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Rosa Luxemburg: Die Russische Revolution (Gesammelte Werke über die soziale Revolution in Russland): Zur Frage des Terrorismus in Rußland + Organisationsfragen der russischen Sozialdemokratie...
Rosa Luxemburg: Die Russische Revolution (Gesammelte Werke über die soziale Revolution in Russland): Zur Frage des Terrorismus in Rußland + Organisationsfragen der russischen Sozialdemokratie...
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Rosa Luxemburg: Die Russische Revolution (Gesammelte Werke über die soziale Revolution in Russland): Zur Frage des Terrorismus in Rußland + Organisationsfragen der russischen Sozialdemokratie...

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Dieses eBook: "Rosa Luxemburg: Die Russische Revolution (Gesammelte Werke über die soziale Revolution in Russland)" ist mit einem detaillierten und dynamischen Inhaltsverzeichnis versehen und wurde sorgfältig korrekturgelesen.
Rosa Luxemburg (1871-1919) war eine einflussreiche Vertreterin der europäischen Arbeiterbewegung, des Marxismus, Antimilitarismus und "proletarischen Internationalismus". Im Dezember 1905 reiste sie unter dem Pseudonym "Anna Matschke" mit Leo Jogiches nach Warschau, um die russische Revolution 1905 zu unterstützen und die SDKPiL zur Teilnahme daran zu bewegen. Im März 1906 wurde sie verhaftet. Es gelang ihr, ein Kriegsgerichtsverfahren mit drohender Todesstrafe abzuwenden. Nach ihrer Freilassung gegen eine hohe Kaution reiste sie nach Petersburg und traf dort russische Revolutionäre, darunter Lenin. Ihre Erfahrungen mit der russischen Revolution verarbeitete sie nach ihrer Rückkehr nach Deutschland in der Schrift Massenstreik, Partei und Gewerkschaften. Rosa Luxemburg schrieb den Aufsatz Zur russischen Revolution. Darin begrüßte sie Lenins Revolution, kritisierte aber zugleich scharf seine Strategie und warnte vor einer Diktatur der Bolschewiki. In diesem Zusammenhang formulierte sie den berühmten Satz: "Freiheit ist immer Freiheit des Andersdenkenden." Nach dem Sturz des Zaren infolge der Februarrevolution 1917 schrieb Rosa Luxemburg den Artikel Die Revolution in Russland. Darin hob sie die treibende Kraft des russischen Proletariats bei den Ereignissen hervor. Seine Machtentfaltung habe zunächst die liberale Bourgeoisie an die Spitze der revolutionären Bewegung gestoßen. Seine Aufgabe sei nun, den imperialistischen Krieg zu beenden. Dazu müsse es die eigene Bourgeoisie bekämpfen, die den Krieg unbedingt brauche und fortsetzen wolle. Dieser habe Russland reif für die sozialistische Revolution gemacht.
LanguageDeutsch
Publishere-artnow
Release dateApr 2, 2016
ISBN9788026852872
Rosa Luxemburg: Die Russische Revolution (Gesammelte Werke über die soziale Revolution in Russland): Zur Frage des Terrorismus in Rußland + Organisationsfragen der russischen Sozialdemokratie...
Author

Rosa Luxemburg

Rosa Luxemburg (1871-1919) was a Marxist theorist, philosopher and economist. One of the most brilliant minds drawn to the revolutionary socialist movement, she was a dedicated political activist, she proved willing to go to prison and even give her life for her beliefs. Her selected works are collected in Rosa Luxemburg: Socialism or Barbarism (Pluto, 2010).

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    Rosa Luxemburg - Rosa Luxemburg

    Rosa Luxemburg

    Rosa Luxemburg: Die Russische Revolution

    (Gesammelte Werke über die soziale Revolution in Russland)

    Zur Frage des Terrorismus in Rußland + Organisationsfragen der russischen Sozialdemokratie + Die Russische Revolution 1905 + Massenstreik, Partei und Gewerkschaften + Terror + Die Lösung der Frage...

    e-artnow, 2016

    Kontakt: info@e-artnow.org

    ISBN 978-80-268-5287-2

    Inhaltsverzeichnis

    Zur Frage des Terrorismus in Rußland (1902)

    Organisationsfragen der russischen Sozialdemokratie (1904)

    Terror (1905)

    Die Lösung der Frage (1905)

    Im Feuerscheine der Revolution (1905)

    Die Russische Revolution 1905

    Massenstreik, Partei und Gewerkschaften

    Die Revolution in Rußland

    Zur russischen Revolution

    Biografie

    Zur Frage des Terrorismus in Rußland

    (1902)

    Inhaltsverzeichnis

    I

    II

    I

    Inhaltsverzeichnis

    Die Leipziger Volkszeitung hat in ihrer Montagsnummer das von der russischen Terroristengruppe aus Anlaß des Attentats auf den Charkower Gouverneur, Fürsten Obolenski, veröffentlichte Dokument zur Information der Leser mitgeteilt, wir können aber nicht umhin, zu bemerken, daß dieses Dokument sowie das bereits vor einiger Zeit gleichfalls von uns abgedruckte Manifest über die Konstituierung der terroristischen Organisation in uns mancherlei Bedenken hervorgerufen hat.

    Sowenig es uns möglich ist, von Deutschland aus über die Einzelheiten der Parteitaktik unserer russischen Genossen mit voller Sicherheit ein Urteil zu fällen, sosehr liegt es andererseits in unserem Interesse, die Bahnen, welche die nun erwachte revolutionäre Bewegung im Zarenreiche wandelt, aufmerksam zu beobachten und uns über ihre jeweiligen Aussichten klare Rechenschaft abzulegen. Seit in letzten Jahren aus dem politischen „Ewigschneefeld" des Zarenreiches ein warmer Frühlingswind zu wehen begann, seit das scheinbar Undenkbare zur Wirklichkeit geworden und eine revolutionäre Massenerhebung des arbeitenden Volkes die jahrhundertalte schwere Eisdecke des Absolutismus von unten aus zu sprengen unternahm, belebten sich von neuem die Hoffnungen aller Freiheitsfreunde in Westeuropa, d. h., genauer gesprochen, aller sozialistischen Parteien. Man faßte wieder Mut und Glauben, daß die bis dahin unlösbare Aufgabe der Stürzung der russischen Despotie doch noch in absehbarer Zeit ihrer Lösung entgegengeführt werden könnte, und daraus erklärt sich die warme Teilnahme und das gespannte Interesse, mit denen man die ungewohnten Nachrichten von den Arbeiterdemonstrationen, von den Massenaufzügen in den großen Städten Rußlands aufnahm. Aus allen diesen Einzelnachrichten mußte man den Eindruck eines tiefernsten, achtunggebietenden Kampfes zwischen dem russischen Proletariat und dem Absolutismus gewinnen. Nun will es uns aber scheinen, daß die letzten Nachrichten, die in der deutschen Presse von der terroristischen Partei erscheinen, eher geeignet sind, diesen Eindruck zu erschüttern, als zu befestigen.

    Die Frage des Terrorismus in Rußland als einer Waffe im Kampfe mit der zarischen Übermacht kann von verschiedenen Gesichtspunkten angefaßt werden. Handelt es sich um individuelle Akte der Verzweiflung und des Opfermutes einzelner Freiheitskämpfer, um elementare Ausbrüche des zum äußersten getriebenen Volkszornes, dann gehört nur das echte Scharfmachergemüt einer „Post oder eine echt deutsche freisinnige Seele à la Tante Voß dazu, um solche reinen Abwehrakte als „Propaganda der Tat, als Fürstenmord etc. zu verdammen. Jeder rechtlich denkende, politisch anständige Mensch muß den Verzweiflungsakten der von russischen Satrapen mit unmenschlicher Grausamkeit und mit Raffinement niedergetretenen Pioniere der Volksbefreiung seine tiefste Teilnahme, Achtung und Bewunderung zollen. Und da das Gefühl der Rechtlichkeit und der politische Anstand im besseren Sinne heutzutage in Deutschland so ziemlich in der klassenbewußten Arbeiterschaft ihre einzige Vertretung finden, so zeigte sich auch aus Anlaß der Diskussion über das Attentat auf den Wilnaer Gouverneur, v. Wal, daß die gesamte sozialdemokratische Fresse mit der Leipziger Volkszeitung einig war, als uns die freisinnige Vossische Zeitung wegen der „Verherrlichung" des Attentäters mit freisinnigem Mut vor Fürsten thronen zu denunzieren versuchte.

    Solchen spontanen individuellen Akten des Terrorismus gegenüber, wie im Falle des Studenten Karpowitsch, der den Minister Bogolepow getötet hat, oder des Wilnaer Arbeiters Leckert, ist auch die Frage von der Zweckmäßigkeit unangebracht. Sie wird erst berechtigt und notwendig, wenn wir die andere Art des Terrorismus vor uns haben, wie sie von der Gruppe der Sozialisten-Revolutionäre vertreten wird, den systematischen Terrorismus, den Terrorismus als zielbewußte Taktik einer bestimmten sozialistischen Organisation, angewendet zur Erzielung eines politischen Effekts. Vor einigen Monaten hatten wir nur mit der ersten Art der terroristischen Anschläge in Rußland zu tun und konnten lediglich unsere tiefe Sympathie für die heldenmütige Selbstaufopferung der Märtyrer des barbarischen Regimes aussprechen. In den letzten Monaten bekommen wir jedoch immer häufiger Nachrichten von einem speziellen terroristischen Komitee der Sozialisten-Revolutionäre, und da müssen wir uns fragen, ob dies auch in der heutigen Situation eine richtige Taktik unserer russischen Genossen ist.

    Wir stehen nicht an, offenheraus zu sagen, daß wir dies bezweifeln. Der Terrorismus als System wird das absolute Regime in Rußland von selbst nicht stürzen. Das hat bereits das große Experiment der „Narodnaja Wolja" bewiesen. Jeder weggeräumte Zar findet einen Nachfolger und jeder getötete Gouverneur desgleichen. Um das Regime zu fällen, muß an seine Wurzel die Axt gelegt werden, die Wurzel des Absolutismus aber, das ist der politische Stumpfsinn der Volksmasse. Abgesehen etwa von einer Kalamität der auswärtigen Politik, wie z. B. einem unglücklichen Krieg, der übrigens an sich nur die Mauern des Absolutismus erschüttern, aber nichts Positives zu erschaffen vermag, kann das Zarentum nur durch eine regelrechte zielbewußte Volkserhebung gestürzt werden, die aber ihrerseits nur durch eine dauernde aufklärende und organisatorische Arbeit vorbereitet werden kann. Die russische Sozialdemokratie hat diese Arbeit seit einigen Jahren unternommen, und die letzten Massendemonstrationen beweisen, wie fruchtbar der Boden und wie richtig die Taktik ist.

    Ein systematischer Terrorismus kann nun, wie uns scheint, auf dieses schwierige und langwierige Werk der Organisation der Arbeitermassen störend wirken. Nicht deshalb etwa, weil er einen erwünschten Anlaß zu Repressalien und zur Reaktion bietet. Die Reaktion in Rußland kann nicht füglich ärger werden, und sie bemüht sich auch nicht darum, nach Anlässen zu suchen, weil sie eine ständige Einrichtung, weil sie die Norm im Zarenteiche ist. Aber der Terrorismus kann unseres Erachtens leicht die Massen verwirren und von der Bahn des langsamen alltäglichen politischen Kamp-Fes auf die leichtere Bahn der raschen gewaltsamen Einzelkämpfe drängen. Während ferner der Terrorismus naturgemäß den unmittelbaren Kampf in die Hände einer kleinen geschlossenen Gesellschaft von „Auserwählten" zu spielen bestrebt ist, ist es jetzt gerade eine Lebensfrage für die russische Revolution, der breiten Volksmasse klarzumachen, daß nur sie selbst, daß sie einzig und allein den Absolutismus zu besiegen imstande ist. Schließlich arbeitet der systematische Terrorismus auch darin dem organisatorischen Werk unter der Arbeiterklasse entgegen, daß er auch den Absolutismus durch Furcht vor einem geheimnisvollen, unsichtbaren und doch allmächtigen „Komitee zu Zugeständnissen zu zwingen sucht, während es gilt, dem Absolutismus, der diese „Komiteeschrecken bereits vor zwei Jahrzehnten glücklich überwunden hat, endlich einmal vor der Volksmasse als einem zielbewußten politischen Feinde Furcht einzuflößen.

    Wir möchten noch die Bemerkung hinzufügen, daß ein an steh nebensächlicher äußerer Umstand uns die oben dargelegte Auffassung zu bestätigen scheint. Es ist dies das Brimborium, womit das russische Terroristenkomitee seine Tätigkeit umgibt, der Tamtam, die bereits fertigen Todesurteile, die den lebendig gebliebenen Verurteilten eingehändigt werden, die Pistolen mit eingravierten schrecklichen Worten, der schleunige detaillierte Bericht der Partei über das Verhalten des so schwer zugänglichen Eingekerkerten, ein Bericht, der den Eindruck erweckt, als ob er einfach auf Grund im voraus mit dem Attentäter verabredeter Erklärungen und Gesten abgefaßt wäre etc. Wir wollen den persönlichen Mut, die Überzeugungstreue, die Opferfreudigkeit des betreffenden russischen Revolutionärs, der das Attentat auf den Fürsten Obolenski versucht hat, deshalb gar nicht geringer einschätzen. Aber dies Drum und Dran des Attentats, besonders die Kommuniques des Terroristenkomitees machen unwillkürlich ein wenig den Eindruck einer terroristischen Spielerei, und die Spielerei gleich im Anfang der terroristischen Praxis wäre ein feines, aber sicheres psychologisches Symptom der Verkehrtheit der Taktik selbst.

    Noch ein wichtiger Nebenumstand macht uns die politische Reife der russischen Terroristengruppe etwas verdächtig. In demselben Dokument in Sachen des Attentats auf Obolenski, das wir in unserer Montagsnummer abgedruckt haben, teilt die genannte Organisation mit, der eingekerkerte Attentäter hätte in seiner schriftlichen Aussage (die offenbar mit dem Komitee verabredet war) erklärt, daß die revoltierenden Bauern von der Terroristenpartei zum Kampfe aufgefordert worden wären. Nun mag es sicher stimmen, daß u. a. auch Flugblätter revolutionären Inhalts unter den Bauern verbreitet waren. Soviel man aber von den jüngsten ländlichen Revolten gehört hat und soviel uns die Verhältnisse dort überhaupt bekannt sind, waren die russischen Bauernaufstände reine Elementarbewegungen, durch äußerste Not und Hunger hervorgerufen, ohne jeden bestimmten politischen Charakter und vollends ohne bestimmten politischen Zweck. Die Sozialisten-Revolutionäre dürften also hier die eigene Rolle etwas übertrieben haben. Sind sie aber tatsächlich für die letzten Bauernrevolten, wenn auch zum kleinen Teil, mitverantwortlich, dann stellen sie sich selbst ein sehr ungünstiges politisches Zeugnis aus. Denn der Zweck so chaotischer und unorganisierter Revolten in einem so wenig vorbereiteten und entsprechenden Moment ist als bewußte politische Taktik einfach unverständlich. Und dieser Umstand muß im Verein mit der Art und Weise, wie der Terrorismus von dieser Gruppe praktiziert wird, ihre ganze Taktik des Leichtsinns verdächtig machen.

    Wir versprechen uns selbstverständlich nicht, durch vorstehende Bemerkungen die Taktik der russischen Sozialisten zu beeinflussen, glauben aber, daß es heilsam wäre, wenn die deutsche Parteipresse, der ja Nachrichten von den russischen Genossen mitgeteilt werden, diesen kritisch gegenüberstehen würde, um sich über die Schicksale der russischen revolutionären Sache, die auch unsere Sache ist, klarzuwerden.

    Zum Schluß möchten wir noch bei dieser Gelegenheit eine interessante Tatsache hervorheben. Während man bei uns daheim bekanntlich den „orthodoxen" Marxismus der blanquistischen Neigungen verdächtigt und bekanntlich bei Marx selbst den Bazillus des Blanquismus entdeckt hat, sind in dem einzigen Lande, wo die blanquistische Taktik praktische Anwendung finden kann, in Rußland, es nicht „orthodoxe Marxisten, die ihr das Wort reden. Im Gegenteil, die russische Sozialdemokratie, die von Wera Sassulitsch und anderen vertreten wird, verwirft den systematischen Terrorismus für den gegenwärtigen Augenblick mit aller Entschiedenheit. Ausgeübt und verfochten wird diese jedenfalls stark mit dem Blanquismus verwandte Taktik von derjenigen Gruppe der russischen Sozialisten, die gleich unseren deutschen Revisionisten einen Befreiungskrieg gegen das „marxistische Dogma führt.

    II

    Inhaltsverzeichnis

    Zur Frage des Terrorismus in Rußland haben wir in unserem Leitartikel vom 27. August einige Bemerkungen gemacht und die Parteipresse zur kritischen Beurteilung der betreffenden Nachrichten aus Rußland aufgefordert.

    Der Vorwärts vom 30. August bringt nun zu derselben Frage die folgende Notiz:

    „Über ein russisches Terroristenkomitee, auf dessen ‚Auftrag’ hin das Attentat auf den Gouverneur von Charkow unternommen worden sei, wurden in der Presse in den letzten Tagen eingehende Berichte verbreitet. Ein ‚Augenzeuge’ gab z. B. nicht nur eine ganz genaue Schilderung der Vorgänge des Attentates, sondern auch über das Verhör des Verhafteten, das doch sicher unter Ausschluß der Öffentlichkeit stattgefunden hat, wurden bis ins kleinste detaillierte Angaben gemacht. Wir haben von diesen Berichten keine Notiz genommen, weil sie uns zu deutlich den Stempel der Unwahrscheinlichkeit zu tragen schienen. Wenn ein terroristisches Komitee existiert, in dessen Auftrag politische Attentate in Rußland vollführt werden, so wird dasselbe sorgfältig vermeiden, sich durch Verbreitung derartiger Sensationsberichte in ein äußerst zweifelhaftes Licht zu setzen."

    Wir fühlen uns verpflichtet, da wir zuerst Bedenken über die gegenwärtige terroristische Taktik der russischen Sozialisten-Revolutionäre geäußert haben, ausdrücklich zu bemerken, daß von der politischen Zweifelhaftigkeit des Terroristenkomitees in Rußland für diejenigen, die mit den Verhältnissen bekannt sind, gar nicht die Rede sein kann. Sowohl die Existenz der terroristischen Kampforganisation der Sozialisten-Revolutionäre wie die makellose politische Ehrenhaftigkeit ihrer Mitglieder wie endlich das tatsächlich in ihrem Auftrag ausgeübte Attentat in Charkow können nicht im geringsten in Zweifel gezogen werden.

    Was einzig und allein zweifelhaft erscheint, ist der Wert, die Zweckmäßigkeit der terroristischen Taktik, und wenn wir auf die etwas kindische Art und Weise hingewiesen haben, wie die russischen Terroristen ihre Tätigkeit zur Schau tragen, so galten uns diese Äußerlichkeiten lediglich als ein Symptom der Verfehltheit der Taktik selbst. Daß diese Äußerlichkeiten tatsächlich kein Zufall, sondern in näherem Zusammenhang mit der Inopportunität des systematischen Terrorismus in der heutigen Lage Rußlands stehn, werden wir vielleicht ein andermal näher darlegen.

    Organisationsfragen der russischen Sozialdemokratie

    (1904)

    Inhaltsverzeichnis

    I

    II

    I

    Inhaltsverzeichnis

    Der russischen Sozialdemokratie ist eine eigenartige, in der Geschichte des Sozialismus beispiellose Aufgabe zuteil geworden: eine sozialdemokratische, auf proletarischen Klassenkampf zugeschnittene Taktik in einem absolutistischen Staate zu schaffen. Der übliche Vergleich der gegenwärtigen Verhältnisse in Rußland mit den deutschen zur Zeit des Sozialistengesetzes ist insofern hinfällig, als er die russischen Verhältnisse vom polizeilichen und nicht vom politischen Standpunkt ins Auge faßt. Die der Massenbewegung durch den Mangel an demokratischen Freiheiten in den Weg gelegten Hindernisse sind verhältnismäßig von untergeordneter Bedeutung: Die Massenbewegung hat es auch in Rußland verstanden, die Schranken der absolutistischen „Verfassung niederzurennen, und sich eine wenn auch verkrüppelte eigene „Verfassung der „Straßenunruhen" geschaffen. Sie wird es auch fernerhin bis zu ihrem endgültigen Siege über den Absolutismus verstehen. Was die Hauptschwierigkeit des sozialdemokratischen Kampfes in Rußland bildet, ist die Verschleierung der bürgerlichen Klassenherrschaft durch die Gewaltherrschaft des Absolutismus, die der eigentlichen sozialistischen Klassenkampflehre notgedrungen einen abstrakten propagandistischen und der unmittelbaren politischen Agitation einen hauptsächlich revolutionär-demokratischen Charakter verleiht. Das Sozialistengesetz versuchte bloß, die Arbeiterklasse außerhalb der Verfassung zu stellen – mitten in einer hochentwickelten bürgerlichen Gesellschaft mit gänzlich bloßgelegten und im Parlamentarismus entfalteten Klassengegensätzen; darin bestand gerade der Wahnsinn, die Absurdität der Bismarckschen Unternehmung. In Rußland soll das umgekehrte Experiment vollzogen, eine Sozialdemokratie ohne die unmittelbare politische Herrschaft der Bourgeoisie geschaffen werden.

    Dies hat nicht nur die Frage der Verpflanzung der sozialistischen Lehre auf den russischen Boden, nicht nur die Frage der Agitation, sondern auch die der Organisation ganz eigenartig gestaltet. In der sozialdemokratischen Bewegung ist auch die Organisation, im Unterschied von den früheren, utopistischen Versuchen des Sozialismus, nicht ein künstliches Produkt der Propaganda, sondern ein historisches Produkt des Klassenkampfes, in das die Sozialdemokratie nur das politische Bewußtsein hineinträgt. Unter normalen Bedingungen, das heißt dort, wo die entfaltete politische Klassenherrschaft der Bourgeoisie der sozialdemokratischen Bewegung vorausgeht, wird die erste politische Zusammenschweißung der Arbeiter in hohem Maße schon durch die Bourgeoisie besorgt. „Auf dieser Stufe, sagt das Kommunistische Manifest, ist „massenhaftes Zusammenhalten der Arbeiter... noch nicht die Folge ihrer eigenen Vereinigung, sondern die Folge der Vereinigung der Bourgeoisie. In Rußland ist der Sozialdemokratie die Aufgabe zugefallen, einen Abschnitt des historischen Prozesses durch bewußtes Eingreifen zu ersetzen und das Proletariat direkt aus der politischen Atomisierung, die die Grundlage des absoluten Regimes bildet, zur höchsten Form der Organisation – als zielbewußt kämpfende Klasse zu führen. Die Organisationsfrage ist somit für die russische Sozialdemokratie besonders schwierig, nicht bloß, weil sie sie ohne alle formalen Handhaben der bürgerlichen Demokratie, sondern vor allem, weil sie sie gewissermaßen wie der liebe Herrgott „aus nichts", in der leeren Luft, ohne das politische Rohmaterial, das sonst von der bürgerlichen Gesellschaft vorbereitet wird, erschaffen soll.

    Das Problem, an dem die russische Sozialdemokratie seit einigen Jahren arbeitet, ist eben der Übergang vom Typus der zersplitterten, ganz „unabhängigen Zirkel- und Lokalorganisation, die der vorbereitenden, vorwiegend propagandistischen Phase der Bewegung entsprach, zur Organisation, wie sie für eine einheitliche politische Aktion der Masse im ganzen Staate erforderlich ist. Da aber der hervorstechendste Zug der unleidlich gewordenen und politisch überholten alten Organisationsformen die Zersplitterung und die völlige Autonomie, die Selbstherrlichkeit der Lokalorganisationen war, so wurde naturgemäß die Losung der neuen Phase, des vorbereiteten großen Organisationswerkes: Zentralismus. Die Betonung des zentralistischen Gedankens war das Leitmotiv der Iskra in ihrer dreijährigen glänzenden Kampagne zur Vorbereitung des letzten, tatsächlich konstituierenden Parteitags, derselbe Gedanke beherrschte die ganze junge Garde der Sozialdemokratie in Rußland. Bald sollte sich jedoch auf dem Parteitag und noch mehr nach dem Parteitag zeigen, daß der Zentralismus ein Schlagwort ist, das den historischen Inhalt, die Eigentümlichkeiten des sozialdemokratischen Organisationstypus nicht entfernt erschöpft, es hat sich wieder einmal herausgestellt, daß die marxistische Auffassung des Sozialismus sich auf keinem Gebiet, auch nicht auf dem der Organisationsfragen, in starren Formeln fixieren läßt.

    Das uns vorliegende Buch des Genossen Lenin, eines der hervorragenden Leiter und Streiter der Iskra in ihrer vorbereitenden Kampagne vor dem russischen Parteitag, ist die systematische Darstellung der Ansichten der ultrazentralistischen Richtung der russischen Partei. Die Auffassung, die hier in eindringlicher und erschöpfender Weise ihren Ausdruck gefunden hat, ist die eines rücksichtslosen Zentralismus, dessen Lebensprinzip einerseits die scharfe Heraushebung und Absonderung der organisierten Trupps der ausgesprochenen und tätigen Revolutionäre von dem sie umgebenden, wenn auch unorganisierten, aber revolutionär-aktiven Milieu, andererseits die straffe Disziplin und die direkte, entscheidende und bestimmende Einmischung der Zentralbehörde in alle Lebensäußerungen der Lokalorganisationen der Partei. Es genügt, zu bemerken, daß zum Beispiel das Zentralkomitee nach dieser Auffassung die Befugnis hat, alle Teilkomitees der Partei zu organisieren, also auch die persönliche Zusammensetzung jeder einzelnen russischen Lokalorganisation von Genf und Lüttich bis Tomsk und Irkutsk zu bestimmen, ihr ein selbst- gefertigtes Lokalstatut zu geben, sie durch einen Machtspruch ganz aufzulösen und von neuem zu erschaffen und schließlich auf diese Weise indirekt auch die Zusammensetzung der höchsten Parteiinstanz, des Parteitags, zu beeinflussen. Danach erscheint das Zentralkomitee als der eigentliche aktive Kern der Partei, alle übrigen Organisationen lediglich als seine ausführenden Werkzeuge.

    Lenin erblickt gerade in der Vereinigung eines so straffen Zentralismus in der Organisation mit der sozialdemokratischen Massenbewegung ein spezifisch revolutionär-marxistisches Prinzip und weiß eine Menge Tatsachen für seine Auffassung ins Feld zu führen. Doch untersuchen wir die Sache etwas näher.

    Es unterliegt keinem Zweifel, daß der Sozialdemokratie im allgemeinen ein starker zentralistischer Zug innewohnt. Erwachsen aus dem wirtschaftlichen Boden des seinen Tendenzen nach zentralistischen Kapitalismus und angewiesen in ihrem Kampfe auf den politischen Rahmen des zentralisierten bürgerlichen Großstaats, ist die Sozialdemokratie von Hause aus eine ausgesprochene Gegnerin jedes Partikularismus und nationalen Föderalismus. Berufen dazu, allen partiellen und Gruppeninteressen des Proletariats gegenüber im Rahmen eines gegebenen Staates die Gesamtinteressen des Proletariats als Klasse zu vertreten, hat sie überall die natürliche Bestrebung, alle nationalen, religiösen, beruflichen Gruppen der Arbeiterklasse zur einheitlichen Gesamtpartei zusammenzuschweißen, wovon sie nur in exklusiven, abnormen Verhältnissen, wie zum Beispiel in Österreich, notgedrungen eine Ausnahme zugunsten des föderalistischen Prinzips macht.

    In dieser Beziehung war und ist es auch für die Sozialdemokratie Rußlands keine Frage, daß sie nicht ein föderatives Konglomerat einer Unzahl nationaler und provinzieller Sonderorganisationen, sondern eine einheitliche, kompakte Arbeiterpartei des russischen Reiches bilden müsse. Eine davon ganz verschiedene Frage ist jedoch die nach dem größeren oder geringeren Grade der Zentralisation und nach deren näherer Beschaffenheit innerhalb einer geeinigten und einheitlichen Sozialdemokratie Rußlands.

    Vom Standpunkt der formalen Aufgaben der Sozialdemokratie als einer Kampfpartei erscheint der Zentralismus in ihrer Organisation von vornherein als eine Bedingung, von deren Erfüllung die Kampffähigkeit und die Tatkraft der Partei in direktem Verhältnis abhängen. Allein viel wichtiger als die Gesichtspunkte der formalen Erfordernisse jeder Kampforganisation sind hier die spezifischen historischen Bedingungen des proletarischen Kampfes.

    Die sozialdemokratische Bewegung ist die erste in der Geschichte der Klassengesellschaften, die in allen ihren Momenten, im ganzen Verlauf auf die Organisation und die selbständige direkte Aktion der Masse berechnet ist.

    In dieser Beziehung schafft die Sozialdemokratie einen ganz anderen Organisationstypus als die früheren sozialistischen Bewegungen, zum Beispiel die des jakobinisch-blanquistischen Typus.

    Lenin scheint dies zu unterschätzen, wenn er in seinem Buche

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