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Adolf Hitlers "Mein Kampf": Zur Poetik des Nationalsozialismus
Adolf Hitlers "Mein Kampf": Zur Poetik des Nationalsozialismus
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Ebook68 pages56 minutes

Adolf Hitlers "Mein Kampf": Zur Poetik des Nationalsozialismus

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Anfang 2016 wird Adolf Hitlers Mein Kampf im Rahmen einer wissenschaftlich kommentierten Edition zum ersten Mal seit Kriegsende wieder in Deutschland zu kaufen sein. Die Veröffentlichung bietet Anlass, aufs Neue den furchtbaren Erfolg der ›Bibel der Nazis‹ zu ergründen. Es ist nämlich keinesfalls klar, warum das politisch wirre, peinlich geifernde und eigentlich nicht ernstzunehmende Machwerk eine solche Wirkung erzielen konnte. Angesichts offensichtlicher inhaltlicher Absurditäten, die auch schon zu Zeiten der Originalveröffentlichung bemerkt wurden, nähert sich Albrecht Koschorke dem Buch mit literaturwissenschaftlichem Instrumentarium. Welche Erzählstrategien hat Hitler benutzt, welche Lesepraxis hat er angeregt? Und was hat es damit auf sich, dass das Buch trotz enormer Verbreitung, kaum gelesen wurde? Der literaturwissenschaftliche Blick enthüllt, dass es Hitler entgegen allem Anschein nicht in erster Linie um die fanatische Verbreitung einer Wahrheit ging, sondern darum, Anhänger wie Gegner zu einer Reaktion zu zwingen.
LanguageDeutsch
Release dateFeb 2, 2016
ISBN9783957572912
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    Adolf Hitlers "Mein Kampf" - Albrecht Koschorke

    Albrecht Koschorke

    Adolf Hitlers

    Mein Kampf

    Zur Poetik des Nationalsozialismus

    Fröhliche Wissenschaft 092

    Inhalt

    Teil I:

    Krisenlagen, prekäre Milieus, liminale Akteure

    Teil II:

    Hitlers Mein Kampf. Ideologie und Dezision

    Teil III:

    Ausblick und Konsequenzen

    Anmerkungen

    Teil I:

    Krisenlagen, prekäre Milieus, liminale Akteure

    1

    Wer sich dem Phänomen Hitler zu nähern versucht, ist gut beraten, den Rahmen der Betrachtung weiter auszuspannen, statt eine Einzelperson zu dämonisieren. Und sei es nur aus dem einfachen Grund, dass sich zwar jedermann eine wirre Kombination aus Zeitkritik und politischer Mythologie zulegen kann, dass aber glücklicherweise nur wenige auf diese Weise eine schlagkräftige Partei und schließlich ein ganzes Volk hinter sich bringen. Für einen solchen Erfolg müssen spezifischere Bedingungen gegeben sein. Deren Analyse rührt an die in heutigen Zeiten der Radikalisierung wieder akut werdende Frage, auf welchen Wegen überhaupt und im umfassendsten Sinn soziale Mythen entstehen und welche Rolle die zeitgenössische Publizistik darin spielt. Wie kommen die Geschichten zustande, die Gesellschaften von sich selbst, von ihrer Vergangenheit und Zukunft erzählen? Welche kollektiven Zustandsbilder und Selbstdiagnosen setzen sich in der sozialen Dauerkommunikation durch, sowohl auf der Ebene der Alltagsgespräche als auch im öffentlichen Diskurs? Wie finden bestimmte Ideen, zumal solche, die anfangs randständig sind und nur im kleinen Kreis zirkulieren, Anklang in der breiten Bevölkerung, und unter welchen Bedingungen springen sie aus der Welt der Reden und Schriften in die Welt des politischen Handelns über?

    Es ist seit Langem unstrittig, dass soziale Verhältnisse sich in ihren kulturellen Beschreibungen nicht einfach ›widerspiegeln‹. Die Verbindungslinien zwischen Sein und Bewusstsein sind vielfältig und umkämpft. Ein wichtiger Grund dafür besteht in der Tatsache, dass kulturelle Symbolisierungen ihrerseits Handlungen in dem Feld sind, das sie symbolisieren. Sie zeichnen die sozialen Gegebenheiten nicht wie passive Messinstrumente auf, sondern wirken in größerem oder geringerem Maß verändernd auf sie ein. Zwischen sozialen Tatsachen und ihrer kulturellen Repräsentanz, zwischen Objekt und Begriff herrscht also keine ›kalte‹ und objektive, sondern eine potenziell ›heiße‹, zirkuläre Beziehung.[1] Das stellt einen nach den Maßstäben konventioneller Logik irregulären Sachverhalt dar. Der Grad der semantischen ›Reaktionshitze‹ wiederum hängt von der aufgewendeten sozialen Energie ab. Diese Energie kann sich in unterschiedlichen Affektzuständen ausprägen – in der weiten Skala von Gefühlsbesetzungen zwischen Begehren und Hass.

    Durch die Betonung des Handlungscharakters von Zeichengebungen rücken die historischen Individuen, zugleich aber auch die Instanzen und Institutionen ins Blickfeld, die dafür sorgen, dass bestimmte gesellschaftliche Selbstbilder Einfluss gewinnen. Man wird eine solche steuernde Aktivität kaum dem Selbstvollzug von Diskursen überantworten können. Ihre Durchsetzungsfähigkeit hängt an Akteuren, die sich ihrerseits im kulturellen Feld positionieren; Ideen sind auf eine Trägerschicht mitsamt der ihr zur Verfügung stehenden kommunikativen Infrastruktur angewiesen, um sich auszubreiten und hegemoniale Geltung zu erlangen. Begreift man dergestalt die Herstellung gesellschaftlicher Selbstbeschreibungen als schöpferische und das heißt: performative Handlung von personalen oder institutionellen Akteuren, dann wird es erforderlich, in den Dualismus von Tatsachen und Ideen, von sozialen Gegebenheiten und kultureller Semantik eine dritte Größe einzuführen. Das ist die Funktionsstelle derjenigen, denen es gelingt, ein für sich genommen amorphes Gemenge von Fakten, Tendenzen und Mutmaßungen zeichenhaft in Form zu bringen und ihm eine Beschreibungsweise aufzuprägen, die in immer breiteren Kreisen Anerkennung findet und sich so am Ende zum ›offiziellen‹ Selbstbild der Gesellschaft verfestigen kann. Diese Funktion wird vor allem in Phasen sozialen Umbruchs entscheidend, in denen sich ein hoher Grad von Brisanz – ablesbar an wachsender Gewaltbereitschaft – mit einem ebenso hohen Grad von Unartikuliertheit, wenn nicht Desorientierung verbindet.

    Soziale Spannungslagen, die zu radikalen Umbrüchen führen, haben in der Regel ein äußerst kompliziertes und für die Beteiligten nur teilweise überschaubares Geflecht von Ursachen. Einer Beschreibung der Lage, die kommunikativ verdaulich und breitenwirksam sein soll, haftet deshalb ein hohes Maß an Willkür an. Sie leistet Artikulationshilfe für unartikuliertes Erleben, übersetzt mehr oder minder diffuse Befindlichkeiten – Ängste, Hass- und Zugehörigkeitsgefühle, Wünsche, Interessen – in Schlagworte und Narrative, die starke Affektladungen an sich zu binden vermögen, und schafft damit überhaupt erst die kognitiven Stabilisierungen, die es erlauben, zwischen Freund und Feind, Eigenem und Fremdem zu unterscheiden. Aus diesem Grund spielt die dritte Instanz, die eine Brücke zwischen dem kollektiven Erregungszustand und einem bereitstehenden oder an den aktuellen Zweck angepassten kulturellen Ideenbestand schlägt, häufig die Rolle eines triggers, eines Auslösers von sozialen Explosionen. Der trigger gibt entweder den aufgestauten Aggressionen ein Ziel vor, oder es gelingt ihm, umlaufende Erwartungen, Hoffnungen, Wünsche in den Brennpunkt eines koordinierten Erneuerungswillens zusammenzuziehen. Die beiden Strategien sind indessen nicht glatt voneinander zu trennen, sondern kommen in zahllosen Mischformen vor.

    Herkömmlicherweise wird die trigger-Figur in Konstellationen des Typs ›Das große Individuum und die Menge‹ verhandelt. Man findet ein solches heroisches Individuum als Wortführer der aufgebrachten Menge in

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