Der eiserne Ring
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Wohlbrück verbrachte ihre Kindheit überwiegend in Russland und verfasste bereits in jungen Jahren Erzählungen in deutscher, französischer und russischer Sprache.
Um 1910 gründete sie das „Figaro-Theater“ in Berlin. 1913 schrieb Wohlbrück ihr erstes Drehbuch und führte die Regie des Films „Ein Mädchen zum Verschenken“.
Wohlbrück veröffentlichte Theaterstücke und Romane, von denen einige auch verfilmt wurden.
Olga Wohlbrück
Olga Wohlbrück (5.7.1867 - 20.7.1933) war eine österreichisch-deutsche Schauspielerin, Regisseurin und Schriftstellerin. Wohlbrück verbrachte ihre Kindheit überwiegend in Russland und verfasste bereits in jungen Jahren Erzählungen in deutscher, französischer und russischer Sprache. Um 1910 gründete sie das „Figaro-Theater“ in Berlin. 1913 schrieb Wohlbrück ihr erstes Drehbuch und führte die Regie des Films „Ein Mädchen zum Verschenken“. Wohlbrück veröffentlichte Theaterstücke und Romane, von denen einige auch verfilmt wurden.
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Book preview
Der eiserne Ring - Olga Wohlbrück
Inhaltsverzeichnis
Der eiserne Ring
I.
II.
III.
IV.
V.
VI.
VII.
VIII.
Impressum
Der eiserne Ring
I.
In der Wohnung der verwitweten Frau Geheimen Regierungsrat Delfert roch es nach warmem Haar und verbranntem Papier.
Dora und Ulrike huschten in weißen Nachtjacken und »Wickeln« aus ihrem gemeinschaftlichen Zimmer bald zur Mutter herein, die noch rasch eine weiße Spitzenkrause in ihr violettseidenes Kleid einnähte, bald über den ziemlich breiten Korridor in den dunklen Speisesaal, wo ein Tafeldecker und das Hausmädchen um den lang ausgezogenen Tisch bemüht waren.
Alles Familiensilber war aufgestellt worden – von dem Patenbecher der Mutter bis zur schönen Jardiniere, die die Eltern zu ihrem silbernen Hochzeitstag erhalten hatten und die jetzt, mit schwer duftenden Mimosenzweigen gefüllt, die Mitte der Tafel einnahm.
Die Schwestern verteilten die Kärtchen mit den Namen. Sie hatten mehr sorgenvolle als freudige Gesichter, und wenn das hüpfende Licht der Gasflamme über Ulrikes Züge huschte, die die Ältere war, sah man, dass sich eine tiefe und schmerzvolle Falte über der Nasenwurzel eingegraben hatte.
»Ich denke, nun ist bald alles in Ordnung,« sagte sie.
Sie sprach gedämpft, ein wenig klagend, wie jemand, der durch nichts von einem inneren Leid abgelenkt werden kann.
»Ich will jetzt Mama bei der Toilette helfen. Unterdessen machst du dich fertig, Dora. Es wäre immerhin möglich, dass er früher käme. Da muss jemand da sein, um ihn zu empfangen.«
Der Lohndiener und das Mädchen hatten das Zimmer verlassen. Die Schwestern standen einander gegenüber, rückten beide ganz mechanisch an den Bestecken, den Gläsern.
Sie waren beide groß und von jener irritierenden Ähnlichkeit, die keinen Gedanken an geistige Differenziertheit aufkommen lässt.
Wenn man zu einer von ihnen sprach, hatte man das Gefühl, es beiden gesagt zu haben. Das »ich« aus ihrem Munde klang beinahe anmaßend. Sie sagten auch meist »wir«.
Meinten mit diesem »wir« nicht nur sich selbst; sondern auch die Mutter, das Haus als Ganzes und sogar die weitverzweigte Delfertsche Familie, die in der Hierarchie des Beamtenstandes eine angesehene Stellung einnahm.
Eine kurze Zeit hindurch hatte Dora »ich« gesagt. Vier, fünf Monate lang, vor etwa neun Jahren. Es war in ihrer kurzen, ersten Brautzeit gewesen.
Eine tragische und abscheulich lächerliche Geschichte.
Die Tafel war gedeckt wie heute. Nur Maiglöckchen dufteten in der Jardiniere statt der gelben Blüten. Neben ihr saß ihr Verlobter, der bildhübsche Kavallerieleutnant von Redwitz. Kein Geld, aber allererste Familie und – Zukunft. Kriegsrat Delfert hatte sich bereit erklärt, die Kaution zu stellen. Die übrigen kinderlosen Familienmitglieder waren übereingekommen, die Wohnungseinrichtung zu schenken, und die Geheimrätin durfte daher an eine Ausstattung denken »wie für eine Prinzessin«.
Vierzehn Tage nach der Verlobung wurde der junge Offizier nach Südafrika abkommandiert. Liebesschwüre, Abschied, Liebesbriefe ...
Während eines Scharmützels trug er eine nicht ungefährliche Verwundung davon. Typhus kam dazu. Dora verzweifelte. Benahm sich gar nicht wie eine junge Dame aus feinem Hause. Die Geheimrätin sprach von »kalten Duschen«.
Man hatte kein Verständnis für heftige Gefühlsausbrüche im Delfertschen Hause. Und plötzlich die Nachricht: Redwitz musste den Abschied nehmen. Dauernd untauglich.
Die Geheimrätin schrieb ihm, unter diesen Umständen wäre an eine Verbindung mit Dora nicht zu denken. Familienrücksichten ließen es nicht zu, dass Dora die soziale Leiter herunterstiege – die Frau eines Weinagenten oder Versicherungsbeamten würde. Es wäre sehr schmerzlich, aber er müsste begreifen. ...
Er begriff alles. Merkwürdig rasch und gründlich. Er gab Dora ihr Wort zurück in wenigen knappen Zeilen, die Dora nicht lesen konnte, weil sie an einem Nervenfieber danieder lag.
Ulrike pflegte die Schwester mit Aufopferung, begriff aber den Bruder nicht, der schmalbrüstig und blass am Mittagstische saß und erklärte, auch als Weinreisender könne man ein anständiger Kerl sein, und er könne nicht begreifen, dass die Familie eher zwei Menschen unglücklich mache, als Vorurteile abzustreifen, die wirklich sinnlos wären in der heutigen Zeit.
Thomas war damals 24 Jahre alt. Mit einem »du bist kindisch« ging die Mutter über seine Worte hinweg. Und schließlich kam auch wirklich alles ins rechte Gleis. Dora wurde gesund. Man sah sie wieder auf den Vereinsbällen, bei den Familiengesellschaften und an Abonnementsabenden mit Ulrike oder der Mutter im Schauspielhaus.
Eines Abends hatte sich Thomas, der die Schwestern abzuholen pflegte, verspätet, und die jungen Mädchen sahen sich ängstlich nach ihm um.
»Verzeihung ...«
Dora zuckte zusammen beim Klange der Stimme.
Ein Herr – offenbar ein Offizier in Zivil – hatte sie gestreift. Eine bildhübsche junge Person in kostbarem Seidenumhange schritt an seiner Seite und sah lachend zu ihm auf. Das Paar wartete ein paar Augenblicke unter dem Glasdach und stieg dann in ein elegantes Auto, hinter dessen geschliffenen Spiegelscheiben ein blühender Rosenstrauß unter dem rieselnden Lichte der elektrischen Birne leuchtete.
Dora war weiß geworden bis in die Lippen.
»War das nicht? ...
Ulrike stützte sie, selbst zitternd, verwirrt, in Angst um die Schwester.
»Möglich, Dora ... aber vielleicht nur eine Ähnlichkeit.«
Thomas kam gerade in diesem Augenblicke.
»Redwitz? Ja... ich glaube, er hat einen Onkel beerbt. Zwei Millionen sogar oder so was. An den alten Herrn hatte niemand gedacht.«
Die Geschwister fuhren mit der Elektrischen nach Hause. Thomas war mitten in seinem Assessorexamen und schweigsamer noch als sonst. Dora würgte ihr Schluchzen hinunter. Ulrike dachte an die Nacht, die ihr bevorstand ...
Selbst die Geheimrätin geriet aus der Fassung. Am nächsten Tage fand ein förmlicher Familienrat statt. Wie konnte man Redwitz wieder zurückgewinnen? Wenn Dora ihm schrieb? Wenn Thomas ihn besuchte?
Thomas schüttelte den Kopf. Man sollte doch ihn aus dem Spiele lassen! Ihm war das alles peinlich.
So wüsste niemand etwas davon, und »weil Dora langsam zugrunde ging an dem nagenden Kummer ...«
Der Brief war bereits frankiert, als der Kriegsrat mit der Nachricht kam, die Erbschaft wäre ein Märchen. Redwitz hätte die Tochter eines großen Herrenschneiders »Unter den Linden« geheiratet und empfinge gelegentlich die Kunden seines Schwiegervaters...
Die Geheimrätin fand ein befreiendes Lachen, und Ulrike riss dem Mädchen schnell den Brief aus der Hand, den sie gerade zum Kasten tragen wollte. Dora sprach nicht mehr von Redwitz. Nur eine tiefe Falte blieb ihr zwischen den hellen Brauen und eine nervöse Gereiztheit, als fürchte sie jeden Augenblick, verhöhnt zu werden.
Wenn die Schwestern, gleich gekleidet, in ihrer vornehmen, blonden Schlankheit einen Saal betraten, dann wurden sie als Muster unberührter, keuscher Mädchenhaftigkeit hingestellt.
Dora – um einen Schatten rosiger, weicher und kleiner, machte Eroberungen, »von denen man sprach«. Aber obwohl sich die Geheimrätin und die Familie die größte Mühe gaben – eine Partie kam nie zustande.
Ulrike erkannte zuerst, woran es lag.
Sie sah zuerst den flimmernden