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Haikiki
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Haikiki

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Haikiki, eine Stadt der Zukunft: Roboter, Cyborgs, Mutanten und Strahlengeschädigte prägen das Bild. Jeder ist Doppel- und Dreifachagent und kocht doch in Wirklichkeit sein eigenes Süppchen. Carlos ist einer der wenigen Menschen, so wie wir sie kennen (Oldies). Er hat das Bedürfnis, in einer extrem kafkaesken, unberechenbaren Gesellschaft, auf die er keinen Einfluss hat, trotz allem seinen eigenen Weg zu gehen.
Haikiki wird von einem Collegium regiert, dessen Mitglieder an nichts anderem als ihrer Unterhaltung (dem „Großen Spiel") interessiert sind. Der Zufall spielt Carlos ein altertümliches Papier in die Hände, das in codierter Form den Ausgang aus dem Großen Spiel beinhaltet. Weil sich das Collegium dieser Unterlage bemächtigen will, beginnt sein größtes Abenteuer.
Eine Achterbahnfahrt durch ein extrem bizarres Universum, in kompromisslos transrealistischer Technik geschrieben.
LanguageDeutsch
Release dateJun 2, 2016
ISBN9783741223129
Haikiki
Author

Anton Christian Glatz

Anton Christian Glatz, geb. 21. Februar 1956, Schriftsteller in Graz. Seit seinem 17. Lebensjahr verfasst er literarische Texte mit den Schwerpunkten erzählende Prosa und Essays. A. Ch. Glatz fühlt sich der Fantastik sowie der Gesellschaftskritik verpflichtet.

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    Book preview

    Haikiki - Anton Christian Glatz

    future

    An der Rezeption nahm Carlos den Zimmerschlüssel entgegen und machte sich auf in Richtung siebter Stock, Zimmer 797. Er ging den Flur entlang, zwischen Zimmern, die sich unpersönlich nummeriert in regelmäßigen Abständen links und rechts befanden. Ein makelloser Spannteppich mit exotischen Motiven dämpfte seinen Schritt. Kein Mensch war zu sehen, aus keiner Türe drang ein Laut. Spärliche Möbel standen blitzblank geputzt und sorgsam aufgeräumt in einer Ecke. Wohin Carlos auch sah, alles war sauber, fast schon steril. Zwischendurch gelangte er an eine Glastüre, hinter der sich wieder gleich aussehende Gänge im rechten Winkel verzweigten.

    Er glaubte wohl zu wissen, wo sein Zimmer lag, und so wähnte er sich auf dem rechten Weg, doch fiel es ihm zunehmend schwerer, sich zurechtzufinden. Carlos meinte irgendwann, der Gang wolle kein Ende nehmen… Als er sich umdrehte war die Rezeption verschwunden, hinter all den Ecken, die er inzwischen passiert hatte. Beim besten Willen hätte er nicht mehr sagen können, wo die junge, sympathische Frau zu finden war, die ihm vorhin den Schlüssel ausgehändigt hatte. In der Tat, es gab kein Zurück mehr…

    Nach dem Gang kam ein Lift, mit dem er fast geräuschlos einige Stockwerke fuhr. In einer der wenigen Sitzecken saß ein Mann, der gelangweilt in einer Monatszeitschrift blätterte. Danach ging es weiter durch eine der Glastüren, die alle gleich wirkten. Deshalb fiel es Carlos nach einiger Zeit schwer, zu beurteilen, ob er hier nicht schon einmal gewesen war. Gang reihte sich an Gang, gelegentlich unterbrochen von einer der stets gleich aussehenden Glastüren, und selbst der Lift schien Carlos seinem Zimmer nicht näher zu bringen.

    Ohne es zu bemerken verlor sich der Mann in diesem unpersönlichen, künstlichen Labyrinth aus Gängen, Glastüren, Liften und Zimmertüren, die alle nicht die seine waren. Mal bog er links um die Ecke, mal rechts, benützte den Lift, zwischendurch eine der Treppen… Bewegte er sich Richtung Westen, Norden? Oder doch Osten? Er hatte schon lange die Orientierung verloren; er ging einfach. Mit der Zeit fühlte Carlos nur mehr das Pochen des Blutes in seinen Adern, die Wände schienen im Rhythmus seines Herzschlages bedrohlich näher zu rücken. Bumbum-Bumbum-Bumbum. Noch immer reihte sich ein Gang an den anderen, ohne Aussicht auf ein Ende… Bumbum-Bum… Und wieder ein Lift… Bumbum… Und noch eine Glastüre… Bumbum… Bumbum…

    Endlich war es so weit. Wie aus tiefer Trance erwachend, fand sich Carlos schlagartig vor einer Tür mit der Nummer 797. Carlos öffnete – und fiel. Hinter der Tür war das Haus eingebrochen. Während des Fluges verwandelte er sich in eine Feder, die ohne Eile und leicht schaukelnd an einer alten, verfallenen Innenmauer aus Tonziegeln zu Boden fiel. Gelegentlich schien es, als würde sich die Feder auf einem der zahllosen, halb verwitterten Mauervorsprünge verfangen oder in einem der kleinen, vertrockneten Grasbüschel, die idyllisch zwischen den Ziegeln nisteten.

    Doch letzten Endes langte sie samtweich unten an. Dort verweilte sie geraume Zeit. Aus Sekunden wurden Minuten, aus Minuten wurden Stunden, aus Stunden Tage. Nach Wochen begann es zu regnen, nach Monaten zu schneien. Noch immer lag die Feder da, kein Wind hatte sie, geschützt hinter der Mauer, verweht. Jahre zogen ins Land, lange Jahre, die Feder verwitterte… Sie löste sich gleichsam in ihre Bestandteile auf. Dann versickerten ihre Moleküle im Boden, wurden eins mit ihm…

    Als sich der Nebel der Jahrhunderte langsam lichtete, vertrieb Carlos mit einigen tiefen Atemzügen das erdenschwere Gefühl in seiner Lunge. Ein paar kreisende Bewegungen mit den Armen und Beinen brachten den Kreislauf wieder in Schwung. Carlos ging zum Fenster und öffnete es weit. Ruhig sog er tief die kühle Nachtluft ein. Die typischen Geräusche einer Großstadt unter dem psychedelischen Teppich verschiedener Lichter drangen gleichmäßig auf ihn ein.

    Dann setzte sich Carlos auf die Bettkante und wartete den Morgen ab. Zähflüssig wie eingedickter Honig machte sich das Morgengrauen über der Skyline breit. In der Zwischenzeit tropfte ein Wasserhahn im Hintergrund: klack… klack… klack… klack… klack… klack… klack… klack… klack… klack… klack… klack… klack… klack… klack… klack… klack… klack… klack… klack… klack… klack… klack… klack… klack… klack…

    Wenig später fand sich Carlos im Bus der Linie 9 wieder. Dicht gedrängt fuhren ihm unbekannte Leute wie jeden Morgen zu ihrer Arbeit. Darunter ein paar Schulkinder, die den sitzenden Fahrgästen den Geruch ihrer ungeputzten Zähne ungeniert ins Gesicht atmeten. Zwischen dem Regierungsviertel und dem Hafen sahen plötzlich alle Carlos an. Dieser wusste nicht, warum. Der Fahrer lenkte den Bus sogar mitten zwischen zwei Haltestellen an den Straßenrand, um sich umdrehen zu können.

    Dem Herrn links neben Carlos liefen dicke Schweißperlen über sein krankhaft blasses Gesicht. Wo doch der Morgen frisch war, wie meist um diese Jahreszeit! Täuschte es oder sah er tatsächlich Carlos mit einer Mischung aus Vorwurf und Angst an? Carlos stieg aus.

    Gegen Mittag betrat er wieder sein spärlich eingerichtetes Dachappartement. Wie lange hatte er doch vor vier Jahren nach einer Mansarde gesucht, bis er diese gefunden hatte! Doch heute wollte Carlos sich von ihr trennen; noch zu dieser Stunde wollte er ausziehen und… Wenn auch sonst ihn alles davon abhalten wollte, heute sollte es keine Macht mehr über ihn haben.

    Unverzüglich packte er seine wenigen Habseligkeiten in einen Koffer und begab sich nach unten.

    Um dem Hausmeister Bescheid zu sagen, stellte er den Koffer vor dessen Wohnungstüre ab und klingelte. Die Frau des Hausmeisters öffnete ihm in Pantoffeln und Morgenrock, so wie üblich. Mit einer Miene, die sie für ein freundliches Lächeln hielt, sagte sie: „Guten Tag, Carlos, kommen Sie doch herein!"

    Als Carlos die Hausmeisterwohnung verließ, war sein Koffer verschwunden. Er suchte zwar im ganzen Flur und im Lift – der Koffer tauchte nicht mehr auf. Da hegte er einen Verdacht. Der Koffer wird doch nicht…?! Eilends kehrte er in sein Appartement zurück. Tatsächlich, da fand er seine Kleider wieder in den Kasten eingeräumt, so als sei nie etwas geschehen! Die Zahnbürste im Glas, daneben sein Bernsteinkamm mit den zwei fehlenden Zacken. Der Koffer lag verstaut unter dem Bett, wo er immer gewesen war.

    Es war nicht gelungen…

    Sich wieder einmal mit seiner Situation abfindend, beschloss Carlos, an den Strand zu gehen, schließlich war es ein schöner, heißer Sommertag. Auf dem Weg dahin musste er durch die Altstadt. Als er eine Abkürzung durch die extrem schmale, wie gewöhnlich menschenleere Herrengasse nahm, näherte sich ihm eine merkwürdige Gestalt. Scharf zeichnete sich die dunkle Silhouette eines Mannes am anderen Eingang der Gasse vom helleren Hintergrund ab. Während die Gestalt herankam, bemerkte Carlos, dass sie am rechten Fuß hinkte. Dadurch bewegte sich der Oberkörper in geradezu grotesker Weise hin und her, sodass die Gestalt fast die ganze Breite der Gasse für sich beanspruchte. Carlos drückte sich in einen Hauseingang.

    Während des Vorübergehens erkannte er eine Schandmaske auf dem Kopf des Mannes, die das Gesicht vollständig verdeckte. Nachdem der Mann stöhnend vorbeigewankt war, entdeckte Carlos die Spuren einer dunklen Flüssigkeit, die aus dem schmutzigen Verband am rechten Fuß gesickert war.

    Eine halbe Stunde später kam das Meer in Sicht. Am Strand befand sich eine einzige Frau – sehr ungewöhnlich für diese Tageszeit. Sie lag mit dem Gesicht in Richtung offene See und ließ sich bräunen. Ihr Körper war wundervoll geformt, so viel konnte Carlos bereits von Weitem erkennen. Während des Näherkommens studierte er das Bild dieser Frau mit dem ruhigen Ozean im Hintergrund und einem Schiff weit draußen am Horizont. Ein leichter Wind bewegte ihr Haar spielerisch (flüssiges Gold in der Sonne). Ob er wollte oder nicht, diese Frau weckte ein männliches Begehren in ihm.

    Kaum war Carlos herangekommen, drehte sich die Frau um. Kameras, geschickt als menschliche Augen getarnt, blickten ihn emotionslos an. Da öffnete die Frau den Mund und eine unpersönliche, leicht metallische Computerstimme mit femininer Einfärbung fragte Carlos: „Guten Tag. Wollen Sie Kontakt mit mir aufnehmen?"

    Nein, Carlos wollte nicht mehr. Er war nicht in der Stimmung, mit einer Cyborgfrau zu flirten. Er drehte sich um und suchte sich einen lauschigen Platz am Ufer, während die Cyborgfrau ihre neueste Meldung in das allgemeine Spinnennetz der Information einspeiste.

    Eine Schäferhündin fand ihre Käfigtüre offen. Vorsichtig äugte sie umher, doch da niemand anwesend war, wagte sie sich hinaus. Im Gang lag eine Puppe mit verrenkten Gliedern, über die sie hinwegstieg. Auch die Haustüre war offen. In misstrauisch geduckter Haltung schlich die Hündin langsam in den Hinterhof. Dieser war auf der rückwärtigen Seite durch einen windschiefen, kaum mannshohen Bretterzaun mehr symbolisch als wirklich abgeschlossen. Auf der anderen Seite befanden sich zwei Männer, die, so rasch sie konnten, zum Bretterzaun liefen. Der eine bezwang den Zaun mühelos, der andere blieb mit seinem Jutesack einen Augenblick hängen. Das genügte bereits, um den morschen Zaun einfallen zu lassen. Die Hündin lief ihnen hinterher. An den Zaun schloss sich eine kleine Seitengasse an, flankiert von den typischen, heruntergekommenen Häuserzeilen der Mutantenviertel. Die Gasse mündete in eine breite Hauptstraße, die wie in einem endzeitlichen Szenario verlassen wirkte. Außer den zwei Männern, hinter denen die Hündin lief, ließ sich keine Menschenseele blicken. Ein böiger Wind schlug da und dort einen morschen Fensterladen mit einem knarrenden Geräusch auf und zu. Er wehte alte Zeitungen sowie sonstigen Unrat gleichmäßig über die Risse des Asphalts…

    Noch während die beiden Männer offensichtlich ratlos auf dem Gehsteig standen und sich orientierten, kam die Hündin heran. Doch was war das…? Plötzlich sah sie, wie rund siebzig Meter vorne links ein Polizeiwagen vorsichtig pirschend aus einer Nebenstraße fuhr. Winselnd zog sie sich zurück. In wenigen Stunden würde es Nacht sein…

    Seit vor über hundert Jahren die ersten groß angelegten Gen-Eingriffe an Menschen durchgeführt worden waren, gab es jede Menge gentechnologisch manipulierte, mehr oder weniger menschliche Individuen, so genannte „Mutanten". Die allermeisten der frühen Eingriffe stellten sich jedoch auf längere Sicht als Misserfolge heraus. Unabsehbar waren die Folgen: Kinder mit nur einem Ohr, das dafür übergroß, wurden geboren oder mit drei Augen, zwei davon blind. Missgebildete Extremitäten waren gang und gäbe. Weil sich die Mutanten frisch-fröhlich untereinander vermehrten, stellte sich bald ein Schneeballeffekt ein, der sich bereits nach einer Generation jeder obrigkeitlicher Kontrolle entzog.

    Aber nicht nur körperliche Monstrositäten griffen mit der Gier eines Krebsgeschwulstes um sich, sondern auch jede Menge charakterliche bzw. seelische Defekte. Zum Beispiel Mütter mit extrem gestörten Beziehungen zu ihren Kindern, bindungsunfähige Männer ohne das geringste Interesse an Sex und Ähnliches. Im Eiltempo füllten sich die psychiatrischen Anstalten mit Charakterkrüppeln aller Art. Die geschlossenen Anstalten schossen aus dem Boden wie die Pilze nach einem erquickenden Sommerregen.

    Dazu kamen die Strahlengeschädigten, die mitunter ebenfalls ein Leben fristeten, das nur mehr am Rande mit einer menschlichen Existenz zu tun hatte. Aus dieser Misere kam in der Regel nur der heraus, der über das Geld verfügte, einen beschädigten oder missgebildeten Körperteil durch einen künstlichen, dafür funktionsfähigen ersetzen zu lassen. Das Ergebnis dieser Entwicklung war die große Masse der zumindest leicht gentechnologisch Geschädigten mit im Extremfall sogar mehr als weniger künstlichen Körperteilen. Menschliche Wesen mit biosynthetischen Komponenten stellten so binnen weniger Jahrzehnte die deutliche Überzahl in der Bevölkerung.

    Schon bald hatten sich Gettos gebildet, in denen Mutanten und Strahlengeschädigte ihr oft mehr als nur merkwürdiges Dasein fristeten. Ihnen standen die reinen Cyborgs gegenüber, die sich aus den Reihen der Privilegierten rekrutierten. Sie hatten die finanziellen Mittel, sich Gesundheit, Schönheit und einen zum Teil perfekten Körper zu erkaufen. Sie waren nicht auf die billigen Imitate angewiesen, auf die die übrige Bevölkerung zurückgreifen musste. Wirbelsäulen aus langlebigem Kunststoff, synthetisches Bindegewebe oder künstlichen Augen in einer Farbe nach Wunsch und dergleichen waren der untere Standard in Cyborgkreisen. Mehr noch, die Anzahl an biosynthetischen Körperteilen hatte Prestigewert.

    Neuerdings war es bei den Cyborgdamen sogar in Mode gekommen, sich eine künstliche Vagina einpflanzen zu lassen, die sich beim Geschlechtsakt vollautomatisch an Größe und Form des eindringenden männlichen Gliedes anpasste. Die Hersteller garantierten erstklassige Orgasmen oder Geld zurück. Empfängnisverhütung bei Bedarf diskret per Knopfdruck…

    Jene Menschen hingegen, die so waren wie früher, hatten bereits Seltenheitswert und wurden daher sogar manchmal als „Oldies" bezeichnet. Mehr noch, gelegentlich wurden sie von den Cyborgs oder den Mutanten angefeindet. Die Cyborgs waren es gewöhnt, sich als die Krone der Schöpfung zu sehen. Sie betrachteten einen Oldie nicht wertneutral als Außenseiter, sondern abwertend als exotisches Fossil. Ohne echte Überlebenschance war er eigentlich bereits auf dem Weg ins Museum. Waren doch sie, die Cyborgs, die vorderste Front der Evolution und alles andere ein Blick in die schauderlichen Irrwege und Abgründe der Evolution! Aber durchaus berechtigt sprach man in Cyborgkreisen offen darüber, dass die Oldies ohnehin in wenigen Generationen endgültig Geschichte sein würden…

    Für Mutanten hingegen war ein Oldie einer, der „es noch vor sich hat". Da man nie wissen konnte, ob sich der Betreffende nicht über kurz oder lang unter die Cyborgs mischen würde, begegnete man diesen Außenseitern grundsätzlich mit Misstrauen. Carlos zählte zu den Oldies.

    Carlos saß weitab von der Cyborgfrau am Strand und öffnete die „Oldie-Times" , das Insiderblatt für alle, die es noch vor sich hatten. Aufmerksam las er die Schlagzeilen: „Strahlenregen über Ikatau, „Frau erschießt endlich Ehemann, „Hungersnot in Hongotau, „Das Aussterben der Oldies, „Kriegsgefahr in Australien zwischen Cyborgs und Mutanten" und so weiter. Im Lokalteil war ein Bericht über das „Pueblo, ein traditionsreiches Café. Es war kurz nach dem Madagaskarkrieg, der dem Staat so viele Helden beschert hatte, eröffnet worden. Damals war das „Pueblo schnell zu einem Treffpunkt der Kriegsveteranen und damit langfristig zum Insidertipp geworden. Seither erfreute es sich gleich bleibender Beliebtheit, nicht zuletzt dank seines Seetangschnitzels, das wegen seines Preis-Leistungsverhältnisses stadtbekannt war.

    Auf plumpe Weise vertraulich grinsend schob der Kellner Carlos ein undefinierbar riechendes Gebräu, das der Speisekarte zufolge echter indischer Tee sein sollte, kommentarlos auf das runde Tischchen. Was es wirklich war, konnte außer Smutje, dem Koch zwischen seinen Töpfen nebenan, keiner wissen. Carlos schenkte dem Kellner keine Beachtung und las weiter in seiner „Oldie-Times".

    Als der Kellner das dritte Mal auf dem Weg zur Schank vorbeigehen musste, legte er achtlos eine Stoffserviette zerknüllt vor Carlos neben die inzwischen leer getrunkene Teetasse. Während der Gast sich in das Weiß der Serviette vertiefte, blähte sich das Tuch auf und entpuppte sich als Segel auf dem Fockmast der „Beowulf", die gerade durch den Pazifik segelte. Vermutlich war die Besatzung wieder auf der Suche nach Abenteuern.

    Die Beowulf war ein dreimastiger Schoner, der von einer skurrilen Mannschaft für den Waffenschmuggel und vergleichbare Geschäfte verwendet wurde. Da war zum Beispiel Smutje, der Koch. Nicht nur, dass er es verstand, aus allem, was sich fand, sei es morsches Segeltuch oder alte Haifischflosse, etwas Schmackhaftes zuzubereiten, nein, Smutje war auch leidenschaftlicher Astrologe. Dadurch avancierte er darüber hinaus zum Lebensberater der Crew.

    Dann gab es den Steuermann namens Ben, ein hünenhafter Schwarzer aus Ghana. Ben war nicht nur mit einer geradezu beispiellosen Körperkraft ausgestattet, sondern war auch der Heilkraft der Kräuter kundig. Andere alternative Heilverfahren waren ihm ebenfalls geläufig. Daher war er außerdem so etwas wie Schiffsarzt. Umgehend war er zur Stelle, war einer der Matrosen von den anderen wegen Flatulenz in seine Kabine gesperrt worden. Oder es galt, einen verstauchten Finger zu schienen. Wie Ben seine Heilungen zuwege brachte, wussten oft nur die Götter und selbst die waren sich oft nicht sicher.

    Alfons, von allen liebevoll „Obermaat genannt, war eigentlich Söldner. Aber da er im Laufe der Jahre für diesen Beruf zu alt geworden war, ging er ins „Ausgedinge, wie er selbst es immer wieder ironisch ausdrückte. Alfons war Spezialist in Sachen Waffen aller Art, ein hervorragender Schütze und Sprengstoffexperte. Liebevoll sorgte er für einen Papagei, der seinen Käfig in einer windgeschützten Stelle des Mannschaftsraumes hatte. Schon bald war ihm das Ausgedinge zu langweilig geworden. Getreu dem Spruch „Müßiggang ist aller Laster Anfang" zog es ihn zum Computer und zum allgemeinen Spinnennetz der Information, wo er binnen Kurzem als Hacker eine steile Karriere machte. Seine Hauptaufgabe auf der Beowulf war demzufolge die Überwachung der Elektronik. Dieser Tätigkeit widmete er sich stets mit Liebe und Hingabe, wie es vermutlich in seinem Nachruf stehen würde.

    Nicht zu vergessen Willi, der siebzehnjährige Kajütenjunge, bewaffnet mit einem Stilett und einem listigen Verstand, der sich oft genug schon als die stärkere Waffe erwiesen hatte. Naturgemäß war er für die Unmenge an leichteren Arbeiten auf dem Schiff zuständig. Das hatte ihm auch den Spitznamen „Hausmeister" eingetragen. Da er sich seine Arbeit mit viel taktischem Geschick einteilte, fehlte es ihm selten an Freizeit. Zumeist den neuesten Gassenhauer pfeifend, schrubbte er das Deck

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