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GOON: Jugend-Science Fiction
GOON: Jugend-Science Fiction
GOON: Jugend-Science Fiction
Ebook360 pages5 hours

GOON: Jugend-Science Fiction

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About this ebook

Sind Sie schon einmal aufgewacht und fanden Ihre Welt völlig verändert vor?
Robert Jatho steht vor diesem Problem, nur dass seine Sorgen sich nicht auf einen defekten Wasserhahn beschränken. Er sieht sich mit seiner Tochter Anja in eine lebensfeindliche Welt geworfen, denn eine unbekannte Macht hat scheinbar über Nacht die gesamte Erde mit Metallplatten überzogen. Ganz andere Probleme hat der Raumsoldat Rainer Bagstenner. Er ist auf der Suche nach einem neuen Lebensinhalt und begegnet dabei der rätselhaften Anda Neffow. Diese beiden lösen unbeabsichtigt intergalaktische Verwicklungen aus und verändern so das Machtgefüge des Universums.
Ein spannender Jugend-Science Fiction-Roman ab 10 Jahren.
LanguageDeutsch
PublisherAmrûn Verlag
Release dateJun 27, 2016
ISBN9783944729763
GOON: Jugend-Science Fiction

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    Book preview

    GOON - Bodo Kroll

    GOON

    BODO KROLL

    © 2016 Amrûn Verlag

    Jürgen Eglseer, Traunstein

    Covergestaltung: Christian Günther

    eBook Formatierung von SKY GLOBAL SERVICES

    Alle Rechte vorbehalten

    ISBN – 978-3-944729-75-6

    Besuchen Sie unsere Webseite:

    http://amrun-verlag.de

    Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

    Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation

    in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische

    Daten sind im Internet unter http://dnb.d-nb.de abrufbar

    Ein Tag, der so losgeht, ist nicht mehr zu retten, dachte Bernd missmutig und übermüdet. Warum muss so etwas immer am Montagmorgen passieren? Abgesehen davon, dass das Wasser drucklos aus dem Wasserhahn seines Badezimmers tropfte, hatte es zudem eine bräunlich-gelbe Farbe. Der Gedanke, sich mit dieser trüben Brühe waschen zu müssen, trieb ihm eine Gänsehaut über den Rücken.

    Wütend hieb er auf den Hebel des Einhandmischers seines cremefarbenen Waschbeckens. Es gibt Tage, da sollte man lieber im Bett bleiben, kam es ihm in den Sinn. In diesem Moment musste er an seinen zwölfjährigen Sohn Eric denken, der gestern mit seiner Schulklasse zu einer Campingtour aufgebrochen war. Er hatte auf der Luftmatratze mit Sicherheit noch schlechter geschlafen als sein Vater. Trotz allen Mitgefühls für seinen ältesten Sohn besserte sich seine Laune bei diesem Gedanken.

    »Papa, komm mal, Papa, Papa!« Die Stimme seiner Tochter Anja bekam einen fordernden Ton. Mit einem tiefen Seufzer wandte sich Bernd vom Waschtisch ab und bewegte sich sichtlich angestrengt in das Wohnzimmer. Sein kleiner Wonneproppen hatte die bis zum Boden reichenden, wallenden Vorhänge vor der zweiflügligen Terrassentür zurückgezogen und deutete aufgeregt nach draußen. Das Kläffen ihres Hundes war bis in das Wohnzimmer zu hören. Müde schlurfte er über den warmen Laminatboden. Die Fußbodenheizung hatte bereits ganze Arbeit geleistet.

    »Was hat dein Wadenbeißer denn nun wieder?«, fragte Bernd rhetorisch. Der Yorkshire, der gerade einmal eine Handspanne hoch war, bellte wahrscheinlich wie so oft einer Katze hinterher und weigerte sich, zurück ins Haus zu kommen.

    Müde blickte er durch die Doppelverglasung hinaus in den Garten und stutzte. Irgendetwas war anders. Genau hinter ihrem Grundstück stand ein anderes Haus! Eigentlich konnte das nicht sein, da dort der Erlenbach, ein kleines Flüsschen, verlief. Bernd kniff die Augen zusammen und griff an sein unrasiertes Kinn. Das Haus da hinten kam ihm seltsam vertraut vor. Ein rotverklinkertes Einfamilienhaus mit Krüppelwalmdach und einer großen Terrasse. Hinter einer Terrassentür konnte er die Umrisse zweier ungleicher Gestalten erkennen.

    Es ist unser Haus! Ungläubig starrte er auf das Gebäude, als sich diese Erkenntnis in seinem Kopf breitmachte. Er sah ein Spiegelbild seines eigenen Hauses. Der Schluss vertrieb die letzte Müdigkeit aus seinem Gehirn. Wer zum Teufel stellte über Nacht einen haushohen Spiegel in diesen Garten? Das Fernsehen? Irgendwelche Spaßvögel, die gleich sein dummes Gesicht aufzeichnen wollten?

    Bernd konnte sich nicht vorstellen, wer einen solchen Aufwand für einen Schabernack treiben würde. Sein technisch geschulter Verstand überschlug in Gedanken die Kosten, die die Produktion eines solchen Spiegels sowie dessen Transport verschlingen würden. Obwohl er als Elektroingenieur nicht gerade ein Fachmann für derartige Dinge war, kam er mühelos auf einen fünfstelligen Betrag.

    Fast automatisch fasste er nach dem messingfarbenen Griff der Terrassentür, öffnete sie und lief über den kurzgeschorenen Rasen. Bereits nach etwa zwölf Metern war Schluss. Eine spiegelnde Fläche erhob sich soweit sein Auge reichte. Jetzt sah er auch den Yorkshire. Terry sprang ununterbrochen an seinem eigenen Spiegelbild hoch und bellte sich dabei an. Erst jetzt wurde dem Ingenieur bewusst, wie dunkel es noch war. Normalerweise hätte zu dieser Jahreszeit die aufgehende Sommersonne seine Terrasse in Morgenlicht gebadet. Stattdessen gab es nur ein diffuses Dämmerlicht wie vor einem schweren Unwetter.

    Bernd berührte vorsichtig den Spiegel. Er fühlte sich kühl an. Mit Bedacht drückte er seine Finger gegen die Fläche. Nichts geschah. Das Objekt war hart wie Glas. Irgendwie hatte der Ingenieur das Gefühl, neben sich zu stehen. Er befand sich in seinem Garten und trotzdem kam er sich hier völlig fremd vor.

    »Papa, was ist los?«, hörte er eine Stimme von der Terrassentür.

    Bernd drehte sich überrascht um. Terrys Gekläffe hatte seinen zehnjährigen Sohn Kevin aus dem Bett geholt. Mit verschlafenen Augen lehnte er sich an den Türrahmen und schaute zu seinem Vater. Die gigantische Spiegelwand schien er noch gar nicht registriert zu haben.

    »Lauf‘ schnell rein und weck‘ Mama auf, es ist wichtig!«, forderte er Kevin auf.

    Sich schlaftrunken die Augen reibend machte der Junge auf den Fersen kehrt und verschwand im Haus.

    Bernd schaute wieder auf den Spiegel. »Das Ding muss doch irgendwo einen Rand haben«, überlegte er laut. Das unglaubliche Objekt in seinem Garten faszinierte ihn. Ohne die Hand von der Fläche zu nehmen, wandte er sich nach links. Seine Fingerspitzen glitten über das seltsame Material, doch er spürte nicht die kleinste Unebenheit. Irgendwo musste es zumindest Bruchstellen oder feine Fugen geben, dessen war sich er sicher.

    Ein hüfthoher Jägerzaun, der sein Grundstück begrenzte, stoppte seinen Gang. Der Ingenieur hockte sich hin und betrachtete die Kreuzlattung. Es sah aus, als ob der Spiegel regelrecht quer durch seinen Garten gegossen worden wäre, wobei die Streben des Zauns einfach im Glas verschwanden. Bernds Finger glitten über das Holz, das an den Eintauchstellen weder gesplittert noch verzogen war, als wäre das Material einfach in eine Wasserfläche getaucht worden, die anschließend fest wurde.

    »Das ist ja total verrückt!«, ratlos kam er wieder auf die Beine. »Ich bin gespannt, als was für ein irres Teil sich dieser Spiegel herausstellen wird!«, sprudelte es ihm über die Lippen.

    Als hätte der Spiegel auf dieses Stichwort gewartet, änderte sich genau in diesem Moment seine Reflexion. Von einem Punkt in Augenhöhe lief die Veränderung wellenförmig über die Fläche. Irritiert trat Bernd einen Schritt zurück.

    Der Spiegel verblasste, um dem Licht der aufgehenden Morgensonne Platz zu machen. Terry nutzte die Gelegenheit und rannte aus dem Garten. Bernd hörte, wie sich das Gekläffe sekundenschnell von ihm entfernte. Erst jetzt bemerkte er, dass seine Tochter Anja immer noch hinter ihm stand. Als sie sah, dass ihr geliebter Hund davon preschte, war auch sie nicht mehr zu halten.

    Bernds Hand fasste haltsuchend an den Jägerzaun. Er spürte, wie ihm die Knie weich wurden. Hinter dem Spiegel war nicht mehr der kleine Bach zu sehen. Vor ihm öffnete sich eine flache Landschaft aus einem chromfarbenen Metall, das sich bis zum Horizont erstreckte. Die Fläche begann just dort, wo eben noch der Spiegel stand.

    Seine Tochter ließ ihm keine Zeit, sich noch genauer mit der seltsamen Metallfläche zu beschäftigen. Das Trippeln ihrer plastikbesohlten Hausschuhe klang hohl auf dem Metall, als sie hinter Terry herflitzte. Die fremdartige Umgebung schien sie nicht im Geringsten zu beeindrucken. Ihr Augenmerk galt nur dem davonlaufenden Hund.

    »Anja, komm sofort zurück!«, gellte sein Schrei. Bernd hatte keine Ahnung, was hier passierte, doch es war mit Sicherheit nicht gut, dass seine Tochter über das Metall lief.

    Der Ingenieur war hin- und hergerissen. Er roch förmlich die Gefahr, die von diesem über Nacht verlegten Metall ausging. Doch es gab keine andere Möglichkeit das Mädchen wieder einzufangen, als ihm nachzulaufen.

    Kurz entschlossen hetzte er seiner fünfjährigen Tochter nach. Seine Schritte dröhnten auf dem silberglänzenden Boden, doch der federte nicht einen Millimeter nach. Es war, als ob er über harten Beton lief. Anja hatte in den wenigen Sekunden einen bemerkenswerten Vorsprung erlaufen. Bernd brauchte vierzig oder fünfzig Schritte, bis er sein schreiendes Töchterchen an der Hüfte packen konnte.

    Außer Atem blieb er stehen und hob sie auf dem Arm. »Bist du von allen guten Geistern verlassen, hier einfach aus unserem Garten zu laufen?«, keuchte er sie an.

    »Aber Terry rennt weg!«, widersprach Anja und unterstrich ihre Argumentation mit einem charmanten Aufschlag ihrer blauen Augen. Bernd konnte sich ein Schmunzeln nicht verkneifen. Seine kleine Maus beherrschte alle Tricks, mit denen sie ihren Papa besänftigen konnte.

    »Terry, komm nach Hause!«, schrie er über die Metallfläche hinweg. Bernd wusste, dass der Hund auf seine Stimme hören würde. Der Yorkshire war intelligent, einen Streit mit dem Familienoberhaupt würde er nicht in Kauf nehmen wollen.

    Bernd drehte sich um und eilte, so schnell es mit dem Kind auf dem Arm ging, zurück in Richtung seines Gartens. Die aufgehende Sonne beleuchtete ein Szenario, das Salvador Dali nicht hätte besser auf die Leinwand bringen können.

    Der Anblick, der sich Bernd auf dem Rückweg bot, war überwältigend. Fast über den gesamten Horizont erhob sich eine gigantische Blase aus einer silbern schimmernden Substanz. So ähnlich hatte er sich immer eine Stadt auf dem Mars vorgestellt. Inmitten einer lebensfeindlichen Umgebung schützte eine überdimensionale Glocke die darin lebenden Menschen. Doch dies war nicht der Mars!

    Lediglich in einem zirka 50 Meter durchmessenden Abschnitt, der direkt vor seinem Haus lag, war diese glänzende Fläche verschwunden. Die Morgensonne schien in dieses Loch hinein und erhellte seinen Garten, der jetzt wie ein Fremdkörper in dieser Umgebung wirkte. Das Grün des Rasens und das Rot der Dachziegel waren die einzigen leuchtenden Farbkleckse in dem Meer von silbernen Reflektionen.

    »Hallo Schatz, was ist hier los?«, hörte er die Stimme seiner Frau. Sie hatte sich ihren Morgenmantel übergeworfen und stand zusammen mit Kevin in der Terrassentür.

    »Warte, wir sind gleich bei euch!«, antwortete Bernd schnell. Der Anblick der Familie beschleunigte zusätzlich seinen Schritt. Die Atemfrequenz erhöhte sich merklich. Er wollte nur möglichst schnell zurück in seine vertraute Umgebung. Diese surreale Metallwelt war ihm alles andere als geheuer. Ein unbestimmbares Angstgefühl legte sich wie ein enges Stahlband um den Brustkorb und gab ihm das Gefühl, nicht mehr frei Luft holen zu können.

    Die Kanten des silbernen Kuppellochs schimmerten wie flüssiges Quecksilber. Die Ränder waren nicht statisch, im Gegenteil. Entgegengesetzt zu den nach außen strebenden Wellen, wie sie ein Tropfen in einem ruhigen Gewässer verursachte, bildeten sich hier sanfte Wellenberge, die zu einem imaginären Zentrum liefen. Und mit jeder Welle verkleinerte sich das Loch in dieser Kuppel.

    Bernds Schritte beschleunigten sich abermals. Es könnte knapp werden, kam es ihm in den Sinn.

    »Papa! Nicht so fest!«, beschwerte sich seine Tochter, die jetzt durch den hastigen Lauf wild durchgeschüttelt wurde. Wie Wasser, das an einer Glasscheibe hinunterfloss, bildete sich Welle auf Welle, die den leeren Abschnitt füllte. Bernd fühlte, wie sein Herz gegen die Brust hämmerte. Seine Hausschuhe rutschten auf dem glatten Metall und behinderten seinen Lauf.

    Mit fliegenden Fingern versuchte er seine Schlafanzughose festzuhalten, die immer mehr ins Rutschen kam. Das Loch im Schirm war vielleicht noch sechs oder sieben Meter groß. Die unteren Ränder strebten bereits von links und rechts aufeinander zu.

    Falls es nicht anders ging, überlegte er mit einem großen Satz in seinen Garten zu hechten. Acht lange Schritte noch! spornte er sich an.

    Die unteren Ränder vereinigten sich. Jetzt zog die Wand auch vom Boden hoch. Der Ingenieur atmete aus. Noch zwei Schritte, dann würde er den Hechtsprung riskieren.

    Seine Beine blockierten. Ein schrilles Quieken drang an seine Ohren. Bernd strauchelte. Getragen von seinem eigenen Schwung, stürzte er nach vorn. Terry winselte erbarmungswürdig. Er schien die gleiche Idee wie sein Herrchen gehabt zu haben und wollte gerade zurück in den Garten springen. Leider geriet er dem Ingenieur dabei zwischen die Beine.

    Noch im Fallen drehte sich Bernd auf den Rücken, um nicht auf seine Tochter zu stürzen. Seine Arme gaben Anja frei, damit er sich mit den Händen abstützen konnte. Hart schlug sein Hinterkopf gegen die seltsame gläserne Fläche. Das imaginäre Stahlband um seine Brust zog sich zu einem schmerzenden Ring aus Angst zusammen. Direkt vor seinen Augen kamen die Wellenberge zum Stehen, als sich der letzte Quadratmeter in der Öffnung schloss. Verdammt, wie kommen wir jetzt zurück, durchfuhr es ihn. Eine Panikattacke ließ seinen Herzschlag stolpern. Der Weg zurück war verschwunden.

    Terry kam wieder auf die Beine und sprang ihm auf die Brust. Als ob sich der Yorkshire entschuldigen wollte, leckte er mit seiner feuchten Zunge über Bernds Gesicht. Neben ihm begann Anja zu plärren. Offensichtlich war sie mit der Art der Landung nicht einverstanden.

    Bernd wischte den Hund mit seiner rechten Hand von der Brust und richtete sich auf. Sein erstes Augenmerk galt seiner Tochter, doch die saß nur bekümmert auf ihrem Po und verzog ihr Gesicht zu einem beleidigten Weinen. Dem Ingenieur war das in diesem Moment egal. So schnell er konnte, kam er auf die Beine und tastete die eben entstandene Fläche ab. Das Material war von dieser Seite aus halb transparent. Seine Frau und sein Sohn standen direkt vor ihm, nur wenige Zentimeter entfernt. Doch ihre Blicke gingen ins Leere. Sie konnten ihn nicht sehen. Der Ingenieur versuchte zu schlucken, aber sein Mund war vollkommen trocken.

    In einem Anflug von Verzweiflung trommelte er mit seinen Fäusten gegen die Wand. Trotzdem schien kein Laut zu seinen Lieben vorzudringen. Der Ingenieur sah, wie sich Kevin mit seiner Mutter unterhielt. Bernd wollte rufen, doch seine Stimme versagte ihren Dienst. Seine Lippen kamen ihm auf einmal fremd und taub vor. Tief in seinem Inneren wusste er, dass es keinen Weg zurück in seine Welt gab.

    Mit einem Ruck wandte er sich von seiner Frau ab und lehnte sich mit dem Rücken gegen die Wand. Sein Blick schweifte über die schier unendliche, gleichförmige Metallwelt.

    Dem Ingenieur rannen lautlose Tränen über die Wangen. Erst jetzt wurde ihm bewusst, dass es sich nicht um einen schlechten Traum handelte. Die undurchdringliche Wand in seinem Rücken war echt, genauso echt wie die endlose Metalllandschaft, die ihn umgab. Haltlos rutschte er an der Fläche herunter. Seine Kraft hatte ihn verlassen.

    »Papa, was ist los? Warum weinst du denn, hast du dir weh getan?« Die Stimme seiner Tochter holte ihn zurück. »Weshalb gehen wir nicht zu Mama und Kevin?« Das fünfjährige Mädchen versuchte, mit der außergewöhnlichen Situation auf ihre Art umzugehen.

    »Mama und Kevin sind hinter dieser Mauer«, erklärte Bernd. »Und es wird bestimmt eine Weile dauern, bis wir wieder zusammen sind, denn ich kann hier keinen Weg durch die Wand schaffen, damit wir wieder zurück können.« Schwermütig nahm er seine Tochter in den Arm und drückte sie an sich.

    Aus weiter Ferne vernahm er ein Geräusch wie Donnergrollen, als ob sich eine schwere Gewitterfront ankündigen würde. Doch der Morgenhimmel zeigte sich von seiner schönsten Seite, wolkenlos brannte die Sonne auf die drei einsamen Wesen nieder. Die Nackenhaare des Ingenieurs stellten sich auf.

    Das Dröhnen wurde lauter und rhythmischer, ja geradezu maschinenhaft. Das war kein Gewitter. Bernd rappelte sich wieder hoch. Mühsam versuchte er aufkommende panische Gefühle zu unterdrücken. Er musste an seine Tochter denken.

    Ohne Schwierigkeiten entdeckte er einen winzigen Punkt am Horizont, der in kürzester Zeit größer wurde. Das Dröhnen schien von diesem Objekt auszugehen. Obwohl das Ding rasend schnell näher kam, konnte der Ingenieur keine Konturen ausmachen. Es blieb ein schwarzer Fleck. Einen Atemzug später schwebte das Objekt als großer Ball genau über ihnen und warf einen kreisrunden Schatten, der bis an den Rand der Kuppel reichte. Seine Tochter schmiegte sich an sein rechtes Bein. Der Ingenieur hatte das Gefühl, einen dicken Kloß im Hals stecken zu haben. Die Kugel maß mindestens zwanzig Meter im Durchmesser. Das Dröhnen des Flugobjektes ließ die Metalloberfläche beben. Bernd spürte die Vibrationen durch seine Schuhe hindurch.

    ***

    Die feine Narbe in Rainer Bagstenners Nacken begann zu zucken. Sie war eines der Andenken, die er aus seiner aktiven Zeit behalten hatte. Das Zucken war für ihn ein untrügliches Zeichen, dass etwas Ungewöhnliches passieren würde.

    Aufmerksam ließ er seinen Blick durch die Fußgängerzone schweifen, obwohl es ein wirklich langweiliger Tag war. Höchste Zeit sich eine neue Aufgabe zu suchen, nahm er sich zum wiederholten Male vor. Doch Rainer Bagstenner konnte sich einfach nicht dazu aufraffen.

    Normalerweise standen Menschen in seinem Alter mitten im Leben. Seit seiner Ausmusterung hing er die meiste Zeit des Tages hier im Zentrum der Stadt herum. Irgendwie fehlte ihm der Antrieb, etwas wirklich Neues zu beginnen. Zu sehr war er immer noch mit seiner bisherigen Welt verbunden, doch für ihn war der Weg dahin zurück nicht mehr möglich.

    Eitel wie er war, färbte er sich die Haare seit einigen Jahren mittelblond nach, obwohl seine Schwester Willka ihm erklärt hatte, dass seine eigentlich graumelierten Schläfen bei den Damen recht gut ankamen. Alt zu werden war für ihn bisher ein Makel gewesen. Rainer lehnte sich in der Ruhebox der Fußgängerzone zurück. Hier oben, in der zwanzigsten Ebene, hatte er einen wunderbaren Blick auf das emsige Treiben der Hauptverkehrszone von Goon-City. Hell erstrahlten in allen Ebenen die verschiedensten Werbehinweise an den zwanzig Stockwerke hohen Häuserfronten. In den unsichtbaren Transportstraßen zwischen den Gebäuden bewegten sich in jeder Etage Hunderte von Menschen, die alle noch schnell etwas vor dem Abendessen einkaufen wollten. Rainer genoss den Anblick, für einen kurzen Moment empfand er es als eine wunderbare Fügung des Schicksals, nicht mit den anderen Menschen durch die Geschäfte hetzen zu müssen.

    Mit der rechten Hand fuhr er unbewusst durch seine ultrakurzen Haare. Eigentlich hätte er sie jetzt wachsen lassen können, doch nach neunzehn Jahren Armee hatte er sich einfach an diesen praktischen Diensthaarschnitt gewöhnt.

    Vier Stunden saß er jetzt schon in der Box und döste vor sich hin. Seine von vielen verschiedenen Sonnen geschädigte Gesichtshaut juckte und machte ihm damit deutlich, dass es Zeit wurde, ihr wieder einmal ein Pflegemittel zu gönnen. Verdammte Armee, kam es ihm erneut in den Sinn. Natürlich war ihm klar, dass eine gehörige Portion Selbstmitleid der Auslöser dieser Gedanken war. Die Armee zahlte ihm für seine neunzehn Jahre Dienst eine anständige Pension, doch neunzehn lange Jahre war sie seine Familie, sein Lebensinhalt gewesen. Jetzt hatte er auf einen Schlag alles verloren.

    Trotz seiner guten Beurteilungen hatte er nicht genügend Punkte für die Offizierslaufbahn zusammenbringen können, so blieb ihm nur der Weg des einfachen Soldaten. Der Begriff einfacher Soldat zauberte ein sarkastisches Lächeln auf seine schmalen Lippen. Wie hatte es Willka einmal genannt? »Staatlich geprüfter Profikiller

    Diese Bezeichnung tat ihm weh, aber im Grunde genommen hatte seine Schwester damals Recht gehabt. Er gehörte zu einer Eliteeinheit. Die Spezialausrüstung, die seine ehemaligen Kameraden und er mit sich führten, hätte ausgereicht, Goon-City innerhalb von dreißig Minuten in Schutt und Asche zu legen. Angefangen von fingergroßen Nuklearraketen, die er abschussbereit in einem schmalen Behälter am Unterarm getragen hatte, bis hin zu einem Tornisteraggregat, das ihn in ein geschossabweisendes Magnetfeld hüllte, besaß er alles, was das Militaristenherz höher schlagen ließ. Aber er wusste auch, weshalb er all diese Gerätschaften mit sich führen sollte. Egal wohin der Truppentransporter seine Einheit brachte, immer galt es, andere intelligente Wesen zu töten.

    In seiner Ausbildung hatte er damit Probleme gehabt. Doch nach den ersten Einsätzen, bei denen Gegner gnadenlos auf ihn geschossen hatten, relativierten sich seine Bedenken. Die Truppe bekam einen Auftrag, welchen sie zu erledigen hatte. Das war ihr Job, den sie möglichst perfekt ausführten.

    Seit der Ausbildungszeit hatte er sich mit aller Kraft seiner Karriere gewidmet. Rainer war nicht umsonst in diese Eliteeinheit versetzt worden. Dass er dort neunzehn lange Jahre überlebt hatte, bewies, dass er das Handwerk verstand. Im Gegensatz zu den normalen Bodentruppen, die erst nach ihrem Einsatz das eroberte Terrain sicherten, waren für seine Einheit die Stunden in den virtuellen Trainingsräumen der Raumtransporter keine lästige Pflichtübung. Jeder, auf den im Ernstfall schon einmal scharf geschossen worden war, wusste, dass sein Leben von einem möglichst perfekten Zusammenspiel des Teams abhängig war. Dieses Zusammenspiel konnte nur durch permanentes Training garantiert werden.

    So hatte er die vergangenen neunzehn Jahre seinen Körper gequält, seine Reflexe geschult, um mit den ständig neu dazukommenden, jüngeren Kameraden mithalten zu können. Es war kein Tag vergangen, an dem Rainer nicht wenigstens eine Stunde in einem Trainingssaal schwitzte.

    Neunzehn Jahre lang hatte er es geschafft, fit zu bleiben und, trotz seines Alters, dabei zu sein.

    Und nun saß er, gerade einmal vierzig Jahre alt, in einer Ruhebox in der Einkaufszone von Goon-City und wusste nichts mehr mit sich anzufangen. Wieder überfielen ihn wehmütige Erinnerungen an seine Eliteeinheit. In Gedanken sah er sich immer noch im Truppentransporter kurz vor dem Absprung über gegnerischem Gebiet. Sein Platz war stets in der ersten Reihe, ganz links gewesen. In dieser Reihe durften nur die Soldaten stehen, die mindestens fünfundzwanzig Einsätze hinter sich gebracht hatten.

    Rechts neben der Schleuse war die kleine Rampe, auf der General Thomas Offermann sie oft verabschiedete. Ihr oberster Dienstherr betonte in seinen Ansprachen stets, wie zufrieden er mit seiner Eliteeinheit war. Sie waren seine Jungs, auf die er sich blind verlassen konnte. Zu diesen Jungs zu gehören, war Rainers Lebensinhalt gewesen.

    Ein verirrtes Insekt versuchte auf seinen buschigen Augenbrauen zu landen und holte ihn damit in die Realität zurück. Er vertrieb es mit einer fahrigen Bewegung, aber das Tier flog weiter in die Ruhebox hinein und summte um Rainers Kopf. Der Veteran fixierte das Insekt. Es war eine Larfafliege, absolut harmlos, aber viel zu schnell, um mit der Hand gefangen zu werden.

    Was soll’s, dachte er angenervt. Hier oben rumzusitzen brachte sowieso nichts. Rainer aktivierte seinen Antigravitationsgürtel und stieß sich vom Rand der Ruhebox ab.

    Der Transportstrahl erfasste ihn. Der ehemalige Raumsoldat manipulierte am Gürtel. Sofort sank er auf die siebte Ebene herunter, um in dem Strom der Passanten zu verschwinden. Tief unter sich erkannte er die parkähnlichen Anlagen, in denen sich die Fußgänger ausruhen konnten.

    Alles wirkte sehr harmonisch, doch auf einmal bemerkte Rainer aus den Augenwinkeln heraus etwas Ungewöhnliches.

    Hatte seine Narbe deswegen gezuckt? Rainer war sich nicht sicher. Er sah eine Frau mit langen blonden Haaren und einer sehr weiblichen Figur.

    Nun, das allein war auf Goon nichts Ungewöhnliches. Doch es war die Art, wie sie sich bewegte. Ihre Körperhaltung beim Transportstrahlwechsel war irgendwie geschmeidig, ja katzenartig. Zumindest agierte so keine der aufgedonnerten Kunstblondinen, die um diese Tageszeit hier shoppen waren. Zielsicher wechselte die Frau die Ebenen Richtung Boden.

    Rainer beschloss der interessanten Fremden zu folgen. Er hatte sowieso nichts vor. Vielleicht ergab sich ja eine Möglichkeit sie anzusprechen und auf einen Kaffee einzuladen.

    Seine Fantasie kurbelte den Hormonspiegel an. Mal schauen, wie sie von vorne aussah?

    Er musste sich beeilen, hinter ihr herzukommen. Hastig justierte er erneut am Antigravitationsgürtel, um zur untersten Ebene zu gelangen. Die Frau hatte bereits das Ende der Fußgängerzone erreicht und bog in eine Seitenstraße ein. Rainers Füße bekamen Bodenkontakt. Bemüht lässig versuchte er der Frau nachzusetzen. Dann hatte er ebenfalls die Hausecke umrundet.

    Die Frau lief ungefähr fünfzig Schritt vor ihm. Er konnte gerade noch sehen, wie sie in eine weitere Nebenstraße abbog. Dort gab es keine Transportfelder. Entweder man bewegte sich auf seinen Füßen oder mietete sich einen der Wagen, die hier in drei Ebenen übereinander verkehren durften. Der Gehweg neben der dunklen, kunststoffbeschichteten Straße bestand aus grob aneinandergefügten runden Steinplatten. Der Zwischenraum war mit feinem Kiesgemisch aufgefüllt worden. Die hellgrauen Platten grenzten wiederum an eine fensterlose grüne Mauer. Dieser Bereich von Goon-City entsprach so gar nicht dem Stil, den die Regierung ihren Wählern versprach. Eine Sanierung des gesamten Straßenraumes wäre dringend erforderlich gewesen. Doch es war keine der glänzenden Einkaufs- oder zumindest Zubringerstraßen, durch die sich täglich Tausende von Menschen bewegten.

    Der Duft nach frischem Blau der goonschen Flora stieg Rainer in die Nase. Entlang der anderen Straßenseite befand sich eine der wunderschönen Parkanlagen, die das Zentrum wie ein blauer lebender Gürtel aus Pflanzen und Bäumen umgab. Für einen Moment löste sich sein Blick von der Frau. Heimatpark stand auf einem Schild an der Ecke. Nun wusste er auch, wo er war. Der Heimatpark war eine der ältesten und bekanntesten Blauanlagen im Herzen der Stadt.

    Sein Blick wandte sich wieder nach vorn. Rainer verlangsamte seinen flotten Schritt, er war bis auf zwanzig Meter aufgeschlossen. Es wäre ihm peinlich gewesen, wenn sie ihn jetzt schon bemerkt hätte. Vielleicht würde sie noch einen Kaffee trinken oder eine Zeitschrift kaufen wollen. Dann könnte er, rein zufällig, neben ihr stehen und ein Gespräch anfangen.

    Zwei Männer kamen ihnen entgegen. Gleichzeitig schwebte ein Personentransporter mit verdunkelten Scheiben durch die kleine Gasse, die an den Heimatpark grenzte. Rainers Narbe begann wie verrückt zu zucken. Hier war etwas faul! Oder litt er mittlerweile an Verfolgungswahn?

    Der Transporter stoppte auf Höhe der Frau, die beiden entgegenkommenden Männer begannen zu laufen. Die Situation kam nicht nur ihm seltsam vor, denn die unbekannte Frau blieb ebenfalls stehen und schaute sich kritisch um. Offensichtlich prüfte sie, ob es einen Fluchtweg gab. Ihre Blicke kreuzten sich für einen Moment. Augenscheinlich dachte sie, dass Rainer zu den anderen Männern gehörte.

    Die Schiebetür des Personentransporters öffnete sich weit. Die beiden Männer, die ihnen entgegen kamen, waren nur noch eine Armlänge von der Frau entfernt. Es schien eine Kleinigkeit für sie zu sein, die Frau in den Transporter zu stoßen.

    Doch sie dachte nicht daran, sich kampflos zu ergeben. Wie eine Tänzerin drehte sie sich auf dem linken Fuß. Ihr rechtes Bein zuckte nach oben. Aus der Bewegung heraus trat sie dem ersten Mann gegen den Hals. Noch ehe der Zweite auf die überraschende Attacke reagieren konnte, wirbelte sie erneut herum. Dieses Mal landete ihr linker Ellenbogen an der Schläfe des zweiten Angreifers.

    Wie von einem Blitz getroffen sackte dieser zusammen, während sich der erste Mann auf dem Boden hin- und herwarf. Vermutlich hatte sie ihm den Kehlkopf eingetreten, so dass er zurzeit andere Sorgen hatte, als die Frau in den Wagen zu zwingen.

    Diese Frau sollte entführt werden! Rainers romantische Gedanken vergingen schlagartig. So schnell ihn seine Beine trugen, rannte er jetzt auf sie zu. Die Leute in dem Personentransporter schienen ihn zu bemerken. Die Schiebetür schloss sich wieder. Der Transporter war eines dieser alten Modelle, die aussahen wie ein übergroßes plattgedrücktes Ei. Das Fahrzeug driftete einen halben Meter in die Höhe.

    Plötzlich schlug ein Energiestrahl nur wenige Fingerbreit über dem Kopf der Frau in das grüne Mauerwerk. Eine feine Mörtelwolke erhob sich in die Luft, um sofort vom Wind zerstoben

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