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Agonie des Eros
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Der Eros gilt dem ›Anderen‹ im emphatischen Sinne, der sich ins Regime des Ich nicht einholen lässt. In der Hölle des Gleichen, der die heutige Gesellschaft immer mehr ähnelt, gibt es daher keine ›erotische Erfahrung‹. Sie setzt die Transzendenz, die radikale Singularität des Anderen voraus. Der heutige Terror der Immanenz, der alles zum Gegenstand der Konsumtion macht, zerstört das erotische ›Begehren‹. Nicht zufällig heißt
Sokrates als Geliebter ›atopos‹. Der Andere, den ich begehre und der mich fasziniert, ist ortlos. Er entzieht sich der Sprache des Gleichen. Es ist ein Kennzeichen der immer narzisstischer werdenden Gesellschaft von heute, dass der ›Andere‹
verschwindet – fatalerweise unbemerkt. Die Müdigkeitsgesellschaft,
in der man erschöpft von sich selbst ist, ohne sich
zum ›Anderen‹ hin befreien zu können, ist eine Gesellschaft
ohne Eros.
Sokrates als Geliebter ›atopos‹. Der Andere, den ich begehre und der mich fasziniert, ist ortlos. Er entzieht sich der Sprache des Gleichen. Es ist ein Kennzeichen der immer narzisstischer werdenden Gesellschaft von heute, dass der ›Andere‹
verschwindet – fatalerweise unbemerkt. Die Müdigkeitsgesellschaft,
in der man erschöpft von sich selbst ist, ohne sich
zum ›Anderen‹ hin befreien zu können, ist eine Gesellschaft
ohne Eros.
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Rating: 4 out of 5 stars
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Book preview
Agonie des Eros - Byung-Chul Han
Berlin
MELANCHOLIA
In letzter Zeit wurde oft das Ende der Liebe ausgerufen. Die Liebe gehe heute an endloser Wahlfreiheit, an Optionsvielfalt und Optimierungszwang zugrunde. In einer Welt unbegrenzter Möglichkeiten sei die Liebe nicht möglich. Beklagt wird auch die erkaltete Leidenschaft. In ihrem Buch Warum Liebe weh tut führt Eva Illouz diese auf die Rationalisierung der Liebe und die Ausweitung der Technologie der Wahl zurück. Diese soziologischen Theorien der Liebe erkennen jedoch nicht, dass heute etwas im Gange ist, was der Liebe wesentlich mehr zusetzt als die endlose Freiheit oder unbegrenzte Möglichkeiten. Zur Krise der Liebe führt nicht allein zu viel Angebot am anderen Anderen, sondern die Erosion des Anderen, die derzeit in allen Lebensbereichen stattfindet und mit zunehmender Narzissifizierung des Selbst einhergeht. Dass der Andere verschwindet, ist eigentlich ein dramatischer Prozess, der aber fatalerweise von vielen unbemerkt voranschreitet.
Der Eros gilt dem Anderen im emphatischen Sinne, der sich ins Regime des Ich nicht einholen lässt. In der Hölle des Gleichen, der die heutige Gesellschaft immer mehr ähnelt, gibt es daher keine erotische Erfahrung. Diese setzt die Asymmetrie und Exteriorität des Anderen voraus. Nicht zufällig heißt Sokrates als Geliebter atopos. Der Andere, den ich begehre und der mich fasziniert, ist ortlos. Er entzieht sich der Sprache des Gleichen: »Als atopos lässt der Andere die Sprache erbeben: man kann nicht von ihm, über ihn sprechen; jedes Attribut ist falsch, schmerzhaft, taktlos, peinlich […].«¹ Die heutige Kultur des ständigen Ver-Gleichens lässt keine Negativität des atopos zu. Wir vergleichen permanent alles mit allem, nivellieren es dadurch zum Gleichen, weil uns gerade die Erfahrung der Atopie des Anderen abhanden gekommen ist. Die Negativität des atopischen Anderen entzieht sich der Konsumtion. So ist die Konsumgesellschaft bestrebt, die atopische Andersheit zugunsten konsumierbarer, ja heterotopischer Differenzen zu beseitigen. Die Differenz ist eine Positivität im Gegensatz zur Andersheit. Heute verschwindet überall die Negativität. Alles wird eingeebnet zum Objekt der Konsumtion.
Wir leben heute in einer Gesellschaft, die zunehmend narzisstischer wird. Die Libido wird primär in die eigene Subjektivität investiert. Der Narzissmus ist keine Eigenliebe. Das Subjekt der Eigenliebe nimmt zugunsten seiner selbst eine negative Abgrenzung vom Anderen vor. Das narzisstische Subjekt kann dagegen seine Grenzen nicht klar festlegen. So verschwimmt die Grenze zwischen ihm und dem Anderen. Ihm erscheint die Welt nur in Abschattungen seiner selbst. Es ist nicht fähig, den Anderen in seiner Andersheit zu erkennen und diese Andersheit anzuerkennen. Bedeutungen gibt es nur dort, wo es sich selbst irgendwie wiedererkennt. Es watet überall im Schatten seiner selbst, bis es in sich ertrinkt.
Die Depression ist eine narzisstische Erkrankung. Zu ihr führt der überspannte, krankhaft übersteuerte Selbstbezug. Das narzisstisch-depressive Subjekt ist erschöpft und zermürbt von sich selbst. Es ist weltlos und verlassen vom Anderen. Eros und Depression sind einander entgegengesetzt. Der Eros reißt das Subjekt aus sich heraus auf den Anderen hin. Die Depression stürzt es dagegen in sich selbst. Das narzisstische Leistungssubjekt von heute ist vor allem auf den Erfolg aus. Erfolge bringen eine Bestätigung des Einen durch den Anderen mit sich. Dabei degradiert der Andere, seiner Andersheit beraubt, zum Spiegel des Einen, der diesen in seinem Ego bestätigt. Diese Anerkennungslogik verstrickt das narzisstische Leistungssubjekt noch tiefer in sein Ego. Dadurch entwickelt sich eine Erfolgsdepression. Das depressive Leistungssubjekt versinkt und ertrinkt in sich selbst. Der Eros macht dagegen eine Erfahrung des Anderen in seiner Andersheit möglich, die den Einen aus seiner narzisstischen Hölle herausführt. Er setzt eine freiwillige Selbstaberkennung, eine freiwillige Selbstentleerung in Gang. Ein besonderes Schwach-Werden erfasst das Subjekt der Liebe, das jedoch gleichzeitig von einem Gefühl der Stärke begleitet wird. Dieses Gefühl ist allerdings nicht die Eigenleistung des Einen, sondern die Gabe des Anderen.
In der Hölle des Gleichen kann die Ankunft des atopischen Anderen eine apokalyptische Form annehmen. Anders formuliert: Heute kann allein eine Apokalypse uns aus der Hölle
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