Lilly fährt mit dem Zeppelin zum Mond
By Helmut Exner
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Helmut Exner
Helmut Exner ist im Harz aufgewachsen und lebt nach Jahren der Wanderschaft heute im Harzvorland. Seine Kriminalromane sind eine Mischung aus Spannung, Wortwitz und dem skurrilen, oft derb-schrägen Humor der Oberharzer. Fast noch bekannter als der Autor selbst ist seine Protagonistin Lilly Höschen, die nicht totzukriegen ist und in jedem seiner bisher vierzehn Krimis auftaucht – um einen Fall zu lösen oder unliebsame Mitmenschen aufzumischen.
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Lilly fährt mit dem Zeppelin zum Mond - Helmut Exner
Helmut Exner
Lilly fährt
mit dem Zeppelin
zum Mond
Über dieses Buch
Um es vorweg zu nehmen: Der 83-jährigen Oberstudienrätin a.D. Lilly Höschen kann man einiges zutrauen. Aber zur Astronautin wird sie in diesem Roman nicht. Stattdessen mischt sie sich in die abenteuerliche Familiengeschichte dreier Brüder ein, die die Brausefabrik ihres Großvaters weiterführen und behaupten, von einer venezianischen Zwergenfamilie abzustammen. Ihre Mutter hatte einst aus Versehen den falschen Mann geheiratet, was sich im Nachhinein als Segen erwies. Auf der Suche nach dem Schatz ihrer Vorfahren finden die Söhne, die jeder nur unter ihren Spitznamen Liptegei, Zeppelin und Mond kennt, eine mumifizierte Leiche im Keller. Kurz darauf verschwindet ein junges Mädchen spurlos, wodurch sich das Leben der Familie dramatisch ändert. Viele Jahre später wird die Tochter eines der Brüder entführt. Zum Glück sind sie mit Lilly Höschen befreundet, die keine Ruhe gibt, bevor sie alle Zusammenhänge der zurückliegenden und der aktuellen Geschehnisse aufgedeckt hat.
Das Buch umfasst den Zeitraum von 1920 bis 2013. Es ist eine Familiengeschichte, die sich sowohl der Elemente eines Kriminalromans als auch denen einer Komödie bedient.
Alle in diesem Buch genannten Orte sind real. Die Handlung ist frei erfunden, ebenso wie die Personen. Wenn einem der eine oder andere Protagonist bekannt vorkommen sollte, liegt das sicherlich daran, dass es im wirklichen Leben Menschen gibt, die von ihrer Mentalität her so sein könnten wie in diesem Roman beschrieben.
Inhaltsverzeichnis
Innentitel
Über dieses Buch
Impressum
Lautenthal 1920
Lautenthal 1960
Lautenthal, Frühsommer 1962
Lautenthal, Spätsommer 1962
Lautenthal: am nächsten Tag
Lautenthal, Herbst 2013
Lautenthal und Wildemann, Spätsommer/Herbst 1962
Lautenthal, Herbst 2013
Clausthal-Zellerfeld, Gaststätte Zechenhaus
Bad Kissingen
Clausthal-Zellerfeld, Gaststätte Zechenhaus
Goslar/Lautenthal
Lautenthal 1962
Lautenthal 2013
Clausthal-Zellerfeld, Gaststätte Zechenhaus
Lautenthal, Ende Oktober 2013
Goslar, November 2013
Auf ein Wort danach
Über den Autor
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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
Impressum
Lilly fährt mit dem Zeppelin zum Mond
ISBN 978-3-943403-33-6
ePub Edition
Version 1.0 - 01-2014
© 2013 by Helmut Exner und dessen Lizenzgeber
Alle Rechte vorbehalten.
Autorenfoto: © Ania Schulz (as-fotografie.com)
Covermotiv: Withch's House © frozenstarro - Fotolia.com
Lektorat: Sascha Exner
Korrektorat: Tanja Nikolic
EPV Elektronik-Praktiker-Verlagsgesellschaft mbH
Postfach 1163, D-37104 Duderstadt
www.helmutexner.de
Lautenthal 1920
Als Lieschen ein Mädchen war, hatte sie sich immer gefragt, warum sie und ihre Familie eigentlich in solch einem kleinen Haus wohnten. Bereits die Eingangstür war so niedrig, dass Menschen von normaler Körpergröße sich beugen mussten, um einzutreten. Und Leuten, die etwas groß geraten waren, blieb nichts anderes übrig, als auch in einigen Räumen diese Haltung einzunehmen. Ihr Vater Albert hatte immer gesagt, das sei nun mal so üblich in Zwergenfamilien. Die brauchten keine großen Häuser mit hohen Decken. Die Familie Alberti stamme von einer venezianischen Zwergenfamilie ab, die vor Jahrhunderten in den Harz gekommen war, um nach wertvollen Mineralien zu suchen, die in Venedig zur Herstellung von Glas und Kunstgegenständen gebraucht wurden. Einige Familienmitglieder gingen zurück nach Venedig und einige blieben hier hängen. Der Harzer Teil der Sippe sei aber im Laufe der Zeit immer größer geworden, weil man sich mit den Einheimischen vermischt habe. Aber besonders groß war in dieser Familie trotzdem keiner. Der Vater maß vielleicht hundertsechzig Zentimeter, und sie, Lieschen, hundertfünfzig. Ihre Mutter, die aus einer erzgebirgischen Familie stammte, war ein paar Zentimeter größer als ihr Mann.
In Lautenthal ließ es sich gut leben. Die meisten Menschen waren vor Jahrhunderten aus dem Erzgebirge gekommen, um hier Bergbau zu betreiben. Bereits 1596 wurde erstmals die Bergfreiheit für den Ort erwähnt. Um den Abbau der Erze im großen Stil vornehmen zu können, wurden Menschen gebraucht, die etwas davon verstanden. Und um diese anzulocken, wurden ihnen entsprechende Privilegien zugesichert. Wenn auch der einfache Mann dadurch nicht reich wurde, so ging es doch vielen besser als in anderen Regionen. 1920 war das Erscheinungsbild des Ortes geprägt von den großen Stein- und Sandhalden, die die Erzwäsche der Aufbereitungsanlagen hinterlassen hatte. Und es gab natürlich die rauchenden Schornsteine der Hütten und in ihrem Umfeld jede Menge Handwerksbetriebe. Daneben zog das Städtchen auch damals schon Sommerfrischler an, denn trotz der florierenden Industrie war die Umgebung einfach märchenhaft schön. Lautenthal, im Tal der Laute und der Innerste gelegen, war umgeben von bewaldeten Bergen, die zu Wanderungen einluden. Es gab etliche Kurhäuser und Pensionen. Viele Geschäfte, Ärzte und vor allem die Innerstetalbahn sorgten für eine gute Infrastruktur des Ortes, der damals etwa dreitausend Einwohner hatte. Für viele Gäste, die den Ort besuchten, war Lautenthal der Inbegriff von Romantik. Dazu kamen die Sagen und Geschichten, die man sich hier erzählte. Und die eigentümliche Sprache ließ manchen Gast glauben, in einem anderen Land zu sein.
Für Lieschen war das alles ganz normal. Sie kannte nichts anderes. Einen Hauch von Kummer und Wehmut empfand sie nur angesichts ihrer eigenen, ganz persönlichen Situation. Trotz ihrer schönen, schwarzen Haare und der dunklen Augen, die ihr wohl die italienischen Gene beschert hatten, war es für Lieschen bei dieser Körpergröße schwierig, einen Mann zu finden. Als sie mit dreiundzwanzig immer noch keinen hatte, erinnerte sich der Vater an seinen alten Freund Hermann Lehmann, der vor vielen Jahren nach Franken ausgewandert war. Die beiden Freunde schrieben sich alle paar Jahre mal, um einander mitzuteilen, was sich inzwischen alles ereignet hatte. Albert wusste, dass sein Freund Hermann mindestens sechs Söhne hatte. Also schrieb er ihm einen Brief, um zu erkunden, ob nicht vielleicht einer Interesse hätte, in den Harz zu kommen, um sein Lieschen zu heiraten. Denn erstens sei sie ein ganz zauberhaftes, wenn auch ein etwas klein geratenes Geschöpf. Und zweitens würde er dem Schwiegersohn anbieten, bei ihm im Geschäft zu arbeiten, das er dann auch eines Tages übernehmen könne. Denn leider habe er ja keine eigenen Söhne. Nur die eine Tochter.
Albert Alberti hatte sich vor dem Krieg selbstständig gemacht. Er nannte sich Brausefabrikant und hatte hinter seinem kleinen Haus, das in Lautenthal allgemein Zwergenhaus genannt wurde, eine Produktions- und Lagerhalle gebaut, die etwa zwölf Meter lang und acht Meter breit war. Hier stellte er zusammen mit Frau und Tochter Brause mit Ingwer- und Waldmeistergeschmack her. Im Sommer, wenn es heiß war und die Leute Durst hatten, stellte er noch zwei Frauen ein, die beim Abfüllen halfen oder die zurückgekommenen Flaschen reinigten. Die Auslieferung mit Pferd und Wagen erledigte er selbst. Natürlich konnte er gerade für diese schwere Arbeit einen kräftigen Schwiegersohn gut gebrauchen. Und wenn der ein bisschen größer wäre als er selbst, konnten auch die Kisten im Lager höher gestapelt werden. Auch der Transport der Fässer war nicht leicht. Die Getränke wurden ja nicht nur in Flaschen gefüllt, sondern auch als Fassbrause verkauft. Eine männliche Hilfe war auf jeden Fall willkommen.
Es dauerte ein paar Wochen, bis sein Freund Hermann ihm antwortete:
Mein lieber Freund Albert!
Das war ja eine schöne Überraschung, nach so langer Zeit Deinen Brief zu erhalten. Ich dachte schon, du wärst tot. Aber Tote schreiben ja keine Briefe. Mir geht es einigermaßen gut. Jedenfalls, wenn man das Schlechte nicht rechnet. Nun ist meine Frau schon drei Jahre nicht mehr unter uns. Und mein Ältester ist ins Haus gezogen mit Frau und vier Kindern. Die versorgen mich gut. Zwei Söhne sind letztes Jahr nach Amerika ausgewandert, weil es hier so wenig gute Arbeit gibt. Zwei Söhne wohnen in der Nähe. Übrig bleibt unser Jüngster, der Karl. Und der wäre was für deine Tochter Lieschen. Er ist siebenundzwanzig Jahre alt, kräftig gebaut und fleißig, wie es sich für meinen Sohn gehört. Er arbeitet als Bierkutscher in der Brauerei. Ich habe ihm das Bild von Lieschen gezeigt, und er ist ganz begeistert. Er wird sich in Kürze auf den Weg nach Lautenthal machen. Es ist schon komisch. Ich bin da weggezogen vor vielen Jahren. Und nun geht ein Sohn zurück in die alte Heimat. Am liebsten würde ich ihn begleiten. Aber das geht leider nicht, auch wenn mir das Herz weh tut. Natürlich kann ich dem Karl nicht befehlen, deine Tochter zu heiraten. Er ist ja erwachsen. Aber ich denke, wenn sie so hübsch ist wie auf dem Bild, dann wird es was. Außerdem ist ja auch nicht zu verachten, dass er mal sein eigener Herr sein wird. Brausefabrikant ist ja was. Getrunken wird immer. Wer hätte gedacht, dass wir beide mal verwandt sein würden!
Viele Grüße von Deinem alten Freund Hermann.
Und grüße mir auch die junge Braut und Deine liebe Frau.
Ganz aufgeregt betrat Albert die Küche, um Frau und Tochter den Brief seines Freundes Hermann Lehmann vorzulesen. Bei dem Wort Braut brauchte Lieschen einen Moment, um zu begreifen, dass sie gemeint war und senkte ganz verschüchtert die Augen. Frau Alberti hingegen meinte:
»Na, hoffentlich schickt uns dein Freund nicht so einen Bengel, den er sowieso nicht gebrauchen kann. Am Ende geht es ihm nur darum, uns zu beerben.«
»Der Hermann doch nicht. Das ist ein anständiger Kerl.«
So falsch lag Frau Alberti mit ihrer Meinung nicht. Hermann Lehmann ging sein Jüngster gehörig auf die Nerven. Die Arbeit hatte er nicht gerade erfunden. Und das Bier, das er als Transporteur auszuliefern hatte, trank er am liebsten selbst. Oft kam er abends torkelnd nach Hause und musste sich von seinem älteren Bruder und dessen Frau Vorwürfe anhören, weil er so wenig zum Unterhalt beitrug. Es wurde einfach Zeit, dass der Junge auf die Beine kam, dachte Hermann. Eigener Hausstand und Verantwortung für eine Familie. Das brauchte er. Sein alter Freund Albert würde ihn schon an die Kandare nehmen, wenn er sich da auch so gebärdete wie zu Hause. Auf jeden Fall hätte er eine Sorge weniger.
Nun sah die Familie in dem Zwergenhaus also gespannt dem Eintreffen von Karl Lehmann entgegen. Albert machte schon Pläne. Wenn der Karl etwas taugte und sich gut anstellte, könnte er ja die Produktion um Himbeerbrause erweitern. Außerdem könnte Karl die Auslieferung übernehmen und er selbst würde sich um neue Kunden kümmern. Der Sommer nahm langsam Fahrt auf. Und