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Zwei Paare ohne Sex im Waldviertel: Stories
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Ebook156 pages2 hours

Zwei Paare ohne Sex im Waldviertel: Stories

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About this ebook

Ins Land von Milchrahmstrudel und "Felix"-Ketchup reist man nicht risikolos. Hier erfand Freud bekanntlich auch die Wiederkehr des Verdrängten. Die vier narzisstischen Exemplare, die der Schweizer Erzähler Andres Müry in seine Wahlheimat Österreich schickt, erfahren es je auf ihre Weise. Volker, der Modefotograf aus Paris, begegnet im Waldviertel den eigenen sexbesessenen Siebzigerjahren. Für Harry, den deutschen Fernsehkommissar, wird der Besuch eines Wiener Massagestudios zum blutigen Albtraum. Im Salzkammergut stößt Felix, der Zürcher Lifestyle-Reporter, auf die Leiche einer begeisterten Leserin. Und Max, den schwulen Schweizer Diplomaten, macht eine schicksalhafte Begegnung vor der Wiener Albertina zum unfreiwilligen Vaterschaftsexperten. Mit rasanten Twists erzählt, balancieren die vier Stories souverän zwischen Komik und Tragik, Unterhaltung und Tiefsinn.
LanguageDeutsch
Release dateJan 25, 2016
ISBN9783863370954
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    Book preview

    Zwei Paare ohne Sex im Waldviertel - Andres Müry

    Familie

    Zwei Paare ohne Sex im Waldviertel

    Der Name stand groß und deutlich am Schaufenster der Galerie: Rebekka Jakobson. Zwei Tage war ich schon daran vorbeigegangen, jedes Mal wenn ich aus dem Nebenhaus kam oder es betrat, aber ich hatte offenbar keine Augen dafür gehabt, sondern nur für Sophie, mit der ich eng umschlungen ging. Besser gesagt: ich war blind auch für uns beide. Wie sonst hätte ich mich als Fotograf auf ein Model einlassen können, das gerade neunzehn war, so alt wie meine Enkeltochter? Sophie hatte ich in Paris bei einem Shooting kennengelernt und nach drei Sommernächten war ich töricht genug gewesen, ihrer Einladung nach Wien zu folgen. Am Opernring teilte sie mit zwei anderen Nachwuchsmodels eine Dachwohnung. Statt in einem charmanten Hotel fanden wir uns nach Sophies Willen in ihrer WG – und Ende August war es unter dem Dach auch noch stickig und heiß.

    Am dritten Morgen, nachdem wir uns erstmals gestritten hatten – über mein Pinkeln im Stehen –, ging ich allein voraus, um drunten auf der Straße Luft zu schnappen. Da fiel es mir endlich ins Auge: Rebekka Jakobson. Es traf mich wie ein Schlag. Eine Rebekka dieses Namens hatte ich vor bald vierzig Jahren in Salzburg gekannt und seitdem nie wiedergesehen. Allerdings hatte sie damals am Mozarteum nicht wie ich Kunst studiert, sondern Gesang. Für Malerei hatte sie sich, soviel ich wusste, nicht interessiert. Später wurde sie eine bekannte Opernsängerin, das war mir in der Ferne nicht entgangen, mit Auftritten in Bayreuth, an der Met in New York, vermutlich auch in Wien.

    Sophie kam in ihrem zerfetzten Jeansanzug und den bänderlosen Converse daher, die Louis-Vuitton-Tasche über der Schulter. Das Schönste an ihr, die verschieden großen braunen Augen mit dem grünlichen Schimmer, war hinter der Sonnenbrille verborgen. Ich zeigte auf das Schaufenster: »Die Malerin kenn ich.« Sie zog eine Schnute und folgte mir hinein.

    Gleich im ersten Raum hing ein großes Tafelbild, circa eins fünfzig auf zwei Meter. Vom Stil her erinnerte es an Hodler, an den Symbolismus um 1900. Eine Landschaft in der Abenddämmerung, über einem Fichtenwald ging am violetten Himmel ein oranger Mond auf. Im Hof eines hufeisenförmigen, nach vorn offenen Anwesens sah man eine Pietà aus vier Personen, wie auf einer Bühne. Im Zentrum saß die Madonna mit dichtem schwarzen Haar, breitbeinig wie eine Bäuerin, auf dem Schoß einen nackten Jüngling, dessen Haupt nach hinten hing. Sie blickte starr geradeaus, eine Brust lag frei. Links neben ihr ein Mann im langen Jüngerhemd, ebenfalls frontal, aber das Gesicht abgewandt, als wolle er aus Scham nicht hinsehen. Rechts kniete eine Magd mit Kopftuch, vor ihr im Gras eine flache Schale. Sie wusch dem Liegenden mit einem Schwamm das Geschlecht. Dunkles Blut quoll heraus, lief über die Beine und färbte das Gewand der Frau rot.

    Am unteren Rand stand in krakeliger weißer Schrift Zwei Paare ohne Sex im Waldviertel, in Klammern Sommer 1973.

    Das Bild war von meiner Rebekka, kein Zweifel.

    Ich löste mich aus dem Bann, in den es mich versetzt hatte, trat ein paar Schritte zurück und machte mit dem Handy ein Foto.

    »Muss ja ein echtes Problem haben, die Frau«, kam es von hinter mir. Sophie hatte mich, ihre Einsfünfundachtzig in einen verchromten Sessel gefläzt, die ganze Zeit beobachtet.

    Der Satz war der zweite Schlag, der mich an diesem Morgen traf. In diesem Augenblick wusste ich, dass ich mich zwischen Rebekka und Sophie entscheiden musste. Und dass es zwecklos wäre, es der Jüngeren zu erklären.

    Stracks ging ich in den hinteren Raum zu einer Angestellten, die an einem Glastisch saß. Laut Preisliste kostete das Bild 12 000 Euro und war verkauft. Ob sie wisse, an wen? Pikierter Blick. Nein, das könne sie nicht sagen. Ich insistierte nicht, sondern steckte den Prospekt zur Ausstellung ein. Im Umdrehen nahm ich flüchtig eine Serie mit Frauenköpfen wahr, die Münder in verschieden verzerrten Grimassen zum Schrei aufgerissen.

    In der Zwischenzeit war Sophie in ihr Handy versunken.

    »Ich habe droben etwas vergessen«, sagte ich, um einen leichten Ton bemüht. Sie zog wieder ihre Schnute und erhob sich. Draußen kramte sie die Schlüssel aus der Tasche und ließ sie mit nonchalanter Geste in meine Hand fallen. Der Rest ging schnell. Nach ein paar Minuten war ich mit meinem Trolley wieder unten und gab ihr die Schlüssel zurück.

    Ich räusperte mich. »Ich muss allein sein, ich geh ins Hotel.«

    Es überraschte sie nicht mehr, der Trolley war ja nicht zu übersehen. Was in ihrem Gesicht vorging, verbarg die Sonnenbrille. Ich setzte zu einer Umarmung an. Sie wich aus.

    »Bitte, dann geh halt.«

    Es klang wie: Geh, du alter Mann, in deine Hölle zurück. Sie machte auf dem Absatz kehrt und schritt mit ihrem kerzengeraden Modelgang davon. Ich rief ihr ein Danke nach, auch noch ein zweites, lauteres. Ohne zu reagieren, verschwand sie zwischen den Passanten.

    Ich kannte ein kleines Hotel nicht allzu weit weg, in der Weihburggasse. Sie hatten noch ein einziges Zimmer, eine Mansarde, an der jede Renovierung vorübergegangen war. Ich landete also wieder unter dem Dach, und wieder gab es kaum Kühlung. Durchs Fenster schwappte eine Welle warmer Luft herein. Im Stehen schrieb ich Sophie eine SMS: Sorry, irgendwann kann ich es dir erklären, Volker.

    Ich installierte mich an dem wackligen Biedermeiertischchen und überspielte das Bild vom Handy auf den Laptop. Laut Prospekt hatte Rebekka 1999 mit Singen aufgehört. Seit 2003 stellte sie in Galerien aus, Düsseldorf, München, Berlin, Wien. Seit 2000 lebte sie hier und im Burgenland. In Wien war sie ja auch aufgewachsen, erinnerte ich mich, als Fünfjährige war sie mit den Eltern aus England gekommen. Ohne Mühe fand ich sie mit Google: Walfischgasse, eine Adresse im 1. Bezirk ganz in meiner Nähe, sogar mit Telefonnummer.

    Ich holte das Bild auf den Schirm. Rebekka musste nach Fotos gearbeitet haben. Die Madonna trug ihre eigenen Züge, das Gesicht mit den hohen Wangenknochen noch quadratischer als in Wirklichkeit. Der schamhafte Jünger, das Gesicht gelb und durch eine Rainer-Langhans-Brille verunstaltet, das war ich. Die hingegossene Leidensfigur mit den wirren blonden Locken, das war Beat, der Schweizer, der am Mozarteum Bühnenbild studierte und Tag und Nacht Take a Walk on the Wild Side von Lou Reed hörte; erst jetzt fiel mir auf dem Oberarm der kleine Davidstern auf. Die Vierte im Bunde, Klara, meine Klara, war die einzige Österreicherin unter uns und hatte schon das Diplom für klassische Gitarre.

    Es war eine religiöse Travestie, die einem Uneingeweihten Rätsel aufgeben musste. Der Titel Zwei Paare ohne Sex im Waldviertel trug nichts zur Klärung bei – im Gegenteil. Er lenkte auf triviale Art von dem Drama ab, das in dem Bild verarbeitet war. Genauso gut hätte man über ein Bild mit dem geblendeten Ödipus Folgen eines Verkehrsunfalls zwischen Vater und Sohn schreiben können.

    Tatsache war: Rebekka und Beat, Klara und ich waren damals zwei mehr oder minder lose liierte studentische Paare, alle Mitte zwanzig, und machten Ferien in dem Waldviertler Vierkanthof, der auf dem Bild zu sehen war. Klara hatte uns ins ländliche Waldviertel nordöstlich von Linz gelockt, der Hof lag in der Nähe des Städtchens, aus dem sie stammte. Ihr Vater, der Gemeindearzt, hieß Alois Weixlbaum, ihre Mutter, Marili, hatte dreizehn Kinder geboren und der Ort war Arbesbach, das alles wusste ich noch, als wäre es gestern gewesen.

    Klara, eine Teaserin, ließ mich mit ihrem knochigen Körper alles machen, nur das Letzte nicht. Das verteidigte sie wie eine Jeanne d’Arc. Eine Begründung bekam ich dafür nicht, nur ein bockiges Einfach so. Da sie mir gefiel, nahm ich es hin, ich hatte ja auch keinen Notstand: Jedes Wochenende fuhr ich zu Friederike, meinem unkomplizierten Fickverhältnis in München. Dass es bei Rebekka und Beat auf ganz andere Weise im Argen lag, wusste ich anfangs nicht so genau. Auffällig war nur die zur Schau gestellte elegische Zärtlichkeit, mit Händchenhalten und langen Blicken.

    Am Ende gab es zwei Tote: Klara und Beat. Sie waren nicht weit von Arbesbach mit dem Motorrad bei einem Wolkenbruch auf kurvenreicher Straße unter einen entgegenkommenden Schwerlaster geschlittert und überrollt worden. Und es gab zwei Überlebende: Rebekka und mich. Wir hatten hinter dem Rücken der beiden anderen eine Affäre angefangen – es war darauf zugelaufen. Zur Zeit des Unglücks lagen wir zusammen in einer Linzer Pension im Bett. Erklärt hatten wir den Ausflug damit, dass sich Rebekka von mir mit ihrem Auto zur Bahn bringen ließ, um nach Wien zu einem Vorsingen zu fahren. Ich selber wollte zur VOEST, zu den Stahlwerken, um für einen Wettbewerb die Industrieanlagen zu fotografieren. Beides stimmte, und die Aktion schien nicht weiter verdächtig.

    Die Absteige, die wir fanden, war grindig, in dem Bett unter dem Kruzifix klappte plötzlich nichts mehr, und statt über Nacht zu bleiben, packte Rebekka schon nach zwei Stunden ihre Sachen und stieg in den Zug. Als ich sie, wie verabredet, am übernächsten Vormittag wieder von der Bahn abholte, war sie noch distanzierter. Keine Intimität mehr, als wolle sie alles ungeschehen machen. Ja, das Vorsingen sei gut gewesen, aber sie sei todmüde. Schweigend fuhren wir zurück.

    An den Rest erinnerte ich mich nur fetzenhaft. Unser Hof bei der Rückkehr: leer, niemand. Nur Ameisen an einem offengelassenen Honigglas, verklumpt zu einer noch schwach zuckenden Masse. Es sah nach einem überstürzten Aufbruch aus. Wir fuhren zu Schweiger, dem Nachbarbauern, der wusste schon alles. Die aufgelösten Eltern Weixlbaum, mit denen wir stumm in ihrer Zirbenstube saßen. Der Medizinalrat, der immerzu den Kopf schüttelte, besonders untröstlich, denn er hatte Beat seine alte Puch geliehen, mit der er früher über die Dörfer zu den Patienten gefahren war. Nun lag sie als Schrotthaufen in der Garage der Gendarmerie und von den Leichen hieß es, ihr Anblick sei niemandem zuzumuten. Nur die Schuhe und die Helme hatte man einigermaßen heil ausgehändigt.

    Das Begräbnis auf dem Arbesbacher Friedhof verpassten Rebekka und ich. Der R4 wollte an dem Morgen nicht anspringen, es hatte die Nacht geregnet und regnete immer noch, und so hasteten wir in der schlecht sitzenden, am Abend vorher ausgeliehenen Trauerkleidung unter einem zu kleinen Schirm den ganzen Weg zu Fuß. Den Anblick von nassen, zerzausten Krähen müssen wir geboten haben, als wir uns im Gasthaus zum Leichenmahl dazu drückten. Die Gespräche verstummten für einen Augenblick, einige guckten, als hätten die insgeheim Schuldigen an dem Unglück den Raum betreten. Dann ging es wieder laut durcheinander: Das Unwetter sei es gewesen, die rutschige Fahrbahn, und Beat habe die Maschine wahrscheinlich doch nicht so gut beherrscht, wie er behauptet hatte. Ja, da konnten wir mitnicken. Von Beats Familie war niemand angereist. Rebekka hatte nur die Nummer seines älteren Bruders, der war aber nicht zu erreichen gewesen.

    Die Sonne war hervorgekommen, als wir auf dem Rückweg allein am Grab standen: ein Hügel aus frisch aufgeworfener Erde, zwei namenlose Holzkreuze, ein Strauß mit Astern. Rebekka nahm sich eine ihrer bernsteinfarbenen Spangen aus dem Haar und drückte sie in die Erde. Ich überlegte kurz, holte ein Tütchen Gras heraus und drückte es dazu. Tauschten wir ein komplizenhaftes Lächeln? Jedenfalls standen wir noch eine Weile da, wie man es an einem Grab eben tut.

    Vor der letzten Nacht auf dem Hof graute uns beiden, wir brauchten es

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