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Gesänge der Maria Sabina
Gesänge der Maria Sabina
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Ebook110 pages59 minutes

Gesänge der Maria Sabina

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Der schamanische Gebrauch von psilocybinhaltigen Pilzen ist bei den Mazateken bis heute lebendig geblieben. Erstmals wurde dieser bekannt durch: Maria Sabina (1894-1985), der Botin der heiligen Pilze. Ihr ist es zu verdanken, dass das Geheimnis um die heiligen Pilze Mexikos gelüftet wurde. In einer nächtlichen Zeremonie gab sie erstmals einem Weissen die Zauberpilze (Psilocybe) - R. Gordon Wasson (1898-1986), der die schamanischen Gesänge der Maria Sabina 1962 aufnahm und publizierte. Das Buch enthält unter anderem die deutsche Übersetzung der auf mazatekisch gesungenen Lieder. Texte aus ihrem Leben und zu den schamanischen Pilz-Ritualen wie auch "bepilzte" Musik - speziell geeignete Musik für Rituale, von Christian Rätsch zusammengestellt - ergänzen dieses besondere und längst erwartete Buch. Mit Übersetzung Ihrer Gesänge (von CD ISBN 3-03788-110-0).
LanguageDeutsch
Release dateApr 1, 2015
ISBN9783037882580
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    Gesänge der Maria Sabina - Nachtschatten Verlag

    1992)

    CHRISTIAN RÄTSCH

    Teonanácatl, der »wunderbare Pilz«

    »Den Wunsch, das Bewusstsein zu verändern, gibt es seit jeher. Zauberpilze gehören hierbei zu den ältesten Drogen der Welt. Die Menschen haben sie schon genutzt, als die Sahara noch grün war.« (ADELAARS 2003: 9)

    Zauberpilze, Rauschpilze, Psilos mit psychoaktiven oder psychedelischen Wirkungen gibt es auf der ganzen Welt. Bekannt geworden sind sie vor allem durch ihren rituellen Gebrauch im alten Mexiko und bei den heutigen Indianern. Wann die Ureinwohner Amerikas die wunderbaren Eigenschaften der Pilzarten, die die Wirkstoffe Psilocybin und Psilocin enthalten, zuerst entdeckt und wegen ihrer magischen Kräfte rituell genutzt haben, ist unbekannt. Auf jeden Fall lange bevor die ersten Europäer in die Neue Welt eindrangen.

    Die spanischen Konquistadoren stießen sofort bei ihrer Ankunft in Mexiko (ab 1512) auf den einheimischen Gebrauch bestimmter »heiliger« Pilze, die Visionen auslösen konnten.

    Wegen ihrer ungewöhnlichen Eigenschaften und heilenden Kräfte wurden und werden die psilocybinhaltigen Pilze als etwas Heiliges, Göttliches verehrt oder sogar als Gottheiten selbst angesehen. Die Azteken nannten diese Pilze teonanácatl, »wunderbarer Pilz«. Wer sie rituell verspeist, betritt das Reich der göttlichen Wesen, kann die Seelen Kranker wiederfinden und wahrsagen.

    Manche präkolumbianischen Bilderhandschriften der Azteken (tlacuilolli) und anderer mesoamerikanischer Völker zeigen Szenen, die gemeinhin als Pilzrituale gedeutet werden. Besonders einige Seiten in der mixtekischen Handschrift, die unter dem Namen Codex Vindobonensis Mexicanus I bekannt geworden ist, vermitteln den Eindruck einer entheogenen Zeremonie. Mehrere Figuren sitzen, rituell angeordnet, mit jeweils zwei Pilzen (Paaren!) in ihren Händen (CASO 1963).

    In der kolonialzeitlichen Literatur Neu-Spaniens gibt es zahlreiche Texte, die die Pilze, deren Wirkungen sowie den rituellen und medizinischen Gebrauch bezeugen. 1535 wurde in Tlatelolco das Colegio Imperial de Santa Cruz eingeweiht. Diese Lehranstalt ließ der erste spanische Vizekönig von Neu-Spanien, Antonio de Mendoza (1490-1552), errichten. In ihr wurden die Söhne aztekischer Adeliger von Franziskanermönchen unterwiesen.

    Nur wenige Jahre nach der militärischen Conquista (1523) trat dort der Franziskaner FRAY BERNHARDINO DE SAHAGUN (1499-1590) seinen Dienst an. In den folgenden Jahren (1578-1580) entstand dort sein epochales Werk Historia universal de las cosas de Nueva España.¹ In einem Prolog schrieb er: »Mir wurde aufgetragen, in heiligem Gehorsam gegenüber meinen Ordensoberen, in mexikanischer Sprache niederzuschreiben, was mir für die Lehre, die Kultur und die Bewahrung des Christentums unter diesen Eingeborenen in diesem Neu-Spanien und zur Unterstützung der Helfer und Priester, die sie unterweisen, nützlich erschien.« (SAHAGUN, Prolog, Buch II).

    Sein propagandistisches Werk sollte also der Missionierung dienen, das heißt, der aktiven Kulturzerstörung. Andererseits ist SAHAGUNS Werk eine einzigartige ethnohistorische Quelle. Die Texte wurden von gelehrten Azteken mit lateinischen Lettern in ihrer Sprache, dem Nahuatl, verfasst.

    In der aztekischsprachigen Chronik des FRAY BERNARDINO DE SAHAGÚN heißt es: »Nanacatl. Sie werden Teonanácatl, ›wunderbarer Pilz‹, genannt.² Sie wachsen in den Ebenen, im Gras. Der Kopf ist klein und rund, der Stengel lang und dünn. Er ist bitter und kratzt, er brennt in der Kehle. Er macht einen töricht; er verwirrt einen, bedrängt einen. Er ist Heilmittel bei Fieber, bei Gicht. Nur zwei, drei werden gegessen. Er macht traurig, bedrückt, bedrängt; er läßt einen fliehen, erschrecken, sich verstecken. Derjenige, der viele von ihnen ißt, sieht viele Dinge, die ihn erschrecken und die ihn erheitern. Er flieht, erhängt sich selbst, stürzt sich von einem Felsen, schreit, hat Angst. Man ißt ihn mit Honig. Ich esse Pilze; ich nehme Pilze. Von einem, der hochmütig, dreist, eitel ist, sagt man: ›Er hat sich selbst bepilzt.‹« (SAHAGUN XI, 7)

    Der spanische Missionar DIEGO DURÁN (16. Jahrhundert) hat in seiner Historia de las Indias de Nueva España mehrfach darauf hingewiesen, dass Pilze bei Festlichkeiten eingenommen beziehungsweise »wie Wein getrunken« wurden: »Niemand hat erwähnt, daß irgendwer irgendwelchen Wein getrunken hätte oder gar betrunken wurde; nur Pilze aus dem Wald, die sie roh verzehrten, durch die sie glücklich und außer sich wurden, sind erwähnt, aber der Wein nicht. Erwähnt wird lediglich die riesige Menge Schokolade, die bei diesen Festen getrunken wurde.«³

    So heißt es in dem Buch Memoriales o Libro de las Cosas de la Nueva España (1541) des FRAY TORIBIO DE BENAVENTE O MOTOLINÍA (1482/91-1569): »Sie nannten diese Pilze teunamacatlh in ihrer Sprache, was ›Fleisch Gottes‹, oder des Teufels, den sie angebetet haben, und in dieser Art, mit dieser bitteren Speise, erhielten sie von ihrem grausamen Gott die Kommunion.« (MOTOLINÍA 1979: 20)

    Altmexikanische Darstellung einer Blüte (Siegel, Stempel)

    Temicxoch, die »blühenden Träume«

    Im Nahuatl, der Sprache der Azteken⁴, heißen Visionen »Trancereisen« und psychedelische Erfahrungen Temicxoch, »blühende Träume« (WASSON 1973b: 324).⁵ Sie werden durch xóchitl, »Blüten, Blumen«, ausgelöst, unter anderem durch psychoaktive Pflanzen wie Teonanácatl (Psilocybe spp.), Péyotl (Lophophora williamsii), Ololiuqui (Turbina corymbosa), Tlitliltzin (Ipomoea violacea), Toloatzin oder Toloache (Datura spp.), Piciétl (Nicotiana rustica), Chichihualxochitl (Solandra spp.) und Yauhtli (Tagetes lucida) (GARZA 1990, RÄTSCH 1994).

    Xóchitl, diese visionären »Blüten« sind dem jugendlichen und fröhlichen Gott Xochipilli, dem »Herrn der Blüten« oder dem »Blumenprinzen«, heilig und geweiht.⁶ In einer aztekischen Hymne berichtet Xochipilli, der sich hier selbst Cintéotl⁷, »Maisgott«, nennt, von seiner Herkunft:

    Mein Herz trägt Blüten und Früchte inmitten der Nacht …

    Ich, Cintéotl, bin im Paradies geboren.

    Aus dem Blumenlande komme ich.

    Ich bin die neue, die ruhmreiche, die einzigartige Blume.

    Cintéotl ist aus Wasser geboren;

    als Sterblicher, als junger Mann

    wurde er geboren aus dem himmelblauen Haus der Fische.

    Ein neuer, siegreicher Gott.

    Er leuchtet wie die Sonne.

    Seine Mutter wohnte im Hause der Dämmerung,

    bunt wie ein Quetzal, eine neue, liebliche Blume.

    Der Gott wird also mit einer »Blume« identifiziert, ist ein

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