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Gerechtigkeit hat ihren Preis
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Ebook470 pages6 hours

Gerechtigkeit hat ihren Preis

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About this ebook

Er konzentriert sich auf die Aufklärung der Morde, doch dann passiert etwas Unvorstellbares ...

Detective Jason Scarsdale vom Austin Police Department ist seit kurzem verwitwet und arbeitet an der Aufklärung der Morde an zwei Pädophilen, während er gleichzeitig versucht sowohl Mutter als auch Vater für seine fünfjährige Tochter zu sein. Während seinen Ermittlungen, gerät Scarsdale ins Fadenkreuz zweier Commander von der Polizei, die es auf ihn abgesehen haben.

Scarsdale fühlt sich zu Dani Mueller, der Kriminalanalytikerin des Austin Police Departments, hingezogen, die selbst Tragisches erlebt hat.  Er versucht gegen seine Zuneigung zu ihr und gegen seinen Verdacht, dass irgendetwas nicht in Ordnung ist, anzukämpfen ...

Sie hütet ein Geheimnis, das sie nicht nur ihren Job, sondern auch ihr Leben kosten könnte...

Dani verheimlicht ihre dunkle Vergangenheit. Nachdem man ihre Tochter brutal ermordet hatte, hatte sie Rache genommen, ihre Identität gewechselt und war nach Austin geflohen. Sie weiß, dass es für sie nirgendwo mehr einen Platz geben wird, an dem sie vor der rachsüchtigen Familie des Mordopfers sicher ist, sollten diese ihr Geheimnis herausbekommen.

Als Scarsdale und Dani in ein Netz aus Täuschung und Arglist verstrickt werden, überschreiten sie das Gesetz und machen es sich zu Nutze.

Und als die beiden denken, dass es nicht noch schlimmer kommen kann ... dann geht es erst richtig los.

LanguageDeutsch
PublisherBadPress
Release dateFeb 26, 2016
ISBN9781507128572
Gerechtigkeit hat ihren Preis
Author

Alan Brenham

Alan Brenham is the pseudonym for Alan Behr, an author and attorney. He served as a law enforcement officer before earning a law degree and working as a prosecutor and a criminal defense attorney. He has traveled to several countries in Europe, the Middle East, Alaska, and almost every island in the Caribbean. While working with the US Military Forces, he lived in Berlin, Germany. Behr and his wife, Lillian, currently live in the Austin, Texas area.

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    Book preview

    Gerechtigkeit hat ihren Preis - Alan Brenham

    Kapitel 1

    Der einzige Weg aus der Wüste führt durch sie hindurch.

    – Altes afrikanisches Sprichwort

    ––––––––

    Der Blick in den schwarzen Lauf seiner Dienstwaffe versprach Detective Jason Scarsdale den lang ersehnten inneren Frieden. Drück doch einfach ab, hauch dir das Leben aus und dann ist Ruhe. Er konnte weder schlafen, noch essen, noch arbeiten. Er sah die Finger seiner rechten Hand am Abzug, die seiner linken umklammerten den Griff. Behutsam veränderte er die Haltung seiner Hände und drehte dabei seinen Ehering so, dass man die drei Diamanten sehen konnte. Sie hatte ihn zu ihrem ersten Hochzeitstag gekauft und hatte ihm den Ring, nach der Segnung durch den Pfarrer, zur Erneuerung ihres Ehegelöbnisses noch einmal über seinen Ringfinger gestreift. Die drei Diamanten, so sagte sie, sollten die Heilige Dreifaltigkeit symbolisieren. Sie sagte, die Dreifaltigkeit würde sie beschützen, ihren Bund aufrechterhalten, sie zusammen alt und gebrechlich werden lassen.

    Doch jetzt war Charity tot. Ermordet. Vier Wochen war das jetzt her. Tot mit achtundzwanzig. Tot wegen ihm.

    Als sie sich das erste Mal trafen wusste er gleich, dass er mit ihr bis ans Ende seines Lebens zusammenbleiben wollte, doch es brauchte seine Zeit, bis er sie erobert hatte. Er war schon älter und sie hatte zudem ihre Vorbehalte dagegen, die Frau eines Polizisten zu sein. Doch am Ende konnte er ihr Herz erobern.

    Er versuchte sich eine Zukunft ohne sie vorzustellen. Die Zeit heilt Wunden, sagten Freunde und Familie, doch die Zeit war sein Feind. Das einzige, was er vor sich sah, war eine unendlich tiefe Leere. In den letzten vier Wochen hatte sich jede Minute jedes einzelnen Tages gleich angefühlt: Leer - bis auf den wiederkehrenden Schmerz. Tag oder Nacht, es machte keinen Unterschied.

    Er hob die Pistole leicht an, öffnete seinen Mund und zuckte dann plötzlich heftig zusammen, als sein Handy klingelte. Seine Augen blickten auf das Armaturenbrett, wo er es hingelegt hatte. Auf dem Display war Home zu lesen.

    Er starrte es an, seine Gedanken umkreisten das Wort Home. Er atmete tief ein und aus.

    Er legte die Pistole in seinen Schoß und nahm das Telefon in die Hand.

    Hallo, Sarah!

    Sein Blick war immer noch auf die Pistole gerichtet, seine Stimme klang monoton.

    Jason, bist du okay? Du hast nichts gegessen. Du bist hier wie ein Zombie rausgelaufen."

    Ich war nicht hungrig.

    Sarah war seine drei Jahre jüngere Schwester. Trotz all der bösen Streiche, die er ihr als sie noch Kinder waren gespielt hatte, - angefangen mit den Fröschen und Eidechsen in ihrem Bett, bis hin zu der Kirschbombe, mit der er ihre Lieblingspuppe in die Luft gesprengt hatte - sie war immer für ihn da gewesen. Sie war nicht stärker, aber gütiger. Sie hielt nie an den Dingen fest wie er.

    Glaub mir, sagte Sarah. Alles wird besser. Es braucht halt seine Zeit.

    Er ließ seinen Blick über die Pistole gleiten. Vielleicht, vielleicht auch nicht. Ich weiß es einfach nicht mehr.

    Es vergingen einige Sekunden der Stille.

    Da ist jemand, der dich sprechen möchte.

    Wer?

    Jason! Wer wohl? Geht dir bei einer Fünfjährigen namens Shannon nicht ein Licht auf?

    Geht es ihr gut?

    Klar. Sie will dich nur was fragen. Bleib dran.

    Shannon. Er war eigentlich nie für sie da gewesen. War nie ein guter Vater gewesen. Und jetzt, nachdem Charity nicht mehr da war, taugte er zu gar nichts mehr.  Er hörte, wie Sarah nach Shannon rief. Süße, dein Papa ist am Telefon.

    Papa, sagte Shannon. "Tante Sarah hat mir gerade eine Geschichte über Narnia vorgelesen."

    Ein Bild von Shannon ging durch seinen Kopf. Es war der Tag im Krankenhaus, als er zum ersten Mal seine neugeborene Tochter anblickte, sie das erste Mal in seinen Armen hielt. Hat sie? Das ist ja klasse.

    Wann kommst du nach Hause, Papa? Du fehlst mir.

    Ich vermisse dich auch Prinzessin, aber ich kann gerade nicht nach Hause. Ich arbeite an einem Fall. Aber ich komme so bald wie möglich.

    Sein Diensthandy summte. Er blickte auf die Anzeige. Es war sein Partner, Sean Harris.

    Schatz, ich muss auflegen. Ich sehe dich heute Abend.

    "Papa, liest du mir heute Abend noch mehr über Narnia vor?"

    Klar, mach ich.

    Versprochen?, fragte sie.

    Versprochen, sagte er und meinte es auch so.

    Er legte sein eigenes Handy hin und drückte den Lautsprecherknopf auf seinem Diensthandy.

    Ja?

    Zuerst war es einen Moment ruhig in der Leitung, doch dann fing Harris zaghaft an zu sprechen. Wo bist du, Kumpel?

    Scarsdale schaute sich um. Vor ihm war das Schwimmbad des Zilker-Parks, das für diese Saison bereits geschlossen hatte. Er drehte sich ein wenig zur Seite, um einen einsamen Jogger mit seinen Augen verfolgen zu können. Seine Lippen verzogen sich beim Anblick eines älteren Pärchens, das auf dem Fußweg lief, zu einem leicht gequälten Lächeln. Sie hatten beide ein Lächeln im Gesicht, während ihre Hand seinen Arm hielt und ihr Kopf auf seiner Schulter ruhte. Das Leben ging eben einfach weiter seinen Lauf. Er blickte nach unten auf die Pistole, die nun in seinem Schoß lag.

    Zilker Park.

    Fühlst du dich in der Lage zusammen mit mir an einem Kindesmissbrauchsfall zu arbeiten?

    Eine lange Stille trat ein.

    Scarsdale steckte die Waffe in das Holster zurück und machte den Verschluss zu. Ja. Wir treffen uns am Bahnhof.

    Da bin ich bereits, Kumpel, sagte Harris.

    Harris beugte sich über seinen Sitz und öffnete die Beifahrertür für Scarsdale. Harris war ein stämmiger Mann. An den Seiten seines sonst glattrasierten Kopfs waren graue Stoppeln zu sehen und sein stets misstrauisch, jedoch liebenswürdiger Blick mit dem er die Welt betrachtete, war allein denjenigen vorbehalten, die sich bei ihm bewährt hatten.

    Als sie wegfuhren saß Scarsdale nach vornübergebeugt in seinem Sitz und starrte geradeaus. Seine geballten Fäuste ruhten auf seinen Oberschenkeln.  Er lenkte seine Gedanken mit aller Willenskraft wieder zurück auf Shannon. Charity hatte beides übernommen, die führende Rolle als Elternteil und die des Vorbilds für ihre Tochter. Jetzt lastete alles auf seinen Schultern und er hatte keine Ahnung, wie er das stemmen sollte. Von nun an gab es weder wilde Männerabende noch Sonntage, die mit nichts anderem gefüllt waren außer mit Football. Ab jetzt war Shannon seine Daseinsberechtigung, der Mittelpunkt seines Universums.

    Du hast deine Pistole schon im Mund gehabt, oder?

    Es war eigentlich mehr eine Feststellung als eine Frage und Scarsdale fühlte wie ihm, durch die so klar auf den Tisch gebrachten Fakten, eine Last von seinen Schultern genommen wurde.

    Sie fuhren noch eine Weile schweigend weiter. Scarsdale starrte aus dem Seitenfenster. Der ganze Nachmittag ging ihm nochmals durch den Kopf, wie so viele Male zuvor, seit die Polizisten von der Streife mit der Nachricht an seiner Tür erschienen. Das Ganze fühlte sich seltsam für ihn an, denn er war immer davon ausgegangen, dass er, der Polizist, derjenige sei, der hätte sterben müssen und nicht Charity.

    Es war nicht dein Fehler, sagte Harris.

    Er blickte kurz zu Harris hinüber. "Es war mein Fehler. Sie hat mich darum gebeten -." Scarsdale atmete tief ein und aus.

    - in den Laden zu gehen. Er blickte zuerst durch die Frontscheibe, dann auf die Seite. Ich hab mich rausgeredet, war zu beschäftigt damit, mir ein Spiel anzusehen, sagte er. Sie hat mich noch auf die Wange geküsst, gefragt wer gewinnt und ist dann gegangen. Er blickte auf seinen Ring hinunter. Ich hätte derjenige sein sollen, der den Wagen fährt.

    Wie geht es Shannon?, fragte Harris, während sie Richtung Süden entlang der First Street fuhren und dabei den Ben White Boulevard überquerten.

    Sie weint nachts sehr viel. Aber es wird schon etwas besser. Sarah geht am Donnerstagabend wieder nach Waco, deshalb muss ich einen Babysitter finden. Kennst du jemand, der gut ist? Jemand, der wirklich gut ist?

    Wir haben schon lange niemanden mehr gebraucht, aber ich frage mal Mary. Hast du dich schon mal auf dem Revier umgehört? Es gibt dort viele Leute, die was ans Schwarze Brett hängen. Versuch das doch mal.

    Scarsdale nickte zustimmend und setzte die Aufgabe gleich auf seine geistige To-Do-Liste. Er brauchte jemand, der einspringen konnte, wenn ein Fall ihn mal wieder davon abhielt, Shannon selbst vom Kindergarten abzuholen. Jemand der kurzfristig kommen konnte, wenn er wieder eine von diesen Ermittlungen hatte, die bis spät in die Nacht gingen.

    Wie viele Fälle hat Mitchell auf deinem Schreibtisch gestapelt?, fragte Harris.

    Zu viele. Erinnerst du dich noch an den Mitbürger, der sich wegen der Kinder beschwert hatte, die sich beim Blue-Cloud-Verlag pornographische Bücher und Videos gekauft hatten? Er blickte zu Harris hinüber.

    Harris warf ihm einen überraschten Blick von der Seite aus zu. Er hat dir diesen Scheiß gegeben? Das hätten die von der Streife erledigen sollen.

    Ja, wem sagst du das. Scarsdale setzte sich wieder aufrechter hin. Wie alt ist das Opfer in diesem Fall?, fragte er Harris, als dieser gerade auf dem Bordstein vor einer heruntergekommenen Doppelhaushälfte parkte. Er sah drei Polizeiwagen, die auf der Straße vor dem Haus geparkt waren.

    Drei oder vier, glaube ich, antwortete Harris, als er aus dem Wagen stieg.

    Ein magerer braunfarbener Hund bellte sie an, zog seine Kreise und näherte sich ihnen schließlich vorsichtig, als sie über das von der Sonne verbrannte Gras in Richtung der Eingangstür liefen. Scarsdale griff nach unten, worauf der Hund unter lautem Gebell davonlief. Er hob eine im Garten liegende nackte Barbie-Puppe auf und wischte das Gras und einen kleinen Dreckklumpen von ihr ab. Zwei uniformierte Polizisten, die ungefähr zehn Meter vom Haus entfernt standen und dabei waren den Tatort abzusichern, nickten ihnen zu, als sie zielstrebig in Richtung der Eingangstür gingen.

    Der Einsatzleiter vor Ort, ein uniformierter Sergeant namens Daryl Fields, gab ihnen ein kurzes Briefing, bevor sie das Haus betraten. Der Perversling hat hier gewohnt. Er war der Freund der Mutter. Als sie um sieben von der Arbeit nach Hause kam, erwischte sie ihn im Kinderzimmer mit heruntergelassenen Hosen. Die Nachbarin - Fields nickte zu einer grauhaarigen Frau hinüber, die mit herunterhängenden Schultern vor dem Haus stand. - Ruth Short, hat ausgesagt, dass sie gehört hat, wie die Mutter wie eine Verrückte gekreischt und Sachen gegen die Wand geworfen hat. Als Ms. Short drüben ankam, rannte der Perversling gerade aus der Tür. Er hätte sie beinahe umgerannt.

    Und der Name des Perversen ist...?, fragte Scarsdale.

    Aus dem Inneren des Hauses hörte Scarsdale eine Frau, die mit einem lauten näselnden texanischen Dialekt Drohungen gegen den Perversen aussprach. Er ging davon aus, dass sie die Mutter war.

    Fields las aus seinen Notizen. Olsen. Terry Wayne Olsen. Weiß, männlich. Um die fünfzig. Braune Haare, Teilglatze, ungefähr 1,80 Meter groß, einhundertvierzig bis einhundertfünfzig -. Fields nickte hinüber in Richtung Tür. Die Stimme, die du hörst ist von der Mutter, Dory Mabry. Das Opfer ist Beth Ann Mabry, drei Jahre alt.

    Scarsdale öffnete die Tür. Es war eine leichte grünfarbene Fliegengittertür, die nicht ganz schloss. Als er im Haus war, sah er die Mutter und das drei Jahre alte Opfer, Beth Ann, die einen Meter entfernt stand. Keine von ihnen schaute in seine Richtung.

    Die blondhaarige Dory gestikulierte wild und nahm, um ihrer Geschichte Nachdruck zu verleihen, ihre brennende Zigarette zur Hilfe. Dieses Schwein, ich hoffe ihr findet ihn, bevor ich ihn finde. Sie zeigte mit der Zigarette zur Küche hin. Ich denk mir schon was aus, um diesen Scheißkerl zu kastrieren.

    Sie pausierte kurz, zog an ihrer Zigarette und lies den Rauch durch ihre Nasenlöcher wieder heraus, bevor sie mit ihrer Hasstirade fortfuhr. Dabei übertönte sie eine Polizistin, die verzweifelt versuchte sie zu befragen.

    Dory war eine große Frau, nicht gerade dick und von hellem Typ. Sie trug die blassgrüne Dienstkleidung einer Kellnerin. Den Fältchen auf ihren Wangen und der Stirn nach schätzte Scarsdale, dass sie so dreißig oder fünfunddreißig Jahre alt sein musste.

    Beth-Ann erschien ihm zwar klein, aber für eine Dreijährige sehr gesund zu sein. Sie war hübsch und hatte große blaue Augen. Ihre kleinen Wangen waren rosafarben. Ihre Jeans und ihr T-Shirt hatten nur wenige Flecken. Nicht zu schlecht für ein Kind in ihrem Alter. Shannon schien immer ein Matschloch im Garten zu finden, in das sie geradewegs hineinwaten konnte.

    Er blickte sich im Zimmer um. Innen im Haus roch es nach abgestandenem Zigarettenrauch. Vielleicht sogar leicht nach Urin. Ein großer, ganz neuer Flachbildfernseher mit einer Bildfläche von ungefähr einem Meter bedeckte einen großen Teil der hinteren Wand am Ende des Raumes, was diesen dadurch klein erschien ließ. Das Zimmer war sauber, lediglich etwas Spielzeug lag quer über den Boden verstreut. Keine Kakerlaken, die der Wand entlang wuselten. Es lag auch kein Müll im Zimmer herum. Auf den Fensterbänken hatte sich etwas Staub angesammelt. Ein ganz gewöhnlicher Raum also, der abgesehen vom Fernseher, einfach ausgestattet war. Er konnte seinen Blick nicht von diesem Fernseher abwenden. Er war viel besser als sein eigener.

    Scarsdale stellte sich vor Dory hin, um ihre Aufmerksamkeit auf sich und weg von der Polizistin zu lenken, nachdem diese nach vielen nutzlosen Versuchen die Fragerei mittlerweile aufgegeben hatte.

    Sie hörte auf zu reden, starrte ihn an, nahm noch einen Zug von ihrer Zigarette und musterte ihn von oben bis unten.

    Er lächelte Beth Ann an, die am Bein ihrer Mutter hing und sich hinter ihr versteckte. Sie starrte zu Scarsdale hoch. Ihre Augen waren weit geöffnet, ihr Blick war verängstigt.

    Ich glaube, das ist deine, sagte er und gab ihr die Puppe. Als er sich zu ihr hinunter kniete, ging sie noch weiter hinter ihre Mutter, in Richtung des anderen Beins zurück. Dory riss sie ihm aus der Hand.

    Nicht. Sie sprach das Wort mit einer klaren Drohung aus. Es ist nicht gut für sie, wenn sie weiterhin Dinge von Fremden nimmt.

    Scarsdale, der dies besser hätte wissen sollen, schwieg.

    Die Polizistin blickte zu Scarsdale hinüber. Ihre Mundwinkel verzogen sich zu einem leichten Schmunzeln. Sie rollte ihre Augen und ging auf Abstand. Sie gehört ganz Ihnen, Detective.

    Das Staffelholz war soeben weitergeben worden. Während er sein Notizbuch aufklappte, stellte er sich vor.

    Sie schaute zu Beth Ann hinunter und gab ihr die Barbie-Puppe. Kleines, warum gehst du nicht da rüber und spielst mit deiner Puppe, solange ich mich hier unterhalte.

    Beth Ann protestierte. Mama -

    Spiel weiter. Zieh der Puppe ein paar Kleider an, sonst erkältet sie sich noch. Ein oder zwei Minuten später, nachdem Beth Ann weggegangen war, drehte sich Dory wieder zu Scarsdale um. Ich schwör bei Gott, wenn ich diesen Scheißkerl erwische, schneid ich ihn in Stücke, sagte sie mit gedämpfter Stimme. Herrgotts, sie ist doch erst drei. Ich hoffe der Arsch verreckt in der Hölle.

    Scarsdale seufzte.  Er konnte es ihr nicht verübeln. Okay, Ms. Mabry. Sagen Sie mir doch genau, was passiert ist.

    Dory schilderte ihm alle Details in schillernden Farben und Scarsdale versuchte währenddessen mit seinen Fragen ihre Erinnerungslücken zu schließen.

    Wo ist Beth Anns Zimmer?, fragte Scarsdale.

    Sie machte eine Handbewegung und gab ihm zu verstehen, dass er ihr folgen sollte. In die Richtung.

    Er ging mit ihr den Gang entlang in ein winziges Schlafzimmer. Die Wände waren hellblau gestrichen und mit Strichmännchen bemalt. Über den Boden lagen quer verstreut die Stücke einer Lampe. In der Nähe der Tür waren ein paar Blutspritzer auf dem Boden zu sehen.

    Wurde Beth Ann verletzt?

    Dory blickte ihn sprachlos an. Verletzt? Sowas wie gebrochene Knochen, oder so? Oder ob sie geblutet hat?

    Scarsdale deutete auf die Spritzer am Boden. Geblutet, wie hier. Von wem ist das Blut?

    Dory beugte sich nach vorn und sah sich die Blutflecken an. Ah, nein, zum Teufel. Das ist von ihm.

    Er versuchte sich ein paar stichhaltige Notizen zu machen. Also, Sie haben ihn hier gefunden?

    Ja. Als ich reinkam, hatte er Beth Ann genau hier, sagte Dory und schlug mit der Hand auf das ungemachte Bett. Er hielt sie fest, um -. Sie nahm einen weiteren Zug von ihrer Zigarette. Ich muss gleich kotzen, wenn ich nur dran denke. Sie blies eine lange weißliche Rauchwolke gegen die Decke. Das hier ist passiert, als ich die Lampe genommen und ihm damit eins über den Schädel gezogen habe. Sie drehte sich, gerade so als würde sie die Lampe schwingen. Ich habe sie ihm so richtig auf den Kopf geknallt. Der Idiot ist dann ab durch die Tür. Sie zeigte in Richtung Wohnzimmer. Er ist da raus. Der ist schneller gerannt, als ein Hengst, den eine Biene in den Hintern gestochen hat. Ich hab dann so ein Riesenmesser aus dem Küchentisch genommen und bin diesem Hurenbock hinterher. Aber der ist abgehauen, bevor ich ihn einholen konnte.

    Sie schubste die Lampenstücke mit ihren Schuhen auf einen Haufen. Sein Kopf hat sicher geblutet wie die Sau. Ich hoffe, dass ich ihm seinen verdammten Schädel eingeschlagen hab. Der kommt keine 100 Meter mehr an Beth Ann oder mich ran. Das schwör ich, verdammt noch mal.

    Wer passt auf Beth Ann auf, wenn Sie bei der Arbeit sind?

    Er. Jetzt macht das Ruth Short, meine Nachbarin von nebenan.

    Haben Sie ein Foto von Olsen?

    Er folgte Dory ins Wohnzimmer. Sie nahm ein gerahmtes Bild vom Couchtisch und gab es ihm. Das ist er, sagte sie. Behalt's.

    Haben Sie eine Ahnung, wohin er gegangen sein könnte? Vielleicht zu irgendwelchen Freunden? Oder zu irgendwelchen Verwandten in der Gegend?

    Nein. Der hat überhaupt niemand hier in der Gegend und ich hab ihn auch noch nie mit irgendwelchen Freunden gesehen, aber er hat von einem Kerl namens Fergie oder so geredet. Den hab ich aber auch noch nie getroffen.

    Er ging, zufrieden damit, dass er alle Informationen soweit zusammen hatte, mit Harris zurück zur Dienststelle. Scarsdale hatte anschließend noch einen Termin mit einem Ermittler, um seine eigene Zeugenaussage durchzugehen.

    Denn morgen musste er vor dem Bezirksgericht über seine Ermittlungserfolge und die Festnahme des mutmaßlichen Mörders Scott Lasiter aussagen. Bis Freitag, so rechnete er sich aus, würden die Geschworenen den Angeklagten zum Tode verurteilt haben.

    Kapitel 2

    Nichts entzückt Frauen mehr als die Rache.

    – Sir Thomas Browne

    ––––––––

    Am Dienstag saß ich in der dritten Reihe des Gerichtssaals von Travis County. Scott Dewayne Lasiter war diese erbärmliche Kreatur, die für den Mord an einem jungen Mädchen vor Gericht stand.

    Dieser Perverse saß links vor mir am Tisch der Verteidigung, direkt in meiner Blickrichtung.

    Lasiter wischte sich mit dem Handrücken einmal quer über seine Augenbrauen und blickte zu Susan Crowell, der Mutter des Opfers, hinüber. Er sah in meine Richtung und rutschte unruhig auf seinem Sitz hin und her. Nervös, Lasiter? Du kranke Bestie. Jedesmal, wenn ich ihn ansah, gruben sich meine Fingernägel in meine Handtasche. Ich wünschte, sie hätten sich stattdessen in seine Augen gegraben.

    Heute sollte Susans schlimmster Albtraum zur grausamen Gewissheit werden und ich wusste genau, wie sie sich fühlte, als sie an mir vorbei in den Zeugenstand lief. Als sie sich ihrem Platz im Zeugenstand näherte, verfolgten die Augen der Geschworenen akribisch jeden ihrer Schritte. Genauso hatten es die Geschworenen damals bei mir im Burton-Prozess getan. Der Stuhl stand hinter einer weißen Blende aus Kiefernholz, direkt neben der etwas höher stehenden Richterbank. Susan würde, genau wie ich zweieinhalb Jahre zuvor, direkt auf dem Präsentierteller stehen.

    Sie bemühte sich sehr darum, ihre Fassung zu bewahren, aber ich konnte an der Art und Weise, wie sie im Stuhl hin- und herrutschte, wie sie ihre Hand immer wieder vor ihren Mund schob und mit ihrem goldenen Kreuzkettchen spielte, erkennen, dass sie alles andere als gelassen war. Vor Gericht auszusagen, war eine nervenaufreibende Sache. Nein, es war in Wirlichkeit ein ganz schreckliches Erlebnis. So war es jedenfalls bei mir und so würde es auch für Susan sein.

    Ich konnte mir geradezu vorstellen, wie ihr das Herz bis hoch in den Hals pochte. Ihr Magen verkrampfte sich sicher so stark, dass sie kurz davor war, sich zu übergeben. Ein Kind zu verlieren ist ein so unbeschreiblicher Schmerz, von dem sich eine Mutter nie erholen wird. Diesen Schmerz in einem Raum voller Fremder, die einen anstarren und einem geradezu an den Lippen hängen, zulassen zu müssen, machte es noch hundert mal schlimmer. Ich hoffte Susan zuliebe, dass das System dieses Mal in ihrem Sinne arbeiteten würde. In meinem Fall hatte es versagt.

    Mein Name ist Dani Mueller und ich war viele Jahre lang unter einem anderen Namen - als Karla Engel - Anwältin und Ermittlerin in Sacramento, Kalifornien. Doch dieses ganze Leben war nun vorbei. Sieben Jahre lang hatte ich das Gesetz vertreten und ein glückliches Leben geführt. Ein Leben, das ich mit meiner zehnjährigen Tochter Katarina teilte, bis es durch einen total Wahnsinnigen, einen Geistesgestörten namens Doyle Burton auf einen Schlag weggewischt wurde.

    Bevor ich Kalifornien verließ, hatte ich einen Antrag auf Namensänderung im Rahmen des California Safe at Home Acts gestellt. Dieses Gesetz sollte mir eine vertrauliche Namensänderung ermöglichen, falls ich nachweisen konnte einem Stalker zum Opfer gefallen zu sein. In meinem Fall war es die gesamte Burton Familie: Doyles Mutter Mattie, sein Halbbruder Phoenix Wilson und eine demenzkranke Schwester namens Bunny. Sein anderer Bruder, ein Psychopath namens Parnell, schickte mir solange aus dem Gefängnis Drohbriefe, bis es der Gefängnisdirektor endlich stoppte.

    Überall wo ich hinging, egal ob in die Mall, ins Büro, zum Gericht oder auch nur nach Hause, sie waren schon da. Entweder kamen sie mir gerade entgegen oder sie machten mir gegenüber obskure und drohende Gebärden. Ich hatte immer etwas zum Reifen flicken in meinem Kofferraum und wurde eine Expertin in Sachen Reifenwechsel und dem Austauschen von Vorder- und Rücklichtern. Das Gericht gab meinem Antrag statt, erlaubte mir eine anonyme Namensänderung von Karla Engel zu Dani Mueller und schloss danach die Akten.

    Bevor ich nach Texas ging, legte ich noch ein paar falsche Fährten, so dass die Burtons niemals herausfinden würden, wo ich letztendlich hingegangen war. Im Internet eröffnete ich  unter dem Namen Karla Engel ein Anwaltsbüro in der Nähe von Chicago. Sollten sie den Namenswechsel bemerken, dann würden sie eine Dani Mueller finden, die sich in Del Mar, im Süden von Kalifornien niedergelassen hatte. Das würde ihre Suche zumindest verlangsamen.

    Meine bisherige Erfahrung als Analytikerin bei der Polizei in Sacramento hatte mir dabei geholfen, vor gut zweieinhalb Monaten eine vergleichbare Position beim Austin Police Department zu ergattern. Mit Hilfe verschiedenster Datenbanken und Software zur Analyse von Falldaten, hatte ich auf Anfrage von Ermittlern Fallszenarien, Muster und Täterprofile für aktuelle Fälle im gesamten Stadtbereich entwickelt. Kinderschänder waren mein Spezialgebiet.

    Aber heute war ich nicht wegen meines Jobs hier. Ich wollte sehen, ob das Rechtssystem in Texas besser funktionierte, als das in Kalifornien. Also nahm ich mir ein paar Tage frei und saß nun hier, um mitzuerleben, ob Lasiter auch das bekam, was er verdiente. Oder würde dies nur der zweite Akt eines skurrilen Theaterstücks werden? Ich hoffte es jedenfalls nicht.

    Als ich vor vierzehn Monaten selbst diesen langen, beängstigenden Weg in Richtung des Zeugenstands gegangen war, hatte ich am ganzen Körper gezittert und Rachegedanken gehabt, wie nie zuvor. Bei dem Gedanken, dass ich ihm nun endlich gegenüberstehen würde, hatte mein Herz angefangen zu rasen. Mein Gesicht fühlte sich damals sehr warm an. Ich konnte es zwar nicht sehen, wusste aber, dass ich rot angelaufen war. In diesem Moment wollte ich Burton zerstückelt sehen, genau so, wie er es meiner Katarina angetan hatte.

    Ich hatte mich wie ein im Zoo ausgestelltes Tier gefühlt. Jede Träne, die ich vergoss, jedes Beben meines Körpers, jeden Atemzug, den ich nahm, wurde von den anwesenden Augenpaaren im Raum analysiert. Jedes Wort, das ich sagte, wurde von den wissbegierigen Ohren im Raum geradezu aufgesaugt.

    Als ich mich im Saal umsah, entdeckte ich Susans Mann, der auf einer gepolsterten Bank in der ersten Reihe rechts von mir, direkt hinter dem Staatsanwalt saß. Seine starren Augen, seine zusammengepressten Lippen und seine angespannte Kinnpartie sagten mir, dass es tief in seinem Inneren unbeschreiblich vor Wut brodelte. Ich beobachtete ihn dabei, wie er den Angeklagten finster anblickte, seine tiefschwarzen Augen bohrten geradezu Löcher durch diesen Mann, verabscheuten seine gesamte Existenz. Ja, die Atmosphäre im Gerichtssaal war wie elektrisiert, insbesondere die der Crowells und meine. Ich fragte mich, ob Lasiter das spüren konnte. Jedenfalls hoffte ich, dass er es tat.

    Ich beobachtete Susan dabei, wie sie sich nach vorne lehnte. Ihre Augen fokussierten den Staatsanwalt, Rusty Tidwell. Ihre Lippen bewegten sich synchron zu seinen Fragen, gerade so, als wollte sie diese wiederholen. Tidwell schien mir in seinen Zwanzigern zu sein, geradezu ein Jungspunt von einem Anwalt. Neben ihm saß ein zweiter Staatsanwalt namens Matt Blackmon.

    Könnten Sie den Geschworenen bitte sagen, in welcher Beziehung Sie zu Amy Crowell standen?

    Ich sah wie Susans Lippen zitterten. Sie holte tief Luft und schaute in Richtung ihres Mannes. Als sie mir damals eine ähnliche Frage gestellt hatten, war ich heulend zusammengebrochen. Katarina war mein Leben gewesen und dieser pädophile Burton hatte sie mir genommen. Ich wusste, dass Susan Crowell genauso fühlte, als es um Amy ging.

    Dieser kurze, hasserfüllte Blick, den sie Lasiter zuwarf, bevor sie sich den Geschworenen zuwendete, erinnerte mich an denselben hasserfüllten Blick, den ich damals Burton zuwarf, als ich meine Aussage machte. Doch im Gegensatz zu Susan, hellte sich mein Blick nicht mehr auf. Ich hatte mit dem Finger auf Burton gezeigt, ihn einen Schlachter genannt und gesagt, dass er für das, was er getan hatte, sterben sollte. Nie werde ich seinen miesen Gesichtsausdruck vergessen. Als Burton von den Geschworenen freigesprochen wurde, kroch er wie eine Schlange aus dem Gerichtssaal und lachte mich dabei noch die ganze Zeit an. An diesem Tag blieb die Gerechtigkeit auf der Strecke.

    Amy war meine -. Ich konnte die heißen Tränen, die Susan sich aus dem Gesicht wischte geradezu spüren, doch dann spannte sie ihren Körper wieder an und blickte in Richtung der Geschworenen. Sie war meine Tochter. Susan schaute Lasiter erneut an, doch diesmal mit tränengefüllten Augen. "Sie war erst neun Jahre alt."

    Sie sagte es so, als wollte sie Lasiter eine Frage stellen. Katarina war gerade zehn geworden, als dieses Monster von Burton sie vergewaltigt und anschließend mit einem Messer verstümmelt hatte.

    Ich beobachtete Tidwell dabei, wie er ein Foto von Amy vom Tisch nahm und es, nachdem der Richter zugestimmt hatte, Susan reichte. Als sie sich beim Ansehen des Fotos auf die Lippen biss, konnte ich ihre Qualen nachempfinden. Ich denke, das dies eben ihre Art und Weise war, bei der Sache zu bleiben und nicht zusammenzubrechen, um mit einer so schrecklichen Situation umzugehen.

    Damals, als die Staatsanwältin mir Katarinas Foto gezeigt hatte, war es mir ähnlich ergangen. Im Nachhinein erzählte mir die Staatsanwältin, dass ich einfach nur elend dagesessen und stillschweigend auf Katarinas Foto geschaut hatte. Sie wusste nicht wie ich mich fühlte, ich meine, wie auch? Sie hatte noch nie ein Kind verloren.

    Als Tidwell Susan danach fragte, ob sie die Person, die als Beweismittel mit der Nummer eins aufgeführt wurde, erkannte, hielt ich meinen Atem an.

    Ich erinnerte mich noch genau an meine Antwort, als der kalifornische Staatsanwalt mir damals eine ähnliche Frage gestellt hatte. Sie kam prompt, ohne zu zögern und war direkt an Burton anstatt an die Geschworenen gerichtet. Sie ist meine Tochter. Sie war doch einfach nur ein kleines Mädchen.

    Ja. Das ist meine Tochter Amy, antwortete Susan, als sie das Foto mit geröteten Augen anstarrte.

    Ich wusste nicht, ob es möglich war, Lasiter noch mehr zu verachten, als ich es bereits tat. Ich stellte mir bildlich vor, wie er auf Knien um sein Leben bettelte, während sich die Klinge meines Messers tief in seinen Körper bohrte. Er und Burton waren Untermenschen. Beide waren Perverse und Mörder.

    Tidwell ging mit Amys Foto zu Lasiters Anwalt und legte es dort auf den Tisch. Der Staat Texas beantragt Beweisstück Nummer eins als Beweismittel zuzulassen.

    Ich beobachtete Lasiter dabei, wie er einen kurzen Blick auf das Foto warf und dann wegsah. Was ist los? Willst du das Mädchen denn nicht sehen, dessen Leben du ausgelöscht hast? Ich fragte mich, wie er, da er wusste was er getan hatte, nachts überhaupt schlafen konnte.

    Tidwell legte Amys Foto auf den Projektor, so dass es die Geschworenen gut sehen konnten. Von meinem Platz aus hatte ich es ebenfalls genau im Blick. Sie war ein hübsches Mädchen gewesen, das mit einer grünen, gepunkteten Bluse und einer Jeans bekleidet war. Sie sah ihrer Mutter gleich.

    Katarinas Foto war eines aus der fünften Klasse gewesen. Sie hatte diesen karierten Rock an, den sie so gerne mochte und ihr Lieblingsoberteil, ein T-Shirt, das knallrosa-weiß gestreift war und auf dem vorne Superstar stand. Sie war mein kleiner Superstar gewesen.

    Können sie den Geschworenen sagen, wann sie Amy das letzte Mal gesehen haben?, fragte Tidwell.

    Als die Staatsanwältin mich danach gefragt hatte, kam für mich der härteste Teil der Befragung im Zeugenstand. Der absolut krasseste Teil. Meine Gefühle gingen jetzt total mit mir durch. Ich schluchzte und beschimpfte Burton was das Zeug hielt. Ich konnte kaum noch an mich halten und kämpfte dagegen an, in Tränen auszubrechen. Burton sollte nicht das Vergnügen haben, zu sehen, wie ich zusammenbrechen würde. Doch meine Stimme kippte, als ich erzählte, dass Katarina so um zehn Uhr morgens mit ihren zwei Freundinnen und einem Elternteil, der sie beaufsichtige, zu einem Fußballspiel in den North Creek Park gegangen war.

    Es war am Samstag, den vierten Juni, antwortete Susan. Kurz nachdem wir zusammen Mittag gegessen hatten. Amy wollte ihre beste Freundin, Jenny, besuchen. Sie sollte mich anrufen, sobald sie dort ankommen würde, aber ich habe nie wieder etwas von ihr gehört.

    Ich sah Lasiter an, der trübsinnig dasaß und sich mit seiner Linken auf einem dieser gelben Blöcke vom Gericht Notizen machte und immer wieder einen Blick zu Susan hinüberwarf. Schau Sie dir nur an du armseliger Wurm. Du weißt, genau, was du ihr angetan hast. Du sollst ihren Schmerz spüren.

    Weder Susan noch ich hatten die Möglichkeit, den Geschworenen zu sagen, wie wir uns gefühlt hatten, als wir den toten Körper unseres Kindes sahen. Wie es sich anfühlte, als wir in der Tür des Kinderzimmers unserer Tochter standen, wohl wissend, dass man nie mehr das fröhliche Lachen hören, sie nie mehr mit ihrer Barbie spielen sehen und nie mehr gefragt werden würde, warum Sachen so passieren, wie sie passieren. Keine kleinen Finger mehr, die den Kuchenteig direkt aus der Schüssel essen. Kein Mama mehr.

    Am Tag, an dem Katarina starb, war auch mein Leben zu Ende. Ich hatte sie für neun Monate in mir getragen. Ich hatte sie gestillt und alles getan, was eine Mutter tut, die in ihr Kind vernarrt ist. Als Katarina die Masern hatte, habe ich mich um sie gekümmert. Als sie wegen Krupp-Husten und Atemnot ins Krankenhaus kam, war ich diejenige, die zwei Tage an ihrer Bettkante saß. Sie war ein Teil von mir gewesen, so als gehörte sie zu meinem Körper. Als Burton sie umbrachte, brachte er auch einen Teil von mir um.

    Tidwell stellte noch ein paar Fragen hinsichtlich Susans Zusammenarbeit mit der Polizei. Sie machte das alles besser als ich. Sie erzählte den Geschworenen von dem Klopfen an ihrer Tür, vor dem sie sich so sehr gefürchtet hatte und wie sie die düster dreinblickenden Polizeibeamten dort stehen sah. Die Geschworenen hörten Susan zu, wie sie ihre Verzweiflung beschrieb, ihren ersten Tag in der Hölle. Ich hatte mich damals genauso verzweifelt gefühlt, als sie an meine Tür klopften.

    Mein erster Tag in der Hölle begann um drei Uhr dreißig nachmittags, als ich die Tür öffnete und die zwei Polizisten dort sah -  eine Frau und ein Mann, die beide ernst und missmutig dreinblickten. Mein Herz rutschte mir in die Hose. Irgendwas war total schiefgelaufen. Als sie mir mitteilten, dass Katarina nie mehr nach Hause kommen würde, weigerte ich mich es ihnen zu glauben. Gott würde es nie zulassen, dass ihr etwas passiert. Sie war ein sanftes, liebenswürdiges Kind gewesen.

    Ich stand einfach nur da und verdrängte, dass sie nicht mehr da war. Ich sagte ihnen wieder und immer wieder, dass sie sich geirrt hatten. Sie war es nicht. Sie konnte es nicht sein. Sie war doch mit der Familie ihrer Freundin in den Park gegangen und wollte um vier Uhr zurück sein. Aber sie blieben beharrlich dabei. Als die Polizistin mir Katarinas Muschelkettchen aushändigte, gaben meine Beine nach. Ich stand am Eingang, hielt ihre Halskette in der Hand, brüllte und heulte vor Schmerz. Die Polizistin versuchte noch ihren Arm um meine Schulter zu legen, um mich zu trösten, doch ich stieß ihn weg.

    Als Susan den Zeugenstand verließ, folgte ich ihr mit meinen Augen zurück zu ihrem Platz, wo ihr Mann bereits auf sie wartete. Er legte seinen Arm um die Schultern seiner Frau und zog sie eng sich heran. Susan hatte Glück.

    Ich hatte damals keinen Mann, der mich trösten konnte. Mein jämmerlicher Fehlgriff in Sachen Ehemann, Tim Williams, hatte sich bereits einen Monat vor Katarinas Geburt aus dem Staub gemacht.

    Der Staat Texas rief Helen Jackson in den Zeugenstand. Sie erinnerte mich an meine Namenspatronin, meine Großmutter - eine gebrechliche, ältere Frau, deren silbernes Haar immer zu einem Dutt hochgesteckt war.

    Ich hörte zu, wie Helen erzählte, dass sie gerade in ihrem Vorgarten an der Fitz Hughes Park Road gestanden hatte, als sie einen Mann sah, der etwas in eine Decke oder einen Teppich eingerolltes vom Kofferraum seines Wagens in den Wald trug. Als er ein paar Minuten später wieder erschien, hatte er nichts mehr in den Händen. Sie sah, wie er in einem Abstand von ungefähr drei Metern an ihr vorbeifuhr. Aber sie konnte Lasiter nicht eindeutig als den Mann identifizieren.

    Lasiters Verteidiger nahm sie völlig auseinander. Er machte sie geradezu fertig. Helen tat mir so leid. Als er fertig war,

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