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Fernseharbeit: Gespräche mit Johannes F. Sievert
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Fernseharbeit: Gespräche mit Johannes F. Sievert
Ebook355 pages4 hours

Fernseharbeit: Gespräche mit Johannes F. Sievert

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About this ebook

Welche Entscheidungen - kreativer, praktischer, technischerund finanzieller Art - machen einen Film zu dem, was er ist? Johannes Sievert dokumentiert am Beispiel von Dominik Grafs "Im Angesicht des Verbrechens" die Entstehung und dieverschiedenen Stadien einer Filmserie. Texte und Interviews von und mit Dominik Graf und den maßgeblich an der Serie beteiligten Mitarbeitern, Redakteuren und Producern, dem Kameramann, dem Ausstatter, der Cutterin, den Komponisten und den Schauspielern geben Einblicke in die komplexen Abläufe und Zusammenhänge einer Film- und Fernseharbeit in Deutschland.
Ergänzt wird der Band u.a. durch eine Filmografie und ein Glossar mit den wichtigsten fimtechnischen Fachbegriffen.
LanguageDeutsch
Release dateAug 1, 2012
ISBN9783895812989
Fernseharbeit: Gespräche mit Johannes F. Sievert

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    Book preview

    Fernseharbeit - Dominik Graf

    Graf

    Johannes F. Sievert

    EINFÜHRUNG

    Als ich Dominik Graf im Dezember 2007 auf dieses Buchprojekt ansprach, war er bereits in der Vorproduktion zu der damals noch als achtteilig geplanten Serie Im Angesicht des Verbrechens. Wir vereinbarten, daß ich den Dreh mit der Kamera begleite und daraus ein Making-of schneide und daß ich mit ihm vor, während und nach den Dreharbeiten Interviews führe. Kurz darauf wird Dominik Graf vom Produzenten Marc Conrad gefeuert.

    Im Januar 2008 wird er jedoch wieder eingestellt, da die beteiligten Sender gerne mit Graf und seiner Drehbuchversion arbeiten wollen. Als die Produktionsleiterin im Frühjahr die Drehbücher kalkuliert und – trotz vieler Kürzungen – deutlich höher liegt als die bisherige Kalkulation, bricht Panik aus: der Dreh soll schließlich im Juni starten … Der WDR erhöht nochmals das Budget und im Mai beginnen die Proben. Die angespannte Atmosphäre zwischen Regie und dem Produzenten Marc Conrad ist allgegenwärtig.

    Im Juni 2008 beginnt der Dreh wie geplant. Aber die Kosten schwellen weiter an, die täglichen Pensen beim Drehen sind kaum zu schaffen. Als die Gewerbeaufsicht Mitte August um drei Uhr nachts die Dreharbeiten abbricht und eine strikte Einhaltung der gesetzlich vorgeschriebenen Arbeitszeiten verlangt, bedeutet das für die Produktion: zehn bis zwanzig Drehtage mehr als für den zweiten Winterblock geplant waren.

    In der Pause zwischen Sommer- und Winterdreh kommt es zwischen dem WDR und Marc Conrad zum Streit darüber, wer die Verantwortung für die entstandenen zusätzlichen Drehtage trägt – und damit auch die entstehenden Mehrkosten übernimmt. Marc Conrad eröffnet erstmals seine Absicht, in Insolvenz zu gehen, wenn nicht zusätzliche 1,5 Millionen seitens der Sender in das Projekt investiert werden. Unterfinanziert, verfeindet und angespannt gehen die Beteiligten in die zweite Drehphase.

    Nach endlosen weiteren Auseinandersetzungen vor und hinter den Kulissen werden die Dreharbeiten nach 112 Drehtagen im Februar 2009 beendet. Drei Sommer-Drehtage stehen noch aus.

    Im März 2009 meldet der Brancheninformationsdienst Kress per Blitznachricht, daß das Amtsgericht Köln am 10. März 2009 das Insolvenzverfahren gegen die Produktionsfirma, die Typhoon AG, eröffnet hat. Laut dieser Mitteilung hat sich die Firma in Absprache mit ihren juristischen Beratern und Wirtschaftsprüfern zu diesem Schritt veranlaßt gesehen. Ein Insolvenzverwalter übernimmt das Ruder. Doch die Aussicht auf Einigung über die finanziellen Mehrkosten rückt in weite Ferne: der Schneideraum wird geschlossen, der Film droht im Papierkorb zu verschwinden ...

    Gespräche mit Dominik Graf

    1

    DIE DROSCHKENGAULARTIGE VERBARRIKADIERTHEIT DES REGISSEURSMOTIVATION UND VORBILDER

    Johannes F. Sievert: War Im Angesicht des Verbrechens (IAdV) deine größte Herausforderung?

    Dominik Graf: Als rein äußerliche Anstrengung sicherlich, ja: Es sind nun beinahe 500 Minuten fertiger Film geworden, in fast jeder der inzwischen zehn statt acht Folgen gibt es eine ziemlich kräftige Actionsequenz, es waren ständig wechselnde, ganz verschiedene Milieus zu erzählen, verschiedene Sprachen, 150 Sprechrollen zu inszenieren, es gab im Drehbuch Dutzende komplizierte, genau beschriebene und detailliert festgelegte Motive, die gesucht werden mußten … Und dann das Ganze komplett unchronologisch nach Innen- und Außenmotiven abgedreht – das war eine gewisse Anforderung an uns alle, kann man sagen. Vergleichbar ist die Serie natürlich ein wenig mit meinen anderen größeren Thrillern in der Vergangenheit, ob nun Die Katze, Die Sieger, Hotte im Paradies oder Eine Stadt wird erpreßt. Es sind ja auch immer dieselben Probleme, dieselben Unterschätzungen der Produktionen, auf die man bei so aufwendigen Filmen trifft. Es geht letztlich immer um Geld und darum, daß man sich Filme mit starken Action-Anteilen bei uns gar nicht leisten kann – und im Grunde auch nicht leisten will. So seltsam das sein mag, wenn andererseits täglich Dutzende von Krimis in Auftrag gegeben werden: das, was den Thriller ausmacht, die Gefahr, die körperliche Spannung, die Jagd, der Showdown – das möchte am Ende keiner bezahlen. Daher gibt es bei Drehbüchern wie IAdV immer Probleme, und diese Probleme sind für mich anstrengender als das Drehen selbst.

    Ist es eine besondere Herausforderung gewesen, eine Serie zu drehen, bei der du der alleinige Regisseur bist? Spielte die Größenordnung nicht doch eine Rolle? Kräftemäßig? Was die Pensen der Drehtage angeht? Organisationstechnischer Natur?

    Ja. Die Länge und die Dauer der Arbeit allein ist schon eine Herausforderung. Einer der inneren Motoren, gleichsam eine der Antriebskräfte des Adrenalin-Haushalts ist es, daß man all das, was in einem Drehbuch steht, daß man jedes noch so kleine Detail exakt so hinzukriegen versucht wie es im Buch stand, während man den Film Tag für Tag macht. Man muß beinahe jeden der 120 Drehtage eine hohe Energie in die Bilder pumpen, man darf sich – bis auf wenige, leichtere Szenen – nie zurücklehnen, sonst nimmt das Ganze an einem schwachen Detail Schaden. Klar, man hätte die Regie der Folgen auch teilen können, Folgen 1 bis 4 dreht ein Regisseur und Folgen 5 bis 8 ein anderer Regisseur. Aber das wäre noch teurer geworden, weil die vielen durchgehenden Hauptmotive jeweils zweimal hätten angemietet werden müssen. Außerdem ist IAdV ja eine kontinuierliche Story, es sind keine abgeschlossenen Episoden – und ich weiß nicht, ob da ein Regiewechsel für die konsequente Stilistik und Erzählform der Sache förderlich ist. Andererseits kann einem Produzenten nach US-Serien-Vorbild der einheitliche Regiestil völlig egal sein, dort in Amerika entscheidet ja der einheitliche Produzenten-Look jeder Serie. Regisseure spielen dort eine Nebenrolle. Insofern habe ich Glück gehabt, das Ganze komplett inszenieren zu dürfen.

    Was ist für dich das Haupthindernis bei der Filmarbeit?

    Normalerweise gibt es nur zwei mögliche Hindernisse: mich selbst und die Produktionsbedingungen. Oft empfinde ich mich selbst als mein allergrößtes Hindernis. Mein schwankender Biorhythmus, meine Müdigkeit, dann wieder meine Ungeduld, meine Fehler. Allerdings scheint mir die Schuld für die Probleme der von mir bewunderten Regisseure – zumeist ziemliche Bad Boys in der Branche oder der Filmgeschichte – in höherem Maße bei der Industrie zu liegen als bei den Regisseuren selbst. Nicolas Roeg zum Beispiel, der letzte heute lebende Maniac der Siebziger, der im Hollywood-System große Filme machte, ist ein Mann, der oft die ganze Dämlichkeit der englischsprechenden Filmbranche mit voller Wucht zu spüren bekam. Andererseits hat er aber auch immer damit gerechnet, daß er für seine bizarren Ideen Gegenwind bekommt. Altersweise kommentiert er sein Gesamtoeuvre heute so: »Ich wundere mich, daß sie mich all diese Filme überhaupt haben machen lassen.« Das ist wohl die richtige Einstellung. Solche Gelassenheit sollte man eigentlich haben. Ich weiß schon, speziell die deutsche Branche fragt bei diesem Zitat: »Wer ist bitte ›sie‹? Es gibt doch völlig unterschiedliche Produzenten!« Ja, die gibt es. Aber jede/r von ihnen hat ihre/seine entscheidenden Stärken und Schwächen. (So wie sie jeder Regisseur auch hat.) Und die Schwächen des jeweiligen Produzenten muß man als Regisseur erkennen, man muß sie mit einberechnen in die Arbeit, man muß sie umschiffen, taktisch umgehen oder Widerstand leisten. Denn natürlich machen Produzenten – genauso wie wir Regisseure – Fehler. Zum Beispiel: Selbstverständlich hätte ich aus den Siegern einen wesentlich interessanteren Film machen können, wenn der Produzent Günter Rohrbach uns das allererste, das perfekte Drehbuch von Günter Schütter hätte umsetzen lassen. Aber Bernd Eichinger sprang aufgrund des Buchs als Verleiher ab (»Das sind ja keine Sieger, das sind ja Verlierer!« sagte er.) Und Rohrbach glaubte fortan nicht mehr an diese erste Fassung. Folglich begann eine zähe Drehbucharbeit, die das grandiose Buch von Günter Schütter schließlich verwässerte, zu sehr verkürzte usw. Um aber bei diesem Beispiel zu bleiben: Rückblickend gebe ich Rohrbach keine Schuld. Ich hätte versuchen müssen, dieses erste Skript bereits als Dreh-Skript unbedingt in seiner Gänze durchzusetzen, anstatt letztlich Dutzende von Kompromissen einzugehen. Auch auf die Gefahr hin, das ganze Projekt dann zu verlieren.

    Hinterlassen die andauernden Kämpfe Verschleißerscheinungen?

    Ja. Also, ich meine mich zu erinnern, daß ich damals, 1993, nach den schon recht heftigen Drehbuch-Kämpfen um Die Katze und um den aufwendigen TV-Film Morlock Die Verflechtung offenbar der Streitereien bei den Siegern ein wenig zu müde geworden war und Kompromisse anbot. Das stellte sich jedoch bei diesem Film als ein schwerer taktischer Fehler heraus. Was ich sagen will, ist folgendes: Sich mit den Geldgebern und -beschaffern auseinanderzusetzen – mit wem auch immer, wo auch immer – ist mühsam, gehört aber zu unserem Job als Regisseur. Wir müssen das einschätzen und damit umgehen lernen. Das Schlimme an den Siegern ist ja nun beileibe nicht gewesen, daß der Film ein finanzieller Flop war, sondern daß er teilweise ein schlechterer Film war als alles, groß oder klein, was ich in meinen Bavaria-Jahren zuvor gemacht hatte. Rohrbach wollte später immer »auch schuld« sein an der kommerziellen Katastrophe des Films – das war tapfer und aufrichtig von ihm, aber das fand ich falsch. Denn ein Großproduzent argumentiert immer so ähnlich wie er, er muß so argumentieren. Er wußte stets, was er tat, und er machte es für seine Kriterien richtig.

    Ich, der Regisseur, und der Autor – wir beide müssen die Dinge durchsetzen, die wir gut und richtig finden. Es liegt an mir, zu erkennen, daß jetzt in diesem besonderen Augenblick das bestmögliche Drehbuch auf dem Tisch liegt und daß ab jetzt auf keinen Fall mehr Kompromisse gemacht werden dürfen. Und dann geht es darum, diese Erkenntnis mit allen Mitteln durchzusetzen. Und ich meine auch mit allen Mitteln. Ein richtig guter Film ist wichtiger als höfliche Umgangsformen.

    Im weiteren Verlauf meiner Karriere nach den Siegern habe ich versucht, dieses Prinzip zu verfolgen – oder die Projekte abzusagen, wenn zuviel Ärger drohte. Ich habe einige Produzenten kennengelernt, die exakt das unterstützen, was ein Autor bzw. Regisseur will. Ich glaube, international ist so einer wie Jeremy Thomas das leuchtendste lebende Produzentenbeispiel (Roegs Bad Timing, Bertoluccis Der letzte Kaiser, Himmel über der Wüste etc. pp.). Seine Filme werden bleiben. Und nur das ist, was am Ende zählt.

    Ermüden dich die andauernden Kompromisse?

    Naja, wie gesagt, die Probleme ähneln sich im Laufe der Jahre in Deutschland doch sehr. Und dann droht ja auch die Berufsroutine einen abzunutzen: Wie oft ich allein in meinem Leben schon »Bitte« gesagt habe! (Andere sagen »Action«.) Du kannst dich selber und deine Stimme am Drehort und in den Mustern irgendwann nicht mehr hören. »Aus, danke«, »Bitte« – wie eine Endlosschleife des Berufslebens. Irgendwann, spätabends und etwas müde, da denkst du »Komm, besser werden deine Filme offensichtlich ja nicht mehr, dann laß es jetzt mal gut sein«.

    Was motiviert dich als Regisseur, einen Film zu machen oder ihn nicht zu machen?

    Das Drehbuch. Immer nur das Drehbuch. Nicht – oder sehr selten – der Stoff als Ganzes. Immer die Details. Die Figuren, die Dialoge, die einzelnen Szenen.

    Und zieht dich diese Motivation per Drehbuch-Detail durch den ganzen Herstellungsprozeß?

    Ja, meistens. Jeden einzelnen Drehtag. Vor allem dann, wenn das Buch nicht von mir selber ist. Meine eigenen Bücher und Stoffe langweilen mich stets mehr als die von meinen Lieblingsautoren. Bei denen ist beinahe jedes Detail erfrischend. Als Filmregisseur muß man aber auch für einen ganzen Drehprozeß eine gewisse Sturheit haben, eine gewisse Taubheit. Ein Chefproduzent der Bavaria, Helmut Jedele, er war der Vorgänger von Günter Rohrbach, sagte mal, daß nicht nur sehr gute Schauspieler, sondern auch gute Regisseure nachgerade eine gewisse Art von Beschränktheit, von Egozentriertheit haben müssen, um ihr Ziel zu erreichen. Gemeint ist damit eine Einseitigkeit, eine geradezu neurotische Fixierung auf das Produkt, das ihnen selbst vorschwebt – was oft wie »Dummheit« aussieht –, und zwar derartig, daß man durchaus von einer droschkengaulartigen Verbarrikadiertheit der Regisseure sprechen kann, zumindest solange sie arbeiten. Wirklich gute Regisseure setzen ihre Visionen gnadenlos – oft auch gegen sich selbst gnadenlos – mit allen dazugehörigen Scheuklappen durch. Die einen tun das mit unendlicher Geduld, andere mit Gezeter – wie auch immer, sie sind ›beschränkt‹ in dieser Zeit. Wie unter Drogen. Ihre Wahrnehmung ist gleichzeitig erweitert und eingeschränkt, und sie sollten – je nach Charakter – möglichst unempfindlich gegen Zweifel an ihrer Arbeit sein. Was mir nun allerdings vollkommen fremd ist. Rabiate Selbstzweifel halte ich für lebenswichtig. Weniger für diesen Beruf als für mich als Mensch. Selbstzweifel sind anstrengend, aber kreativ.

    Geht mit dieser ›Beschränktheit‹ auch eine ›Betriebsblindheit‹ einher?

    Aber wie! Es ist ja geradezu peinlich, was einem alles entgeht an ›Wirklichkeit‹, während man einen Film macht. Manchmal direkt vor der eigenen Nase, zu Hause in der Familie oder im Team spielen sich Dramen oder zauberhafte Episoden ab, und man reagiert während dieser Zeit häufig vollkommen einseitig, verzögert. Die Frage ist nur, ob sich diese Blindheit dem Leben gegenüber zwischen den Filmarbeiten dann wieder auflöst oder als berufliche Deformation bleibt.

    Don Siegel hat sich über seine Arbeit wie folgt geäußert: »Den meisten Leuten hier bei Universal wird nicht bewußt, was um sie herum passiert; sie sind sehr selbstsüchtig. Und ich bin einer von ihnen. Ich gehe so sehr in meiner Arbeit auf, daß mir nicht einmal bewußt wird, daß viele Leute Hunger leiden oder Hilfe brauchen. Ich sehe nichts, weil ich soviel zu tun habe, und ich mag nicht darüber nachdenken.«¹

    Haha, ja, diese Bemerkung zeigt ja durchaus Selbstkritik in der Traumfabrik. Im Grunde spielen alle ganz großen Genre-Regisseure halt einfach immer noch sehr gerne Modelleisenbahn. Und sie lassen sich durch das allgemein bekannte Elend in der Welt davon nur ungern abhalten, glaube ich.

    Deine Filme führen oft in die Katastrophe – du beschreibst es selber als Mahlstrom – ist das ein Thema, das dich packt?

    Vielleicht, ich mag Infernos im Film. Jedenfalls mehr als Happy-Ends. Oder besser: Infernos sind meine Happy-Ends. Aber das Thema, die Story, also das, wonach später die Journalisten fragen – das ist bei mir meistens viel unwichtiger als es vielleicht sein sollte. Ich falle in meine Arbeit hinein wie in einen reißenden Strom (mal mehr, mal weniger). Je dunkler er glitzert, umso lieber. Aber ich glaube nicht, daß ich irgendetwas mit meinen Filmen ›sagen‹ will. Ich will Spaß haben bei meiner Arbeit, wobei bei mir sicher auch das Zitat aus Lawrence of Arabia gilt: »… es ist ja bekannt, daß Sie eine merkwürdige Auffassung von ›Spaß‹ haben.« Ich ahne, daß es im Grunde vielen Regisseuren so ähnlich geht wie mir, sie haben gar kein »Thema« – oder andersherum: Wenn einer offensichtlich ein dringendes Thema erzählen möchte, dann spüre ich sofort die ›Gewichtigkeit‹ in seinem Film und langweile mich. Ich empfinde eine inhaltliche Sendung als einen wesentlich weniger wichtigen Beweggrund dazu, einen Film zu machen als beispielsweise das Motiv, eine wunderbare Schauspielerin endlich näher kennenzulernen. Das rechtfertigt in meinen Augen sogar, einen schlechten Film zu machen. In diesem Sinn gibt es heute in Deutschland viel zu viel ›gute‹, ›brave‹ Filme, die meinetwegen auch was zu sagen haben, zu viele anständige Filme, inhaltlich und formal astrein auskonzeptioniert – die Filmhochschulen überschwemmen uns damit. Ich glaube aber gar nicht, daß die Studenten selber an dieses Branchen-Konsens-Zeug glauben, was sie da drehen. Sie wachsen in eine Industrie hinein, die inzwischen immer mehr das ›Gute‹, das ›Wichtige‹ will, und auch gleichzeitig das, was nicht aneckt, es ist bei aller Inhaltisiererei auch eine Branche, die auf eine möglichst große Sicherheit von Erfolg – möglichst dann am Ende doch kommerziellen Erfolg – gepolt ist. Aber man sollte die Studenten lieber lehren, den ›Schmutz‹ der Filmgeschichte zu lieben, das ›Gefährliche‹, das das Kino in seinem Kern ausmacht.

    Reizt dich darum so das Polizeifilm-Genre?

    Ich mache jetzt über dreißig Jahre lang Filme und die meiste Zeit davon mache ich Polizeifilme. Die erste Fahnder-Episode 1983 war für mich etwas vollkommen Neues. Ich kam aus einem großbürgerlichen, sehr literarischen Haushalt. Ich wollte Filme wie Eric Rohmer machen. Von Menschen erzählen, die über subtile Gefühle reden. Aber es ist mir nicht auf Anhieb gelungen. Und eigentlich hat sich der Polizeifilm bei mir dann aus der natürlichen Auswahl dessen ergeben, was ich handwerklich nicht beherrschen konnte. Was ich offenbar nicht beherrschte, hab ich beim nächsten Mal auch nicht wieder versucht. Negative Selektion. Meine Polizeifilme waren von Anfang an ganz o. k., meine anderen, »subtileren« Filme waren mißlungen. Ich glaube auch, der Polizeifilm ist mir einfach von Anfang an relativ leicht gefallen. Ich lasse mich für Szenen in einer Polizeistation immer vom Drehen der Filme selbst inspirieren. Es sind ähnliche Team-orientierte Abläufe: delegieren, recherchieren, suchen, debattieren, handeln … Man kämpft gegen die Bürokratie, man wird zu einer verschworenen Gruppe, um das gemeinsame Ziel zu erreichen. Nur geht es in einem guten Polizeifilm um Leben und Tod, um den schwarzen Spiegel, in den der Held meistens gegen Ende schaut.

    Und aus der Leichtigkeit und dem Spaß an meinem Umgang mit dem Genre wuchs dann allmählich immer stärker ein deutscher Filmtraum in mir, der sich zusammensetzt aus Action, Eros, manischen Ego-Sehnsüchten der Helden, aber auch aus Heimatgefühl oder Heimatlosigkeitsgefühl, aus Melancholie, aus Beamten-Kleinbürgertum, aus Humor, aus Gruppenerlebnissen – die auch in die Dunkelheit führen können, wie bei den Siegern. Spannung, Genre, Trivialitäten. Filme, die ruhig auch ein bißchen »schlechter« sein dürfen als der akklamierte deutsche Filmkanon. Erst mal mußte ich aber – wie gesagt – zusehen, ob ich meinen eigenen Traum handwerklich überhaupt umsetzen kann.

    Ist IAdV noch mal ein Versuch, diesem ›Filmtraum‹ ein Stück näherzukommen?

    Ja, für mich persönlich ist die Arbeit an IAdV noch mal ein Höhepunkt gewesen. Es war zum ersten Mal seit fünfzehn Jahren wieder ein Versuch – obwohl oder gerade weil fürs Fernsehen, nach all den anderen kleinen Filmen der letzten Jahre –, einen deutschen Polizeifilm in epischer Breite umzusetzen. Und vielleicht zu zeigen, daß es in Deutschland doch auch mal diesen anderen Filmtraum hätte geben können –, egal ob fürs Fernsehen oder Kino. Mein deutscher Genretraum ist ja längst untergegangen in der deutschen Filmbürokratie. Aber ich arbeite sozusagen für das, was hätte sein können, wenn die Dinge bei uns anders gelaufen wären … Ich hoffe, das Ergebnis bei IAdV rechtfertigt halbwegs die alte Hoffnung.

    Gab und gibt es dafür Vorbilder?

    Ich war natürlich stark von New Hollywood beeinflußt – und zwar da, wo die Filme nicht schon allzu masterclassmäßig, zu filmschoolgerecht waren, also eher von den Vorläufern der Bewegung: Ich fand Aldrich, Peckinpah, Fuller, George Roy Hill großartig, und die sind mir allgemein immer lieber gewesen als Coppola und vor allem als Scorsese. Auch deshalb, weil jeder von diesen alten Kämpfern Filme bei uns in West-Deutschland gedreht hat, Filme, in denen sie die BRD mental neu vermessen haben. Filme, die für mich so waren, wie zum Sound des AFN über deutsche Autobahnen zu fahren: Fuller machte in Bonn einen WDR-Tatort, Hill in der Bavaria seine wunderbar ambivalente Libelle, Peckinpah einen deutschen Kriegsfilm, und Aldrich drehte in Bayern amerikanische Landschaften für sein Ultimatum. Die andere Tradition, aus der ich immer schöpfe, oder sogar hoffe, daß sie noch einmal wiederbelebbar sein wird, ist diese fiese Grandezza der sogenannten Giallos, diese tückische italienische Thrillerecke der Siebziger, die sogenannten Poliziottos oder wie sie noch alle heißen, die ja sehr stark vom deutschen Trashfilm der Sechziger mit profitiert haben. Alle Schauspieler, die der deutsche Autorenfilm nicht brauchen konnte, wanderten nach Cinecittà. Schändlicherweise zum Beispiel einer wie Horst Frank. Oder Doris Kunstmann. Klaus Kinski war der einzige, der hier wenigstens bei Herzog noch spielen durfte. Ob in Western, Giallos, Softpornos, was auch immer – die Präsenz all dieser deutschen Schauspieler verband die herrlichen Schmuddelfilme von damals merkwürdigerweise mit den Ringelmannschen Serien im deutschen Fernsehen: Der Kommissar, Derrick. Und aus diesem spezifischen italienischamerikanisch-münchnerischen Genre-Gefühl der Siebziger heraus, daraus, dachte ich immer, könnte man was Anderes, Neues schaffen. Vom Fahnder über Katze bis heute – alles Versuche in diese Richtung.

    Glaubst du, Kino oder Fernsehen macht einen Unterschied?

    Nein, nicht wirklich im ästhetischen Ergebnis, nur in der Herstellung. Das Kino hat sich halt ab den Achtzigern aus den harten Genres zurückgezogen, das deutsche Fernsehen hat dagegen in den Achtzigern, Neunzigern Dinge möglich gemacht. Einen Tatort zu machen, einen Fahnder, das war damals so wie B- und C-Pictures (A-Picture sind die großen Produktionen, B die nächstkleinere Einheit mit geringerem Budget, C noch weniger Budget usw.) in Hollywood zu drehen. Im Bestfall waren die kleinen Filme ja immer stärker als die A-Movies, auf die jeder geguckt hat, weil man unabhängiger war bei den kleinen Sachen. Man arbeitete im System, das heißt, man gab zwar vor, nach den Regeln der Studios zu spielen, aber in Wirklichkeit waren die C-Pictures die reine Anarchie. Nur halbwegs billig, das sollten sie bleiben.

    Heute ist das sogenannte öffentlich-rechtliche Fernsehen selber das Zentrum des deutschen Filmsystems geworden. Und beschneidet sich seither permanent in seinen eigenen Möglichkeiten, weil nicht mehr kreative Redakteure das entscheidende Sagen haben, sondern bürokratiehörige Apparatschiks. Das Fernsehen entleibt sich selbst. Aber so sind die Dinge nun mal … »what goes up must come down«.

    Der deutsche Film bleibt meist der Intellektualität verhaftet, er traut sich nicht in die Magengrube …

    Das glaube ich gar nicht. Interessant war es ja eher immer, zu sehen, wie faszinierend verlogen das deutsche Kino bei den großen Emotionen war. Das war schon im Heimatfilm so – und war hochinteressant. Fassbinder hat aus gedoppelten Lügen wieder eine tiefe Wahrheit gemacht. Und es ist bei den TV-History-Dramen heute nicht anders – alles Lüge. Nur dämlicher denn je. Die Intellektualität im Kino war bei uns nur wenige Jahre lang möglich, und was auch immer man von einigen Ergebnissen heute halten mag, Straub, Nestler mit ihren noch heute herausragenden Filmen wurden auch vom Fernsehen stark unterstützt. Das wäre heute nicht mehr möglich. Intellektualität in der unterhaltenden Kunst ist leider so gut wie verboten. Das weckt aber eigentlich auch böse Erinnerungen bei uns ...

    Gibt es neben den italienischen Filmen und dem New Hollywood ›guilty pleasures‹, die dich inspirieren?

    Na, ich vermute, meine Liebe zum deutschen Fernsehen der Vergangenheit ist auch schon eine Art guilty pleasure. Ich könnte Romane schreiben über deutsche Fernsehserien in den Siebzigern und frühen Achtzigern: wie und wo man sie gesehen hat, was sie bei einem ausgelöst haben, was sie zur Folge hatten, und auch wie sträflich unterschätzt sie damals wurden – und heute immer noch werden. Trenck von Umgelter mit Matthias Habich zum Beispiel, Ein Mann will nach oben mit der wahnsinnig schönen Musik von Erich Ferstl, Das Ding von Uli Edel, Gambit von Peter Bringmann, allein die wundervolle Titelmusik von Jürgen Knieper zur Praxis Bülowbogen … Wer redet darüber schon? Aber die Unterschätzung dieser großen Mehrteiler, Serienfolgen des deutschen Fernsehens hat mich ja andererseits auch immer inspiriert. Daß Fernsehfilme der Vergessenheit anheimfallen, das ist traurig, hat aber auch seine gute Seite, denn man kann die Filme wiederentdecken, man kann vergessene Regisseure feiern, wunderbare Schauspieler.

    Der Friedhof der Filmgeschichte kennt nicht nur die Mausoleen für die Genies, sondern auch die Massengräber ohne Titel und ohne Namen. Aber er beherbergt wundervolle Geheimnisse: Wenn ich einen versunkenen Film – wie vor kurzem den italienischen Thriller Gangster sterben zweimal von Mino Guerrini, 1968 – entdecke, bestätigt so eine Begegnung bei

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