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Freinet-Pädagogik und die moderne Schule
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Ebook324 pages3 hours

Freinet-Pädagogik und die moderne Schule

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About this ebook

Die Freinet-Pädagogik zählt wie die Montessori-, die Jenaplan- und die Daltonplan-Pädagogik zu den reformpädagogischen Richtungen, die die Schule und die Auffassung von Unterrichten nachhaltig verändert haben.
Célestin Freinet hat in dieser Tradition seinen Platz als Reformer, als politischer Kopf, als Verfechter der Demokratie in der Schule.
Sein Name steht auch für technische Erneuerungen:
Die Freinet-Pädagogik bietet mit der Einrichtung der Korrespondenz-Klassen, der Schülerzeitung, der Dokumentation und dem Freien Text eine ideale pädagogische Grundlage für die Arbeit mit dem Computer in der Klasse. Es genügt nicht, die Schulen "ans Netz zu hängen"! Die Aktualität der Freinet-Pädagogik liegt darin, dass sie dem Einsatz moderner Kommunikationsmedien in der Schule einen pädagogischen Sinn gibt.
LanguageDeutsch
PublisherStudienVerlag
Release dateMay 25, 2016
ISBN9783706558419
Freinet-Pädagogik und die moderne Schule

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    Freinet-Pädagogik und die moderne Schule - Harald Eichelberger

    302.

    Harald Eichelberger, Eva Filice

    Freinet-Pädagogik – ein Konzept für jede Schule

    Wirklich wichtig ist nicht das Wissen, sind nicht einmal die Entdeckungen: Wichtig ist das Forschen.

    Célestin Freinet

    Niemand kann wohl Célestin Freinet besser charakterisieren als er selbst. Aus diesem Grund erscheint es uns plausibel, eine Einführung in die Freinet-Pädagogik mit einem Zitat dieses großen Pädagogen Frankreichs und international anerkannten Reformpädagogen zu beginnen:

    „Mein einziges pädagogisches Talent besteht vielleicht darin, dass ich eine so gute Erinnerung an meine jungen Jahre bewahrt habe. Ich fühle und verstehe als Kind die Kinder, die ich erziehe. Die Probleme, die sich stellen und die für die Erwachsenen ein so großes Rätsel sind, stelle ich mir auch selbst und erinnere mich dabei an die Zeit, als ich acht Jahre alt war, und so lege ich als Erwachsener und gleichzeitig als Kind über die Systeme und Methoden hinweg, unter denen ich so sehr litt, die Irrtümer einer Wissenschaft offen, die ihre Ursprünge vergaß und verkannte."1

    Vor dem Hintergrund eigener, meist negativer Schulerfahrungen mit der so genannten „Kasernenschule (C. Freinet) charakterisiert Célestin Freinet eine „kindgemäße Schule in seinem Werk „Die moderne französische Schule":

    „Die Schule von morgen wird das Kind als Glied der Gemeinschaft in den Mittelpunkt ihres erziehlichen Bemühens stellen. Von seinen wesentlichen Bedürfnissen, hingeordnet auf die Belange der Gesellschaft, der es angehört, sind die von ihm zu erwerbenden manuellen und geistigen Fertigkeiten, das Bildungsgut, die Art der Vermittlung des Bildungsgutes und die Art und Weise seiner Erziehung abzuleiten. Es handelt sich bei diesem Vorgehen darum, die Schule wahrhaft wieder in eine vernünftige, wirksame und menschliche Form zu bringen, die es dem Kind erlaubt, zu einer möglichst vollkommenen Entfaltung seiner Menschlichkeit zu kommen."2

    Voraussetzung einer kindgemäßen Schule sind die Erkenntnis und die Kenntnisse der kindlichen Entwicklungsprozesse und die didaktische Orientierung an den kindlichen Entwicklungsbedürfnissen. Erst dann kann die Schule nicht nur Lernwelt, sondern Lebenswelt des Kindes werden. Die Bedeutung von Schule als Lebenswelt des Kindes betont Célestin Freinet immer wieder im „Sinn des Lebendigseins. In einer kindgemäßen Schule erleben die Kinder ihre Kraft, die in ihnen steckt, ihre inneren Wünsche, ihre Lebensstärke und ihre Kreativität und nicht nur, sich einem fremden Willen unterzuordnen. In der Geschichte des Pferdes, das zur Tränke geführt wird, illustriert C. Freinet die Eigen-Art des Lebendigen. Erzählt wird diese Geschichte vom Bauern Mathieu, dem C. Freinet im Geschichtenbuch „Les dits de Mathieu seine pädagogischen Einsichten aussprechen lässt:

    „Der junge Städter wollte sich auf dem Bauernhof, der ihn beherbergte, nützlich machen.,Bevor ich das Pferd aufs Feld führe‘, so sagte er sich, ‚werde ich es trinken lassen.‘...

    Und das frischgebackene Landkind zieht am Zügel, geht nach hinten und gibt dem Pferd ein paar kurze Schläge. Endlich! ... Das Tier bewegt sich ... es ist schon an der Tränke ... vielleicht hat es Angst ..., Ob ich es vielleicht streicheln soll? Du siehst doch, das Wasser ist frisch. Bitte! Mach mal deine Nüstern nass ... Wie! Du trinkst nicht? ... na dann!‘

    Und der Mann stößt mit Gewalt die Nüstern des Pferdes ins Wasser der Tränke. ... Das Tier schnaubt und atmet, aber es trinkt nicht.

    Der erfahrene Bauer kommt dazu. Ironisch sagt er: ‚Ach, du glaubst, dass man so ein Pferd führen kann? Weißt du, es ist nicht so dumm, wie ein Mensch ... Es hat keinen Durst! ...‘

    ‚Was kann man da machen?‘

    ‚Man merkt, dass du kein Bauer bist! Du hast nicht verstanden, dass das Pferd zu dieser frühen Morgenstunde keinen Durst, aber große Lust auf guten frischen Klee hat. Danach hat es Durst, und du wirst sehen, wie es zur Tränke galoppiert.‘..."3

    Bevor wir uns nun den Prinzipien der Freinet-Pädagogik ausführlich zuwenden, lenken wir unseren Blick auf die Biografie Célestin Freinets, steht doch wie bei den meisten großen Pädagogen sein Lebensweg in einem engen Zusammenhang zu seinem pädagogischen Lebenswerk.

    Célestin Freinet – biografische Notizen

    Célestin Freinet wird am 15. Oktober 1896 als fünftes Kinder einer Bauernfamilie in Südfrankreich geboren. Die Erfahrungen aus seiner eigenen Schulzeit, die der junge Célestin als Qual erlebte, werden später sein pädagogisches Denken und Handeln stark beeinflussen.

    1913 beginnt Célestin Freinet in seinem 18. Lebensjahr das Studium am Lehrerbildungsseminar, dem sogenannten Ecole Normale.

    1915 wird er zum Kriegsdienst eingezogen und wird während der Krieghandlungen im ersten Weltkrieg durch einen Lungenschuss schwer verwundet. Seine Kriegserfahrungen machen Célestin Freinet zu einem überzeugten Pazifisten. Es besteht in diesem Zusammenhang auch die Vermutung, dass die Lungenverletzung Célestin Freinets indirekt den Anstoß zu Schaffung seiner Pädagogik der Seihsttätigkeit gegeben hat: Freinet hält es nur mehr schwer in dem kleinen, stickigen Klassenraum aus und ermuntert seine Schüler, mit ihm die Klasse zu verlassen und außerhalb der Schule zu lernen.

    1920 schafft es Célestin Freinet – trotzdem er an den Folgen seiner Verletzung noch sehr leidet – in der winzigen und armseligen Dorfschule von Bar-sur-Loup seine erste Anstellung als Lehrer anzutreten. Hier beginnt nun in den nächsten Jahren die Entwicklung der Freinet-Pädagogik zu einer weltweiten pädagogischen und politisch-pädagogischen Bewegung.

    In diesen Jahren lernt Célestin Freinet auch den belgischen Arzt und Pädagogen Ovide Decroly kennen, der schon begonnen hatte, Schüleraufsätze zu drucken. Für die Entwicklung der Freinet-Pädagogik nimmt er ebenso Anregungen von der deutschen Reformpädagogik, vor allem von Hermann Lietz und dessen Idee des Landerziehungsheimes auf. Er lernt Paul Geheeb kennen, den Begründer der Odenwaldschule und ebenso den Schweizer Pädagogen Adolphe Ferrière, Autor von „L’Ecole active. Von ihm erhält Célestin Freinet die Anregung für sein Werk „L’Education du Travail. Fèrriere zeigte auf, wie die Forderung Kerschensteiners „Die Schule der Zukunft wird die Arbeitsschule sein" praktisch verwirklicht werden kann. Freinet studiert intensiv die Reformbestrebungen anderer Länder und lernt 1923 auch Peter Petersen in Hamburg kennen. Mit Peter Petersen pflegt Célestin Freinet bis zu seinem Tod eine intensive Brieffreundschaft und einen regen Gedankenaustausch.

    1923 kauft Célestin Freinet eine Druckerpresse und beginnt, seine Schülerinnen und Schüler freie Texte drucken zu lassen. Diese freien Texte basieren auf dem freien persönlichen Ausdruck der Schülerinnen und Schüler. Aus den freien, gedruckten Texten entstehen in Folge die Klassenzeitung und die Texte für die Arbeitsbibliothek der Kinder. Die Einführung der Schuldruckerei ist ein wesentlicher Entwicklungsschritt in der Freinet-Pädagogik, um den „Kindern das Wort zu geben". Die Druckerei wird zum Symbol der Freinet-Pädagogik, einer rasch wachsenden Bewegung, gekennzeichnet durch ein Netz von Kooperationen, durch Treffen und Tagungen und auch durch eine intensive Korrespondenz.

    1924 gründen Célestin Freinet und zu dieser Zeit schon zahlreiche gleichgesinnte Kolleginnen und Kollegen die „Cooperative de l’Enseignement Laie, abgekürzt C.E.L., aus der allmählich die französische Lehrerbewegung „Ecole Moderne hervorgehen wird. Ziel dieser Bewegung ist die Neugestaltung der Schule von innen heraus. Sie unterscheidet sich von den anderen reformpädagogischen Bewegungen dieser Zeit auch durch die explizit genannten politischen Absichten: als eine „Pädagogik des Volkes" verfolgt sie eindeutig emanzipatorische Ziele und ergreift Partei für die unterprivilegierten Kinder der Gesellschaft.

    1926 heiratet Célestin Freinet. Seine Frau Elise wird auch engste Mitarbeiterin und wohl auch Mitschöpferein der Freinet-Pädagogik. Zu dieser Zeit engagiert sich Freinet auch in der Gewerkschaftsbewegung und wird auch Mitglied der Kommunistischen Partei Frankreichs, die er allerdings in den Fünfzigerjahren wieder verlassen wird.

    1927 findet der erste große Kongress der Ecole moderne statt, der ab diesem Jahr zu einer alljährlichen Einrichtung werden wird und maßgeblich zur Verbreitung der Freinet-Pädagogik beitragen wird.

    1928 wird Célestin Freinet nach St. Paul versetzt. Die Gründe für diese Versetzung lagen wohl in den heftigen Konflikten mit der Schulbürokratie, die die Grundlagen der herkömmlichen Schule durch die immer stärker werdende Bewegung der Ecole Moderne gefährdet sah.

    1934/35 eröffnen Elise und Célestin Freinet ihr privates Landerziehungsheim in Vence. Im Zentrum des Lebens und Lernens in diesem Heim und in dieser Schule steht die sinnvolle und schöpferische Arbeit des Kindes und die Arbeit, die zur Entwicklung der Persönlichkeit des Kindes entscheidend beiträgt.

    1941-44: Nach dem Aufenthalt in einem Internierungslager, in dem Célestin Freinet auch grundlegende pädagogische Arbeiten verfasst, engagiert er sich bis zum Ende des 2. Weltkrieges in der französischen Widerstandsbewegung (Resistance). Im Jahr nach dem Ende des Krieges erscheint sein Buch „L’Ecole Moderne Francaise", eine Zusammenfassung seiner pädagogischen Ideen. Zur gleichen Zeit können Elise und Célestin Freinet auch das Landerziehungsheim in Vence wieder eröffnen. Weitere Publikationen zu Pädagogik und pädagogischer Psychologie mit seiner Frau Elise Freinet folgen.

    1961 wird die „Federation Internationale des Mouvements de l’Ecole Moderne" (ICEM) gegründet. Sie dient der Koordinierung der Freinet-Bewegung auf internationaler Ebene. Aus der Kooperation weniger Volksschullehrer um Célestin Freinet ist in rund 40 Jahren eine weltweite internationale pädagogische Reformbewegung geworden.

    1966 stirbt Célestin Freinet in Vence. Die Freinet-Bewegung verliert zwar ihren Gründer und ihre Galionsfigur aber nicht ihre pädagogische Bedeutung als schulerneuernde pädagogische Kraft.

    Zum Grundverständnis der Freinet-Pädagogik

    Wie andere Reformpädagogen auch hat Célestin Freinet früh erkannt, dass nicht eine neue Lehr- und Lernmethode im Mittelpunkt einer neuen Pädagogik stehen kann, sondern im Sinne einer „kopernikanischen Wende" in der Pädagogik das Kind und dessen individuelle Entwicklung in einer bestimmten Gesellschaft in das Blick- und Handlungsfeld des Pädagogen gerückt werden muss. So kann davon aus heutiger Sicht ausgegangen werden, dass auch Célestin Freinet – wie Maria Montessori – kein Förder- oder Lernkonzept erstellt hat, sondern ein Entwicklungskonzept des Kindes. Doch es genügt beiden genannten Pädagogen nicht, von den Interessen und Bedürfnissen des Kindes allein auszugehen, sondern ihre Pädagogik manifestiert sich darin, dass sie versuchen, dem Kind das für die Entwicklung in pädagogischer Verantwortung bereitzustellen und zu geben, was es in seinem Alter aktuell für seine Entwicklung braucht.

    Beide Pädagogen gehen interessanterweise von dem Begriff der Arbeit aus. Finden wir bei Maria Montessori die Arbeit an sich selbst (gemeint ist das Kind – Verf.) und das Konzept der „Übungen des täglichen Lebens und das der „Sinnesschulung, so betont Célestin Freinet den hohen positiven Wert der zielgerichteten und planvollen Arbeit an konkreten Problemen für jeden Menschen, so auch für Kinder. Nach Freinets Überzeugung strebt das Kind von Anfang an danach, mit den Eltern und wie sie zu arbeiten und es ihnen gleichzutun. So beruht auch Freinets Pädagogik für das breite Volk auf der Einrichtung einer Arbeitsschule. Er will sinnvolle, schöpferische, das Kind entfaltende Arbeit zum zentralen Inhalt der Schule machen.

    Erlauben wir uns an dieser Stelle einen kleinen Exkurs zum eigentlichen geistigen Vater der sogenannten Arbeitsschule Georg Kerschensteiner, der dem Begriff der Arbeit eine spezifisch pädagogische Bedeutung gegeben hat, die auch in der Freinet-Pädagogik ihre Gültigkeit bewahren wird. Es genügt demnach nicht, im Unterricht einfach nur tätig zu sein.

    „Das Wort von der Pädagogik der Tat wurde zunächst geprägt. Bald aber hatte es dem neuen Schlagwort Platz zu machen, dem Schlagwort vom Arbeitsunterricht als Prinzip, worunter man die Verbindung von einer Fülle manueller Tätigkeiten mit allen herkömmlichen Unterrichtsgegenständen verstand. Schon diese grobe Veräußerlichung des Begriffes ‚Arbeitsunterricht‘ als eines Unterrichts in rein manueller Beschäftigung zeigte, wie wenig das Wesen des Begriffes der Arbeitsschule erfasst worden war. ...

    Weil Arbeiten gewöhnlich eine manuelle Tätigkeit ist, so glaubte man, das Problem der Arbeitsschule damit gelöst zu haben, dass man mit jedem herkömmlichen Unterrichtsgebiet der Schule irgendwelche manuelle Tätigkeit verband .... Aber so wenig man sich den Begriff des kategorischen Imperativs erarbeitet, wenn man einen Holzschnitt von Kant nachzeichnet, ebenso wenig treffen die erwähnten manuellen Arbeiten den Geist des Arbeitsprinzips. Manuelle Arbeit ist im Dienste eines Unterrichtszweiges nur da ‚bildend‘, wo Begriffe und Erkenntnisse aus Tatsachen der täglichen Erfahrung herauswachsen und das Vorstellungsmaterial aus sinnlicher Beobachtung gewonnen werden muss. Alle im Laufe der Zeiten entwickelten geistigen Arbeitsgebiete haben ihre eigenen spezifischen Arbeitsweisen. Das Arbeitsprinzip ist nur dann gewahrt, wenn die Arbeit beim Eindringen in die Vorstellungskreise und in die Denkungsweise dieses Gebietes den Arbeitsmethoden angepasst ist, die sich innerhalb jener Geistesgebiete mit psychologischer Notwendigkeit entwickelt haben."4

    Ich möchte aber in diesem Zusammenhang ausdrücklich darauf hinweisen, dass der Arbeitsbegriff Célestin Freinets eher einer politisch-marxistischen Prägung entspringt: Arbeit ist in diesem Sinne für Célestin Freinet ein Grundrecht des Menschen und deshalb in der Schule ein durchgehendes Prinzip; Arbeit ist ein wesentlicher Teil der Menschenwürde.

    Schulisches Lernen in einer Freinet-Klasse ist in einem hohen Maß handlungsorientiert und immer von dem Lernenden selbst bestimmt. Freinet geht auch davon aus, dass jedes Kind die wichtigen Erfahrungen in seinem Leben selbst machen muss und dass jedes Kind ein grundsätzliches Recht hat, Wahrheiten selbst zu entdecken. Lebendiges Lernen besteht für Freinet darin, dass das Kind – eingebunden in die emotionellen und sozialen Beziehungen seiner Gruppe(n) und in enger Verbindung zu seinem Milieu – daran geht, die Beschaffenheit seiner Welt, ihre Werte und Beziehungen herauszufinden. Doch Freinet-Pädagogik heißt auch, ein Bewusstsein darüber zu entwickeln, dass diese Welt durch meine (des Schülers – Verf.) „politische" Arbeit veränderbar ist.

    Soll Lernen und Arbeiten für Kinder eine seine Individualität entwickelnde Bedeutung haben, so muss es im „Hier und Jetzt" stattfinden und sehr wohl auch den Bedürfnissen und Interessen der Kinder entsprechen. So wird auch der Unterricht in der Freinet-Pädagogik erfahrungsorientiert, sachbezogen und für das Kind sinnvoll erlebbar sein. So wird zum Beispiel die Kulturtechnik des Schreibens immer auf ein Gegenüber gerichtet sein, dem ich etwas mitteilen kann, mit dem ich etwas austauschen kann. Wozu schreiben wir in der herkömmlichen Schule, wenn es außer der Lehrerin keiner liest und am Ende des Schuljahres das Heft weggeworfen wird?

    Freinets Pädagogik verwendet große Sorgfalt und umfangreiche Mittel darauf,

    •    Suchbewegungen anzubahnen,

    •    Neugierverhalten zu ermutigen und

    •    Erfahrungslernen zu unterstützen.

    Die differenzierten Arbeitsmittel, die dazu entwickelt wurden und die besonderen Organisationsformen der Klasse erlauben es jedem Kind, gemäß seinen Interessen, seinen Talenten und seinem individuellen Lernrhythmus vorzugehen.

    Dazu wird es notwendig sein, das Klassenzimmer vollständig umzugestalten (Siehe Beispiel S. 36!). Aus dem Klassenzimmer wird ein ansprechender Lernraum werden, der viel eher einer Werkstatt ähnelt, in der entdeckendes und forschendes Lernen möglich ist und in der eine freudige und entspannte Atmosphäre herrscht.

    Das Wissen in einer Freinet-Klasse kommt nicht mehr nur vom Lehrer allein. Es ist viel wichtiger, dass die Kinder lernen können, wie sie sich Wissen aneignen können mit verschiedenen Arbeitsmaterialien, mit Büchern, Informationsheften und Nachschlagewerken. Es ist nicht wichtig, dass ich immer wieder „Wissen serviert bekomme und dieses reproduzieren kann, sondern dass ich lerne, wie ich mir „Wissen selbständig erarbeiten kann und dieses „Wissen" auch einer Selbstkontrolle unterziehen kann. Wissen ist lebensnotwendig, daher steht das Lernen von gezieltem, selbständigem Lernen im Vordergrund der Freinet-Pädagogik.

    Im Verständnis Célestin Freinets ist Schule keinesfalls ein Schonraum, sondern heißt, stellvertretend in der Schule viel für und über das wirkliche Leben zu lernen und bei aller Freiheit zur individuellen Entwicklung die Verpflichtungen akzeptieren und damit umgehen zu lernen. Es gibt die Verpflichtungen, die Schule zu besuchen, selbst gesteckte Ziele zu verantworten, das Gruppenleben zu organisieren und Entscheidungen zu treffen, und ... In diesem Sinne ist die Freinet-Pädagogik keineswegs eine Pädagogik des Gewährenlassens, sondern eine Erziehung zu Selbstbestimmung und Selbstverantwortung des Menschen und in dieser Aufgabenstellung im höchsten Maße modern.

    Prinzipien der Freinet-Pädagogik

    Die Prinzipien der Freinet-Pädagogik führen die Kinder und Jugendlichen in eine und in einer Schule der Vielfalt, Einzigartigkeit und Sinnfülle. Sie sind wesentliche Orientierungspunkte für all diejenigen, die Interesse haben, die Freinet-Pädagogik mit ihren Kindern in der Schule zu realisieren:

    Bezug zum Leben

    Im Freinet-Unterricht wird das Leben der Kinder im Unterricht weitergehen und sich in den Unterricht hinein fortsetzten, im herkömmlichen Unterricht wird es oft abgeschnitten und stirbt langsam. Der Begriff des Lebens ist für Célestin Freinet eine wichtige Metapher in seiner Philosophie. Immer wieder betont er, wie sehr ihm darauf ankomme, das Leben in die Schule hineinzunehmen.

    Den Prinzipien ordnet C. Freinet Mittel und Techniken zu. Diese sind von C. Freinet zusammen gestellt worden, nur zusammen gestellt, nicht erfunden. C. Freinet hat die Vorschläge der Reformpädagogen seiner Zeit zusammengetragen und in seiner Pädagogik vereint. So soll z.B. der Bezug zum Leben durch folgende Mittel und Techniken hergestellt werden:

    •    Berichte

    •    Untersuchungen

    •    Unterrichtsgänge

    •    Arbeitsateliers ...

    Arbeit/Selbsttätigkeit

    Fast in einem Atemzug mit dem Prinzip des Lebens nennt C. Freinet das Prinzip der Arbeit und des selbständig Tätigseins in der Schule. „Durch Selbsttätigkeit wird aller Bildungserwerb erfüllt."5 Die selbsttätige Arbeit geschieht in den Freinet-Klassen vorwiegend in den Arbeitsateliers. Mittel und Techniken sind immer veränderbar und aktualisierbar, Prinzipien der Freinet-Pädagogik allgemeingültig und keinen Veränderungen unterworfen. Folgende Mittel und Techniken empfiehlt C. Freinet für die selbsttätige Arbeit:

    •    Feldarbeit und Tierpflege

    •    Schmiede und Schreinerei

    •    Spinnen, Weben, Schneidern, Kochen, Hauswirtschaft

    •    Konstruktion, Mechanik, Handel

    •    Nachschlagekiste für Unterrichtsvorhaben

    •    Wissensstoffe, Dokumentensammlung

    •    Experimentieren in Naturkunde, Physik, Chemie

    •    Meteorologie, Schulmuseum

    •    Schöpferische Betätigung, graphische Gestaltung und Korrespondenz

    •    künstlerisches Schaffen, Ausdruck und Mitteilung ...

    Sinn

    Nicht nur die in der Schule zu lernenden und gelernten Inhalte müssen sinnvoll sein, sondern Lernen und Leben in der Schule müssen auch wesentlich dazu beitragen, einen Lebenssinn finden zu können. Diese Forderung bezieht sich ebenso auf das Erlernen und Anwenden der Kulturtechniken Schreiben und Lesen. C. Freinet sagt dazu:

    „Wir haben die Motivierung des Schreibens durch unsere Techniken praktisch verwirklicht. Diese sind: Die Möglichkeit des freien Sich-Ausdrücken-Dürfens, die Vervielfältigung oder Druckerei, die Illustrierung, die Schaffung einer Schülerzeitung ..."6 „Das entscheidende Moment bei dieser Art des Schreibenlernens ist, dass das Kind den Wert, den Sinn und die Notwendigkeit des sich durch die Schrift Ausdrücken-Könnens in seiner Bedeutung für sich selbst und für die Allgemeinheit empfindet."7

    In diesem Zusammenhang möchte ich ausdrücklich auf den systemischen Charakter der Prinzipien der Freinet-Pädagogik hinweisen: Lernen im lebensbedeutenden Sinn, kann nur selbst bestimmtes Lernen sein, ein Lernen in Freiheit und Selbsttätigkeit ... D.h. sinnvolles Lernen ist immer Lernen in Freiheit:

    •    freier Ausdruck/freier Text

    •    Schul-Druckerei

    •    Schülerzeitung

    •    Korrespondenz ...

    Freiheit

    Die Freiheit manifestiert sich in der Freinet-Pädagogik vor allem in der Freien Wahl der Arbeitsschwerpunkte, im freien Ausdruck als „Offenbarung des Lebens selbst"8 und im freien Text, der „Veräußerlichung dessen, was im Kind ist, was das Gefühlt bewegt, es lachen oder weinen lässt, seine Träume erfüllt und ihm ausdrückliche Empfindungen verschafft ..."9

    •    freier Ausdruck/freier Text

    •    freie Wahl der Arbeitsschwerpunkte

    •    freie Untersuchungen

    •    freies Experimentieren ...

    Kooperation

    Ein wesentliches Prinzip der Freinet-Pädagogik ist die Kooperation der Kinder untereinander und miteinander. Dieses Prinzip steht im Gegensatz zum konkurrenzierenden Verhalten der Kinder in der herkömmlichen Schule. Vor allem die Schuldruckerei, die Korrespondenz und die Einrichtung des Klassenrates sind Mittel und Techniken, an denen die Kinder die Kooperation erlernen und erleben.

    •    Gemeinschaftsarbeiten

    •    Auswertung der Unterrichtsgänge

    •    Auswahl der freien Texte

    •    Korrespondenz

    •    Gruppenarbeit

    •    Druckerei

    •    Experimentieren ...

    Verantwortung

    Viele Aufgaben werden in einer Freinet-Klasse von den Kindern in einer selbsttätigen Art und Weise und ebenso selbst verantwortlich übernommen. Vor allem die Möglichkeit der Mitgestaltung des Schullebens führt zur Übernahme der Verantwort. Doch Verantwortung können die Kinder nur übernehmen, wenn ihnen diese durch all die zusammenhängenden Prinzipien auch wirklich übergeben wird.

    •    Verantwortlichkeit („Ämter")

    •    Arbeitspläne

    •    Disziplin

    •    Klassenversammlung10 ...

    Grundgedanken und Prinzipien der Freinet-Pädagogik sollen im Verständnis dieser Pädagogik als einer Pädagogik der Unterrichts- und Schulentwicklung zu einer Unterrichts- und Schulkonzeption führen, die den in der Schule lebenden und lernenden Schülern und Lehrern entspricht und hilft die pädagogischen Ideen bestmöglich zu realisieren.

    Gedanken zur Unterrichtskonzeption

    Die pädagogischen Grundideen Célestin Freinets zielen auf „offene und befreiende Erziehung ab und manifestieren sich im konkreten Unterricht in den folgenden Realisierungen. Dabei muss ausdrücklich darauf hingewiesen werden, dass Célestin Freinet seine Pädagogik als Pädagogik des Volkes und damit auch als eine Pädagogik für die Regelschule verstanden wissen wollte. Freinet-Pädagogik war niemals und ist auch heute keine Pädagogik für die, die es „sich leisten können.

    •    Die Schüler sitzen nicht mehr passiv in ihren Bänken und warten auf die Aufträge eines Lehrers, die sie dann in

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