Identität - Verwandlung - Darstellung
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"Identität - Verwandlung - Darstellung" beleuchtet die Grundlagen des freimaurerischen Verwandlungsgeheimnisses und arbeitet die der hermetischen Philosophie entlehnten Vorstellungen von Identität und Verwandlung heraus. Die Besonderheit dieses Buches ist der unkonventionelle Ansatz. Das Die aus der Ethnologie stammende Konzept der "Cultural Performance" bietet das methodische Gerüst, um den funktionalen Rahmen freimaurerischer Rituale zu analysieren.
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Identität - Verwandlung - Darstellung - Kristiane Hasselmann
2.2.
1. Herausarbeitung einiger Spezifika der Freimaurerei
1.1 Zum Begriff der ‚Cultural Performance‘
Das Konzept der ‚Cultural Performance‘ wurde durch den amerikanischen Stadtanthropologen Milton Singer in den 50er Jahren des letzten Jahrhunderts entwickelt und später von der Theaterwissenschaft zur Beschreibung herausgehobener performativer Ereignisse des gesellschaftlichen Lebens übernommen.
Auf der Suche nach kleinsten operablen Einheiten (,units of observation‘), aus deren Kombination und Vernetzung Singer beabsichtigte, größere kulturelle Komplexe zu erklären, prägte er für Feldstudien in Indien den Begriff der ‚Cultural Performance‘. Er bemüht sich um einen Maßstab, anhand dessen er Bedeutung und Veränderung einer Performance in Relation zu den selbstdefinierten kulturellen Traditionen und Identitäten interpretieren kann, welche über die Cultural Performance zwischen Akteuren und Zuschauern verhandelt werden.7 Er folgt damit der phänomenologischen Unterteilung ethnologischer Betrachtungen in mikroskopische und makroskopische Einheiten seines anthropologischen Mentors Robert Redfield und dessen Absicht, Kulturen über die Analyse dörflicher Gemeinschaften, ‚von unten‘, d.h. im alltäglichen zwischenmenschlichen Zusammenleben, zu beobachten.
Als soziale Funktionen symbolischer Aktionen und Cultural Performances bestimmt Singer die Einteilung, stellvertretende Ritualisierung und Reinterpretation essentieller Grund- und Lehrsätze des gesellschaftlichen Zusammenlebens durch ‚cultural specialists‘ wie Sänger, Geschichtenerzähler, Prediger und andere Performer, die als Transmitter kultureller Traditionen und,Kulturpolitiker‘ fungieren.
Unter Cultural Performances fällt nach Singer daher ein breit gefächertes Spektrum kultureller Aktivitäten – neben Schauspielen, Konzerten und Vorträgen auch Gebetsformen, rituelle Lesungen und Rezitationen, Riten, Zeremonien, Festivals und deren Mischformen.
The performances became for me the elementary constituents of the culture and the ultimate units of observation. Each one had a definitely limited time span, or at least a beginning and an end, an organized program of activity, a set of performers, an audience, and a place and occasion of performance.8
Singer definiert als Merkmale einer Cultural Performance: Jede Performance habe eine begrenzte zeitliche Erstreckung, ein spezifisches Arrangement, eine bestimmte Anzahl von Performern, eine Zuschauerschaft, einen definierten Ort sowie einen spezifischen Anlaß. Zudem betont Singer die Bedeutung der Untersuchung verschiedener kultureller Medien, d.h. der Art und Weise mit der Themen und Werte kommuniziert werden. Den Ausdruck,Medium‘ verwendet er dabei nicht als informationstechnologischen Begriff, sondern als Beschreibung der verschiedenen Ausdrucksformen von ‚cultural specialists‘, wie beispielsweise der Erzählung oder des Tanzes. Als ein zentrales ordnendes Muster kultureller Tradition nennt Singer das Übergangsritual, welches die sukzessiven Etappen des individuellen Lebenslaufes markiert und zelebriert. Er verweist damit auf die Prozessualität verschiedenartiger kultureller Handlungen.
Als Konstituentien für eine Cultural Performance lassen sich in Anlehnung an Milton Singer formulieren:
• ein spezifischer Schauplatz als räumliche Organisationsform, der institutioneilen Charakter haben kann,
• eine Actor-Spectator-Beziehung als Situationsrahmen, innerhalb dem die,cultural specialists‘ agieren,
• ‚cultural media‘ als Kommunikationsmodi einer demonstrativen Handlung,
• ein fester zeitlicher Rahmen und eine organisierte Struktur des Ablaufs.
Mit dem Ablaufschema von Cultural Performances, zu welchem Singer keine näheren Ausführungen macht, hat sich der Ethnologe Victor Turmer dezidiert auseinandergesetzt und das Konzept des,social dramas‘ entwickelt. Er hebt die Strukturiertheit performativer sozialer Prozesse hervor, welche einerseits den Charakter herausgehobener öffentlicher Ereignisse, andererseits den »einfachen‘ Charakter signifikanten gestischen und szenischen Verhaltens in der alltäglichen sozialen Wechselwirkung haben können, mit welcher Lebensformen und Verhaltensstile generiert und regeneriert werden.
Sein Konzept des sozialen Dramas beschreibt ein Grundmodell der Ablaufstruktur von Cultural Performances, welches er nach Feldforschungen bei den Ndembu in Sambia zwischen 1950 und 1954 entwickelt und in seinem 1957 erschienenen Buch ‚Schism and Continuity in an African Society‘ erstmalig vorstellt. Er erklärt in seinem Vorwort:
Through the social drama one may sometimes look beneath the surface of social regularities into the hidden contradictions and conflicts in the social system. The kinds of redressive mechanism deployed to handle conflict, the pattern of factional struggle, and the source of initiative to end crisis, which are all clearly manifest in the social drama, provide valuable clues to the character of the social system ... (when) based on numerical analysis of village census data and the critical examination of genealogies.9
Wie der Titel ‚Schism and Continuity‘ – auf deutsch ‚Spaltung und Kontinuität‘ – bereits impliziert, geht es um die Prozessualität und Ablaufspannung des Aufbrechens sozialer Konflikte (social eruptions of conflict) und deren Bewältigungsschemata.
Er gliedert den Ablauf der sozialen Konfliktbewältigung in eine 4-Phasenstruktur:
1. der Bruch (breach) regulärer normengeleiteter sozialer Beziehungen durch eine symbolische Überschreitung (transgression) von Bräuchen oder gesetzlichen Handlungsanweisungen,
2. die Krise (crisis) relevanter sozialer Beziehungen welchen die konfliktführenden Parteien angehören und Exposition eines Wandels innerhalb der sozialen Basisstruktur, der den Charakter eines liminalen oder Schwellenzustandes hat,
3. die Suche nach Konfliktlösung (redressive action) in den Bahnen persönlicher Beratung, institutionalisierter ritueller oder rechtlicher Prozeduren und
4. eine Reintegration oder Anerkennung des Bruchs als Resultat der Auseinandersetzung (re-integration or recognition of schism).
Diese strukturelle Einteilung impliziert nicht, daß alle Formen der Cultural Performance die gleiche Ablaufstruktur haben. Die verschiedenartigen Cultural Performances lassen sich vielmehr zu den einzelnen Phasen des sozialen Dramas in Beziehung setzen.10 Turner bringt die Beziehungen zwischen Cultural Performances und dem sozialen Drama auf die folgende Formel:
Social dramas may draw their rhetoric from cultural performances; cultural performances may draw on social dramas for their plots and problems. Genres of cultural performance are not simple mirrors but magical mirrors of social reality: they exaggerate, invert, re-form, magnify, minimize, discolor, re-color, even deliberately falsify chronicled events.11
Ausagierte und somit beobachtbare soziale Strukturen (social structure in action), die unter Aufrechterhaltung bestimmter Gruppenabsprachen sowie grundlegender Qualitäten des Umgangs (Affinitäten) ablaufen, werden durch ihre Externalisierung zum Reflektionspotential der Gemeinschaft und somit für die Gruppe verhandelbar.
Beide hier beschriebenen Konzepte, die von Milton Singer entwickelte Einheit der Cultural Performance sowie Victor Turners strukturelle Einteilung des sozialen Dramas sollen der Beschäftigung mit dem freimaurerischen Ritual als methodische Grundlage dienen.
Neben dem sozialen Drama hat sich Turner eingehend mit Übergangsriten beschäftigt und das Phänomen der Liminalität – des Übergangszustandes – über das Konfliktmuster des sozialen Dramas hinaus verallgemeinert. Dieses Konzept wird zu einem späteren Zeitpunkt, wenn ich mich mit dem Verhältnis von Verwandlung und Körperdarstellung im Ritual zur Erhebung in den Meistergrad beschäftige, relevant.
1.1.1 Das Verhältnis von performativer Eigenrealität und gesellschaftlicher,Realität‘
Die Konstitution der Freimaurer-Bruderschaft als mystischer Geheimbund mit einem rituellen Arbeitssystem ist vor dem historischen und gesellschaftlichen Hintergrund des 18. Jahrhunderts zu betrachten. Die Eigenart der historischen Umstände äußert sich in der Ausbildung spezifisch freimaurerischer Praktiken und damit unausweichlich verbundener Paradoxien, von denen ich später einige ansprechen werde.
Nach Georg Simmel ist die Freimaurerbruderschaft ein Symptom eines ‚allgemeinen Schemas kultureller Differenzierung‘: dem Prozeß der Publizität von Staatsangelegenheiten einerseits und dem der Sekretisierung von Privatangelegenheiten andererseits.12 Die Geheimhaltung dieser im 18. Jahrhundert zahlreich entstehenden Gesellschaften und Clubs verweist auf die Schutzbedürftigkeit neuer Lebensinhalte unter dem Widerstand bestehender Gewalten.13 Die Vergesellschaftung stellt ein Gegengewicht zu der isolierenden und individualisierenden Wirkung des Geheimnisses sowie einen Schutz dieses Geheimnisses dar. Daraus ergibt sich – als eine der zahlreichen Paradoxien der Gemeinschaft – der scheinbare Widerspruch eines gleichzeitigen „Individualisierungs- und Sozialisierungsbedürfnisses".14
Die Aufnahme von Nichtfachmännern, das Aufkommen der Naturwissenschaft, das geistige Umfeld der Aufklärung und der Mystizismus (als Reaktion auf den aufklärerischen Generalanspruch) beeinflussen die Genese der spekulativen Maurerei, die den Beginn eines spezifischen symbolisierenden Umgangs mit der Steinmetztradition markiert. Die unteren Grade des freimaurerischen Erkenntnissystems dienen den Freimaurermeistern zur Vorbereitung für eine Arbeit am Reißbrett, auf dem sie als ‚kreative Akteure skizzieren, was sie für geeignetere und interessantere Lebensentwürfe halten‘.15 Im Zentrum steht die Verhaltensregulation und die Ausbildung eines spezifisch freimaurerischen Habitus‘ an sich selbst.
Die Renaissance der performativ orientierten, antiken Habitus-Ethik wird bereits bei Thomas Hobbes (1588- 1679) zum Programm. Unter dem Eindruck des englischen Bürgerkrieges ist eine ‚reformation of manners‘ – eine Reformation des Verhaltens und der Umgangsformen – in der Absage an den gesellschaftlichen Naturzustand als eines Kampfes aller gegen alle begründet, dem nur durch eine wechselseitige Disziplinierung und Kontrolle des Verhaltens zu begegnen ist.16 Er kritisiert hinsichtlich der Glaubenskämpfe Englands die Berufung auf das religiöse Gewissen ohne staatsrechtliche Kodifikation als eine ideologische Größe und räumt der Privatperson in Gewissensfragen allenfalls einen ‚geheimen Gesinnungsraum‘17 innerhalb des als wechselseitig verpflichtenden Vertragsverhältnis verfaßten Staates ein.18 Unabdingbare Bestandteile dieses moralischen Gesinnungsraumes in der selbstgesetzten staatlichen Zwangsordnung stellen die Mystifikation und die Geheimhaltung dar, um der Gefahr des ‚Belangt- Werdens‘ bei Eindringen in staatliche Zuständigkeiten vorzubeugen.19 Als ‚legale‘ Freiräume innerhalb des Staatsvertrages weist Hobbes jene auf, in welchen private, auf individueller Vernunft basierende Entscheidungen durch den Bürger zu treffen sind.20 Neben kommerziellen Freiheiten sind dies auch lebenspraktische, das Familienleben betreffende Entscheidungen.
John Locke (1632- 1704), der durch seine Forderung nach freier Verfügung über privates Eigentum die Privatssphäre überhaupt erst ökonomisch-juridisch begründet und absichert, erklärt private Gesellschaften und Clubs mit ihren Normen und Regeln zum Boden spezifischer Moralgesetze, die neben das göttliche Gesetz und die staatliche Rechtsordnung treten.21 Als ein solcher Verein will auch die Freimaurerei Orientierungsvorgaben für ethisch geregeltes Verhalten bieten und wählt den rituellen Ansatz für die Einübung von Sittlichkeit.
Die Freimaurerei schuf durch ihr Logengeheimnis einen sozial exklusiven, zwischen öffentlicher und privater Sphäre angesiedelten Freiraum, in dem egalitär, handlungsentlastet und unter Einbeziehung vorhandener Geselligkeitsbedürfnisse neue bürgerliche Tugend- und Verhaltensmuster sukzessive eingeübt und stabilisiert werden konnten.22
Die Freimaurer bemühen sich als ‚cultural specialists‘ um die vorerst gruppeninterne Verwirklichung einer neuen Ethik jenseits des Ancien Regime. Die Bruderschaft ist eine undogmatische Vereinigung von Individualisten, die sich im Zusammenschluß zu einer ‚Geheimgesellschaft‘ als aktive Agentur des persönlichen und gesellschaftlichen Wandels versteht.
1.2 Der symbolische Tempelbau
1.2.1 Die Idee
Die Freimaurerei beansprucht für mich, einen symbolischen Tempelbau an der Menschheit in die Wege zu leiten. Die eine Hierarchie von Erkenntnisstufen in sich fassende Lehre ist auf die geistige Vervollkommnung und moralische Veredelung des Menschen gerichtet. Die schöpferische Arbeit an einem idealen Menschentum wird von Toleranz-, Humanitäts- und Brüderlichkeitsgedanken geleitet und soll durch eigenes ethisches Verhalten auf das persönliche Umfeld und die Gesellschaft übertragen werden.
Die individuelle Aneignung der freimaurerischen ‚Lehre‘ vollzieht sich über ein System orientierender Zeichen, d.h. über Symbole und symbolische Handlungen im Rahmen eines Rituals, welches als ein modellhafter ‚Bauplan des Lebens‘23 fungiert. Im Zentrum der rituellen Arbeit steht die performative Interpretation der Lehrinhalte über Mythen des Weltenbaus unter der Obhut eines supranatürlichen, göttlichen Baumeisters24 sowie der symbolische Vollzug des philosophischen Initiationstodes, der eine Erneuerung des Menschen ermöglichen soll. Neben Einflüssen aus der Alchemie und hermetischen Philosophie bildet in den unteren drei Graden das Brauchtum der alten Steinmetzbruderschaften als allumfassende Metapher den Rahmen der rituellen Handlung.
1.2.2 Die rituelle Praxis
1.2.2.1 Erläuterung des Erkenntnisstufen-Systems der freimaurerischen,Lehre‘
Den ursprünglichsten Ritualkomplex der Freimaurerei stellen die Johannisgrade dar. Diese unteren