Die Rattenfängerstadt Hameln an der Weser im Spiegel des Kupferstechers Merian: Reisen in die Geschichte der Stadt
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Anhand von Ausschnitten aus dem Merian-Stich wird der Leser in die Geschichte der Stadt geführt – und an Orte, die heute noch ein Bild der Stadt aus der Zeit des 17. Jahrhunderts vermitteln.
Von den Bergen um Hameln, über die Weserschifffahrt, die Weserbrücke und die Mühlen der Stadt führt die Geschichte zur Münsterkirche, Marktkirche, zum Hochzeitshaus und alten Rathaus, den Befestigungsanlagen und Toren bis zu den Bürgerhäusern aus der Zeit des Merian-Stiches heute.
Georg Schwedt
Der Autor wurde in Hessisch Oldendorf geboren, besuchte das Gymnasium Ernestinum in Rinteln und war nach dem Chemiestudium drei Jahrzehnte als Hochschulprofessor - zuletzt an der TU Clausthal - tätig. Als Buchautor veröffentliche er auch populärwissenschaftliche Werke und Bücher zur Wissenschafts- und Regionalgeschichte.
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Die Rattenfängerstadt Hameln an der Weser im Spiegel des Kupferstechers Merian - Georg Schwedt
Historiker.
1. HAMELN in der Topographia Braunschweig-Lüneburg (1654)
Frontispiz der Topographia Braunschweig-Lüneburg von Matthäus MERIAN 1654
(Der Originaltext wurde der Sprache und Schreibweise unserer Zeit behutsam, unter weitgehender Beibehaltung der Satzkonstruktionen und auch veralteter Wörter, soweit noch verständlich, angepasst. – An den Text anschließend werden die historischen Details ausführlich erläutert.)
Hameln.
Die Stadt Hameln, zum Fürstentum Calenberg gehörig, hat vor vielen und langen Jahren ihren Ursprung genommen, denn als Widukind des Königs der Sachsen naher Blutsverwandter Bernhard, Graf zu Angarien mit seiner Gemahlin Gräfin Christina, die durch S. Bonifacium zum christlichen Glauben bekehrt sein sollen. das bei der Hamel gestandene Götzenhaus Jovis zerstört und an dessen Stelle die Münster oder Stifts S. Bonifacii Kirche, worin noch jetzt unter einem Probst und Dekan, ein Collegium Canicorum, Augsburgischer Konfession zugetan sich befindet, im Jahr Christi 712 erbaut und dieselbe auch mit dem damals dabei liegenden Meierhof dem Stift Fulda verehrt hat, ist solche Donation von dem Kaiser Carolo Magno später bestätigt und der Meierhof bei der Hamel wegen der erbauten Collegiat-Kirche mit der Zeit volkreich worden, so dass aus den da herum liegenden zehn Dörfern die Stadt Hameln erbaut und von ihren damaligen Herrn mit Freiheiten begnadet worden ist. In selbiger Kirche hinter dem Altar findet man in einen Stein gehauen diese Worte:
Bernhardus Comes, Christina Comitissa Regbi Angariae de Osten
fundarunt hanc Ecclesiam:
womit auch diese zwei alten Verse überein stimmen:
Septingentenis annis Domini duodenis
Conditur in densis Ecclesia tunc Hamelensis.
Als nun die Stadt Hameln von Jahr zu Jahr zugenommen hatte, verkaufte der damalige Abt von Fulda Anno 1259 dieselbe wider den Willen der Bewohner an Bischof Wedekindo zu Minden. Als aber der Bischof die Stadt mit Gewalt sich unterwürfig machen wollte, hat dieselbe sich unter Herzog Albert M. zu Braunschweig und Lüneburg als ihren Landesfürsten und Erbherrn begeben, welcher sich deren fürstlich angenommen und alle derselbigen Jura confirmiret (d.h. die Rechtslage dergestalt änderte), dass dann die in der Regierung folgenden Herzöge dieser ihrer Erbstatt ihre Jura und Privilegia (ad tenorem confirmationis Ducis Alberti) bestätigten.
Es liegt diese Stadt beinahe am Ende des Fürstentums Braunschweigs und ist gleichsam ein Schlüssel zu selbigem Fürstentum. Die Weser fließt nahe an der einen Seite westlich. Über der Weser gibt es viele wohlgelegene Gärten, Weiden, Äcker und Holzungen.
Der Fluss die Hamel (davon die Stadt den Namen hat) fließt auf der anderen Seite, südlich vorm Mühlentor vorbei in den Weserstrom, teilt sich aber bei dem genannten Stadttor und der eine Arm fließt zwischen dem Wall und Mauern hindurch und treibt dort eine schöne Mühle. Auf dieser Seite nach Osten ist die Stadt ebenfalls von vielen Gärten, Auen, sandigen Äckern, Hügeln und Bergen umgeben, wo die Einwohner dem Garten- und Feldbau fleissig obliegen und davon zu einem guten Teil ihre Nahrung (gemeint ist: Auskommen) suchen.
Es sind auch in der Stadt allerhand Handwerker, Ämter und Innungen und es werden hier auf der Weser der Korn- (Getreide-) und anderer nützlicher Handel vermittelst der Schifffahrt betrieben.
Die Festung dieser Stadt wird unter die vornehmsten des Fürstentums gezählt, dergestalt sie mit breiten tiefen Wassergräben, guten Wällen, Bollwerken, starken mit vielen Türmen wohlerbauten Mauern und herrlichen Außenwerken versehen und verziert ist. Die Stadt(anlage) ist fast rund und erfordert im Umkreis beinahe dreiviertel Stunde des Gehens, hat vier Stadttore, als da sind das Brücken- oder Wesertor, das Oster- und das Neutor.
Im vorhergehenden Jahrhundert, im Jahre 1542, hat sie sich zur seit 1530 unveränderten Kaiser Karl V. übergebenen Augsburgischen Konfession bekannt. Es sind darin zwei Hauptkirchen, S. Bonifacius, von den Gründung oben berichtet wurde, und S. Nicolai wie auch noch eine Kirche zum Heiligen Geist genannt – dort auch ein Armenhaus. Die Schule wird von nicht weniger als vier tüchtigen Präzeptoren (Lehrern) besetzt, welche die heranwachsende Jugend in fundamentis pietatis linguarum et artium so weit führen, dass sie mit Nutzen auf Universitäten geschickt werden können. Der berühmte und wohl verdiente Informator juventutis Glandorpius ist vor Jahren als ein besonderes ornamentum an derselben mit großem Nutzen tätig gewesen.
Das Stadt-Regiment ist ebenfalls qualifizierten Personen (subjectis) anvertraut. Deren Haupt ist der wortführende oder regierende Bürgermeister, welcher jährlich kurz nach Neujahr gewählt wird, welchem der sitzende (d.h. engere) Rat in 11 und der umstehende (d.h. erweiterte) in 28 Personen zugeordnet ist. Eine ehrsame Bürgerschaft zeigt sich an Ehrerbierung, Einigkeit und Gehorsam gegen ihre Obern rühmlich, besteht aus verschiedenen alten Geschlechtern und Patrizier und unterteilt sich in Bauern und Büdner, jene brauen nach ihrer Ordnung Broihan (s. u. unter „Erläuterungen") und Bier