Musik - Ausdruck - Emotion: Psychologische Grundlagen und Kompositionstechniken am Beispiel der Trauer
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Benjamin Senz
Benjamin Senz (geb. 1984 in Siegen) ist gegenwärtig Musiklehrer am städtischen Siebengebirgsgymnasium in Bad Honnef. Er studierte Musik für Gymnasium und Gesamtschulen von 2004-2009 an der Hochschule für Musik und Tanz in Köln. Neben der Fokussierung auf das instrumentale Hauptfach Cello nahm er unter anderem am Wettbewerb für schulpraktisches Klavierspiel in Weimar teil. Wissenschaftlich setzte er sich vor allem mit der Soziologie Pierre Bourdieus im Hinblick auf Distinktion durch ästhetische Werturteile, sowie den systematischen Musikwissenschaften, insb. der kognitiven Psychologie und Neurologie, auseinander.
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Book preview
Musik - Ausdruck - Emotion - Benjamin Senz
Anhang
1. Einleitung – Begründung der Themenstellung
Ziel dieser Arbeit ist es, einen Überblick über emotionstheoretische Überlegungen in Verbindung mit Musik zu geben und diese dann an konkreten Beispielen (sowohl an zwei konkreten Musikbeispielen, als auch einer konkreten Emotion, nämlich „Trauer) zu erproben. Das Ergebnis der Arbeit ist also die Anwendung von Emotionstheorien und emotionstheoretischen Untersuchungen auf ein jeweiliges Musikstück am Beispiel der Emotion Trauer. In diesem Zusammenhang werden Kompositionstechniken nicht nur aus allgemeiner musiktheoretischer Sicht betrachtet, sondern aus dem Blickwinkel verschiedener Emotionstheorien und emotionstheoretischer Untersuchungen. Dieses Vorgehen benennt der Autor der Arbeit „emotionstheoretische Analyse von Musik
. Die emotionstheoretische Analyse soll darüber Aufschluss geben, wie ein spezifisches Stück seine individuelle emotionale Wirkung entfaltet. Daraus können musikalische Ausdrucksmuster, Strukturen und Parameter abgeleitet werden, die emotionale Situationen beim Musikhören beeinflussen.¹ Die Analysen beziehen sich auf den Prozess des emotionalen Geschehens, der durch das Musikhören in Gang gesetzt wird. Emotionale Situationen, die durch eigene Musikpraxis oder in Verbindung mit öffentlichen und sichtbaren Musikinterpretationen (z.B. im Konzert), sowie anderen audiovisuellen Reizen beim Musikhören entstehen (z.B. bei Musik im Film oder in der Werbung), werden nicht, oder nur am Rande, berücksichtigt. Es geht also in den Betrachtungen primär um die auditive musikalische Reizwahrnehmung und dadurch ausgelöste emotionale Prozesse. Die Betrachtung richtet sich sowohl auf durch Musik induzierte (d.h. real empfundene und erlebte), als auch durch Musik repräsentierte (d.h. dargestellte, wahrgenommene, doch nicht notwendigerweise real bei sich selbst erlebte) Emotionen, wobei der Schwerpunkt auf die induzierten Emotionen beim Musikhören gelegt wird.
Um eine emotionstheoretische Analyse durchzuführen, ist die nähere Ausführung musiktheoretischer Grundlagen unerlässlich. Dies ist vor allem dann von Bedeutung, wenn konkrete musikalische Ausdrucksmuster näher beschrieben und gekennzeichnet werden, um sie mit einer Emotionstheorie oder deren theoriegeleiteter Forschung in Verbindung zu bringen. Deswegen ist die grundsätzliche Kenntnis musikanalytischer Verfahrensweisen bei der Lektüre notwendig. Juslin und Sloboda bemängeln zwar das „Fehlen eines allgemein anerkannten Verfahrens der Musikanalyse und Strukturbeschreibung" (Juslin & Sloboda 2005, S. 805), da sich unsere emotionstheoretischen Analysen aber zunächst nur auf Beispiele der abendländischen Musiktradition² beziehen, reichen kulturspezifische, musiktheoretische Kenntnisse zum Beschreiben von musikalischen Strukturen aus. Zum Nachvollzug der emotionalen Situation beim Hören, liegt eine Audio-CD mit den entsprechenden Musikbeispielen der Arbeit bei (s. Anhang, aus urheberrechtlichen Gründen liegt diese CD nur dem Original der Arbeit bei). Die Analyse erfordert darüber hinaus zwingend die zu Hilfenahme der jeweiligen Partitur (nicht beiliegend).
Die Konzeption der Arbeit gibt folgende Gliederung vor: Zunächst werden psychologische Grundlagen der Emotionstheorien beschrieben. Die später in den emotionstheoretischen Analysen angewandten Theorien und Untersuchungen werden darin zusammenfassend dargestellt, mit Ausblick auf weitere in jeweiligen Kontexten wichtige theoretische Untersuchungen. Dann geht der Autor der Arbeit auf den Aspekt universeller musikalischer Ausdrucksmuster ein. Die Darstellung dieser Grundlagen erfolgt vor allem anhand der Literatur von Juslin, Sloboda und Gabrielsson, die eine umfassende Übersicht über die verschiedensten Aspekte emotionstheoretischer Überlegungen geben,³ und wird an gegebener Stelle erweitert. Dies geschieht bspw. in der ausführlichen Darstellung der kognitiven Emotionstheorie Mandlers (1979; 1984) und der Anwendung derselben bei Dowling & Harwood (1986), sowie der Darstellung empirischer Untersuchungen von Sloboda (1991).
Darauf folgt eine kurze emotionspsychologische Eingrenzung des Begriffes „Trauer", sowie die Kennzeichnung seiner Bedeutung als musikalischer Topos.
Auf Basis dieser Grundlagen werden die emotionstheoretischen Analysen am Beispiel von Brahms’ Ein deutsches Requiem und Strauss’ Metamorphosen durchgeführt, die daraus abgeleiteten Ergebnisse systematisiert und resümiert.
¹ Eine Übersicht hierzu geben Gabrielsson & Juslin (2003, S. 521)
² Der Autor der Arbeit verwendet diesen Begriff zur Kennzeichnung der Musik, die in westlichen Kulturkreisen gemeinhin als „klassische Musik" bezeichnet wird, d.h. eine Form von Kunstmusik, die ihren Ursprung hauptsächlich in Westeuropa hat.
³ bspw. Juslin & Sloboda 2001; 2005, Juslin 2004, Juslin & Gabrielsson 2003, Sloboda 1991.
2. Psychologische Grundlagen
„Arguably, emotion is first and foremost a psychological concept (e.g. given the ‘mentalistic’ nature of the construct and its relation to behaviour)." (Juslin & Sloboda 2001, S. 7)⁴
Wie die Literaturrecherche ergab, sind die meisten Emotionstheorien und emotionstheoretischen Untersuchungen Teilgebieten der Psychologie entsprungen. Die Teilgebiete der Psychologie, die hier zum Tragen kommen, sind vor allem die der kognitiven, Evolutions- und Wahrnehmungs-Psychologie. Der Autor der Arbeit beschäftigt sich in diesem Abschnitt vor allem mit psychologischen Grundlagen der Emotionsforschung in der kognitiven Psychologie. Dabei soll, wo notwendig, auch ein Ausblick auf andere bedeutende Wissenschaftsbereiche und deren relevante Ergebnisse zur Emotionsforschung gegeben werden. Hierzu gehören z.B. Ergebnisse aus der Neurologie (Neurophysiologie) und Biologie (Neurobiologie), auch dort, wo die bisher genannten Wissenschaftsdisziplinen verknüpft werden.
In diesen Wissenschaften wird einerseits die Bedeutung von Musik als „Sprache der Gefühle" – so wie diese auch in naiven Alltagstheorien gekennzeichnet wird – hervorgehoben und untersucht. So unterstreichen Gaver und Mandler die Bedeutung von Musik für die Emotionsforschung. Sie scheinen im Gegensatz zu Juslin und Sloboda (s.o.) für ihren Wissenschaftsbereich keinen Mangel in der Strukturbeschreibung von Musik zu sehen:
„Another reason that music is a valuable domain in which to study emotion is that music has a structure that is rich, and yet fairly well known." (Mandler & Gaver 1987, S. 260)⁵
Sie stellen besonders die Bedeutung der Struktur des spezifischen musikalischen Inputs in das informationsverarbeitende System (Mensch) in den Vordergrund und vertreten damit die kognitive Perspektive.
Andererseits werden Erkenntnisse, die in der allgemeinen Emotionsforschung gewonnen werden, in den systematischen Musikwissenschaften, vor allem der Musikpsychologie (aber auch in Musiksoziologie und der neueren Wissenschaftsdisziplin Biomusikologie) auf Musik angewendet. Dass solche wechselseitigen Beziehungen zwischen Bereichen der allgemeinen Emotionsforschung und musikbezogener Emotionsforschung erkenntnisbringend sind, zeigt z.B. die konkrete Anwendung Mandlers’ allgemeiner Emotionstheorie (1979, 1984) von Dowling und Harwood (1986) auf musikalische Ereignisse und Strukturen.
Es gibt weiterhin auch Emotionstheorien der Philosophie, diese sind jedoch in unserem Kontext nicht relevant. Aus Kapazitätsgründen kann ebenso wenig auf diese, wie auch auf sozialpsychologische oder anthropologische Sichtweisen eingegangen werden.
2.1 Emotionstheorien
„Everyone knows what an emotion is, until asked to give a definition" (Fehr & Russel 1984, S. 464)⁶
Bevor die Darstellung konkreter Theorien erfolgt, stellt sich die Frage, was eine Emotion überhaupt ist. Es ist bisher noch nicht möglich, eine allgemein gültige Definition von Emotion zu geben. Das liegt an dem hohen Subjektivitätsgrad, der nicht nur in Alltagstheorien von Emotion („Jeder denkt und fühlt unterschiedlich, individuell") zum Ausdruck kommt. Auch in den systematischen Wissenschaften sind bisher kaum konkrete Aussagen darüber getroffen worden, was Emotionen in ihrem Wesen ausmachen. Wenn überhaupt eine wissenschaftlich tragfähige Definition vorgenommen werden kann, dann von einer jeweiligen Theorie geleitet.⁷
An dieser Stelle wird deswegen erst einmal dargestellt, wie die Eingrenzung des Begriffes Emotion aus übergreifender Sicht vorgenommen wird und zwischen Begriffen wie Affekt, Stimmung, Emotion und anderen „emotionalen Begriffen" unterschieden werden kann.
Sloboda und Juslin ordnen Emotionen den sog. „evaluativen Prozessen" zu (Sloboda & Juslin 2005, S. 768). Hierzu gehören z.B. Affekt, Stimmung, Aktivierung, Gefühl, Präferenz und Vorlieben. Sie diskriminieren wie folgt zwischen den Begriffen Affekt, Emotion und Stimmung (ebd. S. 771):
Affekte beziehen sich nur auf die positive oder negative Valenz emotionalen Erlebens, sind grundlegendes Merkmal emotionalen Lebens und sind phylo- und ontogenetisch⁸ primitiver als Emotionen.
Emotionen treten meistens dann auf, wenn adaptive Handlungen erforderlich sind.
Stimmungen dagegen besitzen die Tendenz, die Informationsverarbeitung so zu beeinflussen, dass hiervon Gedächtnisfunktion, Entscheidungsfindung, Bewertung und Denken tangiert sind
Eine Definition von Emotion, die versucht verschiedene wissenschaftliche Perspektiven zu vereinen, stammt von Altenmüller und Kopiez (2005):
„Beim Menschen versteht man unter Emotion