Traumkristalle
By Kurd Laßwitz
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About this ebook
Neben Romanen schrieb Laßwitz Bücher über Physik, die Erkenntnistheorie und Immanuel Kant.
Im Gegensatz zu Jules Verne und H.G. Wells verwendete Laßwitz Science Fiction vor allem für belehrende und kritisierende Zwecke.
Sein 1897 veröffentlichter Roman „Auf zwei Planeten“ gehört zu den wichtigsten Vertretern der deutschsprachigen Science Fiction Literatur.
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Book preview
Traumkristalle - Kurd Laßwitz
Inhalt
Traumkristalle
Unverwüstlich
Jahrhundertmärchen
Der gefangene Blitz
Das Lächeln des Glücks
Die drei Nägel
Der Schirm
Die entflohene Blume
Unser Recht auf Bewohner anderer Welten
Impressum
Traumkristalle
Unverwüstlich
Was marterst du das arme Hirn
Mit Fragen und mit Schlüssen?
Komm her und lass dir von der Stirn
Die finstern Falten küssen!
Mit Sorgen hast du nachgedacht
Dem Laufe dieser Dinge
Und zweifelst, ob der Liebe Macht
Den Weltprozess bezwinge?
Wenn ich dir in die Augen schau',
Die lieben, klaren Augen,
Dann wissen wir ja ganz genau,
Warum wir für uns taugen.
Wir waren stets uns zugesellt,
Willst du dich recht entsinnen,
Seitdem im Raum sich dehnt die Welt
Und seit die Zeiten rinnen.
Ich glaube, dass du neben mir
Zum Zentrum dich gerichtet
Zuerst, da als Atome wir
Zur Sonne uns verdichtet.
Wir flogen dort schon Arm in Arm
Beim ersten Gravitieren,
Und wurden so gemeinsam warm
Und konnten oszillieren.
Und als der Nebelring in Glut
Geschleudert ward ins Weite,
Nicht sank uns der Atomen-Mut,
Du flogst mir zum Geleite.
Und als die Erde sich geballt,
Da hielt es uns nicht länger,
Uns band der Liebe Vollgewalt
Im Molekül noch enger.
Doch ach, entsetzlich war die Zeit,
Kaum mag ich mich erinnern;
Wir wurden grausam bald entzweit,
Mich trieb es nach dem Innern.
Dann sucht' ich, ach, von Ort zu Ort
Umsonst, die ich erkoren, –
Ich glaubte schon, es riss dich fort,
Als wir den Mond verloren.
So lebten fern wir und allein
Millionen wohl von Jahren;
Mein Herz, mein Herz war ewig dein –
Erst spät hast du's erfahren.
Als das Geschick von dir und mir
Sich endlich ließ erbitten:
In der Grauwacke krebsten wir
Als kleine Trilobiten.
Als in der Kohlenformation
Wir dann uns wiederfanden,
Warst du ein Labyrinthodon,
Ich lag in deinen Banden.
Auf deinen holden Wickelzahn
Sang ich ein Lied alsbalde,
Sah ich dich mir von ferne nah'n
Im Sigillarienwalde.
Im Trias und im Jura auch
Und im System der Kreide
Warst du nach treuer Liebe Brauch
Mir Trost und Augenweide.
Wir wurden endlich miozän
Und Säugetier-gestaltet;
Und selber in der Eiszeit Weh'n
Sind wir uns nicht erkaltet.
Und immer klüger wurden wir,
Als Jahr' auf Jahre gingen;
Ich bin gewiss, nur neben dir
Zum Menschen könnt' ich's bringen.
Denkst du daran, wie um und um
Vor uns die Tiere zagten,
Als wir noch im Diluvium
Den Höhlenbären jagten?
Mit meiner Axt von Feuerstein
Hab' ich in jenen Tagen
Rhinozerosse kurz und klein
Zur Freude dir geschlagen.
In unserer Höhle saßen wir
Aus Knochen Mark zu saugen,
Und schon wie heute sah ich dir
In die geliebten Augen.
Und wo wir auch im Lauf der Zeit
Noch später uns getroffen,
Du warst allein in Luft und Leid
Mein Sehnen und mein Hoffen,
Ob wir am heil'gen Nilusstrand
Zum Isissterne blickten,
Und ob wir im gelobten Land
Vom Stock die Traube pflückten;
In Aphroditens heil'gem Hain
In stillen Mondesnächten,
Wie in des Zirkus dichten Reih'n
Beim grimmen Todesfechten;
Nach blutiger Barbarenschlacht
Im Flammenschein der Städte,
in deutsche Kirchen düstrer Nacht
Bei Weihrauch und Gebete.
Und heute wieder ganz modern
Lieb' ich dich ohne Maßen.
Ich grüße höflich dich von fern,
Treff ich dich auf den Straßen.
Dein Bild, gemalt vom Sonnenstrahl,
In meiner Tasche trag' ich,
In Versen meine Liebesqual
Dir durch die Reichspost sag' ich.
Es zischt der Dampf, es saust das Rad,
Es regt sich ohne Endnis.
Es ringt die Welt mit Wort und Tat
Nach freier Selbsterkenntnis.
Und wenn zu neuem Leben wir
Hier wiederum erwachen,
Dann fahr' ich durch die Luft mit dir,
Sturmgleich, im Flügelnachen!
Jahrhundertmärchen
Will die Knospe noch immer nicht springen? Jetzt muss doch bald die ersehnte Stunde kommen, da sie sich öffnet, dass er hinausblicken kann und die lichten Sterne schauen und das Land, das er vor allem liebt – – Dauert denn ein Jahrhundert so lange, selbst für einen kleinen Kulturgeist, der sonst durch die Zeiten fliegt wie ein Sonnenblick durch den Weltraum?
Aber er sitzt ja im Gefängnis! Da kann er nichts tun als träumen, träumen von dem letzten frohen Tage, an dem er draußen war, träumen von dem nächsten, der nun kommen muss – – Regt sich die Knospe noch nicht? Ach, nur in der seltenen Neujahrsnacht, wenn ein neues Jahrhundert anfängt, dann ist ihm ein Tag der Freiheit gegönnt. Dann durchschaut er mit seinen hellen Geisteraugen die Dinge und Menschen nah und fern. Und dann hat er wieder ein Jahrhundert Zeit, nachzudenken, wie es wohl das nächste Mal sein wird.
Ungeduldig pocht er mit den kleinen Geisterfäusten an die Wand des grünen Gefängnisses. Und da sie nicht weichen will, faltet er die Flügel zusammen und träumt wieder.
Wie wird es diesmal draußen aussehen? Wie mag's seinem guten Freunde gehen, den sie den Michel nennen? Eigentlich ist der ja dran schuld, dass der kleine Kulturgeist eingesperrt wurde. Es ist freilich schon lange her – –
Damals war er ganz vergnügt umhergeflogen, weit hinweg von sonnigen Geländen bis zu den dunkeln Fichten am Nordmeer. Dort sah er einen Riesenknaben ausgestreckt, der