Nicht wissen, glauben will der Mensch: Psyche und Krebs
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About this ebook
Bernd Gänsbacher
Univ.-Prof. Dr. med. Bernd Gänsbacher war nach seiner Facharztausbildung in Innerer Medizin, Allergie/Immunologie und Hämatologie/Onkologie an der University of Pennsylvania und am Memorial Sloan-Kettering Cancer Center 16 Jahre Professor am Memorial Sloan-Kettering Krebszentrum in New York, USA. Zuletzt war er Direktor des Instituts für Experimentelle Onkologie und Therapieforschung des Klinikums rechts der Isar der Technischen Universität München. Seit 2013 ist er Mitglied des Committee for Advanced Therapies (CAT) der Euro- pean Medicine Agency (EMA) in London. Er ist Autor von über 130 wissenschaftlichen Artikeln und mehreren Büchern, zuletzt erschien bei Athesia „Krebsrisiko senken durch gesunde Ernährung?“
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Book preview
Nicht wissen, glauben will der Mensch - Bernd Gänsbacher
Dieses Buch ist meiner märchenhaften, geistreichen und allzeit fordernden Muse gewidmet
Inhalt
Die Psyche
Funktionsmechanismen des Intellektes
Erziehung und Entwicklung der Psyche
Die Erinnerung
Darwin, die Evolution und die natürliche Auslese
Der Entscheidungsfindungsprozess des Menschen
Die Intelligenz
Das Lernen
Die Meditation
Das Glück
Positive und negative Psychologie
Kulturen und Glaubensüberzeugungen
Die Psyche und der Krebs
Ausblick
Die Psyche
Seit zwei Jahren treffen sich die vier Freunde – Fulvio, Dietmar, Niday und der Professor – in der Gaststätte Loy zum Stammtisch. In der Vergangenheit wurden vor allem der genetische Hintergrund der Krebsentstehung und der Einfluss der Umwelt und insbesondere der Ernährung diskutiert. Aus diesen Diskussionen sind schon drei Bücher entstanden, die der Professor publiziert hat: „Die Sprache der Gene, „Warum erkranken Menschen an Krebs?
und „Krebsrisiko senken durch gesunde Ernährung".
Eine Kritik von Niday in der Vergangenheit war, dass die Psyche viel zu wenig Platz in den Diskussionen bekommen hätte. Die vier Freunde sind wieder im Loy; gespannt horchen sie, was der Professor ihnen nun über die Psyche zu erzählen hat.
B.G.: Es ist wissenschaftlich fast nicht möglich, den Einfluss der Psyche auf Krankheitsprozesse zu messen. Klar bewiesen sind die negativen Auswirkungen von psychischen Störungen bei Krankheiten wie Depressionen, Neurosen, Manien und ähnlichen Erkrankungen. Auch die neurodegenerativen Prozesse wie Alzheimer, wo die Träger der Emotionen – die Hirnzellen – betroffen sind, werden wissenschaftlich klar erfasst. Extrem schwierig wird es hingegen, wenn man den normalen Zustand oder die positiven Auswirkungen einer psychischen Einstellung wissenschaftlich untersuchen will. Es gibt Wissenschaftler an exzellenten Universitäten, die sich mit diesem Thema einen Namen gemacht haben, wobei aber zum Beispiel das gesamte Feld der positiven Psychologie in den letzten Jahren eher ins Abseits geraten ist, weil so viele selbst ernannte Experten versuchen, mit billigen Glücksversprechen Profit zu machen oder aus Marketinggründen das Positive hervorheben.
Niday ist erstaunt. Über den Körper – die Physis – wissen wir durch die Forschung so viel, aber die Psyche ist scheinbar ein undurchschaubares Problem. Er will wissen, ob beide aus der Erbsubstanz, dem Genom, jedes einzelnen Menschen abgeleitet werden.
B.G.: Der Körper hat sich aus einer befruchteten Eizelle durch einen Reifungsprozess von verschiedenen Zellgruppen gebildet. Während des Embryonalstadiums schalten einzelne Zellen verschiedene Gruppen von Genen ein, z. B. in einer Zelle herzspezifische Gene, die dann zu einem Zellverbund führen und das Herz bilden. In einem anderen Zellverband werden Gene eingeschaltet, die dann Leberzellen und später die Leber formen. Auf diese Weise wird jedes Organ des Körpers gebildet. Genauso ist es mit dem Gehirn, das aus vielen Milliarden Neuronen besteht und die Psyche beherbergt. Die 25 000 Gene, die sich in der Erbsubstanz – dem Genom – jeder einzelnen Zelle des Menschen befinden, enthalten die vollständigen Informationen, die gebraucht werden, um einen Menschen zu bauen. In jedem einzelnen Organ werden aber nur die Kapitel abgelesen, die für die Struktur und die Funktion des jeweiligen Organs notwendig sind. Auch im Gehirn, dem Sitz der Psyche, sind nur ein Teil der 25 000 Gene aktiv eingeschaltet. Eine Zelle hat im Embryonalstadium die hirnspezifischen Gene aktiviert, um dann zusammen mit den Tochterzellen das Hirn zu bauen. Dieser Zellverbund interagiert untereinander, mittels Synapsen, den Verbindungen der Nervenfortsätze, und hormonähnlichen Stoffen – manche werden Neurotransmitter genannt – und erzeugen elektrische Entladungen der Zellmembranen oder Ionenflüsse, die das Empfinden und die Gedanken auslösen. Es gibt im Gehirn ungefähr 100 Milliarden Synapsen, einzelne Neuronen haben zwischen einer und 200 000 Synapsen. Durch das Abfeuern von einem Neuron werden circa 500 bis 1000 Gensequenzen abgelesen.
Diese Hirnzellen sind genauso wie die anderen Körperzellen durch die Evolution geformt worden. Nachfahren und Überlebensvorteile sind die Währung der Evolution. Umwelteinflüsse, denen alle Spezies ausgesetzt waren, führten zu den heutigen Körperformen, aber auch zum Verstand, der das Verhalten und die Gedankenmuster des modernen Menschen prägt. Vieles über Verhalten und Aussehen von Pflanzen, Tieren und Menschen im Laufe der Jahrtausende kennen wir nicht, weil es nicht überlebt hat. Andere Eigenschaften und Verhaltensmuster waren erfolgreicher, haben zu mehr Nachkommen und zum Überleben von unseren heutigen Pflanzen, Tieren und Menschen geführt. Die Plastizität der menschlichen Natur und der Erbsubstanz hat ein Überleben unter widrigsten Umständen wie Eiszeiten, Hitze-und Hungerperioden sowie anderen Gefahren erlaubt. Auch Gefühle, Glauben, Intellekt und andere Auswirkungen der Hirnzellen, die den modernen Menschen prägen, müssen Überlebensvorteile gebracht haben, sonst wären sie eliminiert worden.
Für Darwin sind die Menschen von heute das Produkt einer langen Kette von Siegen. Bei diesen Kämpfen ging es immer um das Überleben und die Fortpflanzung. Wenn Pflanzen, Tiere und Menschen ihre Erbsubstanz nicht mehr weitergeben, hört das Leben auf diesem Planeten schlagartig auf und die Erde wird zu einem fliegenden Felsbrocken, der wie die Venus oder der Mars durch das Weltall segelt. Ohne Leben gäbe es keine Evolution, keine Moral, keine Religionen mit ihren Göttern. Die Evolution hat nur eine Regel: Was die Weitergabe der Erbsubstanz fördert, ist wichtig, alles andere wie z. B. Moral, Ethik oder Glaubensüberzeugungen, spielt nur eine untergeordnete Rolle.
Eigenschaften, die zu Vorteilen für die Weitergabe eines bestimmten Genpools führen, werden sich in der Bevölkerung vermehren und am Ende bei fast allen Menschen vorhanden sein. Dabei werden negative Emotionen über positive Emotionen triumphieren, weil z. B. ein ängstlicher Jäger und Sammler vorsichtiger und zurückhaltender durchs Leben geht und sich dadurch weniger Gefahren aussetzt als ein optimistischer draufgängerischer Kämpfer. Mehr ängstliche und vorsichtige Jäger werden deshalb überleben und die Gelegenheit haben, Kinder zu zeugen.
Die Gene sind ja nur der Bauplan, nach dem diese doch grundsätzlich unterschiedlichen Dinge gebaut werden. Woher stammen Körper und Psyche der Menschen?, fragt Fulvio neugierig nach.
B.G.: Der Sauerstoff, den wir atmen, der Wasserstoff, den wir im Wasser gebunden vorfinden, und das Eisen im Hämoglobin unserer roten Blutkörperchen und viele andere Elemente sind in sterbenden Sternen vor Millionen von Jahren entstanden. Durch eine Supernova, eine Sternexplosion, zu der es kommt, wenn die Gravitationskräfte in den Sternen den Kampf gewinnen, entstehen Sterne, die nur noch aus Eisenoxid bestehen. Dabei werden die Begleitumstände erzeugt, die notwendig sind, um Sauerstoff, Wasserstoff, Stickstoff, Schwefel und viele andere organische Moleküle zu bilden. Nur unter diesen Umständen entstehen Temperaturen von ungefähr 100 Millionen Kelvin, die notwendig sind, um alle bekannten Elemente der Natur hervorzubringen. Wenn Sterne sich im Nebel des Universums bilden, entstehen die Bausteine des Lebens. Ein Neutronenstern entsteht durch den Kollaps eines Sterns, in dem ein Eisenkern, anfangs so groß wie die Erde, auf die Größe einer Stadt zusammenschrumpft. In jeder Sekunde kollabieren irgendwo im Universum Sterne und so entstehen die schwarzen Löcher im Universum, die erst vor wenigen Jahrzehnten entdeckt wurden. Schwarze Löcher und schwarze Materie sind die mysteriösesten Objekte im Weltall. Nichts kann aus den schwarzen Löchern heraustreten. Die Gravitationskräfte sind so stark, dass nicht einmal das Licht entkommen kann. Diese sterbenden Sterne besitzen mindesten 50-mal mehr Masse als unsere Sonne. Und ganz unerwartet geben diese schwarzen Löcher nicht Aufschluss über den Tod, sondern über die Geburt des Lebens.
Also, Überreste der sterbenden Sterne formen diesen Nebel und der kann voller organischer Elemente sein, kommentiert Niday. Wir stammen also alle von der Milchstraße ab.
B.G.: Ja, denn diese Elemente sind die Grundbausteine jeden Lebens. Das Vorhandensein dieser organischen Elemente ist Voraussetzung, aber keine Garantie, für Leben, denn nur einige wenige Vorgänge sind komplex genug, damit Leben entstehen kann. Immer noch finden Astronomen in den entstehenden Sternen die frühesten Anzeichen von Leben, aber es gibt nur wenige planetenähnliche Gebilde im Universum, auf denen Leben in unserem Sinne entstehen könnte.
Im Universum – ebenso wie auf unserer Erde – herrschen ein Kommen und ein Gehen. Es ist als regierten die gleichen Gesetzmäßigkeiten. Sterne werden irgendwo gebildet, sie sterben und neue entstehen, und damit bilden sich die Bausteine für neues Leben. Ein Beweis dafür sind Meteoriten aus dem Weltall; sie enthalten Aminosäuren, die man auf der Erde findet. Aufgrund von stringenten wissenschaftlichen Kriterien und genauer Beobachtung der Sterne konnten Wissenschaftler in den letzten Jahrzehnten die Geschichte des Universums enthüllen, den Ursprung des Lebens erklären und das Verblassen der letzten Sterne und das Verschwinden von Lichtobjekten im Universum voraussagen.
Wie ist Leben aus diesen explodierenden Sternen entstanden?, will Fulvio wissen.
B.G.: Wenn in diesen Sternen die reichlich vorhandenen Heliumkerne zu Kohlenstoffkernen verschmelzen, treten extrem hohe Temperaturen auf. Unter diesen Begleitumständen sind die Sauerstoff-, Wasserstoff-, Stickstoff-, Schwefel-, Kohlenstoffmoleküle und viele andere Moleküle, aus denen z. B. Aminosäuren, Zucker und Fettsäuren aufgebaut sind, entstanden. Die Bausteine des Lebens wurden im Laufe von Millionen Jahren zu den verschiedensten Lebensformen zusammengefügt, von der Umwelt geformt und ständig angepasst: zuerst zu fischartigen Wesen, dann zu Amphibien, die sowohl im Wasser als auch an Land leben konnten, und dann zu Landwesen, die manchmal gigantische Ausmaße erreichten, wie zum Beispiel die Dinosaurier, die vor Hunderten Millionen Jahren diesen Planeten bevölkerten. Diese gigantischen Lebensformen waren nur in einer optimalen Umwelt überlebensfähig. Ihre massigen Körper wurden immer größer, bis die Tiere den ganzen Tag über fressen mussten, nur um sich am Leben zu erhalten.
Schon die kleinsten Störfaktoren waren lebensgefährlich. Äußere Umstände, wie Meteoriteneinschläge, Vulkanausbrüche oder Temperaturschwankungen, hatten die Verfügbarkeit der Nahrung vermindert und damit vermutlich vor 65 Millionen Jahren zum Aussterben der Dinosaurier geführt.
Kleine Säugetiere haben das durch das Aussterben der Dinosaurier entstandene Vakuum als Erste gefüllt und sich in den verschiedensten Formen weiterentwickelt, immer angepasst an die Umweltfaktoren, die letztendlich die entscheidenden Kräfte sind. Kommt es durch Vulkanausbrüche zu Gas- oder Staubwolkenbildung, die den Sonnenstrahleneinfall auf die Erde beeinträchtigen, dann fallen die Temperaturen und die Artenvielfalt und das Wachstum der Flora verändern sich entsprechend.
Es hat viele solcher Anpassungsphasen gegeben. Was wir jetzt auf diesem Planeten beobachten können, ist das Resultat der Veränderungen, die sich in den letzten Millionen Jahren abgespielt haben. Im Laufe der letzten Millionen Jahre sind zuerst die Säugetiere und dann die Menschen zur dominierenden Spezies dieses Planeten aufgestiegen. Der Mensch hat seine Gelegenheit optimal genutzt. Seine Intelligenz hat ihm Möglichkeiten eröffnet, Probleme zu lösen, Gesellschaftsstrukturen und Organisationen zu gründen, die überlebensfähige Formen angenommen haben. Wie wir wissen, ist der Mensch jetzt sogar in der Lage, das Umfeld und die Natur maßgeblich zu beeinflussen. Ob er diese Macht zu seinem Vorteil oder zu seinem Nachteil nutzt, wird die Zukunft zeigen. Denn Stillstand gab es in der Natur nie und wird es nie geben, alles ist in Bewegung und in einem Kreislauf miteinander verbunden.
Was kannst du uns Laien über die Psyche des Menschen erzählen?, fragt Fulvio vorsichtig. Der Intellekt und die Intelligenz haben den Menschen zur dominierenden Spezies auf diesem Planeten gemacht. Über meinen Körper weiß ich einiges, über meine Psyche wenig.
B.G.: Die Psyche ist genauso wie der Körper eine Ansammlung von Modulen, ähnlich wie die Organe des Körpers, die von der natürlichen Auslese über Millionen Jahre aufgebaut und ausgebildet wurden, um die Probleme unserer Urahnen, die in einer feindlichen Umwelt überleben mussten, zu lösen. Diese einzelnen Organstrukturen der Psyche verstehen wir bei Weitem nicht so genau wie beim Körper, und das ist auch einer der Gründe, warum wir z. B. einen unglücklichen Gemütszustand nicht unmittelbar in einen Glückszustand umwandeln können.
Ich bin nicht wirklich ein Spezialist auf dem Gebiet der Psyche, werde aber zusammenfassen, was führende Wissenschaftler – unter ihnen auch Nobelpreisträger – publiziert haben. Die Menschen sind höher entwickelte Tiere. Vor ungefähr 5000 Generationen gab es nur ungefähr 10 000 Menschen auf diesem Planeten. Die Gene der modernen Menschen stammen von diesen Vorfahren ab und sind deshalb auch untereinander zu 99,9 Prozent identisch. Das Gehirn ist auch ein Produkt dieser Gene und ist der Sitz der Psyche. Die Wissenschaft hat generell Schwierigkeiten, die Psyche der Menschen zu analysieren. Bei einer Körperzelle können Wissenschaftler das Genom durchlesen, überprüfen und viele Rückschlüsse ziehen. Will man aber etwas über die Psyche des Menschen wissen, kann man nicht einfach eine Hirnzelle nehmen und das Genom analysieren. Die Erbsubstanz einer Hirnzelle lässt nur in den seltensten Fällen Rückschlüsse auf die Funktion der Psyche des Menschen zu.
Wir Menschen erleben unsere innere Welt schon in den ersten Jahren des Lebens in Form von Ideen, Gedanken, Bedürfnissen, Wünschen, gespeichertem Wissen, Erwartungen, Hoffnungen, Absichten, Meinungen und wir bemerken bald ähnliche innere Welten in anderen Menschen. Wir können durch Introspektion in unsere Welt hineinschauen, aber nie in jene anderer Menschen. Wir nehmen aber an, dass ihre Welt ähnlich geschaffen ist und sie deshalb auch ähnlich funktionieren.
Um die Psyche eines anderen Menschen zu verstehen, versetzen wir uns in diese Person. Durch „Anziehen des mentalen Schuhs einer anderen Person" interpretieren wir ihre Aktionen und sagen ihre zukünftigen Reaktionen und Handlungen so gut wie möglich voraus. Je besser wir die mentale Struktur, die Glaubenswerte, die Meinungen und die Wünsche dieses Menschen verstehen, umso genauer werden sich unsere Interpretationen bewahrheiten. Es ist aber unklar, ob man dadurch dieselben Neuronen