Begegnen statt ignorieren: Aussiedler, Asylbewerber und Multikulti
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About this ebook
Deutschland erlebte in den letzten Jahren eine erschreckend zunehmende Repression gegenüber Asylanten und Ausländern.
Werden wir den Fremden begegnen oder bleiben wir in der Ignoranz gegenüber ihrem Lebensschicksal mit all den daraus entstehenden Folgen stecken? Welches Lebensschicksal haben Aussiedler, Asylanten und Ausländer hinter sich, wenn sie in Deutschland, als ihrer neuen Heimat, um Einlass bitten?
Diesen und weiteren Fragen zu dem Problem um Aussiedler, Asylanten und der multikulturellen Gesellschaft spürt Berger in seinem Buch nach.
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Book preview
Begegnen statt ignorieren - Klaus Rudolf Berger
Begegnen statt ignorieren
Aussiedler, Asylbewerber und Multikulti
Klaus Rudolf Berger
Impressum
© 2015 Folgen Verlag, Wensin
Autor: Klaus Rudolf Berger
Cover: Eduard Rempel, Düren
Lektorat: Mark Rehfuss, Schwäbisch Gmünd
ISBN: 978-3-944187-55-6
Verlags-Seite: www.folgenverlag.de
Kontakt: info@folgenverlag.de
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Hinweis
Das eBook Begegnen statt ignorieren ist als Buch erstmals 1993 erschienen. Es bezieht sich daher auf Ereignisse und die Situation in Deutschland und der Welt zu dieser Zeit.
Helmut Scheuer, in Freundschaft
Inhalt
Einleitung
I. Aussiedlerproblem
1. Gelockt von Katharina
2. Verfolgt und unterdrückt durch den Marxismus-Leninismus
2.1 Selbstständige sozialistische Republik der Wolgadeutschen
2.2 Hitler-Stalin-Pakt und Internierung der Russlanddeutschen
2.3 Lebenssituation nach Krieg und Deportation
3. Befreit nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion
4. Auf der Suche nach einer neuen Heimat
II. Asylantenproblem
1. »Die große Wanderung«
2. Wer ist ein Fremder, wer ein Asylant?
3. Fremdenhass – die Angst vor Fremden
4. Bereit zur Integration oder im permanenten Gaststatus?
III. Multi-Kulti-Utopie
1. Multikulturelle Gesellschaft: in Pro und Contra …
2. Multinational, multireligiös – Können wir so leben?
2.1 Europa – ein Beispiel multinationalen Zusammenlebens?
2.2 Multireligiös – Kann man alles glauben, ohne den Glauben zu verlieren?
3. Dialogfähigkeit im »multikulturellen« Umfeld
IV. Gefahr der Ignoranz – Gründe und Folgen
1. Ignoranz im Kontext von Angst und fehlender Identität
2. Ignoranz politischer Geschichte der Nachkriegszeit
3. Ignoranz biblischer Aussagen
V. Problemlösungsansatz: Begegnung
1. Begegnung mit der Heimat
2. Begegnung als eine Haltung mit Konsequenzen
3. Begegnung mit Gott, dem Schöpfer der Menschen und Völker
Anmerkungen
Einleitung
Während einer kleinen Vortragsreise im Herbst 1991, die mich in die Schweiz führte, entstanden erste Anstöße zu dem vorliegenden Buch. Ich hatte die Herausforderung angenommen, zu den Hauptproblemen unserer Gesellschaft heute aus christlicher Sicht zu sprechen. Schon die Vorbereitung ließ mich unmittelbar in den Strudel der Probleme eintauchen und drohte mich hinabzuziehen: Binnenmarkt Europa, öffentlicher Schuldenberg der BRD z. Zt. auf insgesamt 1,6 Billionen DM geschätzt, hohe, zu hohe Mieten, steigende Arbeitslosigkeit in Ostdeutschland, Angst vor Asylanten, Aussiedlern und Ausländern allgemein, Zerfall der Familien, allgemeiner Werteverfall, zum Beispiel sichtbar in dem aufkommenden Neofaschismus mit der Tendenz zum Rechtsruck in der Politik. Sehr betroffen war ich dann, als ich unmittelbar auch in der Schweiz ähnliche Probleme wie bei uns in der Bundesrepublik fand. Hohe Mieten, steigende Arbeitslosigkeit, Angst vor Fremden, die in die »Zukunftsangst Einwanderung« mündet und Fragen über Fragen, wie es denn weitergehen soll.
Inzwischen sind fast zwei Jahre vergangen und erneut zeigen sich die Probleme mit aller Schärfe: Die Wahlen in Schleswig-Holstein und Baden-Württemberg zeigten die Tendenz, dass die politische Rechte zu Erfolg kam, weil sie Ausländer ausgrenzte und »Deutschland den Deutschen« allein geben wollte.
Nach weiteren Monaten – die Probleme um die Ausländer und Asylanten überschlagen sich mittlerweile förmlich – ist die Lage in der BRD bedrohlich. Die Kundgebung vom 08.11.1992 in Berlin ließ mir Tränen in die Augen kommen vor Wut, Verzweiflung und Fassungslosigkeit angesichts der Gewalt. Es ist für mich eine Schande, wenn der Bundespräsident nicht ohne Polizei und schützende Regenschirme zu einer großen Öffentlichkeit sprechen kann. Aufrufe für »Menschenwürde und Weltoffenheit gegen Fremdenfeindlichkeit« sind dringend angesagt, auch das erneute Bewusstsein für den Paragraphen Eins unseres Grundgesetzes, der die Würde des Menschen als unantastbar rechtlich garantiert, ist notwendig, damit Ausschreitungen gegen Fremde und »Andersartige« (Asylanten, Ausländer, Juden und teilweise auch gegen Behinderte) bestraft, verhindert und zunehmend reduziert werden. Doch derzeit scheint sich die Wut ungehemmt auf Menschen zu richten, die sich kaum wehren können. Die Ausschreitungen rechtsradikaler Gruppen, sogenannter Neonazis, sind allein in der Zeit vom 28.09.1991 bis 02.11.1992 in der Bilanz hoch und in ihrer Brutalität erschreckend. Dabei nimmt neben roher Gewalt und dem Legen von Brandsätzen auch die Schändung jüdischer Gedenkstätten zu. Nach der Dokumentation des Stern-Extra-Beitrages: »Die neuen Nazis greifen an«, von Marlies Prigge¹ liest sich die dort beschriebene Gewalt wie eine schlimme Erinnerung an Gewalttaten im Dritten Reich und dies innerhalb von fünf Wochen:
»Greiz/Thüringen: Rechte verfolgen einen VW-Bus, in dem auch ein Farbiger sitzt. Mit Eisenstange und Baseballschläger dreschen sie auf den Wagen ein.
Bonn: Ein 23-jähriger Skin schlägt seinen marokkanischen Nachbarn zu Boden und würgt ihn, nachdem er ihn als ›Kanakenschwein‹ beschinhft hatte.
Coesfeld/Nordrhein-Westfalen: Ein jugoslawischer Mofafahrer wird zu Boden gerissen, getreten, geschlagen. Die Täter grölen rassistische Parolen.
Eilenburg/Sachsen: Asylbewerber werden von Skins mit Leuchtkugeln beschossen und mit Steinen beworfen.
Stuttgart: Fünf jüdische Gräber werden geschändet, mit Hakenkreuzen beschmiert. An einem Grab die Aufschrift: Sieg heil.
Dortmund: Unbekannte verwüsten den jüdischen Ehrenfriedhof, aber auch Ehrenmäler russischer und jugoslawischer Kriegsgefangener.
Gelsenkirchen: Unbekannte werfen durch den Briefschlitz einer Haustür einen Brandsatz in ein Gebäude, in dem sich die Büroräume der jüdischen Kultusgemeinde befinden.«
Gemäß der Überzeugung, die ich zum Thema meiner vorliegenden Arbeit gewonnen habe, sind wir angesichts der Gräueltaten neofaschistischer Gruppen gefordert, ihnen zu begegnen statt sie zu ignorieren. Zu begegnen mit geschichtlichem Bewusstsein und dem Versuch, die Motive Rechtsradikaler zu verstehen, ohne sie dadurch indirekt von Schuld freisprechen zu wollen. Die Morde von Hoyerswerda, Rostock, Mölln, Solingen und die vielfältigen Verletzungen der Menschenwürde sind nicht zu entschuldigen, sie müssen bestraft werden, damit die Straftäter zur Besinnung und Umkehr kommen. Gerade sie müssen lernen, anderen Menschen zu begegnen und sie zu achten!
Liegt hier nicht die eigentliche Ursache für ihre abgrundtiefe Menschenverachtung? Ignoranz und Egoismus, platte Vergleiche und das Gefühl persönlich zu kurz gekommen zu sein, gehören mit zu den Ursachen rechtsmotivierter Gewalttaten. So steht in einem Faltblatt mit dem Titel: »Viele Kulturen, eine Zukunft – Nationalismus und Rassismus in Europa überwinden!«, herausgegeben vom Bundesvorstand des DGB: »Durch die hohe Arbeitslosigkeit nicht nur in den neuen Bundesländern (z. Zt. in Gesamtdeutschland ca. 3,5 Millionen K. B.), die Verarmung von immer mehr Menschen, die Wohnungsnot in Ballungsgebieten und dem Vertrauensverlust gegenüber politischer Institutionen entsteht ein Nährboden für soziale Unsicherheit und für Konflikte. Durch ökonomische und technische Veränderungen geraten Teile der Bevölkerung ins Hintertreffen. Sie nehmen ihre Ohnmacht gegenüber ihrer sozialen Abwertung wahr, sehen ihre Lebensperspektive bedroht und fühlen sich selbst an den Rand gedrängt. (…) Viele gesellschaftliche Probleme sind ungelöst. (…) Die soziale Schere zwischen Arm und Reich klappt immer mehr auseinander. Diese Unzufriedenheit wird dazu missbraucht, einer angeblichen ›Überfremdung‹ das Wort zu reden. Antidemokratische, nationalistisch und rassistisch ausgerichtete Bewegungen bieten scheinbar glatte Lösungen an.
Ausländer, Asylsuchende und Aussiedler werden zu Sündenböcken, die für Entwicklungen verantwortlich gemacht werden, die sie nicht zu verantworten haben.«² Ferner schreibt Ulrich Beck in seinem Essay »Biedermänner und Brandstifter« dazu:
»Die Ostdeutschen wissen, dass die Westdeutschen denken, dass sie die Asylanten sind. Man lässt es sie merken. Den einen rauben sie Geld, den anderen ihre linken Überzeugungen, alle fühlen sich an die gut verdrängte Herkunft der fünfziger Jahre erinnert. ›Die Parasiten‹, heulen die Ossis in sich hinein, ›erst müssen wir den Kommunismus ausbaden, während die da draußen sich sonnen konnten, dann werden wir wie die Zigeuner behandelt und mit verlogenen Versprechungen abgefertigt.‹ Wenn man im Gehirn ein Mikrofon installieren könnte, müsste es so oder so ähnlich die Gedanken aufzeichnen, die den Deutschen in Ost und West allmählich den Schlaf rauben, aber noch tabuisiert werden.
Und nun kommt die Pointe der Geschichte: Beide schlagen auf Asylanten ein. Die einen werfen Brandsätze, die anderen sprechen Brandsätze, der Rest schaut schockiert oder genüsslich zu. Die Mordanschläge auf Fremde sind auch es gibt viele Ursachen ein stellvertretender, versetzter Bürgerkrieg im weniger denn je vereinigten Deutschland.«³
Wenn Beck dem einen oder anderen Leser vielleicht auch etwas überzogen in seiner Schlussfolgerung erscheinen mag, so legt er doch den Finger auf die wunde Stelle. Er, wie auch der Auszug aus dem Faltblatt des DGB, zeigt deutlich, wie leicht Sündenböcke vom eigentlichen Ursprung der Aggression und Gewalt ablenken, weil sie zur Ursache schlechthin erklärt werden. Hass und Enttäuschung müssen sich Luft machen. Rolf Seiter meint, dass in den Krawallen und Ausschreitungen der letzten Monate die Sehnsucht nach Stabilität, Halt und Heimat der Jugendlichen deutlich wird.
»Labilität, Leben auf schwankendem Grund kann nicht verkraftet werden. Viele junge Menschen, die mit Steinen um sich werfen und mit Prügeln um sich schlagen, verdeutlichen in ihrer Haltung, wie sie letztlich einen verzweifelten Überlebenskampf führen. Es ist der Kampf um die Zukunft. Die Angst