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In Ängsten - und siehe, wir leben: Lebenserinnerungen eines Wolhynienpfarrers
In Ängsten - und siehe, wir leben: Lebenserinnerungen eines Wolhynienpfarrers
In Ängsten - und siehe, wir leben: Lebenserinnerungen eines Wolhynienpfarrers
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In Ängsten - und siehe, wir leben: Lebenserinnerungen eines Wolhynienpfarrers

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About this ebook

Im Streit um den Umgang mit der globalen Flüchtlingsbewegung zerfällt heute Europa. Viele heben abwehrend die Hände und machen die Grenzen dicht. In Deutschland droht die Spaltung der Gesellschaft. Da erinnern sich viele Deutsche ihrer eigenen Flüchtlingsvergangenheit. Rd. 22 Millionen Flüchtlinge, Vertriebene, Spätaussiedler aus den Ländern des aufgelösten Ostblocks sind in Deutschland von Kriegsende bis heute ganz selbstverständlich integriert worden. Weil sie nicht nur Mitverursacher, sondern auch Hauptleidtragende der großen Flüchtlingsbewegungen des 20. Jh. waren und die hohen Hürden der Integration kennen, sind sie Fremden gegenüber meist mild gestimmt.
Die packenden Lebenserinnerungen des Evangelischen „Wolhynienpfarrers“ Hugo K. Schmidt spiegeln auf jeder Seite diese versöhnliche Einstellung wider. Deutsche waren, bedingt durch ihre Geschichte, stets bereit, mit Fremden zusammenzuleben. Fremdenfeindlichkeit, wie sie die Nazis dem Volk überstülpen wollten, ist für die Deutschen untypisch; mit Recht wollen heute viele, dass Abwehr durch eine „Kultur des Willkommens“ ersetzt wird.
Hugo Schmidt, Nachfahr von schwäbisch-stämmigen Siedlern um die spätere polnische Industriestadt Lodz aus der kurzen Zeit der preußischen Herrschaft um 1806, hatte sich als junger Pastor der Evang.-Augsburgischen Kirche in Polen zum Dienst in den volkskirchlich geprägten Gemeinden Wolhyniens berufen lassen und war dabei ganz der Aufgabe an diesen kernigen Menschen in dem heute ukrainischen Gebiet als einer „ersten Liebe“ verfallen.
Umso verstörendere Migrationserfahrungen erwarteten ihn und weitere ¾ Million „Volksdeutscher“, als Hitler sie nach seinem Pakt mit Stalin im Krieg zur notvollen Umsiedlung „heim ins Reich“ nötigte, um seiner Utopie vom „Lebensraum im Osten“ im eroberten Polen Gestalt zu verleihen, eine beschönigende Beschreibung einer erzwungenen Völkerwanderung, die im strengen Winter 1939-1940 begann und deutsche Volksgruppen vom Baltikum bis Südtirol wie Schachfiguren verschob. Die Zumutungen der Flucht von 1945 waren hier vielfach vorweggenommen: verlustreiche Pferdetrecks, ungeheizte Eisenbahnzüge, Versorgungsmängel, verlogene Propaganda
Dass in solchen Zeiten des lebensverneinenden Chaos gerade auch der Glaube ein besonderer Wert ist, will der Buchtitel mit dem Bibelzitat „In Ängsten – und siehe, wir leben“ unterstreichen. Es preist einen Gott, der den Menschen immer wieder neu zur Umkehr und ins Leben ruft und dem Gewissen ein verlässlicher Ratgeber ist
LanguageDeutsch
Release dateFeb 15, 2016
ISBN9783741246388
In Ängsten - und siehe, wir leben: Lebenserinnerungen eines Wolhynienpfarrers
Author

Hugo Karl Schmidt

Der Autor Hugo Karl Schmidt, 2009 im begnadeten Alter von fast 100 Jahren verstorben, war der erste Pfarrer aus den östlichen Provinzen des zusammengebrochenen Deutschen Reiches, der nach dem Zweiten Weltkrieg in den Dienst der Evang.-Luth. Kirche in Bayern übernommen wurde. Er leitete hier die Pfarrstellen von Roth II und Katzwang. Bis zuletzt setzte er sich auch rührend für seine ehemaligen Gemeindeglieder ein, die er als Pfarrer in Wolhynien und als Superintendent (Dekan) in Rypin im Wartheland (Dobriner Land) betreut hatte und die nach ihrer Flucht 1945 nun in alle Winde verstreut waren. Er ist Gründer des Historischen Vereins Wolhynien und zugleich dessen Ehrenvorsitzender. Sein historisch bedeutsames Hauptwerk ist, neben gut 40 weiteren Veröffentlichungen, das Buch „Die Evangelisch-Lutherische Kirche in Wolhynien“ (1992). Hugo Schmidt stammt aus einer Siedlerfamilie schwäbischer Herkunft und wurde 1909 in der Industriestadt Lodz im damals russisch beherrschten „Kongress-Polen“ geboren. Die Restitution des polnischen Staates und die Diktatur Józef Pisudskis nötigten den Heranwachsenden, in Polnisch sein Abitur zu machen. Er nahm auch den wachsenden Konflikt zwischen dem strikt katholischen polnischen Nationalismus und dem vom Protestantismus geprägten Deutschtum wahr. Das Theologiestudium führte ihn nach Leipzig und zu Beginn des „Dritten Reichs“ erstmals auch nach Erlangen. Zum Mentor für sein Vikariat wählte Hugo Schmidt den Pfarrer der deutschen Gemeinde von Rozyszcze im damals polnischen West-Wolhynien (heute Ukraine). Nach seiner Heirat ließ er sich in dieser volkskirchlich geprägten Landschaft als Pastor der Gemeinde Tuczyn einsetzen. Die Polen verhafteten ihn bei Kriegsbeginn 1939 und sperrten ihn mitsamt vielen anderen deutschen Intellektuellen im berüchtigten polnischen Konzentrationslager Bereza Kartuska (heute Weißrussland) ein, doch kam er mit Auflösung der äußeren Ordnung frei. Hitlers Geheimabkommen mit Stalin nötigte seit dem eiskalten Winter 1939/40 alle „Volksdeutschen“, ihre Heimat zu verlassen. Die Nazis zerstreuten Schmidts Gemeinde im deutschen „Mustergau“ Wartheland, der nach ihrem Wunsch möglichst religionslos sein sollte. Als Pfarrer von Rypin und inzwischen beauftragter Superintendent von Lipno waren für ihn die Konflikte mit dem System vorprogrammiert. Rechtzeitig vor Kriegsende konnte Hugo Schmidt seine weitläufige Familie und auch sich selbst vor der heranrückenden Roten Armee in Sicherheit bringen.

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    Book preview

    In Ängsten - und siehe, wir leben - Hugo Karl Schmidt

    HUGO KARL SCHMIDT — Aufn. 1945

    Inhalt

    „In Ängsten - und siehe wir leben" - Die Bewährung des Apostels in seinem Dienst

    EINFÜHRUNG: Ein Buch voller Wunder in einer Welt voller Schrecken

    Vorworte

    Wo die Erinnerungen spielen - Europakarte

    ERSTES BUCH: Leben in Łódź

    I. Vorfahren väterlicherseits und der Vater Gottfried Schmidt

    Kantorlehrer mit schwäbischer Herkunft

    „Onkel Adolf"

    Der Vater Gottfried Schmidt: Kaufmann, Soldat und Fabrikverwalter in Łódź

    - EXKURS: Die Entwicklung der TextilstadtŁódź

    II. Vorfahren mütterlicherseits und die Mutter Emilie Seidel

    Großvater Gustav Seidel, Tuchmacher und heilkundiges Universalgenie

    Großmutter Ernestine Seidel – Enkelin einer schlesischen Adeligen?

    „Onkel Max", ein tüchtiger Geschäftsmann und Ratgeber

    Die Mutter Emilie Seidel, dichterisch begabt und religiös

    III. Kindheitserinnerungen

    Eine strenge Erziehung, Betreuung durch Wirtschafterinnen

    Kindheit bei der Großmutter bis zum Schuleintritt

    Im ersten Weltkrieg trotz Hunger bewahrt

    Erste Rückbesinnungen auf das Deutschtum und Althaus’ Predigttätigkeit

    IV. Schulzeit in Łódź — 1916-1929

    Erste Schulzeit in privaten Vorschulklassen

    Großzügiges Wohnen, kindliche Freiheit, aber unsichere materielle Verhältnisse

    Die polnische Sprache lernen

    Ein mäßiges, aber trickreiches Abiturzeugnis

    Geldverdienen mit Nachhilfe

    Musik vom „Geigekratzen" bis zur Mädchenchorleitung

    Erfahrungen mit EC-Jugendarbeit … prägen die Entscheidung zur Theologie

    Deutschtum ohne Fanatismus

    Deutsch sein hieß evangelisch-lutherisch sein, polnisch sein hieß katholisch sein

    Ein Zuhause auch ohne „Familie"

    Ferien in der „Sommerwohnung"

    Freundschaft fürs Leben

    ZWEITES BUCH: Studieren in Leipzig, Erlangen, Warschau

    V. Studienbeginn —1929-1930

    Weichenstellung für Leipzig

    - EXKURS: Bischof Juliusz Bursche – evangelischer Missionar unter katholischen Polen

    Gottes Fügungen ermöglichen das Leben

    Teilhabe am Leben einer Kulturstadt

    Theologische Anfänge und Anfechtungen

    VI. Von Erlangen bis Warschau — 1931-1933

    Von Erlangen bis Warschau — 1931-1933

    Bei Erlanger Theologen und in der Studentengemeinschaft gut aufgehoben — 1931

    - EXKURS: Paul Althaus - ein umstrittener Theologe

    Hilfreiches Examen — 1933

    Angespannte politische Lage in Deutschland vor Hitlers Machtergreifung — 1933

    Kirchenkampf — 1933

    Deutschland-Abschluss bei der Singbewegung

    Heimkehrschock und Weiterstudium in Warschau 1934

    Vortragstätigkeit beim Deutschen Club

    Auf der Suche nach Anstellung bei Pfarrer und Gemeinde 1935

    Begegnung mit Alfred Kleindienst

    - EXKURS: Alfred Rudolf Kleindienst - „Vater der Wolhyniendeutschen"

    DRITTES BUCH: Wo liegt bitte Wolhynien?

    VII. Wo liegt bitte Wolhynien?

    Einführung: Das dramatische Schicksal der Wolhyniendeutschen

    Die Geschichte des Wolhyniendeutschtums

    Vikarszeit in Rozyszcze - Wolhynien

    Ordination für „Hugonowi-Karolowi Schimdtowi" in Warschau — 1935

    Als Administrator nach Tuczyn, Kreis Równe - Wolhynien — 1936

    - EXKURS: Der Leiter des kirchlichen Außenamtes 1933-45 Theodor Heckel

    Heirat in Chodecz — 22. Sept. 1936

    Familie Bredow - eine preußisch-polnische Kürschner- und Bäckerfamilie

    VIII. Erlebtes und Erzähltes: Amtsleben in Wolhynien und … Tuczyn – 1936-1939

    Visitationen mit „pastoralem Gottesdienst"

    Ja und Amen trotz langen Predigten

    Kindertaufe und Kirchenbücher

    Zum Krankenabendmahl oft weite Strecken unterwegs

    Am Krankenlager das Evangelium verkündigen

    Testamente in der Sterbestunde

    Verwechselung bei der Massentrauung

    Beerdigungsgebühren für den Kantor

    Kirchenmusik als Hilfe zum Gemeindeaufbau

    Ein gastfreundliches Pfarrhaus

    Freude und Leid im Familienleben — 1937

    Schicksalsorte im Leben von Hugo Karl Schmidt, Landkarte

    VIERTES BUCH: „… in Schlägen, Gefängnissen, Verfolgungen …"

    IX. Der September 1939: Interniert im polnischen KZ

    Erlebnisse während des Polenkrieges

    Vorwort

    - EXKURS: Bereza Kartuska – Synonym für die polnische KZ-Praxis

    Der Kriegsbeginn weckte den Hass der Polen gegen die deutschen Siedler

    Verhaftet wie Verbrecher

    In Ketten verschleppt ins polnische Konzentrationslager

    Unterwegs bespuckt und mit Steinen beworfen

    Im Konzentrationslager mit Knüppeln geprügelt

    Unter der Aufsicht von Sträflings-Kapos

    Gequält und gedemütigt von Kriminellen

    Hunger und schlimmer Durst

    Vertrauensvolles Miteinander der Häftlinge

    Freiheit nach Flucht der Wachmannschaften

    Auf Eilmärschen zu den Deutschen

    Sorgenvolle Begegnung mit anderen Befreiten

    Gemeinsamer Beschluss: Zurück nach Wolhynien

    Riskanter Rückweg zwischen Polen und Russen

    Abenteuerliche Bahnfahrt

    Glückliche Heimkehr

    FÜNFTES BUCH: „Heim ins Reich" 1940 - eine große Enttäuschung

    X. Von Wolhynien in den Warthegau — 1940

    Umsiedlung und Krieg waren von langer Hand geplant

    Williger Gehorsam ohne Diskussion

    Tausende Geburtsurkunden ausgefertigt

    Panne bei der Nummernvergabe

    Schummeln um der Humanität willen

    Währungsreform auf Russisch

    Am Trecken gehindert

    - BERICHT: Die Umsiedlung 1940, ein von Goebbels inszeniertes Drehbuch

    Ein Treck mit 240 Gespannen

    Hoffnung und Verzweiflung der Trecker

    Vor Zollschluss zum Bug

    Bei sibirischer Kälte im „Pullmannzug" zur Grenze

    Enttäuschende Ankunft im deutschen Interessengebiet

    Tragische Nachwirkungen: Krankheiten und Todesfälle

    - EXKURS: Das Wartheland – Aufnahmegebiet der Umgesiedelten

    Figuren auf dem Schachbrett der Diktatoren

    Schlechte Karten für Polnisch-Sprachige

    - EXKURS: Das Geheimnis der „Bugholländer"

    Zumutungen für das Deutschsein,Vier EXKURSE:

    Eingeteilt in Volkslisten mit unterschiedlichen Bürgerrechten

    Pfarrer zwischen Skylla und Charybdis

    Der Nazi-Mitgliedschaft widerstanden

    Der Personalausweis genügt nicht zum Nachweis der deutschen Staatsangehörigkeit

    Deutsche Umerziehung und Rassereinheit

    Die Wolhynier sahen den NS-Staat anfangs meist positiv

    Der versprochene Ringtausch der Höfe war eine Fata Morgana

    Widerstand gegen die NS-Kirchenpolitik

    XI. Als Pfarrer während der Kriegszeit in Rypin

    Berufen in eine der „besten Gemeinden" in Polen

    Aufzug in Rypin — 1940

    - EXKURS: Der Vorgänger Waldemar Krusche

    Neue Kirchenzugehörigkeit für die lutherischen Gemeinden

    Die Eigenheiten der Gemeinden der Evangelisch-Augsburgische Kirche Polens

    Kirchliche Sensibilität des Danziger Konsistoriums trotz NS-Parteizugehörigkeit

    - EXKURS: Wie die Nazis der kirchlichen Jugendarbeit Knüppel zwischen die Beine warfenl

    SECHSTES BUCH: Schockstarre durch den Terror von Selbstschutz und SS

    XII. Das Schreckensregiment der volksdeutschen „Selbstschutz"-Milizen

    - EXKURS: Das „Folterhaus des Selbstschutzes" in Rypin – von Jürgen Taegert

    - EXKURS: Auch Gemeindeglieder waren beim terroristischen „Selbstschutz"

    - EXKURS: Das Wüten des deutschen Selbstschutzes - von Jürgen Taegert

    Alltags Mordschützen, sonntags fromme Beter im Gottesdienst?

    - EXKURS: Manche Kantorenlehrer hatten zwei Gesichter – von Jürgen Taegert

    Als Polnisch-Dolmetscher am Wehrdienst vorbei

    Superintendent im Kirchenkreis Leipe 1942 – 1944

    Euer Pastor soll sich in acht nehmen, sonst kommt er ins KZ

    SIEBTES BUCH: Von Schutzengeln geleitet: „Deutschlandreise" 1945

    XIII. Evakuierung und Flucht aus dem Osten - Ereignisse 1944/45

    Eine weitsichtige Entscheidung 1944: Trennung und Zuflucht der Familie in Erlangen

    Russische Offensive und Vorbereitung der Evakuierung

    Glockenläuten wegen Panzeralarm und Räumung der Ortschaft Rypin

    Eine Fahrt im Kreise mit den Pfarramtsakten im letzten Zug von Rypin

    Rückkehrer fallen der Wut der Polen zum Opfer

    Zurück zur Kirchenleitung nach Danzig

    Bei der Gemeinde bleiben auch in der Diaspora

    „Harre meine Seele" – Trost inmitten Chaos und Elend

    - EXKURS: Verpflegung für Flüchtlinge mit der „Reichsurlaubskarte

    Übernachtung im pommerschen Gutshof

    Gemeinde durch Flucht in alle Winde zerstreut

    Fügungen auf dem Weg nach Erlangen: Auf einem Kranwagen der Luftwaffe

    Dem größten Bombenangriff auf Berlin um Haaresbreite entgangen

    Wiederbegegnung mit dem Vater

    Die Bewahrung der Angehörigen

    Der Zerstörung des Landeskirchenamtes Ansbach knapp entkommen

    - EXKURS: Krach um die Benennung der Bischof-Meiser-Straße

    Vertriebenen-Schicksale

    XIV. Beruflicher Neubeginn und Kriegsende in Franken März 1945

    Amtsaushilfe in Erlangen-Bruck

    - EXKURS: Die letzten Kriegsereignisse in Erlangen-Bruck im April 1945

    Gottesdienst beim Vordringen der Front

    Die weiße Fahne am Brucker Kirchturm

    Amtsaushilfe in Erlangen-Altstadt

    - EXKUS: Die Erlanger „Stadtrandsiedlung" – ein Arbeiter- und Kirchenprojekt

    Wohnung in Erlangen

    Familie und Verwandtschaft nach Kriegsende

    Gewagte Grenzübergänge auf der Suche nach den Spahljungen

    Wohnen in der Stadtrandsiedlung

    ACHTES BUCH: Eine Lanze für die Flüchtlinge

    XV. Eine Lanze für die Flüchtlinge in der Gemeinde

    Vorwort

    Wer sind die Flüchtlinge?

    Die „reichsdeutschen" Flüchtlinge

    Die sogenannten Volksdeutschen Flüchtlinge

    Zur Psychologie der Flüchtlinge

    Das Trauma von Flucht und Vertreibung

    Die Zerreißung der Familien

    Der Verlust

    Die Entwurzelung

    Flüchtlingsnot und christliche Gemeinde

    Die Gemeinde als neue Heimat

    Gottesdienst und Verkündigung

    Eine Anmerkung

    XVI. Das Mädchen ohne Füße - Drama einer Flucht 1945 ohne Aussicht

    Einführung

    Erster Brief - Rummelsberg, den 15. November 1947

    Anweisung zum Aufbruch kam zu spät

    Von der Roten Armee eingeholt

    Zurückgeschickt!

    Tod im Winterwald

    Zweiter Bericht von Martha Schwarz

    Aufgefangen im Abgrund

    Was hast du verbrochen?

    Nach wilden Gerüchten vom Mob fast zur Erschießung verurteilt

    Die Füße selbst amputiert

    Pfingsten – Ermutigung gegen Selbstmitleid

    Zwei Jahre in der Dorfschmiede unter Obhut von „Vater Brenner",

    Abgeschoben und vertrieben aus der Heimat Polen

    In Rummelsberg wieder im Leben angekommen

    XVII. Familiengeschichtl. EXKURS: Das weitere Schicksal von Brüdern und Schwager

    Mein Bruder Otto

    - EXKURS: Baruth und das letzte Gefecht der Deutschen

    Mein Bruder Johannes

    - EXKURS: „Onkel Fredek" – ein Überlebenskünstler voller Geheimnisse

    Ein unterhaltsamer Zeitgenosse mit festen Gewohnheiten

    Als Dolmetscher in geheimer Mission

    Konspirativer Einsatz im Kaukasus

    „Feuerwehreinsatz" beim Rückmarsch

    Begehrter Dolmetscher bei den Sowjets

    Beim Festbankett der Sieger

    Verschleppt ins russische Kriegsgefangenenlager

    Heimatsehnsucht trotz Reiselust bis ins Alter

    Gut aufgehoben in seiner verständnisvollen Familie

    NEUNTES BUCH: Erfüllte Zeit

    XVIII. Als Pfarrer in Roth – 1947-1965

    Lebens- und Dienststationen um Nürnberg nach dem Krieg: Landkarte

    Amtsantritt und Arbeit auf der zweiten Pfarrstelle Roth

    - EXKURS: Kleine Geschichte der Stadt Roth

    - Die gotische Stadtkirche

    Freundliche Hausgenossen, aber dicke Luft

    - EXKURS: Gerüche von geschichtlicher Brisanz - Roth und das KZ Auschwitz

    Familienheimat Roth

    August 1961 – Bau der Berliner Mauer und Schließung der deutsch-deutschen Grenze

    Eine Riesenlast an Gemeindeaufgaben und Unterricht

    Erholung als Kurprediger und weitere Dienste

    Bernlohe erhält eine Kirche

    Mitarbeit der Ehefrau in der Frauenarbeit

    Aufbau von Männerarbeit

    Ein Diakon für die Jugendarbeit

    Vertretungen und Überlegungen für einen Wechsel

    XIX. Zehn Jahre Pfarrer in Katzwang – 1965-1975

    - EXKURS: Katzwang -eine evangelische Marienkirche mit katholischem Patronat

    Neue Schwerpunkte: Kindergarten, Jugendarbeit, Erwachsenen- und Altenarbeit

    Ausbildung und Lebensweg der Kinder:

    - Reinhard, der Erzmusikant, ist allzu früh vollendet

    - Peter, der Menschenfreund und Arzt, weiß immer auch einen guten medizinischen Rat

    - Eva-Marie weiß, was sie will und ist auch der Musik verfallen

    - „Dorle" - eine Säule der weltläufigen Familie

    - Martin ist ein Original mit politischer und weltanschaulicher Allround-Kompetenz

    Gesundheitliche Probleme am Ende der Dienstzeit

    Ein aktiver Un-Ruhestand in Wolkersdorf nach Ostern 1975

    Verbindungen zur alten Heimat

    - EINSCHUB: Laudatio für Hugo Karl Schmidt zur Verleihung des „Dr. Kurt-Lück-Preises"

    Freundschaften im Alter

    Kurpredigerdienste

    XX. Goldene Hochzeit am 25. Okt. 1986

    Goldene Hochzeit

    Predigt zur Goldenen Hochzeit

    ZEHNTES BUCH: Grenzen, Fügungen und das Wunder geschenkter Jahre

    XXI. Rückblick (1993): Bilanz — Grenzen und Hilfe

    Ein tiefer Einschnitt: Herzinfarkt 1989

    Anmerkungen zu den besonderen Zeitumständen im Jahr 1989

    Ein kleiner Tod

    Gott legt uns eine Last auf, aber er hilft uns auch

    Wunderbare Fügungen

    In Ängsten - und siehe, wir leben

    XXII. Das Wunder geschenkter Jahre - 2001

    Neuorientierung nach der Begegnung mit dem eigenen Tod

    Abschied vom Lebensmittelpunkt, und dass danach noch etwas kommt

    Auch im Alter der Berufung entsprechen

    Auflebende Beziehungen

    Das Alter aktiv gestalten

    Schachspiel für den Heimprospekt

    Tageslauf im Seniorenhof Büchenbach unter neuer Leitung

    Gemeinsam Geburtstag feiern

    XXIII. Geschichten vom Papa Hugo und Mama Edith

    Peter erinnert sich: „Schubertlieder in der Sonntagsfrühe"

    „Bergsteigen an der Kampenwand"

    „Schwarzfahrt mit dem Käfer"

    Eva-Marie erinnert sich: Sulzbürg – Erholungsurlaub mit Mutti

    Mein schönstes Erlebnis mit Papa

    Dorothea - Erinnerungen an meinen Vater: „Schaukeln am Sessel"

    „Geburtstag mit Papa

    Martins wichtigste Erinnerung: „Dank Papa wieder ‚im Bilde‘"

    Jürgen erinnert sich an Schwiegervater und Schwiegermutter: „Slibowitz und Theologie"

    „Ein Schwiegersohn, den Mama nicht heiratet"

    XXIV. ABSCHIED

    À Dieu - Gott befohlen! – Abschiedswort von Hugo Karl Schmidt

    Und wie dieser Abschied von Hugo Karl Schmidt wirklich war

    Der Schlaganfall verändert alles

    Leben wie in einer anderen Welt

    Der letzte gemeinsame Familiengeburtstag

    Zum Sterben vorbereitet mit Weihnachtsliedern

    Der Segen des Vaters für die Kinder

    Kein Tag wie jeder andere

    Beerdigung mit dem Familienchor

    - LEBENSLAUF

    - NACHRUFE in den Zeitungen:

    - „Das Ordentliche ordentlich machen"

    - „Ein Vorbild für die Nachfolgenden"

    - „Sein Leben und Werk gewürdigt"

    ANHANG:

    XXV. Bibliographie Hugo Karl Schmidt

    Hauptwerke

    Veröffentlichungen zum Thema „Wolhynien" in Zeitschriften u.ä.

    Veröffentlichungen zum Thema „Kirchenkreis Rypin-Westpreußen und „Flüchtlinge

    Anspiele

    Rezensionen

    Über H.K.Schmidt

    Ergänzende Informationen

    XXVI. Beigaben

    Lieder von Gustav Seidel: „Hymnus, „Waldlust

    „Acht Generationen" - Stammtafel Schmidt-Bredow

    Lebens-Bilder heute: Die Nachkommen des Gottfried Schmidt und der Emilia Seidel

    Über den Inhalt des Buches

    Über den Autor Hugo Karl Schmidt

    Über den Herausgeber

    Texte von Jürgen Taegert und anderen Verfassern in diesem Buch:

    Landkarte Wolhynien 1938/44

    Landkarte Tuczyn 1928

    „In Ängsten - und siehe wir leben"

    Die Bewährung des Apostels in seinem Dienst

    Aus dem zweiten Brief des

    Apostels Paulus an die Korinther 6, 1-19

    Als Mitarbeiter aber ermahnen wir euch,

    dass ihr die Gnade Gottes nicht vergeblich empfangt.

    Denn er spricht (Jesaja 49,8):

    "Ich habe dich zur Zeit der Gnade erhört

    und habe dir am Tage des Heils geholfen."

    Siehe, jetzt ist die Zeit der Gnade,

    siehe, jetzt ist der Tag des Heils.

    Und wir geben in nichts irgendeinen Anstoß,

    damit unser Amt nicht verlästert werde;

    sondern in allem erweisen wir uns als Diener Gottes:

    In großer Geduld, in Trübsalen, in Nöten, IN ÄNGSTEN,

    in Schlägen, in Gefängnissen, in Verfolgungen,

    in Mühen, im Wachen, im Fasten,

    in Lauterkeit, in Erkenntnis, in Langmut,

    in Freundlichkeit, im heiligen Geist, in ungefärbter Liebe,

    in dem Wort der Wahrheit, in der Kraft Gottes,

    mit den Waffen der Gerechtigkeit zur Rechten und zur Linken,

    in Ehre und Schande; in bösen Gerüchen und guten Gerüchten,

    als Verführer und doch wahrhaftig;

    als die Unbekannten, und doch bekannt;

    als die Sterbenden UND SIEHE, WIR LEBEN;

    als die Gezüchtigten, und doch nicht getötet;

    als die Traurigen, aber allezeit fröhlich;

    als die Armen, aber die doch viele reich machen;

    als die nichts haben, und doch alles haben.

    EINFÜHRUNG

    Ein Buch voller Wunder in einer Welt voller Schrecken 1909-2009

    - von Jürgen Taegert

    Ein eindrückliches Titelbild ziert dieses Buch. Die Vorlage heißt „Der große Treck" und stellt die Ankunft der wolhyniendeutschen Umsiedler im Januar 1940 in den Lagern um die Stadt Ł ÓDŹ in Mittelpolen dar. Aus Gründen, über die noch nachzudenken sein wird, habe ich aber das Originalmotiv bewusst um 180° horizontal gewendet.

    Wir sehen, wie ein Mann in wärmendem Pelz im Morgengrauen auf die Stadt ŁÓDŹ zugeht, die mit ihrer mystischen Silhouette der Basilika St. Stanislaus Kosta schemenhaft aus dem Frühnebel auftaucht. Links und rechts seines Weges sind, soweit das Auge reicht, Planwagen und beladene Bauernwagen abgestellt und abgeschirrt. Zwei einsame Menschen stehen etwas entfernt wartend und fragend am Weg. Ein dunkler Doppelspänner kommt ihnen von Ferne entgegen. Sonst ist die Szene menschenleer.

    Der Pinselstrich ist expressiv und rau, das Motiv wirkt keineswegs heroisierend, wie man es von Künstlerbildern der Hitlerzeit vielleicht erwarten würde. Hier wird kein Paradies und kein Heldentum dargestellt, eher ein von Kälte und Härte gezeichnetes Leben in Wartestellung, das fragt, wie es weitergehen soll.

    Ob HUGO KARL SCHMIDT dieses Bild gekannt hat, muss hier offenbleiben. Immerhin waren Werke des Künstlers OTTO ENGELHARDT-KYFFHÄUSER (1884-1965) auf der „Großen Deutschen Kunstausstellung 1940 im Haus der Deutschen Kunst in MÜNCHEN ausgestellt; hier wollte HITLER „deutsche klare Kunst von den „zersetzenden Tendenzen der „entarteten Kunst der „vorgeschichtlichen prähistorischen Kultur-Steinzeitler und Kunststotterer getrennt und unterschieden wissen. Außerdem waren Engelhardts Bilder dann vor allem bei der ersten Ausstellung eines deutschen Künstlers im besetzten Polen vom 2.-12. Februar 1940 in der Krakauer Kunsthalle zu sehen. Und im weiteren Verlauf des Jahres 1940 wurde auch eine ständige Ausstellung seiner Bilder unter dem gleichen Titel „Der große Treck im Ständehaus in GÖRLITZ eröffnet. Nicht zuletzt ließen sich die Nazis 1940/41 aber von Engelhardts Bildmotiven zu ihrem großen propagandistischen Spielfilm „Heimkehr" inspirieren und setzen dafür die Filmgrößen ihrer Zeit ein, wie PAULA WESSELY, PETER PETERSEN, ATTILA HÖRBIGER, RUTH HELLBERG, CARL RADDATZ u.v.a.m.

    Was malt der Künstler hier, und was hat ihm mit solchen ernst gestimmten Bildern ausgerechnet bei den Nazis solchen Ruhm beschert? Es war Hitlers raffinierter Propagandaminister JOSEF GOEBBELS, der den Maler ENGELHARDT, der sich als regimetreuer Nazi offenbart hatte, im Januar 1940 mit einer makabren Mission beauftragte: Er sollte die „Rückführung" der über 60.000 Wolhyniendeutschen aus den Gebieten, die nach dem geheimen Zusatzprotokoll des Hitler-Stalin-Paktes der Sowjetunion zufallen sollten, begleiten und in seinen Skizzen und Zeichnungen festhalten.

    Es war durchaus Absicht der Nazis, dass diese Umsiedlung „heim ins Reich voll in die kälteste Jahreszeit von Weihnachten 1939 bis Mitte Januar 1940 fiel. Auch wurde den Ausziehenden damals keinerlei Unterstützung von außen zuteil; vielmehr wurde ihnen Beistand bewusst verweigert, mit der Begründung: „Es ist ja Krieg, wir brauchen unsere Transportmittel für unsere Truppen an der Front. So waren diese Exulanten voll auf sich selbst gestellt und mussten entsprechende bittere Schläge hinnehmen, wie auch die diesbezüglichen dramatischen Berichte in den folgenden „Lebenserinnerungen" zeigen.

    So entstehen damals in der Wirklichkeit für den Film „lebensechte Bilder voller Anspannung und Dramatik. Sie schildern die Auseinandersetzung der Menschen mit den Naturgewalten im Kampf ums Überleben. Es sind Bilder „nach dem Herzen des Führers; er will sein Volk in diesem Kampf um die Überlegenheit der arischen Rasse siegen oder untergehen sehen.

    Hitlers Geschichtsdenken ist ja auf makabre Weise von seinem Glauben an einen Sozialdarwinismus bestimmt, in dem das überlegene Volk Anspruch auf Herrschaft über die übrige Menschheit hat. „Deutschland wird Weltmacht oder gar nicht sein, so hatte Hitler einst bei seinem Gefängnisaufenthalt in Landsberg 1924 profezeit, nach dem Motto: Alles oder nichts. In seinen letzten Tagen im Führerbunker in Berlin eine knappe Generation später im April 1945 wird er die Niederlage und Zerstörung Deutschlands konsequenterweise als „verdienten Untergang seines Volkes bezeichnen, das sich zu seiner großen Enttäuschung als das Schwächere erwiesen habe.

    Künstler mit Spezialauftrag: Otto Engelhardt-Kyffhäuser als Berater der Dreharbeiten des Nazi-Propagandafilms „Heimkehr" 1941; hinter ihm die Gestalt des fellbekleideten Wolhyniers, der auch das Titelbild ziert

    Die Bilder, die bei der Umsiedlung 1940 entstanden sind, zeigen den ganzen existenziellen Einsatz und das tiefe Leid von Menschen. Diese Bilder werden nach dem Krieg als „Ikonen der Vertreibung" missbraucht und müssen seitdem immer wieder in verschiedensten Veröffentlichungen auch renommierter Verlage völlig anachronistisch und unkritisch zur Darstellung der deutschen Flucht und Vertreibung im Osten 1945 herhalten, welch makabere Zweckentfremdung!

    Die Geschichten in diesen Bildern vom Januar 1940 werden im Film ergänzt durch Szenen über Gräueltaten, welche die Nazis den authentischen Erlebnissen der Wolhynier abgelauscht und nun bewusst tendenziös zu einer Handlung verdichtet haben. Es könnten durchaus auch Aussagen von HUGO SCHMIDT und seinen Gemeindegliedern und Kollegen verwertet worden sein. Die gutgläubigen Wolhynier, die von solcher Zweckentfremdung ihrer Zeugnisse nichts ahnten, wurden damals von GOEBBELS gezielt für die Kriegspropaganda gegen Polen und dann vor allem „gegen den Bolschewismus" instrumentalisiert.

    Genau zu dem Zeitpunkt, als HITLER im Jahr 1941 seinen Feldzug gegen Russland beginnt, kommt der 3,7 Millionen Reichsmark teure, nach heutigem Geldwert etwa das Zehnfache kostende Film in den deutschen Kinos heraus und soll den Deutschen den wahren Kriegsgrund im Ostfeldzug vor Augen führen, nämlich das „Untermenschentum der slawischen Völker", denen gegenüber es nur einen Kampf ums Überleben der Deutschen mit allen Mitteln geben könne

    Betrachten wir die Handlung dieses Films genauer: Im Mittelpunkt steht die wolhyniendeutsche Minderheit in der Woiwodschaft LUCK, die dem Gebiet von ROWNO und TUCZYN, in dem HUGO SCHMIDT seinerzeit wirkte, unmittelbar westlich benachbart ist. Die Deutschen dort werden nach der Aussage dieses Films von der polnischen Mehrheit drangsaliert. Dem deutschen Arzt erlaubt man für notwendige Operationen nicht die Nutzung des örtlichen Krankenhauses. Seine Tochter MARIE, die, wie die damaligen kirchlichen Kantorlehrer, an der deutschen Schule unterrichtet, muss erleben, dass ihre Schule staatlicherseits von Polen enteignet und von aufgebrachten Volksmassen demoliert wird. Sie beruft sich ohne Erfolg beim polnischen Bürgermeister auf den verfassungsmäßig garantierten Minderheitenschutz und will deshalb ihr Anliegen bei der nächsthöheren Ebene in der Hauptstadt vorbringen, findet dort jedoch ebenfalls kein Gehör.

    Als sie mit ihrem Verlobten FRITZ und einem von der polnischen Armee zwangsrekrutierten Deutschen den Aufenthalt in LUCK für einen Kinobesuch nutzt, erlebt sie, dass alle Anwesenden dort die polnische Nationalhymne singen und von den anwesenden Deutschen das Gleiche erwarten. Als sie sich weigern, werden sie vom aufgebrachten Mob angegriffen, der Verlobte FRITZ wird schwer verletzt und stirbt, nachdem er im Krankenhaus abgewiesen wird. Danach eskalieren die Gewalttätigkeiten gegen die deutsche Minderheit; eines ihrer Opfer wird auch Maries Vater.

    Die Deutschen wollen dann heimlich in einer Scheune Hitlers Reichstagsrede vom 1. September 1939 hören, sie werden ertappt und ins Gefängnis geworfen. Die Wachmannschaften misshandeln sie und treiben sie in einen Folterkeller voller Wasser, wo sie knapp einem Massaker entgehen. Deutsche Soldaten befreien sie in letzter Sekunde. Dann beginnen die Vorbereitungen für die Umsiedlung mitsamt einigen dramaturgischen retardierenden Momenten. Schließlich passiert der Treck der Wolhyniendeutschen die Grenze zum deutsch besetzten polnischen Warthegau, über dessen Grenzstation, einem Triumphbogen gleich, ein riesiges Hitlerbild prangt und sie willkommen heißt.

    Den Wolhyniendeutschen war der Zweck des eigentümlichen Besuchs des Künstlers OTTO ENGELHARDT vor der Bild- und Filmherstellung nie klar, sie betrachteten seine Anwesenheit als ehrliche Anteilnahme an ihrem Geschick. Und so konnten viele Wolhyniendeutsche auch seinem Ergebnis in Form der Bilder und der dramatischen Handlung des Films nichts Schlimmes abgewinnen, sie hatten ja alles genauso erlebt, wenn auch nicht so verdichtet, sondern aufgeteilt in unzählige Einzelerzählungen.

    So blieb den meisten Filmbesuchern die heimtückische Absicht der psychologischen Kriegsführung der Nazis verborgen. Nur einzelne sahen das Machwerk mit eher gemischten Gefühlen und befürchteten, es könnte gegenseitige Hassgefühle im Zusammenleben von Polen und Deutschen wecken. Anderen sprach der Film aus der Seele, und sie stellten sich dem System sogar für vergleichbare Taten der Revanche zur Verfügung, die sie vorher bei den Polen so energisch gebrandmarkt hatten.

    Wenn ich Engelhardts Bild für den Titel um 180° gewendet habe, so auch, um zu dokumentieren, wie kritisch man allem Bildmaterial von damals gegenüberstehen muss. Mit manchen Bildern wurde seinerzeit – und wird noch heute – viel Missbrauch getrieben. Ein Nebeneffekt dieser Bild-Wende: Nun schaut der Mann nicht mehr nach Osten, wohin er noch 1940 in Erwartung von zukünftigem „Lebensraum" blickte, sondern er blickt nach Westen, wo er nach dem Debakel des Hitlersystems ohne großes Fragen dann wirklich bei seiner zweiten Flucht meist offene Aufnahme fand und neu beginnen konnte.

    Einzug unter Führerbild - Schlussbild des Films „Heimkehr": Der Treck der Wolhyniendeutschen passiert des Triumphbogen ihres „Befreiers" Hitler

    Für HUGO SCHMIDT blieb die ganze anfechtungsreiche Umsiedlung in ihren Konsequenzen auch ein Glaubensrätsel. Er könnte auch der Mann in der Mitte des Bildes von Maler ENGELHARDT sein, wenn er als Pfarrer nach der Umsiedlung auf die Suche nach seinen anvertrauten Schäflein geht, die ab jetzt von den Nazis bewusst in alle Winde zerstreut wurden, um sie wehrlos zu machen.

    Wäre es nach Hugo Schmidts Willen gegangen, dann hätte er versucht, seine Gemeinde beim Exodus zusammenzuhalten. Er wäre auch unter denen gewesen, die damals mit Pferd und Wagen getreckt hätten, das Pferd hatte er schon gekauft. Doch weil er nicht lange genug Pferdebesitzer war, hatten ihm die Nazis diese Form des Auszuges untersagt und ihn auf die Eisenbahn verwiesen. Hier war er dann im „Pullmannzug gestartet, in der Meinung, das große Los gezogen zu haben. Doch mit dem Umsteigen an der Grenze begann auch für ihn das gleiche Leid, wie für die mit Pferd und Wagen Treckenden. Bei Minusgraden in alten ungeheizten Waggons ging die Reise ins vermeintlich „gelobte Land nur zögerlich weiter. Und bei dieser Bahnfahrt starben wohl mehr Kinder und Alte, als in den Leiden dieses „Großen Treck" mit Pferd und Wagen. Doch von diesen vielen Toten berichteten Propaganda und Presse damals nichts.

    Kann also der Mensch das Geheimnis der Geschichte enträtseln und für sich immer den besten Weg wählen? HUGO SCHMIDT hat sich ein anderes Lebensprinzip zu Eigen gemacht: das Prinzip der Dankbarkeit und des Gottvertrauens auch gegenüber dem Handeln des „verborgenen Gottes. Gott sitzt für ihn trotz allem „im Regimente, auch wenn der Mensch es nicht immer versteht. Gleichzeitig soll der Mensch seinen klaren Verstand, seine praktische Vernunft und seine volle Energie für die Menschen anwenden, die ihm anvertraut sind.

    So sehen wir HUGO SCHMIDT damals auch immer wieder zu aberwitzigen Reisen aufbrechen, um für diese ihm Anvertrauten da zu sein und sie retten. Aber im Letzten hält er doch alle Wendungen seines Lebens für Fügungen und große Wunder, für die man nur Gott allein danken kann. Alle die Seinen sind am Ende wirklich gerettet worden. Als ein „Buch voller Wunder" versteht er deshalb in der Rückschau seine Lebenserinnerungen.

    Mögen diese Zeitzeugen-Texte heute im ersten Moment wie Zeugnisse aus einer anderen Welt empfunden werden - bei ein bisschen vertieftem Nachdenken werden unerhört viele Parallelen zur gegenwärtigen Weltlage sichtbar, die voller täglicher, von Menschen gemachter Schrecken ist. Ihnen gegenüber will sich der christliche Glaube auch heute als Anker und verlässliches „Navi" erweisen.

    Jürgen-Joachim Taegert,

    Kirchenpingarten 2015

    Vorwort der Herausgeber in der 1. Auflage von 2001

    Ein über 90 Jahre währendes, bewegtes Leben liegt in den 20 Kapiteln dieser „Erinnerungen" ausgebreitet vor uns. Persönliche Lebensphasen und Wendepunkte sind vor dem zeitgeschichtlichen Hintergrund tagebuchartig notiert.

    Mit zwei Weltkriegen und den jeweiligen Vor– und Nachkriegszeiten berührt der Verfasser, Pfarrer i.R. Hugo Karl Schmidt, unser Vater bzw. Schwiegervater, dramatische Zeiten europäischer und deutscher Geschichte im abgelaufenen Jahrhundert. Er erinnert an Vergangenes, dessen Gedächtnis bewahrt zu werden verdient, und er bezeugt, was bleibt. Das Leben der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Deutschland und in Polen, das Engagement ihrer Pfarrer und Mitarbeiter in dieser Zeit und ihre Treue zu ihren Gemeinden und zu ihrem Auftrag wird lebendig. So verweist er uns auf Fundamente unseres eigenen Lebens und Glaubens, auf denen wir heute bewusst oder unbewusst weiter bauen.

    In Wertschätzung seiner Person und in Respekt und Mitgefühl für das Erlebte hat es uns Freude gemacht, seine Aufzeichnungen zu sichten und zunächst für den engeren Kreis der Familie und Interessierten zu veröffentlichen. Wir haben das bislang unveröffentlichte Manuskript mit Bildern aus den Familienalben und anderen Quellen ergänzt und in der Form von thematischen Kapiteln zusammengestellt. Die Originaltexte des Verfassers sind an einigen Stellen behutsam überarbeitet und mit Zwischenüberschriften und Bildunterschriften in Verantwortung der Herausgeber ergänzt worden.

    Wir staunen, welch weite und gefahrvolle Wege Gott seine treuen Diener und Mitarbeiter manchmal führt und wie er sie in Zeiten der Not begleitet und segnet. So können wir auch in unserer Zeit die Wahrheit des Wortes Gottes mit dem Apostel Paulus bezeugen:

    „In Ängsten, - und siehe wir leben".

    Die Herausgeber Jürgen-Joachim Taegert, Dorothea Taegert und Martin Schmidt-Bredow - Gesees, Weihnachten 2001

    Hugo Karl Schmidt - Vorwort, an die Kinder gerichtet - 1987

    Liebe Kinder!

    Aus der Anrede erkennt Ihr, für wen die Lebenserinnerungen geschrieben werden: für Euch! Ihr sollt wissen, woher Eure Eltern kommen und wie sie einmal dort lebten.

    Gewiss haben sich die Zeiten überall geändert. Doch da Polen heute keine Deutschen in seinen Grenzen duldet, werden solche Lebenserinnerungen in absehbarer Zeit wie „Geschichten, wie aus einer anderen Welt" erscheinen, sie werden kaum glaubhaft sein. Darum schreibe ich nieder, was ich erlebt habe und hoffe, dass Ihr mir glaubt.

    Zu dem Zeitpunkt, da diese Zeilen geschrieben werden, ist der größte Zeitabschnitt - die Zeit in Polen - bereits erfasst. Da ich, wie Ihr wisst, noch in mannigfacher Weise tätig bin, schreibe ich eben nur noch gelegentlich an den Lebenserinnerungen weiter. Es kann sein, dass ich sie nicht abschließe. Es könnte besonders die Zeit nach der Flucht in Deutschland zu kurz kommen - und das ist vorwiegend Eure Lebenszeit. Diese unterscheidet sich aber nicht sehr viel von dem Leben Eurer gleichaltrigen hier geborenen Zeitgenossen und dürfte weniger fremd sein. Doch will ich sehen, was sich tun lässt und Eure Zeit mit uns keineswegs absichtlich auslassen.

    Diese einleitenden Zeilen wurden geschrieben am 13. Oktober 1987 am Ruhestandswohnsitz in Schwabach-Wolkersdorf.

    Euer Vater Hugo Karl Schmidt, geboren am 22. 11. 1909 in Łódź im damaligen Russisch-Polen.

    Nachtrag 1 - 1993

    Es ist tatsächlich gelungen, diese Lebenserinnerungen zu einem gewissen Abschluss zu bringen. Dass dies nach einem 1989 erlittenen Herzinfarkt mit Bypass-Operation noch möglich wurde, ist zweifellos dieser Krankheit zu verdanken (!), die mich hinterher zwang, verschiedene Aufgaben abzugeben. Dabei fand ich die nötige Muße, sowohl meine kirchengeschichtliche Arbeit abzuschließen, als auch diese Lebenserinnerungen fortzusetzen und zu einem gewissen Abschluss zu bringen. Was nun bis zum Tode erfolgt, wird wohl nicht mehr schriftlich festgehalten werden.

    - Wolkersdorf, am 11. Februar 1993 hks

    Nachtrag 2 - 2001

    Der gütige Schöpfer des Lebens hat es erlaubt, auch manches aus der Zeit nach 1993 noch zu Papier zu bringen. So erneuert und rundet sich unser Leben aus den Quellen, wie der Apostel Paulus sagt: „In Ängsten, - und siehe wir leben".

    - Büchenbach / Gesees 2001 hks / jt

    Nachtrag 3 - 2002

    Die erste Herausgabe der „Lebenserinnerungen in Buch- und Heftform zu Weihnachten 2001 hat dem Verfasser, Hugo Karl Schmidt, viel Freude gemacht und zu manchen interessierten Rückfragen geführt. Dem Verfasser liegt nicht daran, seine Person oder sein Schicksal besonders herauszustellen, sondern darzustellen, wie durch Gottes Führung manches Unerwartete und Schwere doch immer wieder zu einem guten Ende gekommen ist. Dafür möchte er mit uns Gott loben und danken. Er hat deshalb im Februar eine weitere nachträgliche „Vorbemerkung geschrieben:

    Nachträgliche Vorausbemerkung von Hugo Karl Schmidt (2)

    Die von mir verfassten Lebenserinnerungen sind in erster Linie für meine Kinder gedacht. Diese wurden von meinen Kindern, Dorothea mit ihrem Mann Pfarrer Jürgen Taegert und Tochter Anne, und sowie Martin Schmidt-Bredow, zu einem 204 Seiten umfassenden Buch zusammengefasst, wofür ich ihm und allen Beteiligten sehr dankbar bin. Als biblisches Motto hat mein Schwiegersohn den treffenden Bibeltext aus 2. Korinther 6 vorangestellt: „In Ängsten - und siehe, wir leben".

    Um Missverständnissen vorzubeugen, weise ich darauf hin, dass es mir nicht um eine nostalgische Reminiszenz nach dem Motto Wilhelm Buschs geht: „Gehabte Schmerzen hat man gern". Obwohl ich nicht leugnen kann, dass ein Stück Egoismus sowohl im Leben wie auch in der Beschreibung eine Rolle spielte, das aber Gott oft zurechtrückte.

    So wollte ich z.B. mit der freiwilligen Meldung als Dolmetscher einen günstigeren Status im Offiziersrang und nicht als einfacher Soldat haben. Dabei steht mir noch heute das Entsetzen meiner Frau vor Augen, die meine freiwillige Meldung nicht begreifen konnte. Dass aber gerade dies meine Einberufung verhinderte, konnte niemand ahnen.

    Die von einer Leserin als „Mut bezeichnete Suche der Spahlsjungen (s.u. „Gewagte Grenzübergänge …) war nur möglich, weil mir Pfarrer Missol, der gerade aus der Gefangenschaft gekommen war und noch ohne Amt war, seine Vertretung angeboten hatte.

    Um mein Tun in das rechte Licht zu setzen, stelle ich diesen Erinnerungen noch Psalm 103,2 voran:

    „Lobe den Herrn, meine Seele, und vergiss nicht, was er dir Gutes getan hat."

    Hugo-Karl Schmidt

    Büchenbach, im Februar 2002

    Nachtrag 4 - 2015

    Nach über 99 von Dankbarkeit erfüllten Lebensjahren ist HUGO KARL SCHMIDT am 19. Jan. 2009 in Gegenwart seiner Kinder eingeschlafen. Auf dem Friedhof von Roth bei NÜRNBERG hat er an der Seite seiner Frau EDITH seine letzte Ruhe gefunden. Viele Freunde haben dort von ihm Abschied genommen.

    Diese zweite, stark vermehrte Auflage seiner Lebenserinnerungen ist seinem Andenken gewidmet.

    Am Originaltext der ersten Auflage von 2001 wurden nur die Korrektur von Rechtschreibfehlern und sprachliche Glättungen vorgenommen. Erweitert ist diese zweite Auflage aber um sehr viele aussagestarke Original-Fotos, etliche erklärende Kommentierungen, ergänzende Exkurse und Berichte des Herausgebers und anderer nahestehender Personen, die im Anhang noch einmal gesondert ausgewiesen werden. So entsteht ein anschauliches und verständliches Bild einer „Geschichtsschreibung von unten" über eine Zeit, über die das Nachdenken trotz des mittlerweile großen historischen Abstandes noch lange nicht zum Abschluss gekommen ist.

    Denn wenn man die Erfahrungen des Ersten Weltkrieges mit einbezieht und sie bis zum ersten Einsatz von Atomwaffen 1945 auszieht, dann hat die Menschheit in dieser ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts „in Ängsten tief in den leibhaftigen Abgrund der von Menschenhand möglichen Hölle geblickt. Demgegenüber möchten Hugo Schmidts Lebenserinnerungen einen Gott preisen, der den Menschen immer wieder neu zur Umkehr ruft und ihm ermöglicht, aufzuatmend zu erkennen: „… und siehe, wir leben. In diesen Lobpreis soll jeder mit einstimmen, der das Gottvertrauen von Hugo Schmidt teilt: Als Sünder hat der Mensch keinen Anspruch gegenüber dem Leben, sondern lebt „allein aus Gnade".

    Jürgen und Dorothea Taegert,

    Kirchenpingarten 2015,

    Wo die „Lebenserinnerungen" spielen: Europäische Länder Deutschland, Polen, Weißrussland und Ukraine

    Straßenszene in Lódz 1914: Parade deutscher Soldaten

    Erstes Buch:

    Leben in Łódz

    — Vorfahren, Kindheit, Schulzeit —

    Lebenserinnerungen …

    Es könnte banal und überflüssig erscheinen, Lebenserinnerungen aufzuzeichnen, wenn hier nur das Durchschnittsschicksal einer binnendeutschen Familie angesprochen wäre. Aber es ist das Leben einer deutschstämmigen Sippe im Ausland zu beschreiben, genauer gesagt: in Polen.

    Immer wieder finde ich bei Gesprächen mit Kindern und Enkelkindern Vorstellungen über das Leben der Deutschen in Polen, die man aus der Sicht heutiger Verhältnisse zu rekonstruieren versucht, die aber der erlebten Wirklichkeit nicht entsprechen. Es geht um die stets aktuelle Frage, was Menschen als Gäste, Mitbürger und Fremde zwischen den Kulturen erleben, wie sie ihr Leben aus ihrer Religion und Kultur heraus zu gestalten versuchen, wie sie, ohne explizites eigenes Verschulden, zum politischen Spielball der Mächte werden und wie sie überleben.

    Nicht dass ich behaupten möchte, dass unsere Vorfahren und wir selber in Polen alles richtig gemacht hätten. Aber darum geht es nicht. Vielmehr will ich schildern, aus welcher Sichtweise und Einstellung heraus sie ihr Leben geführt haben und es eigentlich nicht anders führen konnten. Um diese eigene Sichtweise der Dinge in früherer Zeit geht es.

    I. Vorfahren väterlicherseits und der Vater Gottfried Schmidt

    Kantorlehrer mit schwäbischer Herkunft

    Dorf und Felder im Sechszehn-Eck: Kolonistendorf NEUSULZFELD östlich von ŁÓDŹ, heute eingemeindet

    Es ist nicht viel, was ich über die Vorfahren der weiter zurückliegenden Vergangenheit weiß. Denn mein Vater hat uns verhältnismäßig wenig davon erzählt. Was er erzählt hat, ist mir zwar einigermaßen in Erinnerung, doch muss ich mir einiges dazu reimen, um Klarheit zu finden. Und ob dieser Reim stimmt, kann ich nicht sicher behaupten.

    Die Vorfahren SCHMIDT sollen aus Schwaben stammen. In Erzählungen des Vaters kam für die Ansiedlung die Ortsbezeichnung NEUSULZFELD bei ŁÓDŹ vor.

    EXKURS:

    Nowosolna und seine ersten Siedler

    - von Jürgen Taegert

    Dieses N EUSULZFELD -N OWOSOLNA , im Herzen des heutigen Polen gelegen, ist seit 1988 als Stadtteil mit etwa 2.000 Einwohnern nach Ł ÓDŹ eingemeindet und liegt geographisch im Nordosten von ŁÓDŹ, etwa 10 km vom Stadtkern entfernt, auf dem Gebiet der Wzniesienia Łódzkie, einer Naturlandschaft aus eiszeitlich geformtem Hügelland bis 300 m Meereshöhe. Die Landschaft bildet die Wasserscheide zwischen Oder und Weichsel; das Flüsschen Miazga entspringt im Ortsgebiet.

    Das Dorf mitsamt den umgebenden Feldern ist von deutschen Kolonisten in den „preußischen Jahren nach der zweiten polnischen Teilung von 1793 zwischen 1801-1806 gegründet worden. Es ist in der ungewöhnlichen Form eines Oktaeders mit einem allseitigen Durchmesser von 4 km angelegt. Im jährlich dem preußischen König vorzulegenden „Generaltableau vom Fortgang des Kolonistenwesens in Südpreußen erscheint es zunächst an fünfter Stelle in der Liste des „Warschauer Cammer Department unter der Bezeichnung „Kolonie Wiaczyn im Amt Laznow und wird seit Juli 1803: „NEUSULZFELD" genannt.

    Der Grund dieser Namensgebung ist nicht ganz ersichtlich. Die Gemeindechronik von SULZFELD in Baden vermerkt zwar, dass im Jahre 1801 eine Gruppe von Siedlern aus SULZFELD ein Dorf östlich der damals zu Südpreußen gehörenden Stadt ŁÓDŹ gegründet hätte, das Neu-Sulzfeld genannt wurde. Doch sind hier in den ersten Jahren der Besiedlung nur zwei Siedler aus SULZFELD namentlich vermerkt. Die anderen kommen, sofern Ortsnamen mit angegeben sind, aus den schwäbischen Orten BODELSHAUSEN, DURLACH, FEUDENHEIM, HEILBRONN, ISENBURG, MÖTZINGEN, SAUNSHEIM, SCHRAMBERG, u.a.

    Die polnischen „Schwaben" kommen aus Baden und Württemberg: Herkunftsorte der Kolonisten von NEU-SULZFELD-ŁÓDŹ — Im Kreis: Aus FELDSTETTEN kommen die Schmidts

    Nach den Prinzipien des preußischen Siedlungswesens sollten die Siedler einer neu zu gründenden Ortschaft eigentlich möglichst aus derselben Gegend kommen, um von vornherein eine kooperative, gleichgesinnte Gemeinschaft zu bilden. Dies trifft aber in der tatsächlichen Praxis, wie die Karte zeigt, nur bedingt zu: Die Siedler kommen aus fast dem gesamten Großraum des heutigen Baden-Württemberg. Allerdings ist bei der Mehrzahl der Neuankömmlinge kein konkreter Ort benannt, sondern fast 70-mal nur die Länderbezeichnung „Württemberg eingetragen, und bei den ersten drei Siedlern der Ausdruck „Schwaben; hinter den nicht genannten Ortsnamen könnten sich natürlich auch Bürger von SULZFELD verbergen.

    Der Erfolg der ersten Siedler und die fantastischen Konditionen des preußischen Staates scheinen sich damals in der Heimat herumgesprochen zu haben. Denn nach zaghaftem Beginn 1801 mit drei Kolonistenfamilien und zusammen nur neun Personen steigert sich die Zuwanderung im Folgejahr auf 40 Familien. Im Jahr 1805 strömen sogar 45 Familien ein, unter ihnen als 10. die Sippe von JOHANN SCHMIDT mit zusammen neun Personen. Dieser JOHANN SCHMIDT kommt aus dem kleinen Dorf FELDSTETTEN auf der schwäbischen Alb in Württemberg, das heute nach LAICHINGEN knapp 30 km nordwestlich von ULM eingemeindet ist. Die Einwohner lebten damals von Landwirtschaft, Hausweberei und dem Betrieb zahlreicher Gastwirtschaften, die entlang der wichtigen West-Ost-Verbindung über die Alb lagen, welche damals noch mit der Postkutsche bedient wurde.

    Die Siedler brachten seinerzeit auch ihren protestantischen Glauben in der typisch schwäbisch-pietistischen Färbung mit und errichteten in NEU-SULZFELD zunächst einen Betraum und dann eine Kirche. Diese ungewöhnliche Holzkirche aus dem 19. Jh. mit der gemauerten Giebelseite und ihrem Dachreiter ist jüngst in das Freilichtmuseum von ŁÓDŹ transferiert worden und erstrahlt dort in neuem Glanz.

    Vielleicht hat August Schmidt hier als Kantorlehrer noch unterrichtet: Schule und Bethaus von NOWOSOLNA, erbaut 1869

    Der zentrale Platz des Ortes, an dem alle acht Straßen sternenförmig zusammen laufen, gilt heute als die Touristenattraktion des Ortes und als einzigartig im Städtebau Polens und ganz Europas. Auch die umgebenden Fluren sind in dieser auffallenden Form aus acht kreisförmig angeordneten, mit Wegen eingerahmten Segmenten angeordnet, die jeweils nochmals der Länge nach halbiert sind. Das lässt darauf schließen, dass es damals zunächst 16 schwäbische Familien waren, die sich hier angesiedelt haben. Als die bäuerlichen Vorfahren von HUGO SCHMIDT hinzustießen, dürften diese Strukturen schon weitgehend festgelegt gewesen sein; neue Siedler mussten dann in die weitere Umgebung ausweichen.

    Heute im Freiluftmuseum in ŁÓDŹ: Evangelische Holzkirche der ersten Siedler mit Steinfassade und Dachreiter aus NEUSULZFELD

    Für diese damalige Kolonisierungswelle, der sich diese Siedler anschlossen, hatten die Preußen, seit der zweiten polnischen Teilung 1793 Herren dieses Landes „Südpreußen", seit 1800 in großem Stil vor allem im südsüddeutschen Raum systematisch geworben und allen Bewerbern große Vergünstigungen angeboten.

    Die Siedler und ihre Söhne waren vom Wehrdienst befreit, sie mussten in den ersten Jahren keine Steuern zahlen und erhielten eine nach Meilen berechnete Wegstreckenunterstützung für die Anreise aller Familienmitglieder sowie finanzielle Zuschüsse zur Rodung des Landes; ihnen wurden ferner kostenlos Geräte zum Wirtschaften sowie Vieh zur Verfügung gestellt und Wohnhaus, Stall und Scheune auf Staatskosten errichtet. Für weitere Investitionen gab es zinsfreie Darlehen. Da die Süddeutschen keine eigene Erfahrung mit den notwendigen Rodungsarbeiten hatten, baten sie die schon länger hier siedelnden Deutschen, ihnen bei der Urbarmachung des Landes zu helfen. Diese Arbeiten konnten sie durch die Staatszuschüsse entlohnen.

    Neben solchen Gruppen von Bauern ließen sich auch manche Handwerker ins Land locken. Nachdem ein großer Teil der Einwanderer aus Schwaben kam, wurde der Ausdruck „Szwaby" in dieser Gegend bald zur Bezeichnung für Deutsche schlechthin.

    HUGO SCHMIDT stellte schon seinerzeit fest, dass die Liste der ersten Siedler dieser schwäbischen Siedlung auch den Namen SCHMIDT aufführt, mit mehreren Kindern, darunter eines mit dem Vornamen AUGUST. Dieser AUGUST SCHMIDT, so mutmaßte er, könnte sein Urgroßvater gewesen sein.

    Diese Vermutung dürfte zutreffend sein. Der Name „SCHMIDT kommt bei den Kolonisten von NEU-SULZFELD nur für eine einzige Familie vor. Es fällt auf, dass dieser scheinbare Allerweltsname in den Siedlungen im gesamten Raum dieses neuen „Südpreußen überhaupt eher selten ist; im Ganzen konnte ich ihn lediglich 34-mal finden. [Ende des Exkurses]

    Siedlungsorte der Vorfahren: Im Umkreis von 10-70 km um ŁÓDŹ lebten und arbeiteten die Vorfahren von Hugo Schmidt

    Die Tradition der männliche Erbfolge des ältesten Sohnes, die verhindern sollte, dass der elterliche Bauernhof und das Bauernland zerrissen und zerstückelt wird, brachte es dann mit sich, dass die nicht erbberechtigten Kinder sich anderweitig als Knechte und Mägde verdingen mussten oder ihr Interesse auf andere Berufe richteten. Das war insbesondere das Handwerk, aber auch der zunehmend bedeutsame pädagogische Bereich. So hat mein Vater berichtet, sein Großvater sei Lehrer gewesen.

    Es ist anzunehmen, dass dieser AUGUST SCHMIDT zu den sog. „Kantorlehrern im Dienst der Evangelischen Kirche gehörte, über deren besonderen Werdegang in Polen AUGUST MÜLLER in seinem Aufsatz „Das Lehrerseminar von seiner Gründung bis zum Ausbruch des ersten Weltkrieges im Büchlein „Das deutsche Lehrerseminar in Mittelpolen" schreibt¹:

    Kolo, Kirchort für Majdany: Straßenzug und Kirche in KOLO

    „Bei den der Kirche unterstehenden Kantoraten war die Sache verhältnismäßig einfach. Da holte sich der Pastor einen aufgeweckten jungen Mann heran, überhörte ihn, weihte ihn in seine Verrichtungen ein, stellte ihn der Gemeinde vor und überließ ihn sich selber. Von Zeit zu Zeit besuchte er ihn im Unterricht, ließ ihn die zehn Gebote abfragen, mit den Kindern einen Choral singen, überzeugte sich, wieweit die Kenntnisse der biblischen Geschichte waren, und die Sache hatte damit ihr Bewenden." ²

    Es ist gut vorstellbar, dass AUGUST SCHMIDT als nicht erbberechtigter Nachfahre einer eingewanderten, lutherischen Bauernfamilie bewusst ein solcher Kantorlehrer wurde. Zum Zeitpunkt seiner jungen Jahre um 1840 gab es freilich noch keine Lehrerbildungsanstalt für deutsche evangelische Lehrer. Anders dürfte es bereits bei seinem Sohn JOHANN SCHMIDT, geboren am 10. Juni 1846 in MAJDANY - Kirchengemeinde KOLO – [70 km nordwestlich von Łódź] gewesen sein, der ebenfalls Lehrer wurde. Er könnte schon eine gediegenere Ausbildung an der 1866 in Warschau errichteten Schule mit Lehrerausbildung erworben haben.

    Handels– und Tuchmacherstadt mit hohem deutschen Bevölkerungsanteil: TOMASZOW um 1870; der Ort der Jugend von GOTTFRIED Schmidt. Hier war sein Vater JOHANN SCHMIDT zuletzt Kantor und Lehrer, dieser verstarb hier recht früh.

    Dieser JOHANN SCHMIDT, mein Großvater väterlicherseits, war bei der Geburt meines Vaters GOTTFRIED SCHMIDT (*9. Apr. 1875) Lehrer in dem zur Kirchengemeinde WIELUN gehörenden Dorf WOLNICA GRABOWSKA³. Er muss dann in TOMASZOW⁴, einer stark von Deutschen besiedelten Tuchmacherstadt, Lehrer geworden sein. Denn Vaters Erinnerungen seiner Jugend hängen sehr mit dieser Stadt TOMASZOW zusammen. Großvater JOHANN SCHMIDT muss aber in TOMASZOW bereits verhältnismäßig jung gestorben sein. Mit einiger Sicherheit hätte er seinen Sohn GOTTFRIED, meinen Vater, sonst wohl Lehrer werden lassen.

    Durch seinen vorzeitigen Tod musste Johann Schmidts Witwe sich mit ihren Kindern recht und schlecht durchschlagen. Diese, JOHANNA SCHMIDT, geb. GUSE, geboren am 19. September 1853 in WOLNICA GRABOWSKA, also an dem Wirkungsort ihres späteren Ehemannes, muss eine Bauerntochter gewesen sein. Die Eheschließung von JOHANN SCHMIDT mit JOHANNA GUSE fand am 6. Mai 1873 in WIELUN⁵ statt.

    Aus dieser Ehe sind mir drei Kinder bekannt. Vater GOTTFRIED dürfte der Älteste gewesen sein. Danach kam eine Schwester, die wohl unter dem Namen WEITBRECHT o. ä. verheiratet gewesen ist und später nach Brasilien auswanderte, ihr Vorname könnte LYDIA gewesen sein. Durch den Ersten Weltkrieg war die Verbindung zu ihr abgerissen und ist später nie mehr zustande gekommen.

    Ziel von Richthofens erstem Stuka-Terrorangriff 1939: Zerstörtes WIELUN mit evang. Kirche, späterer Schicksalsort der Wolhynier

    „Onkel Adolf"

    Ein weiterer Sohn von J OHANN und J OHANNA S CHMIDT hieß A DOLF . Er hat als Vaters Bruder und unser „Onkel Adolf" in unserer Familie eine fast legendäre Rolle gespielt. Wahrscheinlich spielte der frühzeitige Tod des Vaters J OHANN S CHMIDT dabei eine Rolle, dass Onkel A DOLF nichts Rechtes gelernt hat und es auch zu nichts gebracht hat. Er war zwar sehr intelligent und begabt, doch schon die Schule muss er überreichlich ge schwänzt haben. Er hatte einen ausgesprochenen Wandertrieb, den er auch nach seiner Verheiratung nicht aufgab. Sobald im Frühjahr die Sonne milder schien, verschwand er, und er tauchte erst wieder auf, wenn der Winter vor der Tür stand. Wie seine Frau und die Kinder sich in der Zwischenzeit durchgeschlagen hatten, schien ihn nicht weiter zu beunruhigen. Er war froh, über den Winter wieder ein warmes Plätzchen zu finden. Gelegentliche Arbeiten, die ihm mein Vater besorgt hatte, langten kaum, die Familie über Wasser zu halten, zumal er ja bald wieder verschwand.

    Es ist ein Wunder, dass aus den zwei Töchtern von Onkel Adolf tüchtige Hausfrauen und Mütter geworden sind. Zweifellos hat mein Vater Hilfestellung geleistet, damit die Mädels etwas lernten. Apollonia wurde eine kundige Bürokraft und heiratete einen Mechaniker Reinhold Brandt, Marie wurde beruflich ähnlich gelenkt und heiratete den Tischler Arthur Zaft. Beide Ehemänner haben sich als Schwäger gegenseitig zu einer guten Existenz als Möbelvertreter verholfen. Reinhold Brandt ist 1976 an einem Herzinfarkt, Apollonia 1983 an Krebs verstorben.

    Der Vater Gottfried Schmidt: Kaufmann, Soldat und Fabrikverwalter

    Mein Vater G OTTFRIED S CHMIDT ging nach ŁÓDŹ in eine kaufmännische Lehre.

    EXKURS:

    Die Entwicklung

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