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Indigolith: Im Zeichen des Omega - Buch 2
Indigolith: Im Zeichen des Omega - Buch 2
Indigolith: Im Zeichen des Omega - Buch 2
Ebook452 pages6 hours

Indigolith: Im Zeichen des Omega - Buch 2

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About this ebook

Ein über 2000 Jahre altes Amulett taucht aus den Untiefen der Zeit wieder auf. Ein Anhänger in Form eines Omegas.

Omega, das Zeichen für das Ende. aber das Ende wovon? Ist die Jahrtausende währende Spanne menschlicher Gewalt und Willkür fast vorbei? Oder befindet sich die Welt kurz vor der Katastrophe?

Nostradamus Tucker ist tot. Garren und Greer treten das Erbe ihres Vaters an. Die jungen Wächter sehen sich plötzlich der Herausforderung gegenüber, auf die sie gewartet haben. Sie können nicht ahnen, dass sie mit jedem Schritt, den sie der Lösung des Rätsels des Omega näher kommen, die Welt ein Stück weiterdrehen. Die Menschen, die ihren Weg kreuzen, sind ihnen hilflos ausgeliefert. In einer Art, die über den Verstand eines Normalsterblichen hinausgeht.

Aber Garren und Greer sind keine normalen Männer. Sie sind mehr. Viel mehr. Doch das wird ihnen selbst erst bewusst, als es bereits zu spät ist.

Der zweite Teil der mitreißenden Fantasy Krimi Trilogie.
LanguageDeutsch
Release dateAug 11, 2011
ISBN9783863321079
Indigolith: Im Zeichen des Omega - Buch 2
Author

Jo Arnold

Jo Arnold wurde 1968 in Mannheim geboren und studierte zwischen 1989 und 1994 amerikanische und spanische Literatur, sowie Sprachwissenschaften und Wirtschaft in Gießen. Nach dem Umzug in die USA 1995 folgte ein Masters Abschluss in BWL an einer Universität in Michigan und eine Stelle im mittleren Management bei einer Werbe- und Promotionagentur in Detroit. 1997 Heirat in den Vereinigten Staaten und Rücksiedlung nach Deutschland. Sprung in die Selbstständigkeit als Geschäftsführerin einer eigenen Agentur und parallel Unterrichtserteilung an einer Schule für Erwachsenenbildung in Mannheim. 2002 und 2004 Geburt der beiden Söhne. Aufgabe der Agentur und Aufbaustudium zum Gymnasiallehrer. Seit 2006 unterrichtet Jo Arnold Englisch und Spanisch an einem Gymnasium in Südhessen. Jo Arnold ist Mitglied beim Syndikat und den Mörderischen Schwestern. Sie lebt mit ihrer Familie im Odenwald.

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    Indigolith - Jo Arnold

    Im Zeichen des Omega

    Band 2

    Indigolith

    Jo Arnold

    ISBN: 978-3-86332-107-9

    »It’s the end of the world as we know it.«

    (R.E.M. »Document« 1987 I.R.S. Records)

    ***

    1

    Kroatien - Die Explosion erschütterte den gesamten Turm in seinen Grundfesten. Eine Feuerfontäne arbeitete sich ihren Weg durch den Fahrstuhlschacht von unten herauf. Garren und Greer fühlten heißen Wind wie einen Vorboten der Hölle durch die offene Aufzugtür wehen. In wenigen Sekunden würden sie geröstet. Verzweifelt sahen sie sich nach einer Fluchtmöglichkeit um. Mit langen Sätzen sprangen sie ans andere Ende des Raumes und warfen sich mit vereinten Kräften gegen die Metalltür der Notaußentreppe. Der rostige Rahmen gab nach und beide wurden durch die Wucht ihrer eigenen Bewegung auf eine Treppenplattform geschleudert. Kühler Wind schlug ihnen entgegen. Garren stützte sich schwer am Geländer ab. Es gab nach. Wild mit den Armen rudernd versuchte er auf den Zehenspitzen sein Gleichgewicht wieder zu finden. Aus dem Augenwinkel sah er, wie Greer sich mit der Schulter gegen die schwere Tür stemmte, um sie zu schließen. Im Innern konnten sie die Feuerwalze näher kommen hören.

    Garren fand wieder festen Stand. Greer wandte sich von der Tür ab. Gemeinsam rannten sie die Treppe hinunter. Keinen Moment zu früh. Das Türblatt flog mit einem Knall aus seiner Verankerung und über das Geländer davon. Es schwebte hin und her in die Tiefe, wie Herbstlaub im Wind. Es war ein fast friedlicher Anblick. Zehntelsekunden später brach mit infernalischem Röhren eine Flammenlanze aus der Wand über ihnen, wie aus dem Schlund eines Drachen. Sie drückten sich eng an die Außenseite des Turmes. Über sich hörten sie Scheiben splittern und ein Scherbenregen ging nieder. Sie rissen die Arme vor das Gesicht.

    Dann war der Spuk plötzlich vorbei. Es war nichts mehr zu hören, außer dem Knistern des Feuers, das in dem alten Fernsehturm wenig brennbares Material für seinen Erhalt fand. Windböen zerrten an den Kleidern der jungen Männer.

    »Das war knapp!«, keuchte Greer.

    »Wir haben noch keinen festen Boden unter den Füßen, also lobe gefälligst nicht den Tag vor dem Abend!«, erwiderte Garren mit einem Blick nach unten. »Sieht so aus, als ginge dein Wunsch von vorhin in Erfüllung.«

    Sie befanden sich in einhundert Metern Höhe. Die enge Nottreppe klammerte sich an die Betonwand des runden Turms. Die Treppenstufen bestanden aus rostigen, löchrigen Eisengittern, die den Blick nach unten freigaben. Die Stufen wanden sich aus dieser schwindelerregenden Höhe wie eine Würgeschlange um den Turm herum nach unten. Mutig begannen sie den Abstieg und blieben dicht beisammen. Dies erwies sich als Fehler. Ihr gemeinsames Gewicht war zu viel für die Treppe. Auf halbem Weg nach unten gab ein Bauteil plötzlich nach und brach nach unten weg. Es gelang Garren im letzten Moment, Greer am Kragen zu packen. Er ließ sich mit ihm nach hinten fallen. Die Metallkonstruktion unter ihnen quietschte Furcht einflößend und geriet in Schieflage.

    »Verflucht!«, zischte Garren, schob sich unter Greer hervor und bewegte sich auf Händen und Füßen rückwärts. Greer tat es ihm gleich. Wie groteske Spinnentiere krabbelten sie aufwärts. Ein paar Meter weiter oben standen sie wieder auf.

    »Das sind mehr als zwei Meter, die weggebrochen sind!«, stellte Garren fest.

    »Wenn nicht mehr!«, antwortete Greer. »Wir müssen weiter voneinander entfernt bleiben!«

    »Erst mal müssen wir da rüber.« Garren zeigte auf das Loch vor sich in der Treppe und drängte sich an Greer vorbei. Er sah seinen Bruder über die Schulter an, nahm Anlauf und rannte los. Die Treppe bebte unter seinen Füßen. Geschickt die Balance haltend, steigerte Garren sein Tempo noch und sprang mit einem Schrei über die klaffende Öffnung. Im Sprung sah er nach unten. Fünfzig Meter unter sich konnte er rissigen, von Unkraut durchsetzten Asphalt sehen und ihr Taxi, das gerade davonraste. Mit einem gewaltigen Rumms traf er auf der anderen Seite auf. Er fiel haltlos nach vorn und scheuerte sich im Rutschen die Hände und das Gesicht auf. Schließlich kam er schlitternd drei Meter weiter unten zum Halten. Er war sofort wieder auf den Beinen und drehte sich zu Greer um.

    »Geh aus dem Weg!«, rief dieser laut.

    Garren stolperte die Treppe hinunter. Greer atmete tief durch und lief seinerseits los. Er wurde schneller und setzte zum Sprung an. Garren konnte die Verankerung der oberen Treppe nachgeben sehen. Sein Herzschlag setzte einen Moment lang aus. Greer katapultierte sich selbst in die Luft. Garren war nicht sicher, ob es sein eigener oder der Schrei seines Bruders war, der in seinen Ohren hallte. Greers Sprung war zu kurz. Er prallte schmerzhaft mit dem Oberkörper gegen die untere Eisenstufe und krallte sich fest.

    »Ich komme!«, brüllte Garren und rannte die Treppe wieder hinauf.

    Greer baumelte mit dem Körper über dem Abgrund und grub seine Finger in das Gitter. Blut quoll unter seinen Handflächen hervor.

    Garren warf sich auf den Bauch und griff mit beiden Händen nach Greers Unterarmen. Die Brüder sahen sich direkt in die Augen.

    »Wage es nicht, die Situation auszunutzen und mich zu küssen!«, brachte Greer zwischen zusammengepressten Zähnen hervor.

    Garren zog und schleppte ihn Zentimeter für Zentimeter nach oben. Als er seinen Oberkörper neben sich auf der Treppe hatte, griff er um und fasste ihn hinten am Hosenbund.

    »Hey! Jetzt gehst du aber zu weit!«, flachste sein Bruder stöhnend.

    »Halt die Klappe!« Garren zog ein letztes Mal, dann lag Greer schwer atmend neben ihm. Nur noch seine Füße schauten über den Rand hinaus.

    »Wenn ich dich wieder mal rette, lass die blöden Sprüche, ja?«, keuchte Garren.

    Greer grinste. Die Treppe unter ihnen quietschte.

    »Geh du vor!«, sagte Garren. »Ich komme nach und achte darauf, dass wir nie gleichzeitig auf demselben Treppenelement sind.

    Die Brüder arbeiteten sich vorsichtig die restlichen fünfzig Meter den Turm hinunter. Sie umrundeten ihn dabei mehrere Male. Auf der Wetterseite war die Treppe in besonders schlechtem Zustand. Viele Stufen brachen unter den Männern weg oder waren gar nicht erst vorhanden. Jeder Sprung über diese Hindernisse brachte die Treppe zum Vibrieren. Aber sie hielt. Dreißig Minuten, nachdem sie dem Feuerinferno entkommen waren, befanden Garren und Greer Tucker sich am Fuß des Turmes.

    »Ich habe ja gleich gesagt, es ist eine blöde Idee, da hinaufzufahren!«, Greer betrachtete seine Hände. Er hatte das Waffelmuster des Eisengitters als tiefe Fleischwunden in den Handballen. Blut tropfte zu Boden.

    »Du hättest nicht mit mir in den Aufzug steigen müssen, oder?«, verteidigte sich Garren. Er bot einen fürchterlichen Anblick. Aus seinen Schürfwunden im Gesicht sickerte das Blut in kleinen Rinnsalen. Es floss an seinem Hals hinab und tränkte den Kragen seines Hemdes. Seine Hände sahen nicht viel besser aus als die seines Bruders. Die Haut war großflächig abgeschabt und es blutete ebenfalls stark.

    »Sieh uns an. Wie in unserer besten Zeit als Zehnjährige«, griente Garren schmerzverzerrt.

    »Wenn Mom uns so sehen könnte, wäre uns eine Tetanusspritze sicher.« Greer fing an zu lachen.

    Garren stimmte mit ein. Sie standen einfach nur da und lachten. Hundert Meter über ihnen quoll schwarzer Rauch aus den Fenstern des ehemaligen Panoramarestaurants. Dann erschütterte eine zweite Explosion den Turm. Trümmer regneten zu Boden. Garren und Greer duckten sich erschrocken und sprinteten dann gleichzeitig, wie auf einen geheimen Startschuss hin, los. Sie überquerten den quadratischen, ungemähten Rasen um den Sockel des Turmes, rannten quer über den Parkplatz und einen kleinen Hügel hinauf. Erst als sie oben waren hielten sie an und drehten sich um.

    »Oh, Mann, guck dir das an!« Greer riss die Augen auf.

    Der obere Teil des Turmes hing schief.

    »Wie eine abgeknickte Autoantenne. Sieht aus wie ein Ufo, das in einen überdimensionalen Baum gekracht ist«, beschrieb Greer die Szene.

    »Ich finde, es sieht eher wie ein aufgefädelter Riesendonut aus«, meinte Garren.

    »Denkst du eigentlich irgendwann mal nicht an Süßigkeiten? Deine Assoziationen lassen tief blicken, weißt du?« Greer boxte seinen Bruder freundschaftlich in die Seite.

    »Zucker ist gut fürs Hirn. Deshalb bin ich der Intelligentere von uns beiden«, zog Garren Greer auf.

    »Und man kriegt Pickel davon. Also sehe ich besser aus!«, kam die Retourkutsche.

    Die beiden standen auf dem Hügel und beobachteten aus sicherer Entfernung, wie der alte Fernsehturm ausbrannte.

    Nach einiger Zeit sagte Greer: »Man hat uns reingelegt!«

    »Wie Anfänger!«, stimmte Garren zu.

    In der Entfernung waren Sirenen zu hören.

    2

    Zurück in ihrem Ferienhaus verbanden sie sich gegenseitig mit routinierter Geschicklichkeit und Garren nähte sogar einen besonders tiefen Schnitt an Greers Hand.

    »Du hast Recht«, nickte Greer, während Garren die Nadel direkt neben seinem Daumen im Fleisch versenkte, »Mom wäre nicht erfreut. Und Dad würde uns die Leviten lesen.«

    »Ich vermisse sie!«, sagte Greer gepresst. Garren war nicht sicher, ob der körperliche oder der seelische Schmerz seines Bruders in diesem Moment der schlimmere war.

    »Ich auch!« Er verpasste Greer eine brüderliche Kopfnuss. Dann stach er erneut zu.

    Seit dem Tod ihrer Eltern war viel passiert in Garren und Greers Leben. Nicht, dass es vorher langweilig gewesen wäre. Nostradamus und Kassandra Tucker hatten ihre Söhne so gut es ging auf das vorbereitet, was sie erwartete. Nur hatten die Eltern nicht gewusst, was das wirklich war. Garren und Greer hingegen hatten gespürt, dass sie alle ihnen zur Verfügung stehenden Möglichkeiten ausschöpfen mussten. Sie lernten mit Freude und einer beunruhigenden Leichtigkeit alles, was man ihnen anbot.

    Schon als Kleinkinder zeigten sie Fähigkeiten und Fertigkeiten, die für ihr Alter ungewöhnlich waren. Ihre Eltern förderten sie vorsichtig, um sie nicht zu überfordern, aber die Kinder waren begierig, alles in sich aufzunehmen. Durch ihre amerikanische Stiefmutter wuchsen sie in einem zweisprachigen Haushalt auf. Auch das machte ihnen wenig Schwierigkeiten. Mit zweieinhalb benutzten sie ein Sprachgemisch. Ein halbes Jahr später konnten beide gut zwischen Englisch und Deutsch unterscheiden. Körperlich waren sie ihren Altersgenossen voraus. Sie waren groß und überaus gut koordiniert.

    Das große Grundstück um die Villa wurde über die Jahre zu einem Abenteuerspielplatz für Kinder, auf dem die beiden Jungs ihre überschüssige Energie loswerden konnten. Mit sieben hatten Greer und Garren zwei stämmige Isländer Ponys auf der Wiese neben dem Haus stehen. Arthur, der Chauffeur der Familie, kümmerte sich mit der gleichen Liebe um die Reittiere der Jungen, wie um die Autos ihrer Eltern. Er war es auch, der den Kindern das Reiten beibrachte, da N.D. und Kassandra Tucker selbsterklärte Reitlegastheniker waren. Arthur machte es Spaß und die Tuckers hatten ein bisschen Zeit für sich. Mit acht unternahmen die Zwillinge bereits lange Ausritte allein ins Gelände rund um das Tuckersche Anwesen. Sie erkundeten den Wald auf eigene Faust. N.D. Tucker ließ sie immer einen der drei großen Schäferhunde mitnehmen, die die Familie besaß. Auf einem ihrer Ausflüge freundeten sich beide mit dem Förster an. Von ihm lernten sie nebenbei innerhalb eines Jahres alles, was es über Waldwirtschaft und die Hege des Wildes zu wissen gab.

    Abends genügte den Zwillingen eine einfache Gute-Nacht-Geschichte nicht mehr. Auf Drängen des Vaters gestattete Kassandra ihnen Computerspiele. Vor dem Schlafengehen freuten sich die Zwillinge immer auf eine Stunde vor dem Bildschirm, bevor ihnen ihre Mutter, wie es sich gehörte, eine Geschichte erzählte. Mit fünf beherrschten Garren und Greer fast alle erhältlichen Lernspiele für Kinder bis neun Jahre. Kassandra musste sich etwas einfallen lassen, damit es ihren Söhnen nicht langweilig wurde. Sie wurden eingeschult. Die Schule war für die Zwillinge mit wenig Lernaufwand verbunden. Nach nur drei Wochen in der ersten Klasse wurden sie in die zweite versetzt. Am Ende des Halbjahrs steckte man die Tucker Brüder in die dritte Klasse. Die beiden Fünfjährigen waren die Sensation für die acht- und neunjährigen Klassenkameraden. Die meisten Kinder waren freundlich und freuten sich über die neue Attraktion in ihrer Klasse.

    Nach wenigen Wochen entwickelte sich bei einigen aber Missgunst. Drei große Jungs begannen die beiden kleineren zu hänseln und zu beschimpfen. Auf dem Heimweg drangsalierten sie die Zwillinge öfter und öfter körperlich. Garren und Greer wussten nicht, wie sie darauf reagieren sollten. Feindseligkeiten hatten sie bis dahin nicht kennengelernt. Auf eigenen Wunsch begannen sie mit sechs damit, verschiedene Verteidigungstechniken und Kampfsportarten zu erlernen. Ihre Mutter erlaubte es unter der Bedingung, dass sie als Ausgleich ein Musikinstrument ihrer Wahl erlernen würden. Sie begannen mit Klavier, Judo, Ringen, Taekwondo, Karate und Boxen und kreierten ihre ganz eigene Art der Selbstverteidigung. Gleichzeitig entwickelten sie Freude an Klassik, Jazz und Ragtime. Als sie sieben waren, legte sich keiner mehr mit ihnen an, und Greer entdeckte das Saxofon zusammen mit dem Blues für sich; Garren die Geige und venezianische Violinsoli.

    Mit acht wechselten sie auf die höhere Schule und ihr Leben verlief für die nächsten acht Jahre in geregelten Bahnen. Leben und Lernen. Sie wuchsen in einem liebevollen, stabilen Umfeld auf. Einer heilen Welt. Die Kinder nahmen es als selbstverständlich hin.

    Mit zwölf schlug die Pubertät erbarmungslos zu. Garren und Greers Hormone fuhren Berg- und Talbahn. Der Stimmbruch setzte ein. Ihre Gesichter glichen einer Kraterlandschaft und sie litten unter Albträumen. Sie gingen in die Länge und ein Jahr später in die Breite. Mit vierzehn hatten sie beide einen angenehmen Bass, fast ihre Endgröße von ein Meter neunzig und rasierten sich morgens regelmäßig. Mädchen begannen sich ernsthaft für sie zu interessieren. Aber die zwei taten sich mit Beziehungen schwer. Ihr Zwillingsdasein brachte es mit sich, dass sie sich selbst meist genug waren. Wenn man daran gewöhnt war, immer mit einer Person zusammen zu sein, die genau wusste, was man dachte und empfand, war es schwierig, diese Art von Nähe mit einem weiteren Menschen aufzubauen. Sowohl Garren als auch Greer versuchten es, aber nach kurzer Zeit verließen sie frustriert ihre Freundinnen. Beide empfanden die Existenz ihres Zwillings als Geschenk und Bürde gleichermaßen.

    Um die Testosteronschübe zu kanalisieren, begannen die Zwillinge mit einer Sportart, in der sie sich gegenseitig herausfordern konnten. Fechten. Erst mit dem Florett. Als sie besser wurden, stiegen sie auf Degen um und später sogar auf Säbel und Schwerter. Dabei stellte sich heraus, dass sie extrem schmerzresistent waren und erlittene Wunden schnell heilten.

    Ihre physische Frühreife und die trainierten Körper sorgten dafür, dass sie problemlos von ihren siebzehn- und achtzehnjährigen Schulkollegen anerkannt wurden. Nur die Tatsache, dass Garren und Greer um zehn zu Hause sein mussten, ließ ihre Freunde lächeln, tat aber ihren Freundschaften keinen Abbruch. Die Zwillinge liebten das Lernen, lernten aber auch zu leben. Ihre Eltern erwogen kurz, sie auf eine Schule für Hochbegabte zu schicken. Ihre soziale Entwicklung erschien ihnen schließlich wichtiger. Sie wollten ihre Söhne nicht von ihren Freunden trennen. Sie gingen auf Klassenfahrten und fanden Geschmack an Sprachreisen. England, Russland, Spanien und Frankreich. Die Zwillinge hatten Spaß an den für Jugendliche organisierten Fremdsprachenkursen im Ausland. Mit fünfzehneinhalb machten Garren und Greer Abitur. Mit sechzehn schrieben sie sich mit Sondergenehmigung an der Universität Frankfurt ein.

    Interdisziplinäres Studienhopping konnte man das, was die beiden während ihrer Zeit auf der Universität von Frankfurt betrieben, am ehesten nennen. Mehrere Professoren verzweifelten, da sie das Potenzial der jungen Männer erkannten, diese sich aber standhaft weigerten, einen Abschluss zu machen. Stattdessen belegten sie Kurse in fast allen Fachbereichen und bestanden alle Klausuren mit Bravour.

    Garren erlernte die Gebärdensprache, Greer belegte Kurse in Computerlinguistik. Garren befasste sich mit Mikro- und Makroökonomie, Greer setzte sich mit empirischer Wirtschaftsforschung auseinander. Der eine studierte religiöse Gegenwartsstrukturen und Anatomie, der andere Völker- und Europarecht, sowie innere Medizin. Garren befasste sich mit Pharmazie, Greer trat in die Fußstapfen seiner Mutter und belegte Mineralogie und amerikanische Literatur. Physik, Jura, Elektrotechnik, Kulturgeschichte, Musik. Die Tucker Zwillinge deckten alles ab, was ihnen und ihren Eltern sinnvoll erschien.

    Neben ihren Studien erlernten sie nun das Bedienen verschiedenster Fahrzeuge und konzentrierten sich auf Aktivitäten, die sie als Team unternehmen konnten. Garren und Greer nahmen an einem Segelkurs teil und segelten während der Semesterferien gemeinsam die Mittelmeerküste von Spanien bis Griechenland entlang. Sie lernten Hochgebirgsklettern und gingen gemeinsam Bergsteigen. Es gab ein blindes Vertrauen zwischen beiden, das selbst ihre Eltern mitunter erschreckte. Garren machte den Hubschrauberflugschein. Greer bekam von seinem Vater eine kleine Cessna.

    Mit achtzehn waren aus den Tucker-Zwillingen Männer geworden, die trotz ihrer Fähigkeiten und finanziellen Möglichkeiten ihren Bezug zur Realität bewahrten. Sie waren gefestigte Persönlichkeiten mit einem gesunden Selbstbewusstsein und einem Auftreten, das sie zehn Jahre älter wirken ließ. Durch die extreme, sportliche Betätigung hatten beide ein derbes Aussehen. Wettergegerbte Haut, markante Züge und muskulöse Körper taten ihr Übriges. Garren und Greer waren erwachsen.

    Beide Männer waren außergewöhnlich belastbar. Mentaler Stress hinterließ wenig Spuren und sie hatten ein phänomenales Gedächtnis. Sie waren flexibel und es gelang selten, sie zu überraschen. Ihre Beobachtungs- und Auffassungsgabe sowie Merkfähigkeit waren überdurchschnittlich.

    N.D. und Sandy Tucker verfolgten die Entwicklung ihrer Söhne zu modernen Superhelden mit Stolz und weitestgehend mit Gelassenheit. Es war ihnen klar, dass sie ihre Söhne vor dem, was kommen würde, nicht beschützen konnten. Aber sie waren sich sicher, dass Garren und Greer gegenseitig aufeinander achten würden.

    Als sich Greer im Gegenzug um Garrens Verletzungen kümmerte, gingen dessen Gedanken zurück zu dem entsetzlichen Tag im letzten Dezember. Sie waren von den Londoner Behörden angerufen worden, die ihnen mit Bedauern den Tod ihrer Eltern mitteilten.

    Kassandra und N.D. Tucker waren aus Anlass ihres 22. Hochzeitstages zu einem Kurzurlaub auf die britische Insel geflogen. Sie hatten sich ein Auto gemietet und Südengland auf eigene Faust erkundet. Auf dem Weg zurück zu ihrem Hotel im Zentrum Londons waren sie frontal mit einem der weltberühmten roten Doppeldeckerbusse zusammengestoßen. Man hatte die Tucker Brüder darüber informiert, dass ihr Vater aus ungeklärter Ursache auf die falsche Fahrspur geraten war. Der voll besetzte Bus der Linie 27 war ungebremst in den kleinen Ford des Ehepaars Tucker gerast und hatte ihn völlig zerstört. Der Wagen war buchstäblich in sich zusammengeschoben worden wie eine Ziehharmonika. Im Bus starben fünf weitere Menschen.

    Eine Ironie des Schicksals, dachte Greer. Ausgerechnet Dad stirbt in einem Kleinwagen.

    N.D. Tucker hatte schnelle Sportwagen geliebt. Seine Frau hatte über zwanzig Jahre hinweg seine Vorliebe nicht geteilt, sie aber stillschweigend ertragen.

    Beide waren sofort tot. Sie waren anhand ihrer Ausweise identifiziert worden, da beide Leichen grausam entstellt waren. Aus demselben Grund waren auch die Särge verschlossen geblieben, nachdem sie aus England in Deutschland ankamen.

    Pfarrer Oetzel, ein guter Freund der Familie, hatte unter Tränen die Grabrede gehalten.

    Seither war über ein ganzes Jahr vergangen, in dem Garren und Greer versucht hatten, wieder mit sich selbst und dem anderen klarzukommen. Das erste Jahr nach dem Unfall war in jeder Hinsicht schwierig gewesen. Doktor Bauer, der Anwalt der Familie, hatte zusammen mit den Zwillingen den Nachlass geregelt. Im Grunde genommen hätte es einfach sein sollen, da alles, was N.D. Tucker und seine Frau besaßen, an ihre Kinder ging. Nur einen kurzen Zwischenfall hatte es gegeben, als in London ein zweiter, sehr viel älterer Totenschein von Nostradamus Tucker aufgetaucht war und sich die Herausgabe der Leiche dadurch verzögerte. Doktor Bauer hatte sich um den Aktenfehler gekümmert.

    Garren und Greer hatten sichtlich Probleme mit der neuen Situation. Das erste Mal in ihrem Leben waren sie auf sich allein gestellt. Unbewusst hatten sie sich immer auf den Rückhalt durch die Eltern verlassen. Das Fehlen ihrer Unterstützung und Liebe war ein Schock, der tiefer reichte, als die beiden es jemals für möglich gehalten hätten. Sie waren verwirrt, unschlüssig und zutiefst traurig.

    Ihre emotionale Instabilität entlud sich öfter und öfter in Streitigkeiten. Sie eskalierte schließlich in handgreiflichen Auseinandersetzungen, und kurz nach Weihnachten gingen Garren und Greer endgültig aufeinander los.

    Greer griff Garren ohne Vorwarnung von hinten an und würgte ihn. Garren parierte den Angriff instinktiv, indem er mit dem Ellenbogen nach hinten stieß und sich drehte, als der Druck auf seinen Hals etwas nachließ. Mit einem Schlag von unten gegen Greers Nase zwang er seinen Bruder ihn loszulassen. Garren konnte die Wut in den Augen seines Bruders lodern sehen. Greer warf sich mit einem Schrei auf Garren und verkrallte sich in dessen Ohren. Mit den Daumen versuchte er die Augäpfel seines Bruders nach innen zu drücken. Garren brüllte und knallte ihm seine Stirn vor die bereits lädierte Nase und wurde seinen Peiniger dadurch los. Greer stand auf und taumelte ein paar Schritte rückwärts an die Wand. Garren dachte, der Kampf wäre damit vorbei. Aber Greer war wie irre. Er griff sich einen Besen, der an die Wand gelehnt stand, und ging neuerlich auf seinen Bruder los. Als Garren gerade schwankend auf die Beine kam, nahm Greer Anlauf, um Garren erneut von den Füßen zu holen. Er schwang den Besenstiel in Kniehöhe. Garren sprang und warf sich gleichzeitig nach hinten. Greer rannte in seine gestreckten Beine und knickte nach vorn ein. Der Besen flog im hohen Bogen davon und traf eine Kopie der römischen Wölfin auf einem kleinen Sockel. Die Skulptur schwankte und fiel zu Boden. Dabei brach einer der Zwillinge ab, die die Wölfin säugte. Er rollte davon und verschwand unter einem Schrank. Greer blieb, um Atem ringend, in Fötushaltung auf dem Boden liegen. Garren stand auf und ging wortlos an Greer vorbei. Greer hörte die Haustür zuschlagen. Er krümmte sich, stand dann unter Schmerzen auf und beugte sich stark nach vorn, um seinen geprellten Bauchbereich zu entlasten. Es war ein kurzer, brutaler Kampf gewesen und Greer bedauerte bereits, ihn begonnen zu haben.

    Garren humpelte den halben Kilometer zum Friedhof. Dort kniete er im Schnee vor dem Grab seiner Eltern. Blut tropfte aus einem Augenwinkel und bildete eine kleine dunkelrote Pfütze im Weiß. Er biss die Kiefer hart aufeinander und versuchte, die Gefühle zu verstehen, die in ihm wüteten. Er wusste, dass er den Kampf provoziert hatte. Er wollte Greer nicht damit verletzen, dass er immer wieder auf den Tod der Eltern hinwies; geschweige denn ihn so in Rage bringen, dass er auf ihn losging. Es war jedes Mal eine Kurzschlussreaktion darauf, dass er selbst mit ihrem Tod nicht zurechtkam. Er war böse auf sich selbst, dass er den Verlust nicht verarbeiten konnte, und er war böse auf Greer, der die Trauerarbeit schneller bewältigte. Er war böse auf seine Eltern, die ihn und seinen Bruder allein gelassen hatten. Er war böse auf die Vorsehung, die ihn seit seiner Zeugung regierte und der er nicht entkommen konnte, ohne seinen Bruder im Stich zu lassen.

    Selbst daran ist gedacht worden. Ein Zwilling als Versicherung, dass keiner aus der Reihe tanzt, dachte Garren bitter, und seine Zähne knirschten.

    Er haderte mit seinem Schicksal, obwohl er genau wusste, sein Leben würde niemals ihm selbst gehören. Er hatte nur die Hoffnung auf eine leihweise Überlassung.

    Garren fegte mit einer Hand den Schnee von der einfachen steinernen Grabplatte seiner Eltern. In deren Mitte befand sich eine in Lapislazuli gefasste, in den Stein eingelassene Metallplatte. Auf ihr stand in geprägter Schreibschrift:

    Unser Schicksal ist die Manifestation unserer Bestimmung auf Erden. (Viktor Adler)

    Offensichtlich war seine ganze Familie mit einem Fluch belegt, der ihr das Recht auf Selbstbestimmung absprach. Er fühlte sich ständig von einem Ziel getrieben, das sich ihm immer kurz vor dem Erreichen entzog.

    Plötzlich spürte Garren eine Hand auf seiner Schulter. Er versteifte sich einen Moment, dann entspannte er sich wieder, als er seinen Bruder erkannte. Er musste sich nicht einmal umdrehen, um zu wissen, dass es Greer war. Nur er konnte sich ihm nähern, ohne dass er es bemerkte.

    »Sie hatten ihren Zweck erfüllt.« Greer drückte Garrens Schulter.

    »Wie kannst du so etwas sagen? Wir hätten ihre Führung noch immer brauchen können. Oder wenigstens ihre Liebe.« Diesmal war es Garren, in dem die Wut hoch kochte.

    »Nein. Sie hätten uns aus Liebe im Weg gestanden. Sie hätten uns schützen und zurückhalten wollen.« Greer klang resigniert.

    »Wovor? Woher willst du das wissen?«, fragte Garren noch immer aufgebracht.

    »Es ist die logische Erklärung für ihren Tod und das Einzige, das es mir erträglich macht.« Greer griff Garrens Schulter fester. »Ich vermisse sie wahnsinnig«

    Garren war überrascht, und plötzlich spürte er eine bekannte Verbindung zu seinem Bruder, die er das ganze letzte Jahr nicht empfunden hatte. Er schloss die Augen und hörte in sich hinein.

    Greer fuhr fort: »Ich war so mit meinem eigenen Schmerz beschäftigt, dass ich nicht bemerkt habe, wie du deine wahren Gefühle verleugnet hast. Es tut mir leid, ich wollte ...«

    Garren hörte den Rest der Entschuldigung nicht mehr.

    »Ich glaube nicht, dass sie tot sind«, unterbrach er seinen Bruder.

    »Wie bitte?« Greers Hand krallte sich schmerzhaft in Garrens Schulter.

    Garren drehte sich halb herum und sah zu seinem Bruder auf. »Ich kann nicht trauern und du kannst es nicht. Ich glaube, sie sind noch am Leben. Unsere Eltern sind nicht tot.«

    »Bist du sicher?« Greers Stimme zitterte.

    Garren nickte. »Wir wussten es beide, die ganze Zeit. Deshalb haben wir ihre Kleider nicht aus den Schränken genommen, um sie der Wohlfahrt zu geben. Und deshalb lassen wir Clara alle zwei Wochen ihre Betten neu beziehen.«

    Greer fiel ebenfalls auf die Knie und seine Tränen mischten sich mit Garrens Blut.

    Nach einer endlos scheinenden Zeit sah Greer auf. Frischer Schnee fiel lautlos auf die Grabplatte.

    »Wer sollte ein Interesse daran haben, unsere Eltern zu entführen, ihren Tod zu fingieren und uns gegeneinander aufzubringen?«, fragte er.

    Garrens Schultern zuckten nach oben. »Ich habe keine Ahnung. Aber sie sind schlau. Es ist ihnen fast gelungen, uns zu entzweien. Sie haben uns geschwächt. Wir werden herausfinden, wer sie sind.«

    »Oh ja, das werden wir«, sagte Greer mit mühsam unterdrückter Wut.

    In derselben Nacht begannen die Träume.

    3

    »Ich habe Mom und Dad im Traum gesehen.« Greer blickte Garren über eine blau angelaufene Nase erwartungsvoll an. Beide lümmelten auf Barhockern vor der Frühstückstheke in der Küche ihrer Villa und aßen Cornflakes, Garren die zuckerüberzogenen, Greer die gesunde Version.

    Garren nickte und zwinkerte seinem Bruder aus leicht zugeschwollenen Augen zu. »Dad hat gefragt, wer wir sind, und wir haben sie um Hilfe gebeten und Mom fragte, wie sie uns helfen sollen.«

    Beide schienen ihre Verletzungen vom Kampf am Vortag nicht weiter zu belasten.

    »Genau!«, sagte Greer erleichtert. »Ich hatte schon Angst, du hättest sie nicht gesehen.«

    »Doch! Erinnerst du dich noch an die Albträume, die wir als Zwölfjährige hatten?«, fragte Garren.

    »Du meinst die, in der wir Mom und Dad sagten, dass wir jetzt für sie übernehmen und allein zurechtkommen?«, stellte Greer eine Gegenfrage. »Die, mit denen

    wir nichts anfangen konnten und die unsere Eltern total aus der Fassung gebracht haben?«

    »Eben diese! Ich glaube, jetzt ist es soweit. Jetzt erfahren wir, warum wir sind, wer und wie wir sind.« Garren nickte seinem Bruder zu.

    »Hey, das sind doch mal gute Nachrichten, oder?«, fragte Greer.

    »Erinnerst du dich auch, wann Mom und Dad angefangen haben, uns diese lächerlichen Science-Fiction Gute-Nacht-Geschichten zu erzählen?«, fragte Garren.

    Greer antwortete: »Das muss um etwa die gleiche Zeit gewesen sein, denke ich. Ich dachte, Mom täte das, um endlich von den peinlichen Kindermärchen wegzukommen.«

    Garren lachte: »Ja, die selbst erfundenen Geschichten über Captain James T. Kirk und Lieutenant Uhura von der Enterprise. Sie haben tatsächlich geglaubt, es würde uns nicht auffallen, dass es immer um den smarten weißen Mann und die sexy schwarze Frau ging, die gemeinsam Abenteuer bestehen.«

    Greer kicherte ebenfalls. »Die Storys waren haarsträubend! Ich habe irgendwann später mal nachgeforscht und festgestellt, dass die Besatzung des Raumschiffs in der Enterprise Serie aus den Sechziger- und Siebzigerjahren aus einer ganzen Crew von Leuten bestand. Ich erinnere mich nur noch an einen Außerirdischen namens Spock, aber es waren mindestens fünf oder sechs. Und Uhura war eigentlich nur die Nachrichtenoffizierin und hatte mit den ganzen Ausflügen auf fremde Planeten gar nichts zu tun.«

    »Mom und Dad haben sich eben ihre eigenen Geschichten zusammengesponnen, und sie selbst waren die Helden«, sagte Garren. »Irgendwie habe ich das Gefühl, dass sie dafür einen Grund hatten.«

    »Ich fand die Kirk-Uhura Storys immer ganz spannend. Hast du dich auch gefragt, warum sie immer nur auf den Planeten unseres Sonnensystems spielten?«, fragte Greer.

    »Dir ist das auch aufgefallen, hmm?« Garren schüttelte mit dem Kopf. »Keine Ahnung!«

    Greer lächelte Garren an. »Und was sagte Mom immer, bevor sie das Licht ausmachte?« Garren fiel mit ein und gemeinsam sagten sie laut: »Greift nach den Sternen, Jungs!« Beide lachten.

    »Das haben die zwei tatsächlich durchgezogen, bis wir fünfzehn waren, ist das zu fassen?« Garren schüttelte wieder den Kopf.

    »Und das Mobile, das Dad dann nur unter Protesten von unserer Zimmerdecke abgenommen hat. Das Ding hängt noch immer in der Bibliothek, gleich neben seiner Science-Fiction-Sammlung.« Greer blickte in gespielter Entrüstung an die Decke.

    Garren setzte sich auf.

    »Was ist?«, fragte Greer.

    »Ich bin mir nicht sicher, aber ich glaube, wir sollten das Mobile genauer betrachten«, antwortete Garren.

    »Es baumelte fünfzehn Jahre über unseren Köpfen! Warum willst du ...?« Greer guckte skeptisch.

    »Greif nach den Sternen!« Garren stieg von seinem Hocker und lief quer durch die Villa in Richtung Bibliothek.

    Mit einem Seufzer ließ auch Greer seinen Löffel sinken und folgte seinem Bruder.

    In der Bibliothek standen Garren und Greer eine Weile still und sahen nach oben. Das Mobile hing bewegungslos und verstaubt da. Ein Modell des ersten Raumschiffs Enterprise mit seinem großen, untertassenförmigen Vorderteil und dem Rumpf mit den beiden kleinen, an Zigarren erinnernden Hinterteilen. Es schwebte in der Mitte und wurde von den neun Planeten umringt.

    »Warum hängt das Raumschiff in der Mitte? Da sollte die Sonne sein«, sagte Greer.

    »Mom und Dad waren bekennende Trekkies, aber du hast Recht: Normalerweise haben sie versucht, uns keine falsche Vorstellung zu vermitteln«, meinte Garren.

    »Besonders Dad. Weißt du noch, sein Standardspruch über das Sonnensystem: ‚Mein Vater erklärt mir jeden Samstag unsere neun Planeten’, um uns die Reihenfolge der Planeten einzubläuen?«, erinnerte sich Greer.

    »Ich schwöre dir, das hängt alles irgendwie zusammen: Die erfundenen Enterprise-Abenteuer, der Gute-Nacht-Wunsch, das Mobile, der Spruch als Eselsbrücke und Mom und Dads Verschwinden.« Garren ging auf die hölzerne Büchertreppe zu, die sich auf Rollen vor den maßgefertigten Nussbaumregalen hin- und herschieben ließ. Er bewegte sie unter das Mobile und kletterte hinauf, nahm das Gewirr aus Fäden und Objekten von seinem Haken und reichte es seinem Bruder hinunter.

    »Ganz schön schwer!«, bemerkte Greer, als er Garren seine Last abnahm. Er setzte das Mobile vorsichtig auf dem Perserteppich in der Mitte des Bodens ab. Die Enterprise klimperte metallen und kippte auf die Seite.

    »Und jetzt?«, fragte Greer.

    »Gute Frage. Wie wäre es, wenn du zur Abwechslung mal eine Eingebung hättest?« Garren kam die Stufen herunter und hockte sich mit seinem Bruder vor das alte Kinderzimmerutensil.

    »Na schön. Hol mir einen Hammer.« Greer guckte Garren grinsend an.

    Garren zog die Augenbrauen nach oben, ging dann aber wortlos in die Küche.

    Greer hörte ihn am anderen Ende des Hauses allerlei Schubladen aufziehen und darin herumwühlen. Nach ein paar Minuten kehrte er mit einem alten Fleischklopfer zurück.

    »Was Besseres konnte ich auf die Schnelle nicht finden«, entschuldigte er sich und reichte Greer das hammerähnliche Küchenwerkzeug.

    »Das tut’s schon!«, erwiderte Greer und schlug ohne Vorwarnung auf den Saturn.

    Das Pappmaschee dellte ein und riss. Der Planet sah aus wie eine zerquetschte Orange mit aufgeplatzter Schale. Zeitungspapier schaute aus dem Riss hervor. Garren griff sich den Saturn und steckte die Daumen in die entstandene Öffnung, dann zog er die Pappkugel auseinander. Ein unförmiges Paket aus Zeitungspapier fiel heraus.

    »Da ist irgendetwas drin!« Garren wurde aufgeregt. Mit fliegenden Fingern wickelte er die Zeitung auseinander. Im Innern lag ein kleines Samtsäckchen mit Zugband. Garren entknotete das Band und schüttete sich den Inhalt auf die

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