Carvalho und die olympische Sabotage: Ein Kriminalroman aus Barcelona
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Nicht erst seit gestern regt sich Protest gegen sportliche Großveranstaltungen, die vor allem bei korrupten Funktionären ein bleibendes Siegerlächeln hinterlassen. Schon 1992 rüstet sich Pepe Carvalho zum privaten Olympiaboykott. Doch ausgerechnet er soll eine internationale Verschwörung gegen die Spiele in Barcelona verhindern.
Ganz Barcelona freut sich auf die Olympischen Spiele. Ganz Barcelona? Aber nein! Nur-nicht-Dabei-Sein ist alles, denkt sich Privatdetektiv Pepe Carvalho und verbarrikadiert sich mit allerlei Köstlichkeiten in seinem Haus in Vallvidrera. Doch plötzlich stehen Militär und Innenministerium mitten im Wohnzimmer und bitten ihn um Hilfe.
Denn irgendjemand scheint die olympischen Wettbewerbe zu sabotieren: Ben Johnson läuft die 100 Meter in unglaublichen 6,4 Sekunden, und IOC-Chef Juan Antonio Samaranch, der Carvalho eben noch einen großzügigen Scheck zugesteckt hat, wurde durch einen Doppelgänger ersetzt. Begleitet von Vera, einer serbischen Bodybuilderin und Tochter Titos, macht sich Pepe Carvalho auf die Suche nach den Drahtziehern der Verschwörung. Doch allzu viel Zeit bleibt ihnen nicht: In den USA glaubt ein Vizepräsident mit mangelhaften Geographiekenntnissen, dass Barcelona in der Nähe von Bagdad liege, und ist kurz davor, einen Bombenangriff zu starten …
Eine bitterböse Krimi-Groteske und Vázquez Montalbáns Abrechnung mit der olympischen Invasion seiner Heimatstadt durch omnipräsente Sicherheitskräfte und Immobilienspekulanten, wie sie auch heute an allen Austragungsorten zu erleben ist.
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Book preview
Carvalho und die olympische Sabotage - Manuel Vázquez Montalbán
Aus dem Spanischen übersetzt und neu bearbeitet von Bernhard Straub.
Die spanische Originalausgabe erschien 1993 unter dem Titel Sabotaje olympico bei Planeta in Barcelona, die deutsche Erstausgabe unter dem Titel Krieg um Olympia 1994 beim Rowohlt Verlag in Reinbek bei Hamburg.
E-Book
-Ausgabe 2016
© 1993 Heirs of Manuel Vázquez Montalbán
© 2016 für diese Ausgabe: Verlag Klaus Wagenbach, Emser Straße 40/41, 10719 Berlin
Covergestaltung von Julie August unter Verwendung einer Fotografie © Jean-Yves Ruszniewski/TempSport/Corbis. Das Karnickel zeichnete Horst Rudolph.
Datenkonvertierung bei Zeilenwert, Rudolstadt.
Alle Rechte vorbehalten. Jede Vervielfältigung und Verwertung der Texte, auch auszugsweise, ist ohne schriftliche Zustimmung des Verlags urheberrechtswidrig und strafbar. Dies gilt insbesondere für das Herstellen und Verbreiten von Kopien auf Papier, Datenträgern oder im Internet sowie Übersetzungen.
ISBN: 978 3 8031 4194 1
Auch in gedruckter Form erhältlich: ISBN: 978 3 8031 2752 5
www.wagenbach.de
Pepe Carvalho bei Wagenbach
Carvalho im griechischen Labyrinth
Ein Kriminalroman aus Barcelona
Eine betörende Französin sucht den Mann ihres Lebens. Pepe Carvalho ist zu allem bereit, doch Mademoiselle Claire und ihr merkwürdiger Begleiter Lebrun verlangen von ihm, den schönen Griechen Alekos im Labyrinth Barcelonas zu finden.
Aus dem Spanischen übersetzt und neu bearbeitet von Bernhard Straub
WAT 733. 176 Seiten
Auch als eBook erhältlich
Carvalho und der Mord im Zentralkomitee
Ein Kriminalroman aus Madrid
In einem Saal voller Kommunisten gehen die Lichter aus. Als es wieder hell wird, liegt ein linker Star-Politiker erstochen auf dem Sitzungs-tisch. Exgenosse Pepe Carvalho rätselt: War es ein Todfeind oder ein Parteifreund?
Aus dem Spanischen übersetzt und neu bearbeitet von Bernhard Straub
WAT 731. 272 Seiten
Auch als eBook erhältlich
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Aus dem Spanischen übersetzt und neu bearbeitet von Bernhard Straub
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Aus dem Spanischen übersetzt und neu bearbeitet von Bernhard Straub
WAT 701. 272 Seiten
Auch als eBook erhältlich
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Auch als eBook erhältlich
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Manuel Vázquez Montalbán bei Wagenbach
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Leonardo Sciascia bei Wagenbach
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WAT 644. 128 Seiten
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Geschichte ist die Wissenschaft von den Tatsachen,
die das Leben der Menschheit im Verlauf ihrer Entwicklung
geprägt haben, und sie erklärt auch die Ursachen,
die dazu geführt haben.
Santiago Andrés Zapatero
Di nos quasi pilas habent
(Wir sind Spielbälle in den Händen der Götter)
Plautus, Captivi 22
Biscuter hat eine Theorie zu Escoffier. Er hat sie nicht nur, sondern prahlt auch mit ihr vor Carvalho, sooft er kann. Der bereut es bisweilen, ihm eine Reise nach Paris und einen Schnellkurs zur Zubereitung von Suppen an der Académie de Haute Cuisine von Mister Everglace bezahlt zu haben.
»Escoffier ist die summa theologica in der großen Tradition der bürgerlichen Küche.«
Egal, wie oft Carvalho auch versucht hat, seinen Vortrag zu zerpflücken, indem er ihm Fragen stellte, beispielweise nach der Bedeutung von summa theologica, Biscuter hatte stets eine Antwort parat.
»Der absolute Hammer.«
Das Positive an der Parisexpedition ist nicht nur, daß Biscuter nun auch den schwierigen Consommés wie consommé à la brunoise oder den mehr oder minder typischen Suppen der französischen Küche in all ihren Feinheiten gewachsen ist, von der Zwiebelsuppe aux Halles bis zur potage Thurins Roumanille in reinster Escoffierscher Manier, sondern daß er sich mittlerweile auch an »ausländische« potages wagt. »Ausländisch«, betont Biscuter immer wieder, als hätte er die Identität eines Franzosen angenommen.
»Wissen Sie, daß sich Escoffier mit der spanischen olla podrida auseinandersetzt? Obwohl der Typ nicht verheimlichen kann, was ihm die spanische Küche verleidet: Kichererbsen und Chorizo. Heute mache ich Ihnen eine sehr ausländische Suppe, Chef.«
»Wozu denn in die Ferne schweifen?«
»Man muß experimentieren.«
Also experimentiert er mit einer potage Oukha: eine Fischbouillon aus Stör, Gräten und Flossen verschiedener Fische, Wasser, Weißwein, Petersilie, Sellerie, Fenchel, Champignons, Salz … Carvalho schwirrt der Kopf, wenn er bedenkt, was man alles braucht, um dieses Gericht richtig zuzubereiten, und das alles, um eine einfache Suppe herzustellen, eine schlappe Suppe ohne Biß. Für das Alter – Suppen! Die tiefe Festigkeit eines Suppentellers voller Fleischeinlage, die zwar aggressiv ist, aber durch das lange Kochen gezähmt wird. Das Rohe? Das Gekochte? Das Verkochte! Aber Biscuter entgleitet ihm. Wie die Wirklichkeit. Oder die Erinnerung. Seit seiner Parisreise hat Biscuter aufgehört, wesensgemäß abhängig zu sein, als hätte er auf einmal die Länder entdeckt, die jenseits seiner kleinen Welt existierten. Jenseits der kleinen Welt, in der er sich als einstmals junger Sträfling und nicht mehr ganz so junger Allzweck-Domestike eines Detektivs bewegt, dem es an Erfolg und Optimismus mangelt. Vielleicht will er von Biscuters Gesellschaft gar nichts mehr wissen, und auch nichts von der Wirklichkeit oder der Erinnerung, ganz nach Maßgabe der herrschenden Kultur des verordneten Vergessens. Jetzt, im Juli 1993.
Genau vor einem Jahr war alles bereitet für die Eröffnung der Olympischen Spiele von Barcelona, jetzt sind das größte Spektakel der Welt und alles Erlebte längst vom Gully der Krise, der Krise von nahezu allem und allen, verschlungen. Die Götter haben sich wieder auf den wirklichen Olymp zurückgezogen, und glaubt man den Weisen der Wirtschaft, haben sie nicht einmal die Güte besessen, uns Brot und Wein hier zu lassen. Wenn sich Carvalho an die Illusionen jener Zeit der Olympischen Spiele erinnert, verspürt er den Wunsch, seine naturalistischen Bande zum Konkreten zu stärken. Irgend etwas muß es doch zu tun geben. Seit dem Schlußakt der Spiele hat er die Angewohnheit, zum Philosophen zu gehen, so wie andere zum Psychiater. Sein Hausphilosoph ist nach wie vor Xavier Rupert Dos Ventos, und auf die Frage nach der Abwesenheit der Götter antwortet ihm Dos Ventos vom anderen Ufer seines Telefons:
»Was tun? Wozu? Wenn Sie etwas tun möchten, dann liegt es daran, daß Sie noch immer Bedürfnis nach Sinn haben … nach Finalität … vielleicht handelt es sich auch nur um einen Finalitätsinstinkt, einen konditionierten, reflexhaften Wunsch nach Finalität. Es ist richtig, die Götter sind fortgegangen. Hölderlin hat es in seiner Elegie verkündet, aber er glaubte, sie hätten Brot und Wein hier gelassen. Ich möchte das einmal als Metapher der materiellen Freuden interpretieren. Bleiben uns wirklich keine materiellen Freuden mehr? Sind Sie meinem Rat gefolgt? Haben Sie sich einen neuen Dampfkochtopf angeschafft? Den Ziegenkäse aus Corçà probiert? Sind Sie immer noch süchtig nach dem Ribera del Duero? Warum steigen Sie nicht auf Mineralwasser mit Kohlensäure um?«
Vielleicht aber geht es gar nicht darum, etwas zu tun, sondern lediglich, etwas zu sagen. Also sagt er zu Biscuter:
»Gib Kichererbsen dazu!«
»Zur potage Oukha, Chef?«
»Zu allem … Kichererbsen und Chorizo zu allem …«
»Aber, Chef, das ist Nationalismus! Die Welle des Nationalismus, die uns überflutet.«
Was hatte er mit diesen Leuten gemein, die auf ein kollektives Podest kletterten, um sich die Medaillen der olympischen Bewegung umhängen zu lassen? Im Fernsehen sah er sich die Ankunft der olympischen Fackel und das griechisch-katalanische Empfangsfest an. Das beste daran war das herrliche Mädchen, das die Fackel an Land brachte. Dann trat die Fackel, getragen von Politikern, Sportlern und jeder anderen lokalen Größe, einen Rundweg durch ganz Spanien an, mit dem Ziel, ein episches und gleichzeitig zoologisches Territorium der spanischen Spezies abzustecken. Hätte man es als Wohltätigkeitsveranstaltung präsentiert, bei der man Spenden für die Verbesserung der Stadt oder der Situation der keltiberischen Restbevölkerung sammelte, oder ihn zumindest gefragt, ob sich deren Verbesserung lohne, hätte sich Carvalho gleichfalls seiner Stimme enthalten. Aber immerhin hätte er den Schweiß der Personen, der Werke und der Tage akzeptiert, und er hätte sich hinreißen lassen von einem Sommer, der sommerlicher war als die anderen:
Stets hofft man auf einen Sommer,
der besser ist
und geeignet zu tun,
was man nie getan hat.
So hatte ein Dichter gesungen, dessen Jugend auch die Carvalhos gewesen war, und aus dieser Zeit flogen ihm zerbrochene Gedichte zu, die er einmal gelesen oder die man ihm sogar vorgelesen hatte:
Es kam nicht zur Unzucht,
und das Mädchen lebt noch heute.
Von wem war das? Es war nicht mehr wichtig. Das Gefühl der Entfremdung saß ihm in den Knochen wie eine nicht mitteilbare Kälte. Diese Entfremdung ähnelte jener, die er zu Zeiten des Franquismus in den Gethsemane-Stunden seiner inneren Emigration gespürt hatte, in die er damals vor der Obszönität der Diktatur geflohen war. Heute war es der ungeheure und implizite Druck der olympischen Massen, der ihn auf die Standspur der