Discover millions of ebooks, audiobooks, and so much more with a free trial

Only $11.99/month after trial. Cancel anytime.

This Man's Pill: Sex, Kunst und Unsterblichkeit
This Man's Pill: Sex, Kunst und Unsterblichkeit
This Man's Pill: Sex, Kunst und Unsterblichkeit
Ebook367 pages6 hours

This Man's Pill: Sex, Kunst und Unsterblichkeit

Rating: 4 out of 5 stars

4/5

()

Read preview

About this ebook

Dem Autor ist am 15. Oktober 1951, in einem kleinen Labor in Mexico City der entscheidende Schritt zur synthetischen Herstellung des Hormons Gestagen gelungen, was die "Antibabypille" ermöglicht hat.
In diesem Buch verfolgt Djerassi genauer, als er das bisher getan hat, die Geschichte der "Pille" mit ihren Vorstufen, etwa den Forschungen und Ergebnissen des Innsbrucker Biologen Prof. Ludwig Haberlandt aus den zwanziger Jahren, schildert die Auswirkungen seiner Erfindung auf Gesellschaft und Politik und sinniert über die sich abzeichnende Trennung von Sex und Fortplanzung. Auch persönliche Erinnerungen an die turbulenten fünfziger und sechziger Jahre breitet der vorzügliche Erzähler Djerassi vor dem Leser der zwölf Essays aus.

Aus dem Amerikanischen von Ursula-Maria Mössner
LanguageDeutsch
PublisherHaymon Verlag
Release dateMay 25, 2016
ISBN9783709937167
This Man's Pill: Sex, Kunst und Unsterblichkeit

Read more from Carl Djerassi

Related to This Man's Pill

Related ebooks

Biography & Memoir For You

View More

Related articles

Reviews for This Man's Pill

Rating: 4 out of 5 stars
4/5

1 rating1 review

What did you think?

Tap to rate

Review must be at least 10 words

  • Rating: 4 out of 5 stars
    4/5
    I am surprised to be the first member reviewer for 'This Man's Pill'. I don't read much non-fiction, but as somebody who reads a lot of literature, enjoys the arts and spends her day in Science and technology- this book is simply wonderful. It is rare to find scientists with such a flair and talent for literary and other arts. Djerassi very colorfully explains the history of the pill, everybody who contributed, everybody who didn't contribute- but are known to have contributed too. Some things that really stuck with me were the difference between discovery and innovation versus what we reward in science, the major impact the pill has in fact had to the story of evolution- how copulation and conception have been separated, his concerns about the earth's population, the response of the feminist movements to the pill, and infact- women in general. Another chapter i really enjoyed was where he looks at how the pill has become a part of the geography's culture- he examines this in myriad ways- the way the pill is sold to what it is called in the local language- Germany's example is particularly interesting.While i enjoyed reading about Djerassi's interest in the Arts and Paul Klee- the book becomes quite autobiographical at times with little reference to the pill actually.A very good read, i would highly recommend it.

Book preview

This Man's Pill - Carl Djerassi

Mögliche.

1

Dreißig Auserwählte: Murasaki & Konsorten

Am 12. September 1999 veröffentlichte das Londoner Sunday Times Magazine in seiner Titelgeschichte „The Top Thirty" des zurückliegenden Jahrtausends. Diese von fünfzehn britischen und amerikanischen Gelehrten erstellte Hitliste der dreißig wichtigsten Personen war, gelinde ausgedrückt, exzentrisch, um nicht zu sagen bizarr; in anderen Worten ein weiteres Symptom des Rummels um den Millenniumswechsel.

Ganz oben auf der chronologisch angeordneten Liste stand der Name der einzigen Frau in der ansonsten reinen Männerriege. Obwohl gegen diese Wahl nichts einzuwenden ist, hatte ihre Aufnahme in den erlauchten Kreis vermutlich mehr mit political correctness und Effekthascherei zu tun als mit Logik. Ich kann mir schwerlich vorstellen, daß Murasaki Shikibu – selbst in Japan – von einer breiten Öffentlichkeit in diese Dreißigerbande gewählt worden wäre. Aber mit ihr zu beginnen nahm nicht nur dem unvermeidlichen Vorwurf männlicher Voreingenommenheit die Spitze, sondern auch dem des Eurozentrismus: Asien war nur durch Murasaki Shikibu und den osmanischen Sultan Mohammed II. vertreten. Dschingis Khan, Mahatma Gandhi und Mao Tse-tung fehlten völlig. Warum fiel die Wahl von Rupert Murdochs Experten auf Napoleon und Lenin, aber auf keinen dieser asiatischen Führer? Der kurze Prozeß, der mit Nord- und Südamerika, von der Baffin Bay bis hinunter nach Patagonien, gemacht wurde, bewies nur, daß der Ethnozentrismus der Jury unparteiisch war. Kein Cortez, Bolívar, Washington, Lincoln oder Roosevelt; der ganze Kontinent tauchte nur ein einziges Mal auf: mit Thomas Alva Edison. Es versteht sich wohl von selbst, daß Afrika für diese intellektuellen Forschungsreisenden ein dunkler Kontinent blieb.

Daß geographische Aspekte und das weibliche Geschlecht keine Berücksichtigung fanden, mochte irgendwie verständlich sein; weit auffallender jedoch war die schiere Willkürlichkeit dieser Liste. Am eklatantesten war das völlige Fehlen von Musikern – kein Bach, kein Mozart, kein Verdi, nicht einmal die Beatles – und anderen Künstlern, abgesehen von Leonardo da Vinci, dessen Aufnahme offenbar in erster Linie seinen Referenzen als Naturwissenschaftler und Ingenieur zu verdanken war. Etwas besser sah es im Bereich Literatur aus: Neben Murasaki fand sich dort die klar auf der Hand liegende Entscheidung für Shakespeare und die fast ebenso unvermeidliche Nennung von Dante und Chaucer. Die Aufnahme von Jean Jacques Rousseau, dem einzigen weiteren Vertreter dieser Gattung, erschien durchaus gerechtfertigt, aber nur, bis man sich zu fragen begann, warum er und nicht, sagen wir, Goethe oder Tolstoi.

Die Liste tendierte stark in Richtung Naturwissenschaft und Technik. Unter den fünfzehn Naturwissenschaftlern und Erfindern waren Bacon, Newton, Kopernikus, Galilei, Darwin, Pasteur und Einstein. Daß sie aufgenommen wurden, erscheint absolut einleuchtend, auch wenn einige andere – z. B. Planck, Maxwell, Watson & Crick (die vermutlich eliminiert wurden, weil man sonst zwei kostbare Plätze vergeudet hätte) – genauso plausibel gewesen wären. Daß Großbritannien unverhältnismäßig stark vertreten war, konnte man vielleicht noch nachvollziehen, denn schließlich handelte es sich hier um die Londoner Times, nicht um die New York Times. Und von der fünfzehnköpfigen „Expertenjury" kamen elf aus Großbritannien und nur vier aus den Vereinigten Staaten. Folglich war es auch nicht weiter verwunderlich, daß die abschließende Wahl des primus inter pares – der Numero Uno des Millenniums – auf Isaac Newton fiel. Allerdings entbehrte es nicht einer gewissen Ironie, daß auf dem Titelblatt, das die Wahl verkündete, kein visuell hagiographisches Porträt des Physikers erschien (von denen es genügend gibt), sondern eine Fotografie von Eduardo Paolozzis übermannsgroßer Statue Newtons am Eingang der British Library, einer Skulptur, die auf William Blakes berühmtem Aquarell von 1795 basiert. Ob dem Fotoredakteur wohl bekannt war, daß Blakes Ansichten über Newton und dessen Rationalismus alles andere als schmeichelhaft waren? „Wer das Unendliche in allen Dingen sieht, sieht Gott. Wer nur die Vernunft sieht, sieht nur sich selbst."

Natürlich hat die Auswahl der Times keinerlei Bedeutung. Es kann nicht den wichtigsten Menschen eines Jahrtausends geben: weder ein einzelnes Kriterium noch eine Reihe von Kriterien würden jemals auf allgemeine Zustimmung stoßen. Es gibt keine Gemeinschaft gelehrter Männer oder Frauen mehr (falls es sie überhaupt je gegeben hat), für die eine solche Person oder Liste repräsentativ sein könnte. Und damit komme ich zu dem entscheidenden Punkt – der nicht von mir stammt –, daß nämlich Newton, Galilei, Einstein und all die anderen Leuchten der Wissenschaft nicht als Personen auf dieser Liste stehen – in dem Sinne, wie Murasaki und Skakespeare dort erscheinen –, sondern vielmehr als Repräsentanten und Surrogate für Entdeckungen und Erfindungen.

Newtons bedeutendste Entdeckungen, beispielsweise die Gesetze der Gravitation und der Planetenbewegung, hätten vielleicht noch einige Jahre auf sich warten lassen, wenn er nie geboren worden wäre, aber entdeckt worden wären sie unweigerlich, wie Leibniz’ zeitgleiche Erfindung der Integralund Differentialrechnung – um nur eines von vielen derartigen Beispielen zu nennen, die die Geschichte der Naturwissenschaften kennt – eindeutig beweist. Gewiß, Kopernikus, Galilei, Darwin und Einstein waren mit ihren bahnbrechenden Erkenntnissen jeweils die ersten auf ihrem Gebiet, aber auch hier hätte ein anderer die gleichen allgemeingültigen Regeln innerhalb einer Zeitspanne aufgestellt, die im Rahmen der Menschheitsgeschichte getrost als vernachlässigbar zu bezeichnen wäre. Letzten Endes kommt es in den Naturwissenschaften, anders als in der Kunst, nicht auf den einzelnen Menschen an.

Jedenfalls fast nie. Es sei denn, dieser Mensch ist man selbst. Die Hitliste der Times endet mit einem lebenden Relikt. Auf den ersten Blick scheint es absolut grotesk, daß dort der Name Carl Djerassi erscheint, bis man sich darauf besinnt, daß er als Surrogat für die Pille steht. Kaum jemand würde bestreiten, daß die Einführung steroidaler oraler Verhütungsmittel große Auswirkungen in den letzten vier Jahrzehnten des zurückliegenden Millenniums hatte. Viele davon, wenn auch gewiß nicht alle, waren positiv. Andere medizinische Entdeckungen und Erfindungen – wie die Röntgenstrahlen oder Antibiotika – kamen mehr Menschen zugute, obgleich die Pille auch in dieser Hinsicht nicht zu unterschätzen ist: In den USA wurde und wird sie von 80% aller nach 1945 geborenen Frauen benutzt! Bezüglich des soziokulturellen Einflusses jedoch, von der Religion bis zur Frauenbewegung, nimmt die Pille mit Sicherheit eine Spitzenposition ein. Indem sie den Geschlechtsakt von der Verhütung trennte, setzte sie eine der umwälzendsten Veränderungen der jüngsten Zeit in Gang, nämlich die allmähliche Auflösung der Einheit von Sex und Fortpflanzung. Das darauffolgende Aufkommen von In-vitro-Befruchtungstechniken hat die völlige Trennung zwischen Sex und Fortpflanzung – in anderen Worten die Schaffung neuen Lebens ohne Geschlechtsverkehr – Realität werden lassen. Die ethischen und gesellschaftlichen Implikationen dieser Entkoppelung sind gewaltig und beginnen erst jetzt diskutiert zu werden. Obgleich diese Revolution auf dem Gebiet der Fortpflanzung durch die Einführung der Pille initiiert wurde, waren für die Eltern der Pille keineswegs alle Konsequenzen vorherzusehen, die im reiferen Alter ihres mittlerweile fünfzigjährigen Sprößlings auftraten.

„Fünfzig Jahre?" höre ich fragen. Wann genau war denn der Geburtstag der Pille? Und wo wurde sie geboren? Und, was noch viel wichtiger ist, wo fand ihre Empfängnis statt? Wenn die Beantwortung der letztgenannten Frage selbst Eltern echter Babys Probleme bereitet, um wieviel mehr dann in diesem Fall, wo selbst die Identität der Eltern oft angezweifelt wird. Dennoch gibt es darauf eine klare Antwort. Die Idee einer Pille, die Sex ohne Befruchtung gestattet, tauchte um 1920 in Österreich auf. Ich war zur Zeit der Empfängnis der Pille noch gar nicht geboren, und dennoch behaupte ich, daß ich, als organischer Chemiker, bei der Geburt der Pille am 15. Oktober 1951 in Mexico City die Rolle einer Mutter spielte.

Das vorliegende Buch hat jedoch weniger mit mütterlicher Chemie zu tun, sondern stellt vielmehr eine Bewertung des Einflusses dar, den die Pille auf die Welt um uns herum und insbesondere auf mich hatte. Die Geschichte ist noch nicht zu Ende, denn entgegen allen Erwartungen – insbesondere seitens der Eltern der Pille – hat sich die Empfängnisverhütung im Laufe der letzten fünfzig Jahre kaum verändert, und es hat auch nicht den Anschein, als ob sie sich in den nächsten Jahrzehnten rein technisch gesehen fundamental verändern würde. Vielleicht sind wir sogar im Begriff mitzuerleben, wie das Thema „Kontrazeption" allmählich in den Hintergrund tritt, da wir uns inzwischen mit einer ganz anderen Zukunft der menschlichen Fortpflanzung konfrontiert sehen.

Aber auch auf einer rein persönlichen Ebene hat die Pille enorme Auswirkungen auf mich gehabt. Sie hat mich von einem „harten Naturwissenschaftler – einem organischen Chemiker, angetrieben von wissenschaftlicher Wißbegierde und der dazugehörenden geballten Portion Ehrgeiz, aber auch dem Verlangen nach Anerkennung seitens der Kollegen, über das ich in meinen Romanen ausführlich geschrieben habe – in einen „weicheren verwandelt. Ich begann mich in zunehmendem Maße mit Fragen zu beschäftigen, die eigentlich heikler und schwieriger waren als die Herausforderung, Kohlenstoffatome zu bislang unbekannten und oft nützlichen Molekülen zu verbinden: nämlich mit den gesellschaftlichen Konsequenzen, die sich aus wissenschaftlichen und technologischen Entwicklungen ergeben. Der letzte große Sprung, den ich machte, zunächst zum Verfasser von Romanen und später von Bühnenstücken, geht auf meine Suche nach neuen Wegen zurück, wissenschaftliche Gedankengänge und Probleme einem breiteren Publikum nahezubringen. Dabei half mir, daß ich das Glück hatte, an dieser entscheidenden Erfindung beteiligt gewesen zu sein, als ich noch keine Dreißig war, so daß ich noch ein halbes Jahrhundert später darüber nachsinnen kann, wie sich diese Entdeckung auf mich persönlich ausgewirkt hat. Folglich ist der englische Titel dieses Buches, „This Man’s Pill’: kein Pochen auf irgendwelche Eigentumsrechte – und schon gar nicht Wichtigtuerei oder simples Macho-Gehabe –, sondern vielmehr das Destillat einer Selbstprüfung, die längst noch nicht abgeschlossen ist.

Nun könnte man sich fragen, warum ich es für notwendig erachte, meine Schlußfolgerungen mit anderen zu teilen. Warum begnüge ich mich nicht damit, etwas über mich erfahren zu haben? Oder gehe zum Psychoklempner, falls der Drang, mich über diese Themen auszulassen, allzu übermächtig sein sollte? Schließlich habe ich schon vor zehn Jahren eine Sammlung von Erinnerungen (Die Mutter der Pille) veröffentlicht, die so autobiographisch war, wie es mein verbliebener Sinn für Zurückhaltung zuließ.

Meine Antwort darauf lautet schlicht: Ich bin jetzt zehn Jahre älter und somit zehn Jahre weiser. Im Herzen bin ich Pädagoge und überzeugt, daß sich aus meinem Leben so manches lernen läßt – Positives wie Negatives. So ist es in unserer ständig geriatrischer werdenden Welt beispielsweise sinnvoll, darauf hinzuweisen, daß man auch im Alter von 60 Jahren noch eine neue Karriere starten kann und mit 75 eine weitere. Mein Labor ist inzwischen geschlossen; ich kann es mir leisten, die Ereignisse der Vergangenheit durch den Filter und Schleier eines guten halben Jahrhunderts zu betrachten und dazu aus einer Distanz, die einen auf tieferen Einsichten beruhenden Blick in die Zukunft gestattet. Für mich ist dieses Buch zu einer Art öffentlicher Buße für frühere Unterlassungssünden geworden, weil ich als Naturwissenschaftler zuviel zu tun hatte, um mir die Zeit zu nehmen, mich einem breiteren Publikum mitzuteilen, und zu beschäftigt war, die Welt als Ganzes zu analysieren, um die ausgefeilten analytischen Fähigkeiten des Wissenschaftlers für Selbstbetrachtungen aufzubieten. Welcher Zeitpunkt wäre dafür besser geeignet als der 50. Geburtstag der Pille?

Jede wissenschaftliche Abhandlung beginnt mit einem sogenannten Abstract, einer knappen Zusammenfassung. Ich bin zu sehr Gewohnheitstier, um mit dieser schönen Tradition hier zu brechen. Doch Traditionen lassen sich anpassen, und so möchte ich diesem sehr persönlichen Buch als Abstract eine Autobiographie voranstellen, die ich in freien Versen am 60. Geburtstag von Robert Maxwell schrieb, dem anderen Großvater meines einzigen Enkels, Alexander Maxwell Djerassi. Dieser Abriß in Gedichtform hat den Vorzug, nicht nur knapp, sondern auch brutal ehrlich zu sein.

Die Uhr läuft rückwärts

An seinem sechzigsten Geburtstag,

Umringt von Frau, Kindern und Freunden,

Packt der Mann, der alles hat,

Seine Geschenke aus.

Zwischen Briefbeschwerern, Zigarren,

Büchern, silbernen Dosen,

Kristallvasen,

Erscheint eine Uhr,

Hergestellt von KOOL Designs

In limitierter Auflage.

Eine Uhr, die rückwärts läuft.

Eine Uhr mit Namen LOOK.

Amüsant.

Genau das Geschenk

Für den Mann, der alles hat.

Wie faustisch, dachte der Freund,

Selbst bald sechzig werdend.

Und falls sie wirklich die Zeit durchmißt?

Als die Zeiger die Fünfzig erreichten,

Hielt er sie an.

Bücher, Hunderte von Artikeln, Dutzende von Ehren.

Nicht schlecht, dachte er: Die Uhr gefallt mir.

Doch fünfzig war auch die Zeit,

Als seine Ehe zerbrach.

Er ließ die Uhr weiterlaufen.

Achtundvierzig Jahre, fünfundvierzig,

Dann einundvierzig.

Ach ja, die Jahre des Sammelns:

Gemälde, Skulpturen und Frauen.

Besonders Frauen.

Doch war das nicht auch die Zeit,

Als seine Einsamkeit begann?

Oder war das schon früher?

Warum sollte man sonst sammeln,

Außer um eine Leere zu füllen?

Halt nicht die Zeiger an!

Die Dreißiger waren die besten:

Berge von Arbeit. Erfolg. Anerkennung.

Professor an Elite-Universität,

Geburt seines Sohnes – nun der einzige Überlebende.

Und wie war’s mit achtundzwanzig?

Ach ja – fast hätte er’s vergessen:

Das Jahr der PILLE.

Der Pille, die die Welt veränderte.

Nein – zu anmaßend, zu eingebildet.

Dennoch veränderte er das Leben von Millionen,

Millionen von Frauen, die seine Pille nehmen, dachte er.

Die Uhr läuft weiter zurück.

Siebenundzwanzig Jahre:

Erstmalig Vater, einer Tochter,

Später seine einzige Vertraute.

Nun tot. Von eigener Hand.

Der Beginn seiner zweiten Ehe.

Die erste aufgelöst.

Frühe Stigmata künftigen Erfolges:

Das Doktorat mit einundzwanzig;

Der erste Studienabschluß mit achtzehn.

Und der Trugschluß, sich für reif zu halten:

Noch keine zwanzig und schon Bräutigam.

Noch früher: Europa. Krieg.

Hitler. Wien.

Kindheit.

Halt! Halt! HALT!

Der Paterfamilias,

Umringt von Frau, Kindern, Freunden,

Der Mann, der alles hat,

Packt noch immer Geschenke aus.

Mehr Briefbeschwerer, mehr Silber,

Mehr Bücher, zehn Pfund Stilton-Käse,

Und noch eine Uhr.

Gott sei Dank, diese läuft vorwärts,

Dachte der Freund,

Der einsame,

Der selbst bald sechzig wird.

Und lächelte die Frau an seiner Seite an,

Die Frau, die er gestern kennengelernt hatte.

Die gestern gesagt hatte:

„Ja, ich komme mit nach Oslo."

Und sie kam.

Doch allzu kurz.

2

Genealogie und Geburt der Pille

WOLFSON: Was verstehen Sie heute, das Sie mit neunzehn oder zwanzig noch nicht verstanden haben?

DJERASSI: Meinen Sie auf wissenschaftlichem Gebiet oder allgemein?

WOLFSON: Das überlasse ich Ihnen.

DJERASSI: Ich lebe nicht in einem Vakuum. Wenn ich die letzten fünfzig Jahre auf einer einsamen Insel verbracht hätte, dann, glaube ich, wäre die Antwort etwas Inwendiges, aber die Antwort, die ich Ihnen geben muß, kann nur auf einer Reflexion dessen beruhen, wie ich die Welt, in der ich lebe, wahrnehme. Es ist eine niederschmetternde Tatsache, daß es bei meiner Geburt 1,9 Milliarden Menschen auf dieser Welt gab. Jetzt sind es 5,8 Milliarden, und an meinem 100. Geburtstag werden es voraussichtlich 8,5 Milliarden sein. Das hat es in der Geschichte der Menschheit noch nie gegeben – daß sich im Laufe eines einzelnen Lebens die Weltbevölkerung mehr als vervierfacht hat. Und das wird es auch nie wieder geben.

WOLFSON: Was haben Sie persönlich, inwendig, in dieser Zeit gelernt?

DJERASSI: Inwendig müßte ich mir die übliche Frage stellen: Was würde ich anders machen, wenn ich mein Leben noch einmal zu leben hätte? Meine Antwort wäre, daß ich nicht das Leben führen würde, das ich geführt habe. Ich wäre nicht mehr ein solcher Workaholic. Ich wäre nicht mehr so hektisch. Ich würde schlicht akzeptieren, daß man nicht alles tun kann, was man sich im Leben vornimmt, auch wenn ich noch immer von dem Gedanken besessen bin, nicht mehr genug Zeit für alles zu haben. (Pause.) Ich glaube, es wäre interessant, jetzt eine Frau zu sein. Eine moderne Frau zu sein, könnte sehr interessant sein, weil sich viel verändert hat.

Obiges stammt aus einem langen Interview, das Jill Wolfson, eine Reporterin der San Jose Mercury News, mit mir Anfang des Jahres 1997 für eine Artikelserie über technische Beiträge einiger Oldtimer des Silicon Valley führte, zu denen man auch mich zählte. Warum bediene ich mich gerade dieses Auszugs, um ein Kapitel zu beginnen, das meine Ansichten über den Ursprung der Pille enthält? Weil er zwei entscheidende Fakten des letzten halben Jahrhunderts anspricht – die globale Bevölkerungsexplosion und das Aufkommen der Frauenbewegung –, ohne die orale Verhütungsmittellediglich ein weiterer interessanter medizinischer Fortschritt gewesen wären und nicht eine Erfindung mit umwälzenden gesellschaftlichen Folgen.

I

Während ich dies schreibe, sind es nur noch wenige Monate bis zum 50. Geburtstag der Pille. In den zurückliegenden vier Jahren hat man mich anläßlich des 35. sowie des 40. Geburtstags der Pille interviewt, gefilmt und anderweitig um meine Auslassungen gebeten. Aber wie kann man die Geburtstage von fünfzehn Jahren in nur vier Jahren feiern?

Zu den Ironien im Leben der Pille gehört, daß sich ihre eigene Empfängnis so schwer festlegen läßt; es hängt immer davon ab, wer zählt (wie jeder Geburtshelfer bestätigen wird). 1997 sprach ich auf einem Medizinerkongreß in Wien, auf dem der 35. Jahrestag der Pille in Österreich begangen wurde – keine unpassende geographische Wahl, wie ich gleich erläutern werde –, während ich im Mai 2000 von zahlreichen amerikanischen Zeitungs –, Rundfunk- und Fernsehreportern mit Anfragen bombardiert wurde, etwas zum 40. Geburtstag (!) der Pille zu sagen. Zuerst war ich etwas verdutzt, doch dann wurde mir klar, daß sie das Debüt der Pille mit der offiziellen Zulassung durch die Food and Drug Administration (FDA, die für die Zulassung von Medikamenten zuständige Bundesbehörde der USA) gleichsetzten. Derartige Daten mögen Anlässe für Feierlichkeiten sein, aber „Geburtstage" sind sie nicht. Die Veranstaltung in Wien war das Gegenstück zur Feier der Ankunft eines Kindes in einer Stadt, die nicht sein Geburtsort ist, und der 40. Geburtstag, um den die amerikanischen Medien einen solchen Wirbel machten, ließe sich mit dem Tag vergleichen, an dem in Washington die Taufurkunde ausgestellt wurde.

Was mich betrifft (und ich war betroffen), war das tatsächliche Geburtstagsdatum der Pille der 15. Oktober 1951, der Tag, an dem unser Labor die erste Synthese eines Steroids abschloß, das schließlich zur oralen Empfängnisverhütung verwendet werden sollte. Einige Tage später waren die ersten kostbaren Milligramm „Norethindrone – der gebräuchliche amerikanische Name von 17a-ethinyl-19-nortestosteron, wie die Substanz chemisch korrekt heißt (in Deutschland bekannt unter dem Namen „Norethisteron, der im Folgenden verwendet wird) – von den Forschungslabors der Firma Syntex in Mexico City bereits per Post zu Dr. Elva G. Shipley von Endocrine Laboratories Inc. – einer kommerziellen Einrichtung in Madison, Wisconsin – unterwegs, mit der Bitte, das Präparat auf seine orale gestagene Wirksamkeit zu untersuchen.

Ich erwähne Dr. Shipley hier in erster Linie deshalb, weil ihre frühe Mitwirkung an der Entstehung der Pille der häufig aufgestellten Behauptung widerspricht, die mit der Entwicklung oraler Kontrazeptiva befaßten Wissenschaftler seien ausnahmslos Männer gewesen. Dieser Irrglaube macht vielen Frauen seit Jahrzehnten zu schaffen. Wie Margaret Mead es in den 60er Jahren ausdrückte: „[Die Pille] ist ausschließlich die Erfindung von Männern. Und warum haben sie sie erfunden? ... Weil sie ausgesprochen ungern Versuche mit ihrem eigenen Körper anstellen ... aber dafür umso lieber mit dem weiblichen Körper ... Es wäre sehr viel sicherer, an Männern herumzuexperimentieren, statt an Frauen herumzupfuschen." Meads Verärgerung mag verständlich sein, stellt aber nichtsdestoweniger eine grobe Vereinfachung dar, die außer Acht läßt, daß die Natur den Wissenschaftlern einen entscheidenden Hinweis geliefert hatte, auf dem sie aufbauen konnten – nämlich daß Frauen aufgrund der ständigen Sekretion von Progesteron während einer Schwangerschaft nicht schwanger werden können –, während ein vergleichbarer Anhaltspunkt in der reproduktiven Biologie des Mannes fehlt.

Dr. Shipleys Beitrag ist noch aus einem anderen Grund bedeutsam, der Margaret Meads Entrüstung teilweise erklären könnte: Vor fünfzig Jahren waren Frauen noch von vielen wissenschaftlichen Forschungsbereichen weitgehend ausgeschlossen. Auf einem Gebiet, das unbestreitbar eine Domäne der Männer war, mußte Dr. Shipley ihrer Arbeit in einem kommerziellen Labor nachgehen, das sie in nächster Nähe der University of Wisconsin gegründet hatte, wo ihr Mann als Professor für Zoologie lehrte und Nepotismus an Universitäten noch absolut tabu war.

Die Ironie dieses historischen männlichen Vorurteils hat verschiedene Autoren und Journalisten veranlaßt, die Annalen der Pille nach weiblichen Helden zu durchforschen. Ihre Favoritin ist Margaret Sanger, vermutlich aus Gründen, die im letzten Absatz von David Kennedys definitiver Biographie genannt sind: „Dennoch schien die Anerkennung, die Margaret Sanger zuteil wurde, häufig in keinem Verhältnis zu ihrer Leistung zu stehen. Zweifellos gingen die Lobeshymnen zum Teil auf ihre magnetische Anziehungskraft zurück, der es fast immer gelang, diejenigen, die sie persönlich kennen/ernten, in ihren Bann zu ziehen. Doch ein größerer Teil spiegelte die symbolische Befriedigung eines vorherrschenden psychologischen Bedürfnisses durch Frau Sanger wider. Die amerikanische Gesellschaft hat ihr häufig verkündetes Ideal der Gleichberechtigung der Frau in diesem fahrhundert nicht verwirklicht. Vielleicht spiegelt die Verherrlichung einer feministischen Heidin wie Margaret Sanger somit das Eingeständnis der Gesellschaft wider, daß Frauen weiterhin unterdrückt werden, und das Verlangen, auf irgendeine Art eine Erlöserin zu finden. Für diese Rolle war Margaret Sanger, in ihrer besten wie in ihrer schlechtesten Form, hervorragend geeignet."

Dennoch würde Sangers historische, wenn auch gewiß nicht wissenschaftliche Rolle als Vorkämpferin der Geburtenkontrollbewegung in den USA ihre Wahl zu einer der Großmütter rechtfertigen. Eine romantisch verklärtere Kandidatin ist Katherine McCormick, eine wohlhabende Philanthropin, die Anfang der 50er Jahre von Sanger dazu bewegt wurde, biologische Forschungsprojekte an der Worcester Foundation for Experimental Biology zu finanzieren, einer Einrichtung, die unter der Leitung von Gregory Pincus in hohem Maße zur Entwicklung der Pille beitrug. So lobenswert philanthropische Aktivitäten dieser Art auch sind, Katherine McCormick zu einer der „unbestreitbaren Mütter der Pille" zu küren (wie es Bernard Asbell in Die Pille und wie sie die WC!t veränderte tat, was dann von vielen aufgegriffen wurde) ist so weit hergeholt, wie John D. Rockefeller zu einem der „Väter der Pille" zu erklären. (Die Rockefeller Foundation und ihr Ableger, der Population Council, unterstützten wesentlich mehr Forschungsarbeiten über Reproduktion und Kontrazeption, als Mrs. McCormick dies je tat.)

Finanzielle Unterstützung, so wertvoll sie auch sein mag, hat nie den gleichen Stellenwert wie Kreativität; sonst müßte man ja die Medicis als die größten Künstler der Renaissance betrachten. Statt dessen möchte ich dem Stammbaum der Pille den Namen Elva G. Shipley hinzufügen, die buchstäblich als erster Biologe – ob männlich oder weiblich – die hohe gestagene Wirksamkeit von oral verabreichtem Norethisteron nachwies. Wenn ihre Ergebnisse negativ gewesen wären, hätten wir das Projekt fallenlassen und das Material nicht an weitere Biologen geschickt, weder an Roy Hertz noch an Gregory Pincus, der, wie ich im Folgenden erläutern werde, mit Fug und Recht ein „Vater der Pille" zu nennen ist.

Da die Pille so eng mit der menschlichen Fortpflanzung verknüpft ist, wenn auch im Sinne ihrer Verhinderung, möchte ich mich bei der Erstellung ihrer Genealogie der Fortpflanzung als Metapher bedienen. Nehmen wir an, die Pille sei ein Kind, und verfolgen wir dessen Entstehung von den ersten – erfolglosen – Versuchen einer Empfängnis (1) über die Ovulation einer reifen Eizelle (2), die Ejakulation von Spermien (3), die erfolgreiche Befruchtung (4), die Einnistung des Embryos (5) und die Entwicklung des Fötus (6) bis hin zur Geburt des Kindes (7). Geographisch gesehen fand der erste Schritt in Österreich statt, der zweite in Mexiko, Schritt drei bis fünf in den kontinentalen Vereinigten Staaten und die letzten in Puerto Rico – was in unserer hochmobilen Gesellschaft für ein Kind gar nicht so ungewöhnlich ist.

II

Die unbekannteste Person in der Geschichte der Pille ist jedoch keine Frau, sondern Ludwig Haberlandt, Professor für Physiologie an der Universität Innsbruck. Er führte bereits 1919 ein ganz entscheidendes Experiment durch, indem er die Eierstöcke eines trächtigen Kaninchens einem anderen weiblichen Kaninchen einpflanzte, das, trotz häufigen Paarens, mehrere Monate unfruchtbar blieb – ein Resultat, das Haberlandt „hormonale temporäre Sterilisierung nannte. (Parteigänger von Mrs. McCormick mögen bitte zur Kenntnis nehmen, daß diese und spätere Arbeiten Haberlandts von der Rockefeller Foundation finanziell unterstützt wurden.) Das Problem bei diesem Verfahren (abgesehen von dem erforderlichen chirurgischen Eingriff) wie auch bei späteren Versuchen, den chirurgischen Eingriff durch Verwendung von „Drüsenextrakten zu umgehen, war, daß diese Extrakte nicht aus dem reinen Hormon bestanden, auf dem die empfängnisverhütende Wirkung beruhte. Vielmehr handelte es sich um eine Mischung aus Hormonen und anderen Proteinen, die für die Empfängerin unter Umständen toxisch sein konnte. Bemühungen, diese Extrakte „rein" zu machen, bildeten die nächste Hürde, die auf dem Weg zu einem brauchbaren oralen Verhütungsmittel zu überwinden war.

In zahlreichen Versuchen und Veröffentlichungen im Laufe der folgenden zehn Jahre unterstrich Haberlandt – der in auffallendem Gegensatz zu dem heute bei Wissenschaftlern obligatorischen Pluralis majestatis stets die erste Person Singular benutzte – die offenkundige Anwendbarkeit seiner Tierversuche bei der menschlichen Kontrazeption. Er erkannte, daß der verantwortliche Faktor ein Bestandteil des Corpus luteum oder Gelbkörpers war – des Hohlraums, der in der Oberfläche des Eierstocks zurückbleibt, nachdem das Ei freigesetzt wurde –, bei dem es sich, wie der deutsche Gynäkologe Ludwig Fraenkel (auf Anregung seines Lehrers Gustav Born) 1903 nachgewiesen hatte, um eine hormonabsondernde endokrine Drüse handelt. In seinem 1931 erschienenen bemerkenswerten Buch Die hormonale Sterilisierung des weiblichen Organismus, das keine 15 000 Wörter umfaßt und das heutzutage kaum jemand gelesen zu haben scheint, skizzierte Haberlandt erstaunlich detailliert die dreißig Jahre später stattfindende Revolution auf dem Gebiet der Empfängnisverhütung. Er wies darauf hin, daß

Enjoying the preview?
Page 1 of 1