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Von Qualtinger bis Bernhard: Satire und Satiriker in Österreich seit 1945
Von Qualtinger bis Bernhard: Satire und Satiriker in Österreich seit 1945
Von Qualtinger bis Bernhard: Satire und Satiriker in Österreich seit 1945
Ebook279 pages3 hours

Von Qualtinger bis Bernhard: Satire und Satiriker in Österreich seit 1945

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Dieser Band versucht aus verschiedenen Perspektiven zu zeigen, wie Satire funktioniert und warum sie erforderlich ist. Nach einer ausführlichen theoretischen Einleitung geht es um die Medien des Kabaretts, um Satire bei österreichischen Liedermachern (u.a. der Ersten Allgemeinen Verunsicherung) und damit um Zusammenhänge zwischen Satire und Musik, um Satiren auf den Tourismus, um die Frage nach satirischen Zügen im Werk sogenannter 'experimenteller' Autoren, dann um einzelne Satiriker: Helmut Qualtinger, Alois Brandstetter, Thomas Bernhard, Wolfgang Bauer, Felix Mitterer und Christian Wallner (der als Autor von Parodien vorgestellt wird). Ein abschließender Beitrag beschäftigt sich mit kreativem Schreiben von Satire und Parodie in der Schule.
LanguageDeutsch
PublisherStudienVerlag
Release dateJun 7, 2016
ISBN9783706558457
Von Qualtinger bis Bernhard: Satire und Satiriker in Österreich seit 1945

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    Von Qualtinger bis Bernhard - StudienVerlag

    Mitarbeiter

    Vorwort des Herausgebers

    Auch wenn diese Einleitung etwas ausführlicher sein wird, als es in dieser Reihe üblich ist, kann sie doch nicht einmal den Ansatz zu einer Theorie der Satire bieten. Ich verweise dazu auf die wohl beste Abhandlung zum Thema, aus der ich mehrfach zitieren werde: Jürgen BRUMMACK: Zu Begriff und Theorie der Satire. Forschungsbericht, in: Deutsche Vierteljahresschrift 45 (1971), Sonderheft, S. 275–377. Im übrigen gehen auch die Beiträge des Bandes immer wieder auf grundsätzliche Fragen ein.

    Wenigstens sei nachdrücklich daran erinnert, daß Satire nicht nur eine literarische Verfahrens-, sondern eher eine universal verbreitete Verhaltensweise ist – und eine recht archaische obendrein. Satire findet sich im Film wie in den grafischen Künsten – Österreichs bekanntester Satiriker ist derzeit mit Sicherheit DEIX –, nicht nur in der Karikatur; auch musikalische Satiren gibt es. Versprachlichte Satire tritt außerhalb der Literatur in allen möglichen Gebrauchsformen auf, auch in journalistischen, im Schlager, in Trivialdramen vom Typ des ‚Sketches‘ und in Formen des Kabaretts, die unter der literarischen Ebene bleiben.

    Darüber hinaus ist Satire im Alltag häufig: die Schülerin, die ihren Lehrer imitiert und dadurch dem Gespött der Klasse preisgibt, ist eine Satirikerin. Ähnliches läßt sich über manche Auftritte von Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens sagen; das Schlagwort vom ‚Unterhaltungswert‘ einzelner Politiker weist in diese Richtung. Ein konkretes Beispiel für solche Alltagssatire: auf einer wissenschaftlichen Tagung fiel ein Teilnehmer durch übereifrige Wortmeldungen in jeder Diskussion auf; der letzte Diskussionsleiter der Veranstaltung, freilich ein hervorragender Kenner satirischer Literatur, reagierte auf dieses Verhalten satirisch: indem er nach dem Vortrag das Wort eben jenem Kollegen erteilte, ohne auch nur den Blick zu dessen Platz zu richten. (Übrigens hatte sich der Übereifrige tatsächlich zu Wort gemeldet ...).

    Diese Rolle der Satire im Alltag – auch die traditionellen Maturazeitungen waren satirische Gehversuche –, läßt vermuten, daß die Beschäftigung mit dieser Verfahrensweise auch Selbstbeobachtung von Schülerinnen und Schülern einbeziehen und deren kreatives Potential aktivieren kann; schon von daher läßt sich trotz aller Destruktivität – deretwegen sie in der traditionellen deutschen Ästhetik zugunsten der „Verabsolutierung des versöhnenden Humors (BRUMMACK, 328) immer ein wenig am Rande stand – die Einbeziehung der Satire in den Unterricht empfehlen. Zudem ermöglicht die Häufigkeit satirischer Texte in den Medien – beispielsweise bei TRAMONTANA und Elfriede HAMMERL in „profil – immer wieder das Anknüpfen an ganz aktuelle Themen.

    Was – literarische – Satire nun eigentlich sei, läßt sich schwer definieren. Ganz sicher ist sie keine Gattung; es handelt sich vielmehr um eine Schreibart, eigentlich um eine hinter dem Schreiben stehende Haltung, die in einem literarischen oder anderen Text dominant sein, aber auch nur am Rande, nur an einzelnen Stellen vorkommen kann.

    Merkmale satirischen Schreibens sind bei allen Veränderungen im Lauf der Jahrhunderte (BRUMMACK, 333):

    –   der – im Text eher mehr als minder deutlich erkennbare – Angriff, der trotz aller Verallgemeinerbarkeit – allein durch diese sind Satiren über die Zeit ihres Anlasses hinaus lesbar – Wirklichkeitsbezug und Aktualität voraussetzt. Daß Satire immer Aggression ist, hat einen Theodor HAECKER, dessen frühe literarische Arbeiten unter dem Eindruck von Karl KRAUS deutlich satirisch-polemischen Charakter haben, dazu bewogen, nach seiner Wendung zum Katholizismus Satire und christliche Haltung für unvereinbar zu halten;

    –   eine Norm, auf die sich der Satiriker beruft; diese Norm braucht nicht ein affirmatives Prinzip zu sein, sondern kann durchaus so etwas wie ein abwesendes Ideal sein, ja – und das ist in der Literatur des 20. Jahrhunderts zunehmend häufiger – das bloße Bewußtsein von der Unzumutbarkeit des Bestehenden. Der Vorwurf, Satire reiße nur nieder und vermöge, wenn sie nicht ein positives Ideal habe, nicht aufzubauen, trifft nicht: das Herausarbeiten des als negativ Empfundenen erfüllt bereits die Forderung nach einer Norm; es gibt auch so etwas wie eine Utopie ex negativo, eine Utopie der Abwesenheit des Schlechten. Hinzuweisen wäre auf die satirische Möglichkeit ‚immanenter Kritik‘, die bei aller Distanz zu einer bestimmten Norm einfach überprüft, ob ein Verhalten, das sich auf diese Norm beruft, ihr auch tatsächlich entspricht – etwa in der Kritik bürgerlicher Moralvorstellungen nicht selten;

    –   und, das erscheint mir ganz wichtig, Indirektheit des Schreibens. Wenn ich jemanden als ‚Trottel‘ bezeichne, so ist das auch dann keine Satire, wenn ich (was allzu häufig der Fall ist) Recht habe. Wenn ich schreibe, daß eine – für die Leserinnen und Leser – manifeste Dummheit ‚Zeichen der überragenden Intelligenz‘ des betreffenden Trottels sei, dann habe ich durch Ironie meinen Angriff bis zu einem gewissen Grad ästhetisiert; man kann von ‚Satire‘ sprechen. Es wird also nicht nur angegriffen, sondern durch ästhetische Gestaltung bewältigt (BRUMMACK, 355). Obwohl die – schlecht definierte – Polemik ebenfalls mit Mitteln der Indirektheit arbeitet, ist wahrscheinlich doch im unterschiedlichen Ausmaß von Direktheit oder Indirektheit die Differenz zwischen Polemik und Satire zu suchen. Noch deutlicher ist die Besonderheit der Satire vielleicht zu fassen, wenn man sie mit der Predigt vergleicht, die die Norm und, mindestens nicht selten, auch die aggressive Intention mit der Satire gemeinsam hat und wie diese ‚bessern‘ will, aber eben direkt und nicht indirekt vorgeht.

    Neben das – wichtige – moralische und neben das psychologische Element der Aggression hat also auch ein ästhetisches zu treten, damit man von ‚Satire‘ sprechen kann. Jürgen BRUMMACK (282) definiert so Satire schließlich als „ästhetisch sozialisierte Aggression". Zwar hat sie immer einen Zweck, ist sie nie völlig autonom, richtet sich auch immer an ein zumeist genau definierbares Publikum, das sie bis zu einem gewissen Grad bessern will oder bessern zu können vorgibt; doch arbeitet sie mit den gleichen Verfahrensweisen wie sogenannte ästhetisch autonome Gebilde.

    Wichtig ist gerade unter diesem ästhetischen Aspekt die Transformation des Anlasses in eine Art Fiktion, in der zum Beispiel reale Menschen sich plötzlich als literarische Figuren wiederfinden können. Diese Transformation ist eine Voraussetzung für die Verallgemeinerung des Angriffs, von der bereits die Rede gewesen ist. Zu dieser Fiktion gehört auch die Einführung eines satirischen Ich, das man nicht ohne weiteres mit dem Autor identifizieren darf; zwischen dem Menschen Karl KRAUS und dem Autor der „Fackel" besteht ein großer Unterschied.

    Satirische Texte sind einerseits aus ihrem Kontext heraus als solche zu erkennen; daneben gibt es aber eine Reihe von sprachlichen Merkmalen, von Stilelementen, die uns auch dann dazu zwingen, einen Text als satirisch zu verstehen, wenn wir den Kontext nicht genau kennen. Denn Satiriker und Satirikerinnen setzen in ihren indirekten Angriffen bevorzugt bestimmte sprachliche Verfahrensweisen ein. Gerade wegen der Verbreitung von Satire auch in der Alltagskultur und wegen ihrer ästhetischen Indirektheit ist es ein wünschenswertes Ziel, Schüler zum Erkennen dieser sprachlichen Merkmale zu erziehen und damit ihre Kommunikationsfähigkeit zu erweitern. (An der Universität habe ich immer wieder die Erfahrung gemacht, daß Studierende mit Ironie und Satire in Texten große Schwierigkeiten hatten.) Leider muß ich mich auf einige Andeutungen über diese sprachlichen Signale beschränken; in den Beiträgen des Bandes finden sich aber genügend Beispiele.

    Kennzeichnend für satirische Texte, Satiresignale sind vor allem rhetorische Mittel mit zuspitzendem und kontrastierendem, mit witzigem‘ Effekt, Verstöße gegen Erwartungen, die durch sprachliche Regeln im allgemeinen, durch den Kontext und den Kotext im besonderen aufgebaut werden. Ein schönes Beispiel für einen solchen Bruch mit Kontextwissen, aus einem bundesdeutschen Kabarett, mit ebenfalls typischen Retardierungseffekten: „Wir alle kennen jene erschütternden Bilder: Kilometerlange Menschenschlagen stehen nach minderwertiger Nahrung an. Sie wissen ja sicher alle, was ich meine: Ich rede von McDonalds nach Schulschluß. Als solche Verstöße gegen Erwartetes sind auch alle Arten von ‚Pointen‘ anzusehen, die den Witz, aber auch eine so formbewußte Gattung wie das Epigramm geradezu definieren, die jedoch ebenso im Dialog eines Dramas vorkommen können. So die unerwartete Negation in der Replik eines Revolverjournalisten bei Karl KRAUS: „Ich arbeite an einem sehr wichtigen Artikel, der nicht erscheinen soll. Und zwar schon morgen. (Die Unüberwindlichen). Ein anderes Beispiel ist die Pointe eines GRILLPARZER’SCHEN Epigramms (1848):

    Herr Alfred Becker und Friedrich Hebbel,

    Sie tappen beid in ästhetischem Nebbel,

    Gefällt euch das doppelte B aber nicht,

    So denkt, es sei ein Nebel, der dicht.

    Hierher gehören viele Formen bewußt eingesetzter Verstöße gegen sprachliche und stilistische Normen – die von GRILLPARZER mit der normwidrigen Orthografie geradezu thematisiert werden. Der Stilbruch ist ein wichtiges Signal für Satire, so in der Kontrastierung von Pathos und Umgangssprache, im Einbau eines Archaismus in einen modernen Kotext oder in der Verwendung eines im jeweiligen Kotext völlig unangemessenen Bildes. Ein Beispiel für den Sprung aus der Umgangs- in eine klischeehafte Hochsprache aus dem „Herrn Karl: „Sogar g’heirat hab i – I man, im Leben eines jeden Mannes kommt der Zeitpunkt, wo er ein Zuhause braucht. Ein Heim. I hab mi kirchlich trauen lassen ... Ein durch seine unfunktionale Genauigkeit unangemessenes und daher auf eine satirische Absicht deutendes Bild ist in Christian WALLNERS Kriminalroman-Parodien die Beschreibung eines Tiroler Detektivs als „so zäh wie eine Zirbe oberhalb der Baumgrenze".

    Dem Stilbruch ist in mancher Hinsicht die Parodie verwandt, die entweder einen bekannten Stoff in einer diesem Stoff vollkommen inadäquaten Sprache behandelt (BLUMAUERS „Äneis travestiert aus dem ausgehenden 18. Jahrhundert) und dadurch den Stoff oder/und die Sprache als fragwürdig hinstellt oder bekannte Sprachmuster auf einen ganz und gar inadäquaten Stoffbereich anwendet. Die Parodie ist ein Genre; doch gibt es in vielen Texten immer wieder parodistische Einzelzüge, die auf satirische Intentionen hindeuten, etwa Erich KÄSTNERS Vers Kennst du das Land, wo die Kanonen blühn?" Auch die Übertragung eines Handlungsmusters aus einem sozialen Bereich oder einer Epoche in ein anderes Umfeld kann als parodistisch bezeichnet werden.

    Wie fruchtbar die Parodie für ein besseres Verständnis von Literatur sein kann, beweist die „Einübung in die Literaturwissenschaft" – Einübung, nicht Einführung – von Harald FRICKE und Rüdiger ZYMNER (Paderborn 1991; UTB 1616). Eben weil die Parodie genaue Kenntnis der stilistischen Merkmale des parodierten Textes verlangt, eignet sie sich besonders zur Einübung in den Umgang mit Literatur.

    Ähnlich wie der Stilbruch funktioniert die Antiklimax. Übertreibende rhetorische Figuren wie die Hyperbel und die Klimax – und zumal die Häufung solcher Figuren – sind als potentielle Signale für Satire ebenso zu nennen wie ihr Gegenteil, das Understatement, und wie alle Formen des Wortspiels, die ein Zusammengehören von Unzusammengehörigem suggerieren oder eine Beziehung unterstreichen – wenn etwa ein ländlicher Fremdenverkehrsfunktionär bei QUALTINGER als „Wurzersepp" in Erscheinung tritt, also der urige ländliche Typ des ‚Wurzelsepps‘ mit dem ‚Würzen‘ der Touristen in den Fremdenverkehrsorten in Verbindung gebracht wird. Das Oxymoron wird in satirischen Texten ebenso zu finden sein wie stärker ausgebaute Formen von Paradoxie.

    In die Reihe der Signale für Ironie (als Verfahrensweise), Parodie und damit Satire würde ich den witzig falschen Gebrauch von Redewendungen einordnen, ein sehr häufiges Signal dieser Art – vermutlich weil er eine besonders festgefahrene Erwartung enttäuscht. Beispielsweise haben bei der Befreiung eines gefesselten Detektivs dessen Freunde „alle Hände beziehungsweise Messer voll zu tun (WALLNER) – zugleich ein Beispiel für die ähnlich funktionierende witzige Remotivierung von Metafern, wie, im selben Text, ein Kautschukband, das sich als ein brauchbares, „wenn auch dehnbares Indiz erweist. Ebenso passen hieher manifeste Verstöße gegen Regeln der Syntax oder der Textkohärenz, auch der Logik, für die die schon zitierte unerwartete Negation bei KRAUS ebenso ein Beispiel ist wie die Stelle aus Alois BRANDSTETTERS Kurztext „Ludwig Thoma: „Das Jahr 1907 ist das Jahr der großen Pläne. Die Uraufführung findet im Münchener Residenz-Theater statt. Bei jeder Witterung geht Thoma hinaus ins Revier. Auch die rhetorische Figur des Zeugmas kann in diesem Zusammenhang genannt werden, mit einem Beispiel aus Jean PAUL: „Als Viktor zu Joachime kam, hatte sie Kopfschmerzen und Putzjungfern bei sich."

    Von größter Bedeutung ist die Ironie, die freilich selbst wieder schwer zu erkennen ist, denn „das allgemeine Signal der Ironie ist der Kontext (LAUSBERG). LAUSBERG definiert sie „als die Benutzung des parteiischen Vokabulars der Gegenpartei im festen Vertrauen darauf, daß das Publikum die Unglaubwürdigkeit dieses Vokabulars erkennt, wodurch dann die Glaubwürdigkeit der eigenen Partei um so mehr sichergestellt wird, so daß die ironischen Wörter im Enderfolg in einem Sinne verstanden werden, der ihrem eigentlichen Sinn entgegengesetzt ist.

    Mit einer besonderen Form von Ironie haben wir es in Texten wie dem „Untertan von Heinrich MANN oder, uns näherliegend, dem „Herrn Karl von QUALTINGER und MERZ zu tun, in denen eine Figur so ekelhafte Dinge sagt, daß wir zur Parteinahme gegen sie und ihre Positionen gezwungen sind. Während hier Ironie den ganzen Text bestimmt, kann sie in anderen Fällen nur in einzelnen Passagen zu bemerken sein; sie ist dann fast immer ein Signal für satirische Absichten an den Stellen, an denen sie eingesetzt wird.

    Damit sind wir schließlich bei allen Formen von Imitation und Zitat, die – wenn wir sie nur als solche erkennen – zumeist satirische Funktion haben, beim Zitat zumindest dann, wenn es in einem ganz anderen Kontext steht. Das Zitieren im anderen Kontext – das dann oft als Stilbruch erscheint – ist die satirische Technik von Karl KRAUS; die satirische Imitation beispielsweise von Politikern findet sich vom Kabarett bis zum Stammtisch so gut wie überall.

    Eine Literaturtagung zum Thema ‚Satire‘ erschien nicht nur deshalb angezeigt, weil diese Verfahrensweise für die Literatur des 20. Jahrhunderts in besonderem Maße konstitutiv ist – worauf hinzuweisen besonders Helmut ARNTZEN nicht müde wird nicht nur deshalb, weil das Achten auf satirische Züge eines Textes eine besondere Schulung des Lesens fordert und damit auch didaktisch interessant ist, sondern selbstverständlich auch deshalb, weil die Literatur Österreichs eine besonders reiche, freilich nicht ungern verdrängte und insbesondere in früheren Lesebüchern kaum je präsente Tradition satirischen Schreibens hat. Wenn wir auf das 19. Jahrhundert zurückblicken, ist die politische Lyrik des Vormärz (Anastasius GRÜN, GRILLPARZER) ein wesentlicher Beitrag zur Geschichte der Satire. NESTROY brauche ich nicht ausdrücklich zu erwähnen; hingegen wird oft übersehen, daß GRILLPARZER in seiner nicht-erzählenden Prosa wie in seiner (zumeist erst nach seinem Tod veröffentlichten) epigrammatischen Lyrik ein bedeutender Satiriker gewesen ist. Spuren davon finden sich auch in seinen Dramen, ohnehin in „Weh dem der lügt, aber wohl doch auch in der „Jüdin von Toledo, zumal in der Replik der Esther an die Mörder Rachels. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts findet sich witzige Satire im Wiener Feuilleton, besonders bei Daniel SPITZER. Es lohnt sich auch, SCHNITZLERS „Reigen wie den „Leutnant Gustl unter dem Aspekt der Satire zu lesen. Karl KRAUS ist sicher der Höhepunkt der Satire in Österreich, vielleicht überhaupt in der deutschen Literatur.

    Belege für Satire in der Literatur Österreichs der Gegenwart finden sich in diesem Band in großer Zahl, obwohl sich die Liste der behandelten Autorinnen und Autoren noch um einige erweitern ließe: ich erwähne nur die Integration des Sprachexperiments in sehr gesellschaftsbezogene satirische Strategien bei dem Südtiroler Autor Matthias SCHÖNWEGER, die witzigen Kurztexte von Antonio FIAN und Margit HAHNS unheimliche Geschichten, die – auch – Satiren auf das Genre der Liebesgeschichte sind. Interessant ist ferner das Gewicht der zu den „brauchbaren Texten" gehörenden Satire in politisch engagierten Zeitschriften und Kalendern, auch in eigenen (oft kurzlebigen) satirischen Zeitschriften. Hier ist noch viel zu finden und wissenschaftlich aufzuarbeiten.

    Die in diesem Band veröffentlichten Referate versuchen einerseits, auf mediale Bedingungen satirischer Texte (etwa in der Verbindung mit dem Kabarett sowie mit Rundfunk, Fernsehen und Schallplatte) und auf unkonventionelle, von der Literaturwissenschaft oft vernachlässigte, gleichwohl aber populäre Materialien aufmerksam zu machen – so auf satirische Elemente bei Liedermachern (von denen sonst schwer zugängliche Texte abgedruckt werden) –; andererseits an konkreten Beispielen – Helmut QUALTINGER, Thomas BERNHARD, Alois BRANDSTETTER, Christian WALLNER – Tendenzen satirischen Schreibens in Österreich seit den fünfziger Jahren aufzuzeigen. In den Referaten wie in den Diskussionen tauchte dabei immer wieder die Frage auf, wie unversöhnlich ein Text sein muß, um als satirisch angesehen zu werden. In anderer Weise wird die Frage nach Grenzen der Satire auch von Markus Paul gestellt: darüber, ob ‚experimentelle‘ Texte als eine Art Globalsatire auf den Umgang mit Sprache verstanden werden können, muß weiter diskutiert werden. Daß literarische Arbeiten, die zunächst ausgeprägte satirische Züge aufzuweisen scheinen, letztlich doch besser in andere Zusammenhänge eingeordnet werden, machte beispielhaft der Vortrag von Gerhard Fuchs über Wolfgang BAUER bewußt. Wolfgang Hackl zeigt die großen Unterschiede in der Wirkung von satirischen Texten, die das Objekt ihrer satirischen Aggression gemeinsam haben. Die Sonderstellung des Referats von Christoph Janacs mit seinen konkret didaktischen Überlegungen braucht nicht ausdrücklich unterstrichen zu werden.

    Ein auf der Tagung gehaltener Vortrag über Satirikerinnen fehlt leider in diesem Band, nicht durch die Schuld des Herausgebers. Das ist bedauerlich, da die weibliche Satire – so ist Elfriede JELINEK unbedingt unter diesem Gesichtspunkt zu würdigen – in der gegenwärtigen Literatur Österreichs großes Gewicht hat; leider ließ sich keine andere Mitarbeiterin für dieses Thema gewinnen. Der auf einem an anderem Ort gehaltenen Vortrag beruhende Beitrag des Herausgebers über QUALTINGER kann diese Lücke nicht schließen.

    Daß die im Herbst 1991 auf einer Literaturtagung des Instituts für Österreichkunde in St. Pölten gehaltenen Vorträge so lange unpubliziert geblieben sind, hängt mit organisatorischen Schwierigkeiten dieses Instituts zusammen. Da eine Übersicht über satirische Verfahrensweisen in Gegenwartsliteratur aus Österreich nach wie vor fehlt, scheint die Veröffentlichung der, wo nötig, zumindest bibliografisch aktualisierten Referate auch heute noch sinnvoll. Eine Übersicht über neue satirische Literatur aus Österreich gibt auch dieser Band selbstverständlich nicht, aber er analysiert exemplarisch wichtige österreichische Beispiele für diese Verfahrensweise und schafft so wenigstens eine Voraussetzung für eine Synthese.

    Abschließend bleibt mir noch zu danken. Die Zusammenarbeit mit Prof. Möcker und seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern vom Institut

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