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Die Seelenverkäufer: Eine Abenteurergeschichte
Die Seelenverkäufer: Eine Abenteurergeschichte
Die Seelenverkäufer: Eine Abenteurergeschichte
Ebook230 pages3 hours

Die Seelenverkäufer: Eine Abenteurergeschichte

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About this ebook

Kurt Faber (6.12.1883 – Winter 1929) war ein deutscher Abenteurer, Journalist und Reiseschriftsteller.

Faber brach noch vor dem Abitur seine Schulausbildung ab und beschloss stattdessen auf Reisen zu gehen. Er begab sich 1901 nach New York und heuerte ein Jahr später auf dem Walfänger Bowhead, auf dem er mehrerer Jahre arbeitete, an.

Auf seinen vielen Reisen, die ihn unter anderem nach Australien und Südamerika führten, lebte er von Gelegenheitsarbeiten. Zwischen seinen Reisen kehrte er immer wieder nach Deutschland zurück und veröffentlichte Berichte seiner Reisen in Zeitungen sowie in Buchform.
LanguageDeutsch
Release dateApr 11, 2016
ISBN9783839168684
Die Seelenverkäufer: Eine Abenteurergeschichte

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    Die Seelenverkäufer - Kurt Faber

    Inhalt

    Die Seelenverkäufer

    I.

    II.

    III.

    IV.

    V.

    VI.

    VII.

    Impressum

    Die Seelenverkäufer

    I.

    Dieses ist eine lange und abenteuerliche Geschichte, so wild und verworren wie nur eine von denen, die man in den Büchern lesen kann. Und ich weiß nicht, warum es so ist, aber allemal, wenn ich daran zurückdenke, kommt mir der Vers in den Kopf, den ich einmal gelesen habe. Es ist ein englischer Vers aus Bulwers »König Richard«, und ich gebe ihn hier in schlechtem Deutsch:

    »Gekuscht an Deck, die Hälfte wohl der harten Leute 

    Lag krumm, verwittert unter frost'gen Sternen, 

    Mit steifen Gliedern, schon des Todes Beute, 

    Mit stierem Blick in wesenlose Fernen. 

    Blutleer Gespenst! Des Eismeers Pesthauch kommt gekrochen, 

    Zersetzt das Blut und nagt durch Mark und Knochen.«

    Und die dabei eine Rolle spielten, wo sind sie geblieben? Es ist ihnen ergangen nach den Worten, die Alaska-Jim immer im Munde zu führen pflegte:

    »Die Toten erzählen keine Geschichten!«

    Wo sind sie alle? Was ist aus ihnen geworden? – Je nun – was wird aus Seeleuten? Da wäre noch Hein Petersen, der etwas darüber zu sagen wüsste, aber der ist nun schon verheiratet. Er hat eine Kellerwirtschaft an der langen Reihe zu Hamburg. Alle Tage wird er dicker, und die steifen Grogs der Schauerleute, die bei ihm verkehren, nehmen ihn so in Anspruch, dass er kaum zum Schlafen, geschweige denn zum Bücherschreiben kommt. Neulich erst bin ich drüben gewesen, und es war so gut wie ein Theater, wenn man ihm zusah, wie er mit der Kundschaft fertig wurde, die allzu tief in seine Groggläser hineingeschaut hatte, und sie mit sanftem Druck an die Luft beförderte mit der Devise, die ihn auf allen seinen Wegen verfolgte, ob das nun in der Langen Reihe oder im Eismeer war:

    »Man tau! Wat sin mut, mut sin!«

    Ja, er ist ein guter Gastwirt geworden, und mit Recht hat er sich das Prädikat erworben, das unter seefahrenden Menschen an der Wasserkante als höchstes Lob geachtet wird: »'n fixen Kerl!« Jedoch das Bücherschreiben ist eine schwere Kunst für einen seefahrenden Mann. Es wäre indes schade, wenn das Garn ungesponnen bliebe, und also ergreife ich heute die Feder und erzähle von der verwegenen Fahrt der »Bonanza«, von Alaska-Jim, von Kapitän Tilden und seinem Schiffsjungen – der war ich selber –, von Schiffbruch und Meuterei, vom Schatz in der Seekiste und von all den Abenteuern auf der langen Reise im Lande der Mitternachtssonne.

    Das ist kein leichtes Geschäft für einen, der allezeit mehr mit dem Teerpott als mit der Feder umgegangen. Jedoch – ich kann nicht anders! Und wenn ich selbst nicht schreiben wollte, so würde es in mir schreiben, und es käme doch auf das Papier, ob ich wollte oder nicht. Und gerade heute, wo draußen der Schnee in dicken Flocken fällt und der Wind durch die leergefegten Gassen heult, da ist es mir, als ob ich wieder das Tosen der Brandung, das Knirschen des Eises an der fernen Felsenküste hörte, als ob eben noch das Heulen der Hundemeute von Mill Watsches Schlitten durch die schweigende Schneewüste hallte. Ich brauchte nur eine Sekunde die Augen zuzumachen, und ich sähe alles vor mir, genau so, wie es damals gewesen ist.

    Und an alledem ist doch schließlich niemand schuld gewesen als Piet Larson, der dicke schwedische Heuerbas von New Bedford. Oder das Schicksal. Oder der blinde, täppische Zufall, wie man es auffassen will. Ich war damals Schiffsjunge gewesen auf der »Alsternixe«, auf meiner allerersten Reise von Hamburg nach Santos und von dort nach dem südlich von Boston in Massachusetts gelegenen Hafen New Bedford. New Bedford war damals der Mittelpunkt der einst blühenden nordamerikanischen Industrie der Walfischfänger, die nun auch schon zum allergrößten Teil verschwunden sind wie so manche andere Romantik der tiefen See. Seit langem war ich zum ersten Male wieder an Land und wanderte durch die Straßen mit einer Miene »was kost' Amerika?« Vier Monate lang hatte ich nur Himmel und Wasser gesehen und nichts unter dem Füßen gehabt als die immer gleichen Decksplanken, die unter der Äquatorsonne brannten und auf denen in der Westwinddrift die wilden, graubärtigen Sturzseen brodelten. Nun aber hatte ich – wie gesagt – seit langer Zeit zum ersten Male wieder festen Boden unter den Füßen, richtiges holperiges Hafenpflaster, über das ich gewichtig weiterschritt mit dem schwerfällig schlingernden Gang, den ich den anderen Matrosen abgeguckt hatte und der einem auch schon ganz von selbst zur zweiten Natur wird, wenn man erst einmal in langen Nachtwachen das Verdeck abgeschritten hat über der rollenden See der tropischen Meere. – Ah, das war das Leben, das ich liebte! Da roch man die See, da stieg einem Teergeruch in die Nase, da kreisten die Möwen über dem glitzernden Wasser. Von überall her kam der Lärm der Rosthämmer, das Heulen der Dampfer, die qualmend vorüberzogen. Vor einem großen Segelschiffe am Pier stand ich ganz versunken in den Anblick der hohen Masten und Rahen und der lärmenden Dampfwinden, die die Mehlsäcke in mächtigen Schlingen in den unersättlichen Bauch des Schiffes beförderten. – Wie schön das alles war! Wie interessant! Und wie würde es sein, wenn ich in einem halben Jahr von heute – das wäre gerade um die Weihnachtszeit – wieder nach Hause käme in meiner ganzen siebzehnjährigen Seemannswürde, womöglich mit einem Papagei, wie einst der Robinson Crusoe. – Die würden wohl Augen machen wie Teetassen, wenn ich ihnen erzählte von Passatwinden und Kap-Hoorn-Stürmen und von dem wilden, fremden Leben, das hier in allen Zungen lärmte!

    Und wie ich so im besten Nachdenken war über diese erfreulichen Dinge, da legte sich plötzlich von hinten eine Seebärentatze auf meine Schulter. Ein breiter Mund und ein Paar blanke Augen lachten mir frech ins Gesicht.

    »Hallo, Jack«, sagte der Mann nicht eben unfreundlich, »was stehst du hier und schaust in die Gegend wie ein getrockneter Stockfisch? Hast wohl dein Schiff verloren? Ganz blank? Keinen Cent? – Aber das ist doch kein Grund zum Weinen! Es gibt noch mehr Schiffe auf der Welt.«

    Ohne eine Antwort abzuwarten, fuhr er fort in seiner plappernden Unterhaltung. Er setzte sich auf einen der umherliegenden Baumwollballen und fing an, mich aufzuklären über die komplizierten Takelagen der Schiffe, die längs den Kais und draußen in der Bai vor Anker lagen.

    »Nein«, sagte er traurig, »die christliche Seefahrt ist nicht mehr das, was sie war zu meinen Zeiten, als ich noch jung und dumm war wie du und deine Sorte. Damals hat es noch Schiffe gegeben und Männer, die sie segeln konnten. Ich bin vor dreißig Jahren an Bord der ›Flying Cloud‹ gewesen, wie sie in hundert Tagen das Rennen von Boston nach San Franzisco machte. Und nachher auch auf der ›Glory of the Sea‹ und so vielen anderen stolzen Klipperschiffen. Das war noch Seefahrt in jenen Tagen! Einmal tauchte das Schiff unter in Boston und kam nicht mehr heraus bis zur Ankunft in San Franzisco. Aber das waren auch noch Kapitäne – damals! Da ist Kapitän O'Connor von dem neuschottländischen Totsegler, unter dem ich zwei Jahre gefahren habe. Wenn es je eine harte Nuss gegeben hat, so war er es! Er schlief in einer Teerkoje und rasierte sich mit einer zerbrochenen Flasche, d. h. wenn es ihm überhaupt ums Rasieren zu tun war, und das war nur einmal im Jahre, am Sankt Patrickstage, der Fall. Einmal, als wir vor Port Elisabeth lagen und ein Leichtmatrose oben auf der Bramrah gegen ihn aufzumucken wagte, da holte er ihn mit einer Revolverkugel herunter. – Rede einer von blaunasigen Yankeeschiffern! Aber die Sorte gibt es ja heute gar nicht mehr. Nur noch Farmer, Schreiber, Maurer und Sonntagsschüler, was heute zur See fährt! Und wenn einer seine Glacéhandschuhe recht schön und elegant anziehen kann, so schimpft er sich Kapitän.

    »Das dort hinten«, fuhr er fort, indem er auf eine mächtige Viermastbark deutete, die mit ihren hohen Masten und Rahen noch stolzer aussah als alle anderen, »das ist die ›Windsor Castle‹. Es ist das feinste Schiff im Hafen und der schnellste Segler. In drei Monaten sind sie schon in Kapstadt.«

    Bisher hatte ich nur mit halbem Ohre gehört auf das Gerede, aber nun horchte ich auf. – Kapstadt? Das ging mir wie Feuer durch die Adern. Im Augenblick wurde in mir alles lebendig, was ich einmal gehört und gelesen hatte von Buren, Büffeln, Löwen, Hartebeestern und feurigen Konstantiaweinen.

    »Südafrika?«

    »Warum denn nicht? Ist schon alles klar zur Abreise. – Kannst nicht sehen? Sie fliegen schon den ›blauen Peter‹. Fehlen noch drei Mann, um die Besatzung voll zu machen. Wenn ich du wäre, so würde ich mich nicht lange besinnen! So ein gutes Ding findet sich nicht alle Tage. Sie zahlen fünf Pfund im Monat.«

    Die bloße Erwähnung der Summe nahm mir den Atem weg. Fünf Pfund – hundert Mark! So viel Geld hatte ich in meinem Leben noch nie beisammen gesehen!

    Der andere blinzelte verheißungsvoll mit den Augen. »Komm mit zum Boss. Der wird alles besorgen. Kannst ja dann immer noch tun, wie du willst. Für einen Whisky hast du jedenfalls Kredit für uns beide.«

    Er wandte sich zum Gehen, und ich folgte ihm nach, ohne recht zu wissen, warum. Ich hatte Geld, ich hatte ein Schiff. Es fehlte mir an nichts. Aber in meinem Kopf rumorte es ohne Unterlass:

    Südafrika!

    Wir kamen nach einer Kneipe, wo es nach Whisky roch und man kaum die zweifelhaften Gestalten erkennen konnte, die an den kahlen Tischen hockten, durch die Tabakwolken, die an der Decke hingen.

    Durch das Gewühl der Gäste drängte mein neugefundener Freund nach vorn zur Bar, wo uns der Boss empfing, ein dicker, hemdsärmeliger Kerl mit einem roten, aufgedunsenen Gesicht, der ein schlechtes Englisch mit stark schwedischem Akzent sprach. Er nahm sich kaum die Mühe, uns anzusehen.

    »Das Kücken?« sagte er mit einem halben Seitenblick auf mich. »Oh, lass ihn zu Mama gehen!«

    Das kränkte mich tiefer als alle Beleidigungen, die ich vor- und nachher erlebt hatte in meinem Leben.

    »Ich bin um Kap Hoorn gefahren!« sagte ich trotzig. Da lachten die anderen, und ein alter Seebär mit einem Krausbart unter dem Kinn, ganz so, wie man ihn auf den Reklamebildern der Dover-Ostende-Bahn sehen kann, kam herbei und klopfte mir noch viel kräftiger auf die Schulter, als es vorher schon mein Freund getan hatte, und meinte, ich sei allright und man solle es mit mir probieren. Dann schafften sie immer mehr Whisky herbei und tranken durch die ganze lange Nacht und ließen mich ein Papier unterschreiben und verschafften mir einen Seesack mit Ölzeug und Seestiefeln, und also kam es, dass ich anmusterte auf der englischen Viermastbark ›Windsor Castle‹ für fünf Pfund im Monat, auf der Reise nach Südafrika; wenigstens dachte ich mir das so.

    Jedoch –

    Als der nächste Morgen grau und neblig heraufdämmerte und alle Umrisse des bunten Hafenbildes sich eben erst aus dem Dunste abzusondern begannen, fuhren wir – Piet Larson und ich – mit dem flinken Motorboot hinaus in die Bai. Es war, wie gesagt, noch beim ersten Tagesgrauen. Die Frühnebel hüllten alles in eine nasse Decke. Überall heulte und lärmte es in dem grauen Nichts, wo Wasser und Nebel ineinanderflossen. Alle Augenblicke tauchte unvermittelt die mächtige Gestalt eines Dampfers oder die vom unsicheren Licht ins Riesenhafte verzerrte Takelage eines schlanken Seglers auf und verschwand ebenso schnell wieder im Nebel. Plötzlich stoppte das Boot dicht an den schwarz geteerten Planken einer kleinen, hölzernen, altmodisch aussehenden Bark. Ich hatte gerade noch Zeit, am Heck den Namen ›Bonanza‹ zu lesen, als sie von oben eine Strickleiter herunterwarfen. Piet Larson packte meinen Seesack und enterte auf mit einer Geschicklichkeit, die von langer Erfahrung zeugte.

    »Halt fest!« rief er mir von oben zu, als ich von dem schwer in der Dünung rollenden Boote nicht gleich das richtige Tauende erfassen konnte.

    »Halt fest! 's ist besser, du lernst es heute als morgen. Du wirst bessere Seebeine haben, wenn du wieder von Bord kommst.«

    Oben auf dem Verdeck war alles in einem großen Durcheinander und nicht eben schiffsgemäß. Ein großer Mann mit einem Schlapphut und einer tiefen Stirnnarbe, der aussah, als ob er eben erst einem Seeroman des ollen ehrlichen Kapitän Marryat entlaufen wäre, kam auf uns zu.

    »Ist das alles?« fragte er mit einem nicht sehr wohlwollenden Seitenblick auf mich.

    »Alles«, antwortete Piet Larson, »und verdammt froh können Sie sein, dass es so viel ist! Man nimmt sie eben, wo man sie findet. Schanghaien ist nicht mehr das, was es war zu unserer Zeit.«

    Der Mann mit dem Schlapphut – erst nachher habe ich herausgefunden, dass es der Kapitän selber war – maß mich mit einem weiteren Blick, der nun schon ganz Gift und Galle war. Mürrisch griff er in die Tasche und wühlte in den losen Dollars. Zwei blanke Goldstücke wechselten den Besitzer.

    »Mit dir mach' ich noch einmal Geschäfte«, brummte er wütend, »vier Mann sollst du mir bringen. Statt dessen kommst du mit einem halben an Bord. Ein andermal kannst du deine Kundschaft in der Montgomerystraße suchen.«

    Piet Larson, der damit offenbar die Unterredung als beendet ansah, wandte sich zum Gehen. Ich wollte ihm folgen. Aber als ich eben an der Reling angelangt war, packte mich eine große Hand wie eine Eisenklammer.

    »Langsam hier, du landlümmeliges Grünhorn!«

    Piet Larsons Kopf war schon auf der anderen Seite der Reling. Er grinste über das ganze Gesicht; ein so teuflisches Grinsen, wie ich es niemals vorher oder nachher gesehen habe, es sei denn bei Fung Li, dem Chinesenkoch an Bord des alten ›Walross‹.

    »Auf Wiedersehen«, sagte er mit herausfordernder Liebenswürdigkeit, »und glückliche Reise! Es wird eine schöne Reise werden und sehr interessant in der Tat! Wirst schon sehen, ob ich recht habe oder nicht! Das Verdeck wird überfließen mit Öl, und du wirst einen Zahltag haben so lang wie ein Tag ohne Sonne. Auf der ganzen Erde gibt's kein so nobles Geschäft für einen christlichen Seemann wie das Walfischfangen. – Haha!«

    Höhnisch kam das Lachen aus dem Boot. Der Motor puffte. Im Augenblick war das kleine Fahrzeug verschwunden und nichts mehr zu sehen als der treibende Nebel. Es war wie ein Spuk. Eine ganze Weile starrte ich sprachlos in die graue Leere über dem Wasser und in den Nebel, der wie ein Rauch durchs Tauwerk zog. – Schanghait! Von so etwas hatte ich schon öfters gehört aus den Gesprächen, die die Matrosen in den Freiwachen führten, aber dabei war es doch immer romantisch zugegangen mit betäubenden Getränken, mit geheimen Falltüren, mit Sandsäcken, die einem hinterrücks über den Kopf geschlagen wurden. Dass aber einer so nüchtern und selbstverständlich, so sang- und klanglos in die Falle gehen werde, das hatte ich bisher nicht für möglich gehalten. Eine ganze Weile stand ich neben meinem Seesack und schaute unschlüssig und, wie ich fürchte, auch nicht wenig dumm auf das fremde Leben. Kein Mensch kümmerte sich um mich. Es wurde Mittag und Abend, und noch immer stand ich da. Wild aussehende Menschen mit desperaten Gesichtszügen und andere verkümmerte und vertrocknete, die nach Whisky ausschauten, machten sich auf dem Verdeck zu schaffen und jagten mich von einem Platz zum anderen in ihrer rücksichtslosen Geschäftigkeit. Spät abends, als eben die Sonne unterging, kam das Motorboot noch einmal vom Lande herüber.

    »Schiff ahoi!« rief der Bootsführer. »Werft uns ein Tauende!«

    Drei Mann sprangen herzu, und mit vielem Jo! Ho! heißten sie eine Last über die Seite. Erst nachdem diese langausgestreckt an Deck lag, konnte man erkennen, dass es eine lebende Last war, ein mächtiger, breitschultriger Mann von weit über normaler Größe, der sich willenlos hin und her werfen ließ, da der Alkohol, das Morphium oder sonst irgendwelches Gift eines ausgekochten Waterkanthalunken ihm jede Besinnung geraubt hatte. Ein Mann mit boshaften Augen – es war der Zweite Steuermann – kam herzu und betrachtete ihn neugierig. Im Augenblick prallte er zurück vor dem Anblick. Dann rieb er sich die Augen und schaute ihn wieder an mit weitaufgerissenem Munde wie einer, der einen Geist gesehen.

    »Ich will meinen Hut fressen, wenn das nicht Schanghai-Bill ist. – Schanghai-Bill aus der Washingtonstraße!« Das Wort wirkte wie ein elektrischer Funke auf die ganze Mannschaft. Alle ließen ihre Arbeit im Stich und kamen herbeigelaufen, um sich das Wunder anzusehen.

    »Schanghai-Bill! Der wäre der letzte, den man hier vermuten sollte, nachdem er selbst schon so viele verschanghait hat! Aber der Krug geht so lange zu Wasser, bis er bricht. Ich wette meinen Anteil am nächsten Walfisch gegen ein Pfund Tabak, dass er Grund und Ursache dazu hatte. Der Staatsanwalt wird ihn heute schon suchen, und ich gäbe etwas darum, wenn ich jetzt an Land wäre, um mir die Dollars zu verdienen.« So redeten sie noch eine Weile weiter, bis plötzlich die mächtige Stimme des Kapitäns vom Achterdeck ertönte:

    »Schafft das Zeug da nach vorne! Alle Mann ans Gangspill hier! Hiev Anker!«

    Im Nu waren sie alle oben auf der Back. Man hörte das Klick-Klick der zögernd hereinkommenden Kette und das Trampeln der bloßen Füße, die um das Gangspill marschierten. Dann wieder tippte der Bootsmann eines von den alten, Wind und Wellen abgelauschten Seeliedern,

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