleid gab man ihm eine Schulmeisterstelle, denn er war ein verständiger Mann, der eine gute Handschrift hatte und gern Bücher las. Bei Verbesserung des Schulwesens ward ihm aber auch die Lehrerstelle entzogen, weil man einen jungen Menschen, der nicht so gut wie er lesen, schreiben und rechnen konnte, versorgen wollte, indem einer von den Schulräten dessen Pate war. Den abgesetzten Gottlieb aber beförderte man zum Nachtwächter und adjungierte ihm seinen Sohn Philipp, der eigentlich das Gärtnerhandwerk erlernt hatte.
Die kleine Haushaltung hatte dabei ihr kümmerliches Auskommen. Doch war Frau Käthe eine gute Wirtschafterin und gar häuslich, und der alte Gottlieb ein wahrer Weltweiser, der mit Wenigem recht glücklich sein konnte. Philipp verdiente sich bei dem Gärtner, in dessen Lohn er stand, sein tägliches Brot zur Genüge, und wenn er bestellte Blumen in die Häuser der Reichen trug, gab es artige Trinkgelder. Er war ein hübscher Bursche von sechsundzwanzig Jahren. Vornehme Frauen gaben ihm bloß seines Gesichts wegen ein Stück Geld mehr als jedem andern, der eben solch ein Gesicht nicht aufweisen konnte.
Frau Käthe hatte schon das Mäntelein umgeworfen, um aus des Gärtners Hause den Sohn zu rufen, als dieser in die Stube trat.
»Vater,« sagte Philipp und gab dem Vater und der Mutter die Hand, »es schneit, und das Schneewetter tut dir nicht wohl. Ich will dich die Nacht ablösen, wenn du willst. Lege du dich schlafen.« »Du bist brav!« sagte der alte Gottlieb.
»Und dann habe ich gedacht, morgen sei es doch Neujahr,« fuhr Philipp fort, »und ich möchte morgen bei euch essen und mir gütlich tun. Mütterchen, hast vielleicht feinen Braten in der Küche...«
»Das eben nicht,« sagte Frau Käthe, »aber doch anderthalb Pfund Rindfleisch, Erdäpfel zum Gemüse und Reis mit Lorbeerblättern zur Suppe. Auch zum Trunk noch ein paar Flaschen Bier. Komm du nur, Philipp; wir können morgen hoch leben! Künftige Woche gibt es auch wieder Neujahrsgeld für die Nachtwächter, wenn sie teilen. Da können wir schon wohl leben.«
»Nun, desto besser für euch. Und habt ihr schon die Hausmiete bezahlt?« fragte Philipp.
Der alte Gottlieb zuckte die Achseln.
Philipp legte Geld auf den Tisch und sagte: »Da sind zweiundzwanzig Gulden, die ich erspart habe. Ich kann sie wohl entbehren. Nehmt sie zum Neujahrsgeschenk. So können wir alle drei das neue Jahr wohlgemut und sorgenlos antreten. Gott gebe, dass wir es gesund und fröhlich durchleben. Der Himmel wird ferner für euch und mich sorgen.«
Frau Käthe traten die Tränen in die Augen, und sie küsste ihn. Der alte Gottlieb sagte: »Philipp, du bist wahrhaft der Trost und Stab unsers Alters. Gott wird dir's vergelten. Fahre fort, redlich zu sein und deine Eltern zu lieben. Ich sage dir, der Segen bleibt nicht aus. Zum Neujahr wünsche ich dir nichts, als dein Herz fromm und