Genius' Tochter
By Cosima Sand
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About this ebook
Ein desillusionierter Politiker wird durch ein scheinbar harmloses Ereignis mit seinem eigenen Versagen konfrontiert.
Ein Professor möchte eine Zeitreise unternehmen und wird für verrückt erklärt - aber nicht von allen ...
Auf der Suche nach der perfekten Zukunft gerät ein Mittdreißiger ins Straucheln und trifft Tobias, der ihm den Spiegel vorhält.
Auf einem Asienaufenthalt lernt Patrizia eine geheimnisvolle Schöne kennen.
Und in Italien erfährt eine nüchterne Karrierefrau, was im Leben eigentlich wichtig ist.
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Book preview
Genius' Tochter - Cosima Sand
Cosima Sand
Genius’ Tochter
Sechs Kurzgeschichten
© by Cosima Sand. Alle Rechte liegen bei der Autorin.
Sämtliche Figuren und Handlungen sind frei erfunden.
2. Auflage, Januar 2015
© Coverbild: susanafh – Fotolia.com
Betreuung, Lektorat & Covergestaltung:
Lektorat & mehr, Diesdorfer Weg 6, 29439 Lüchow
E-Book Distribution: XinXii
http://www.xinxii.com
Inhalt
Ragout fin
Stopp!
Zeitreise
Er suchte
Genius’ Tochter
Sizilien
Ragout fin
Jener denkwürdige Tagesausklang in dem provenzalischen Dörfchen besaß alle Zutaten, ein romantischer Abend zu werden. Kerzen verbreiteten ein warmes, lebhaftes Licht im Restaurant „La Remise", in das die blaue Stunde von draußen eindrang. Der leichte Rosé zauberte zartgetönte Schatten auf die rustikalen Gedecke und das funkelnde Silberbesteck. Neben uns flackerte ein bescheidenes Feuer in dem prunkvollen Steinkamin.
Alles im Restaurant wirkte ein wenig abgenutzt und verschlissen. Doch war es nicht das, was uns so gefiel? Keine raffinierte Event-Kultur im Retro Style oder gar Shabby Chick, wie wir sie für unzählige Ladengeschäfte, Cafés und Restaurants deutscher Großstädte bereits designt hatten, sondern das Wahre, das Echte, das durch diesen gänzlich ungewollten und unkoketten Abglanz prunkvoller Jahrhunderte hindurchschimmerte.
Meine Hand strich liebevoll über die unruhige Maserung des dunklen Holztisches, über die kleinen Furchen, die etwas speckigen Erhöhungen. Sein Blick ruhte auf der Speisekarte. Wir hatten gerade ohne lange zu überlegen gewählt und wussten noch nicht, welche Geschmacksexplosionen auf uns warteten. Wir waren an diesen Ort gekommen, um Ruhe zu finden. Ruhe zu finden nach einem langen Tag des Ringens mit- und umeinander.
Wir sprachen nicht. Worte waren an diesem Tag schon genug gewechselt worden. Wie traurig zu beobachten, hatte ich immer gedacht, wenn sich Mann und Frau irgendwann nichts mehr zu sagen haben. In unserer siebzehnjährigen Ehe war die Kommunikation zwischen Erik und mir nie abgebrochen. Im Gegenteil. Alles musste angesprochen, offenbart, ausdiskutiert werden. Selbst an diesem Abend hätten wir uns mühelos weiter unterhalten können, über unseren Urlaub, über die Provence, darüber, was unsere Kinder wohl jetzt machten, und natürlich auch, wie es denn nun weiter gehen würde – mit- oder ohneeinander. Nur um der Unterhaltung willen hätten wir ewig so fortfahren können. Lang hatte es gedauert, aber jetzt war es so weit. Wir waren des Redens miteinander müde.
Das Holz im Steinkamin knisterte, von draußen drang mit einem lauen Windhauch das erste Grillenzirpen durch die offenen Türen. Es streichelte meine müde, zerrupfte Seele. Nach siebzehn Jahren des schier ununterbrochenen Palaverns, zu Hause, mit den Kindern, im Urlaub, im Atelier, schien jetzt der Zeitpunkt gekommen, erstaunt festzustellen, wie schön es war, zu schweigen. Worte nicht auszusprechen, die einem im Kopf herumgeisterten. Zum ersten Mal wollte ich meinen Mann nicht mehr daran teilhaben lassen, was ich gerade dachte und fühlte. Es ging ihn auch nichts mehr an.
Während er sein Gesicht immer noch hinter der Speisekarte verbarg, betrachtete ich seine Hände, als ob ich sie noch nie zuvor gesehen hätte. Braungebrannt waren sie, schlank, aber kräftig. Ich hatte sie geliebt. Inzwischen waren Runzeln hinzugekommen, und die Behaarung hatte sich verstärkt. Genau genommen sahen sie nicht mehr allzu einladend aus. Sie würden in Zukunft ohnehin eine andere Frau liebkosen. Eine Frau, so schön und jung wie ihr klingender Name: Lara. Aus der Ukraine. Eine Künstlerin. Sein Ehering fehlte. Er musste ihn, bevor wir hergekommen waren, in unserem Apartment ausgezogen haben. Meine Finger berührten meinen glatten, goldenen Trauring. Ihn jetzt ebenfalls auszuziehen, heimlich oder nicht, wäre lächerlich gewesen.
Warum hatten wir nicht schon viel früher öfters gemeinsam geschwiegen? Mussten wir erst so weit kommen, um festzustellen, wie gut das tat? Mag sein, dass er es schon länger vermisst hatte.
„Erik, unterbrach ich die Stille, „redet ihr viel miteinander?
Er lächelte geheimnisvoll. „Eher weniger. Sie kann ja auch noch nicht so gut Deutsch."
Ich nahm einen kräftigen Schluck aus meinem Glas, um mir erst gar nicht vorstellen zu müssen, was sie anstelle des Redens wohl taten. Es half. Wie wohlig der Wein durch die Kehle rann. Auch mein Gegenüber war augenscheinlich entspannt und genoss hin und wieder einen Schluck des fruchtigen, frischen Roséweins. Als offener „Vin de pays" konnte er keiner besonders teuren Rebe aus einem der Weingüter entstammen, die wir auf unserer Reise hatten besichtigen wollen, bevor Erik mir alles gebeichtet hatte. Und doch rann er mir in diesem Augenblick wie der edelste Prädikatswein durch die vom Reden und Weinen ausgetrocknete Kehle. Er schien uns wieder ein wenig zusammenzubringen in dem puren Genuss der einfachen Dinge, schien uns einzulullen in ein tröstliches Miteinander.
Erik warf mir einen lächelnden Blick zu, der zu sagen schien: „Na, ist ja doch alles gar nicht so schlimm, oder?" Und ich, die eine Stunde zuvor noch weidwund am Boden gelegen hatte und auch Wochen und Monate später nicht an ihn denken konnte, ohne ihm in bitterer Wut zu grollen, lächelte aufrichtig zurück. So ein friedlicher Moment war uns lange nicht vergönnt gewesen.
„S’il vous plaît, Madame – Monsieur." Der Kellner servierte das Essen. Das Leben beschert einem in mancher Hinsicht Tiefpunkte und Höhepunkte, und natürlich viele Zwischenstufen. An jenen Tiefpunkt, den ich in Sachen Liebe erlebte, ist bis heute in meiner Erinnerung ein, wenn nicht der Höhepunkt aller Gaumenfreuden geknüpft. Mein ungeschulter Geschmackssinn kostete das in Rotweinsauce zubereitete Hirschragout und wurde überschwemmt von triumphierenden, über Glück und Unglück erhabenen Genussreizen.
War es nicht herrlich dekadent, so für sein Scheitern belohnt zu werden? Für einen Moment schloss ich die Augen. So zart war das Fleisch, so harmonisch war es eingebettet, so rund im Geschmack. In keinster Weise war es zu vergleichen mit irgendetwas, das ich jemals zuhause gekostet hatte. Ob mein restaurantkritisches Gegenüber es genauso empfand? Erik kaute langsam und feierlich, den Blick konzentriert auf seinen Teller gerichtet. Das tat er immer, wenn ihm