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Chilifeuer & Knollengenuss: Die essbaren Nachtschattengewächse
Chilifeuer & Knollengenuss: Die essbaren Nachtschattengewächse
Chilifeuer & Knollengenuss: Die essbaren Nachtschattengewächse
Ebook330 pages3 hours

Chilifeuer & Knollengenuss: Die essbaren Nachtschattengewächse

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About this ebook

War der Paradiesapfel das wahre Ei des Kolumbus? Wie spielten sich ehemals die Kriege mit scharfer Paprika als Waffe ab? Kann die Kartoffel in den Weltraum fliegen?
Unbeantwortete Fragen, die ihren Schlüssel suchen, und die Rätsel des Naturforschers gleiten endlich auf der Rutschbahn der Zeit aus und werden uns als Delikatessen auf unserem Tisch serviert. In dampfenden Töpfen werden die Herzen der Leser erwärmt und das Gift der Nachtschattengewächse neutralisiert, während vom Himmel dieses Buches Früchte und Wurzeln, Abenteuer und Märchen, Ratschläge und verlockende Rezepte fallen…….
LanguageDeutsch
Release dateFeb 1, 2012
ISBN9783037882092
Chilifeuer & Knollengenuss: Die essbaren Nachtschattengewächse

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    Book preview

    Chilifeuer & Knollengenuss - Orestes Davias

    2005

    Der Tod ist kalt, das Leben heiß

    Alle Vorhersagen kündigten einen heißen und schwierigen August an. Der Überwachungszeppelin drehte seine Runden über unsere Häuser. Tausende Kameras nahmen jeden Fluch und jede Bewegung auf. Eiserne Pferde, mit dem Zeichen der fünf Ringe, gingen auf den Straßen durch. Die olympischen Spiele waren in Athen eingetroffen. Schlimmer hätte es nicht kommen können!

    Die Bedingungen waren ideal, um sich im Haus zu verkriechen und sich in Arbeit zu vergraben. Also schickte ich Frau und Kind in die Sommerfrische nach Naxos und lehnte alle Einladungen meiner Freunde zur Teilnahme am antiolympischen Kiffer-Marathon höflich ab.

    Spät in der Nacht tauchte ich aus meinem Bücherturm hervor und goss die hängenden Gärten auf dem Balkon. Zur Ruhe kam ich erst, als ich mir die DVDs ansah, die ich bei meinen Recherchen zum Thema entdeckt hatte. Als Penelope Cruz in »Woman on Top« mit scharfen Zutaten die Kunst des Kochens vorführte und Juliette Binoche in »Chocolat« Chili unter ihre Pralinen mischte, um die französischen Provinzler zu betören, meldete sich mein Hunger und begann zu toben. Also pflückte ich einige tiefrote Jalapeno von der Topfpflanze, lief in die Küche und belegte damit einige Brötchen. Mit der Zeit verselbstständigen sich diese Bewegungsabläufe. Mittlerweile kann ich Ihnen sogar im Dunkeln oder mit verbunden Augen in weniger als zwei Minuten ein halbes Dutzend dieser Brötchen servieren.

    Athener Sommerbrötchen

    Zutaten (für 4 Brötchen):

    4 dünne Scheiben Schwarzbrot

    1 Esslöffel Butter oder Tahinacreme

    1 kleine Gurke

    1 große Tomate

    8 Stückchen marinierter Ingwer

    2 bis 3 scharfe Chilis frische Basilikumblätter

    Salz, Pfeffer

    Zubereitung: Das Brot mit Butter oder Tahinacreme bestreichen. Die Gurke hobeln. Die Brote zuerst mit Gurken- und dann mit Tomatenscheiben belegen. Mit Salz und Pfeffer würzen, mit gehacktem Ingwer bestreuen und mit fein geschnittenem Chili sowie den Basilikumblättchen garnieren.

    Tahinacreme

    Zutaten:

    1 Glas Tahina (Sesampaste)

    2 Esslöffel Olivenöl

    1 bis 2 Esslöffel Zitronensaft

    Zubereitung: Um diesen sehr schmackhaften Brotaufstrich herzustellen, die Tahina (Sesampaste) mit dem Olivenöl vermischen und unter ständigem Rühren den Zitronensaft hinzugeben, bis die Creme steif wird. Im Kühlschrank ist die fertige Tahinachreme mindestens zwei Monate haltbar.

    Bekanntlich lässt sich die Wirksamkeit von kraftvollen Pflanzen wie Paprika durch rituelle Respektbezeugungen verstärken. Befolgen Sie, wenn Sie mögen und ohne neugierige Zuschauer sind, die Vorschläge eingeschworener Chiliheads, welche die Transcendental Capsaicinophilic Society (www.io.com/~m101/tcs) gegründet haben:

    Sprich laut:

    »O, gesegneter Chili!«

    Stampfe mit dem linken Fuß auf den Boden.

    Sprich laut:

    »O, gesegneter … (nenne die Sorte, die du verwendest)!«

    Stampfe mit dem rechten Fuß auf den Boden.

    Sprich im Flüsterton:

    »Nun werden wir eins.«

    Schüttele den Kopf links, dann rechts.

    Rufe sehr laut:

    »Möge dein Feuer mich erwecken!«

    Scharfe Gerichte nähren Agni, den Hindugott des Feuers, der kosmischen Verwandlungskraft und natürlich der Verdauung. Aus diesem Grund rebellierte mein Magen nicht, obwohl ich mich einer monotonen Ernährung aussetzte. Durch die vielen scharfen Speisen jedoch, die bekanntlich reine Rajas-Nahrung sind (die Körper und Geist anregen), begann ich – ein überwiegender Feuertyp – an Schlaflosigkeit sowie unter Ausbrüchen grundloser Nervosität zu leiden. Auch das Ekzem meiner rechten Handfläche verschlimmerte sich.

    Aber nur so, fieberhaft arbeitend und (auf homöopathische Weise) vor der Gluthitze geschützt, unter der die Stadt im August leidet, schaffte ich es, das folgende Kapitel innerhalb der Frist zu beenden. In der ganzen Zeit ging ich nur ein einziges Mal aus dem Haus, um die Schweiß gebadeten Marathonläuferinnen zu bewundern, die bei mir um die Ecke vorbeisprinteten. Da erinnerte ich mich an jene gute Idee von alten Freunden, und weil ich mit meiner Arbeit schon fast fertig war, griff ich zum Telefon. Aber niemand war zu Hause. Wie ich später erfuhr, hatte die sportliche Veranstaltung an den einsamen Stränden der Kykladen stattgefunden.

    In der Heimat des Paprikas

    Die zahlreichen archäobotanischen Funde in den Höhlen Perus ließen uns zu der Überzeugung gelangen, dass der Mensch die Früchte des Paprikas vor mindestens sieben Jahrtausenden zu nutzen begann. Alle unsere Anhaltspunkte sprechen dafür, dass die Urbevölkerung der nördlichen Region Südamerikas jene kleinen und sehr scharfen Früchte sammelte, die viele Arten der Gattung Capsicum hervorbringen, und zum Verfeinern ihrer Speisen benutzte. Genaue Schätzungen, wann und wo sie diese Arten zum ersten Mal anbauten, sind nicht möglich. Die Mehrzahl der Wissenschaftler, die dieser Frage nachgehen, stimmen darin überein, dass die ersten erfolgreichen Versuche zur Kultivierung vor mindestens fünf Jahrtausenden stattgefunden haben. Die Inkas nannten den Paprika »Uchu«. Sie verehrten ihn mit dem Namen »Agar-Uchu«, was übersetzt »Bruder-Paprika« bedeutet, da er auch eine tragende Rolle in ihrem Weltentstehungsmythos spielte.

    Ungefähr 500 nach Christi bauten die Maya auf der Halbinsel Yucatan mehr als dreißig Sorten Chili an, um ihren eintönigen, weitgehend auf Mais basierenden Speiseplan mit dem scharfen Paprika abwechslungsreicher zu gestalten. Einige Jahrhunderte später unterschieden die Azteken zwischen dem Chili (welcher in der Sprache der Nahuatl »aufgeblasenes Ding« oder »Blase« bedeutet), dem größeren Chilhuaqui, dem kleinen, aber sehr scharfen Chiltecpin, dem Chiltepochin und vielen anderen Früchten verschiedener Arten und Sorten. Neben ihrer großen Bedeutung als Gewürz waren alle von gewichtigem wirtschaftlichen Wert, da sie im Tauschhandel wie die Kakaobohnen als Zahlungsmittel verwendet und von den Azteken als Tribut von ihren Unterworfenen erhoben wurden. Auf diese Weise setzte der Paprika seinen Siegeszug nunmehr als Kulturpflanze fort und eroberte dauerhaft neues Territorium. Es bereitete ihm nicht einmal Schwierigkeiten, das karibische Meer zu überqueren und auf den schönen Inseln Kuba, Jamaika und Hispaniola Fuß zu fassen. Genau dort sollte das bedeutendste Rendezvous seiner Geschichte stattfinden, nämlich jenes, das ihn relativ schnell in die bevorzugte Stellung brachte, die er heute weltweit genießt.

    Begegnungen und Missverständnisse

    Es war im Oktober des Jahres 1492, als Christopher Kolumbus, einen kürzeren als den bis dahin bekannten Weg nach Indien suchend, auf dem heutigen San Salvador landete, das zu den Bahamas gerechnet wird. Überzeugt, sich in Indien zu befinden, oblag er einem ersten schweren Irrtum und nannte die Einheimischen »Indianer«. Drei Wochen später erreichte er Hispaniola (die Insel, die heute in Haiti und Dominikanische Republik unterteilt ist), wo ihm ein weiteres Missgeschick unterlief: Er bezeichnete den Chilipfeffer, den die Einheimischen »Aji« nannten, als »Pimienta« (schwarzer Pfeffer), da er sicher war, dass es sich dabei um eine seiner Sorten handelte.

    Außer der Suche nach einem kürzeren Seeweg war die Vorherrschaft des Handels mit schwarzem Pfeffer und anderen Gewürzen zugunsten der Spanier, welche seine Geldgeber waren, eines der wichtigsten Ziele des italienischen Seemanns, Glücksritters und risikofreudigen Abenteurers.

    Auf der zweiten Reise des genuesischen Seefahrers im Jahre 1493 untersuchte der Schiffsarzt Dr. Diego Alvarez Chanca gründlich die Flora und Fauna der gerade neu entdeckten Gebiete sowie die Lebensgewohnheiten der Einheimischen. In seinem Brief an den Rat von Sevilla schrieb er: »Sie würzen die wunderbare Speise, die sie ›Age‹ (Süßkartoffel) nennen mit Aji, sie genießen diese Würze ebenso mit erbeuteten Fischen und Vögeln.«

    Jener Schiffsarzt war es auch, der die ersten Samen dieser Pflanze nach Spanien brachte, wo sie mit großem Erfolg zur Zierde in Palast- und Klostergärten angebaut wurde, da sie sich problemlos an das warme mediterrane Klima anpasste.

    Der Erste, der kaum ein halbes Jahrhundert nach der »Entdeckung« der Neuen Welt, mit Sorgfalt drei Paprikasorten beschrieb, war Leonhart Fuchs, Medizinprofessor der Universität zu Tübingen. Diese Beschreibung erschien 1543 in Basel, in seinem »New Kreüterbuch«.

    Zu dieser Zeit herrschte jedoch noch immer große Verwirrung. Der »indianische Pfeffer« wurde als eine Art des schwarzen Pfeffers angesehen, den schon Plinius und Avicenna in ihren Schriften erwähnten. Die Beschreibung des Anbaus eines »frembd Gewechs / newlich in unser Teütschland gebracht« ist dennoch richtig, ebenso wie die detaillierte Beschreibung der Eigenschaften und Wirkungen dieses Piper hispanum oder Piper indianum oder Piper calecutzicum.

    »… er wermet / zerteylt unnd verzert / sterckt den kalten magen und fürdert sein dewung. Vertreibt die wind und bläst. Er zeücht die zähen feüchte aus dem kopff / mit Bissmüntzen im mund gekewet. Macht lust zu essen. Er ist den zänen und dem zanfleysch nützlich / dann er verzert alle böse feüchtigkeit darin / unnd wert das da kein feule werd. Macht derhalben einen wolschmeckenden mund …«

    Zu jener Zeit verbrachte der Hesse Hans Stade acht Jahre bei brasilianischen Eingeborenen in Gefangenschaft. Dort lernte er aus erster Hand den Gebrauch roten, gelben und grünen Paprikas kennen. In seinem Buch »Warhaftige Historia« erwähnte er, dass Paprikas noch nach dem Trocknen in der Sonne scharf bleiben, und riet zu ihrer bedenkenlosen Nutzung.

    Trotz seiner allseits positiven Beurteilung fand der Paprika nur sehr langsam den Weg in die Küche der Alten Welt. Der schwarze Pfeffer der Indianer blieb das begehrteste Gewürz, aber auch ein Symbol für Reichtum und sozialen Status, da er überaus kostspielig war. Das Misstrauen oder gar die Feindseligkeit der Europäer gegenüber dem scharfen Paprika hielt lange an und wurde erst nach Beginn des 18. Jahrhunderts überwunden. Ein charakteristisches Beispiel für diese Haltung ist ein Brief aus dem Jahre 1668, in welchem der namhafte englische Schriftsteller John Evelyn Paprikafrüchte mit wunderschön, glänzenden Korallen vergleicht, von denen Ihnen aber nach dem Verzehr eines winzigen Stückchens der Hals brennt und Sie zu sterben drohen.

    Globale Erwärmung

    Triumphal dagegen verlief die Wanderung des Paprikas über die Meeresstraßen, die von den Portugiesen kontrolliert wurden. Ausgehend von Brasilien wurde er in Westafrika angebaut und gelangte direkt an die westlichen Küsten Indiens, nach Makao und Korea, auf die Philippinen und sogar nach Japan, das traditionsgemäß jeden Einfluss von außen abwehrte. Fast überall wurde er so aufgenommen, wie es seinem feurigen Temperament entsprach, das heißt mit Wärme und Enthusiasmus.

    Da an den verschiedenen Orten jeweils andere Klima- und Bodenverhältnisse vorherrschten, gediehen schnell zahlreiche Sorten, die in Form, Farbe, Größe und Schärfe variierten. Wer könnte sich heute die indische Küche ohne die Schärfe vorstellen, die der Paprika dem Curry verleiht? Und wem wäre es möglich, im Verbrauch an Chili mit den Indern zu konkurrieren? Sogar Bananen würzen sie mit seinem Pulver, während sie Salate und Suppen kräftig mit seinem Reiz versehen. Auch als Heilmittel nutzen sie ihn, um die Mundhöhle zu reinigen, den Körper von Giftstoffen zu befreien und den Geist zu läutern. Auf ähnliche Weise fand der Paprika Anhänger in China, Malaysia, Indonesien und fast im gesamten tropischen Afrika von Äthiopien bis zum Senegal, wo er bis heute verehrt wird.

    Als die osmanischen Türken 1513 das von den Portugiesen befestigte Hormuz im Persischen Golf eroberten, begegneten sie zum ersten Mal der Frucht des scharfen Paprikas und probierten sie. Wie es scheint, waren sie sofort begeistert. Sein intensiver Charakter passte sehr gut zu ihrer kämpferischen Natur. Und so verbreitete sich der Anbau zügig über das gesamte osmanische Herrschaftsgebiet, welches damals das nördliche Afrika, den Mittleren Osten und den Balkan umfasste.

    Das griechische Kapitel in der Geschichte des Paprikas begann zur Zeit der Türkenherrschaft, als in weiten Teilen Mazedoniens dessen intensiver Anbau begonnen wurde. Um Kreuzungen zu vermeiden, welche die Qualität vermindert hätten, war die Kultivierung verschiedener Sorten auf denselben Flächen streng verboten. So bauten einige Dörfer nur die scharfen und andere nur die milden Sorten an. In der Gegend um Aridaia entstand eine dünnhäutige, längliche Variante mit feuerroter Farbe und außergewöhnlichem Geschmack. Da die Türken diese Sorte besonders schätzten, verschaffte sie den ansässigen Bauern Privilegien und einen Schutzstatus. Dieser scharfe Aridaia-Paprika, auch »Karatzowas« genannt, war jedoch nur bis vor ungefähr einer Generation auf der ganzen Balkanhalbinsel berühmt, bis die traditionell heimischen Freilandkulturen zugunsten ergiebigerer Sorten eingeschränkt wurden.

    Mit den siegreichen Feldzügen von Süleiman dem Prächtigen Richtung Westen, kam der Paprika Mitte des 16. Jahrhunderts in das Land der Magyaren. Einer ungarischen Sage zufolge wurde eine Paprikafrucht heimlich aus dem Garten des türkischen Verwalters von Buda herausgebracht, gut versteckt in der Kleidung einer Dienerin, die sich von der Todesstrafe durch Enthauptung, mit der ein solches »Vergehen« bestraft wurde, nicht abschrecken ließ.

    Die Samen schlugen im Süden der fruchtbaren Ebene Wurzeln, aber auch in der ungezähmten Seele des ungarischen Volkes, das den Paprika öffentlich zum Nationalgewürz erklärte und sogar den Gulasch kreierte, um seine Vorzüge hervorzuheben. Die Wahrheit sieht sicher etwas anders aus als diese faszinierende Geschichte, denn der Paprika wird in ungarischen Kochbüchern erst 1830 erwähnt, also nahezu eineinhalb Jahrhunderte nach der Vertreibung der türkischen Eroberer.

    Sicher ist jedoch, dass der scharfe Paprika schon seit dem Ende des 18. Jahrhunderts in Ungarn eine herausragende Rolle spielt, sowohl als Gewürz wie auch als Quelle des Reichtums. Städte wie Szeged und Kalocsa streiten bis heute darüber, welche von ihnen berechtigt ist, den Titel der wahren »Paprikahauptstadt« zu tragen. In den umliegenden Dörfern werden die Paprikas noch immer auf dünne Fäden gezogen und gebündelt zum Trocknen an Dächer und Fenster gehängt, wo sie dunkelrote Akzente in die tiefgrüne Landschaft setzen, welche unentbehrlich sind, damit in diesem Land die Leidenschaft nicht verloren geht.

    Der ungarische Beitrag zur Verbreitung des Paprikas hört hier jedoch nicht auf. Während wir der Stadt Szeged den süßen Paprika zu verdanken haben, erfanden die Brüder Palffy die ersten Chilimühlen zur Herstellung von Paprikapulver. Ihre Idee war so einfach wie das Ei des Kolumbus: Dank ihrer unentwegten Bemühungen konnten sie im Jahre 1859 eine Maschine herstellen, die vor dem Mahlen die Samen von der Frucht trennte, wodurch sich die Schärfe des erzeugten Pulvers auf ein Minimum reduzierte. Dieser süße Paprika, in unterschiedlichen Verhältnissen mit dem scharfen vermischt, ermöglichte erstmals Mischungen verschiedener Intensitäten, die von »erös« (sehr scharf) über »félédes« (halbsüß) bis zu »édesnemes« (süß) reichten.

    Wer die Leidenschaft der Ungarn für Paprika kennt, den verwundert es nicht, dass dem magyarischen Biochemiker Albert von Szent-Györgyi dank seiner langjährigen Versuche die Identifizierung und Gewinnung des Vitamins C aus den (daran sehr reichen) Paprikas gelang. Dieser Erfolg war sehr beeindruckend. Letztlich erhielt er dafür 1937 den Nobelpreis für Medizin und Physiologie.

    Das nordwestliche Europa zögerte jedoch lange, ehe es den roten Teppich für den Empfang des »indianischen« Pfeffers auslegte. Insbesondere Frankreich wehrte ihn heftig ab: General La Fayette vertrat die Ansicht, dass sein Gebrauch nicht nur gesundheitliche Schäden zur Folge habe, sondern auch unsittlich sei. Und als der Philosoph Diderot erfuhr, dass die Mexikaner scharfen Paprika fanatisch verzehren, urteilte er, dass »keine Gewöhnung daran es ermögliche, einen solch feurigen Stoff in eine ungefährliche Speise zu verwandeln.«

    Wahrscheinlich wäre der Paprika niemals auf den Gipfel der gehobenen Gastronomie gelangt, wenn ihn nicht der berühmteste Küchenmeister des ausgehenden 19. Jahrhunderts, Auguste Escoffier, unter seinen Schutz gestellt hätte. Während Escoffier systematisch an seinem Mythos im aristokratischen Grand Hotel von Monte Carlo arbeitete, probierte er im Jahre 1880 den scharfen Paprika, den ihm ein Freund aus Szeged mitbrachte. Begeistert begann er sofort das Spiel mit den Kreationen. Der neue Reiz der Würze in vielen seiner Spezialitäten zwang seine zahlreichen Bewunderer, für das »ungarische Gewürz« zu werben. Allmählich lernten alle Gesellschaftsschichten den Paprika zu nutzen und ihren Gerichten ein wenig willkommene Exotik hinzuzufügen. Offensichtlich brach ein neues Zeitalter an, als im Jahre 1907 zum ersten Mal in einem deutschen Kochbuch ein Rezept mit Paprika, und zwar Kalbsgulasch gewürzt mit spanischem Pfeffer, veröffentlicht wurde …

    Der Kreislauf des Paprikas, der sich in Südamerika mit seiner Abreise geöffnet hatte, schloss sich irgendwann mit seiner Ankunft in Nordamerika. Soweit uns bekannt ist, reiste er mit den Sklavenschiffen, die zwischen Westafrika und den Südstaaten der heutigen USA ein Band aus Entwurzelung und Leid knüpften. Aufgrund des heißen Klimas und der gastronomischen Einflüsse aus Mexiko, die in seiner neuen Heimat herrschten, veränderte der Paprika die örtliche Küche sehr schnell, indem er sie mit seiner unschlagbaren, feurigen Kraft impfte. Dank solcher Leckerbissen wie »Chili con Carne« und »Gumbo«, deren Glanz heutzutage weit über ihre Heimat hinaus erstrahlt, entflammte die ganze Welt.

    Wenn wir herausfinden wollen, wo und wann genau die zeitgenössische Geschichte des Paprikas beginnt, müssen wir unsere Blicke wahrscheinlich auf den Südstaat Louisiana richten und in die Zeiten des amerikanischen Bürgerkrieges zurückblicken. Als die siegreiche Armee der Union die private

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