Klagenfurt - es reicht! Celovec - Dost nam je!: Kärntner Autoreninnen und Autoren schreiben über die Landeshauptstadt
By Drava Verlag
()
About this ebook
Manchen genügt es. So wie Klagenfurt sich zeigt.
Es reicht! – Dost nam je!
Andere haben genug von diesem langsamen Siechtum in gepriesener Schönheit.
Kennt man in Kärnten die Wut? Gibt es so etwas wie enttäuschte Aggression, die sich nicht gegen sich selbst richtet, sondern nach den Ursachen greift und auch bei der Beseitigung derselben Hand anlegt?
In Kärnten wurde das Schweigen zwar nicht erfunden, aber zumindest auf hohem Niveau kultiviert. Schweigen, um niemandem zu schaden, schweigen, um sich selbst nicht zu verunsichern, schweigen, um nicht einen Schlussstrich ziehen zu müssen. Schweigen, um in Ruhe gelassen zu werden.
Schweigen brechen. Autorinnen und Autoren, die in Kärnten geboren sind, verschiedenste Erfahrungen mit Kärnten gemacht haben, vermittels Kärntner gemacht haben, die geblieben sind, die fortgegangen sind, die hierhergekommen und geblieben sind, schreiben über Klagenfurt / Celovec.
Es ist uns die Beschäftigung mit der Landeshauptstadt, die für viele noch immer ihre Landeshauptstadt ist und die ein neues Leitbild sucht, ein Anliegen. Schreibend gestalten Autoren mit, mit Argumenten, kreativen Anregungen, im Zorn oder im Versöhnungsmodus.
Related to Klagenfurt - es reicht! Celovec - Dost nam je!
Related ebooks
Nord & Süd 2012: Leben, Arbeit, Wirtschaft in Südtirol Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsBewegt: Kurzgeschichten Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsMetamorphose: Die tödliche Entschlossenheit zu leben Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsMERGAT: Ein Weg ins glückende Sein Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsZWOELF: Gedichte im Gras, am Himmel, unter der Sonne und im Schnee Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsVor der Baumschattenwand nachts: Zeichen und Anflüge von der Peripherie 2007-2015 Rating: 5 out of 5 stars5/5Der Welt einen Stiefel: Begegnungen in Italien Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsAm Mittag döst die Sonne in den Kuhlen: Gedichte über Dorf und Stadt, über Nähe und Ferne Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsUnsere Stahl- und Seidenhände: Gedichte über Liebe und Befreiung Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsMed ana schwoazzn dintn Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsEine halbe Frau?: Gedichte hinter dem Fragezeichen Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsNicht-Ganz-Dichtkunst: Komische Lyrik Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsWenn man vom Teufel spricht: 200 Zeitgeschichten Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsKater-Strophen: (Bild)Gedichte, Miniaturen, Bonmots Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsDer glücklose Schlafwandler Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsMigration erzählen: Studien zur »Chamisso-Literatur« deutsch-ungarischer Autorinnen der Gegenwart Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsSpaghettifresser, oder: Migranten im Gehege der Duldung: Essay Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsTEXT+KRITIK 210: Jan Wagner Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsVorsicht Lyrik!!! - Lesen auf eigene Gefahr!: Gedichte aus allen Lebenslagen Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsEin poetischer Beitrag: Gedichte Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsJerusalem-Köln: Süden über meinem Buch Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsSatyrn, Götzen und Trabanten: Verssatiren am Scheideweg Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsSEWASTOPOLOGIA Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsWenn Erdbeerjoghurt auf Asphalt trifft: Über Irrtümer und ihre Geschichten Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsSchattenhänge und der verlorene Schlüssel: Gedanken, Fragen, Reflexionen Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsunterwegs sein: Lyrik vom Barock bis zur Gegenwart. Erweiterungsband für den Leistungskurs Deutsch Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsEin poetischer Beitrag Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsVerdichtetes: Gehörgang gefüllt mit Watte aus Eis Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsBerlin — Panorama einer Weltstadt Rating: 0 out of 5 stars0 ratings
Reviews for Klagenfurt - es reicht! Celovec - Dost nam je!
0 ratings0 reviews
Book preview
Klagenfurt - es reicht! Celovec - Dost nam je! - Drava Verlag
2016
Mimi Wulfend Superstar
von Miriam Auer
Ich bin dann mal weg, sagt die Wulfenia. Und ehe man sich versät … Und ehe man sich versieht, hat Flora uns hier verlassen. Zur Tour um den Globus. Sie weiß nicht, ob sie zurückgeweht werden will. Ich bin dann mal ich, sagt eine menschliche Mimose von hier, aus dem Bundesland mit dem Umlaut, der nicht von einem -österreich im Suffix herrührt. Vielleicht sagt man bei uns deshalb so gerne Äh, auf vielerlei Art und Weise. Äh ja, ich komme aus Kärnten. Das Äh laut und schuldbewusst. Kärnten flüsterleise. Wie in einem erzwungenen Geständnis.
Wenn man gesehen werden will, kann man eigentlich nur in die Landeshauptstadt gehen, denken viele. Klagenfurt, Gegenstand uninspirierter Wortspiele. Bachmann, Lavant, Musil – und die grandiosen lebendigen Künstlerinnen und Künstler, von denen man zu wenig spricht, sieht und hört. Schlachthofskandal, nicht überraschend für die mit Gefühl. Die namenlosen Geister in der Maschinerie, die man gerne verschweigt. Klagenfurt: erzählt vom Blut und von der Pleite. Aber auch von der Uni, dem See, der Kultur. Von denen, die niemals aufgeben. Die im Stadtgarten ackern und alles beleben, begrünen, in Wirklichkeit und im übertragenen Sinn. Ja, diese Hauptstadt. Der millionste Mensch. Alle kennen seinen Namen. Noch macht es ihm nichts aus. Seltsam vermenschlicht hier also: das Heute, der Schatten. In die Hauptstadt gehen, wo die Million schon wartet. Von Menschen, nicht Moneten.
Wie es der Zufall will – jemand lacht im Off –, haben wir sie hier in Klagenfurt. Die Madame, die Menschmimose mit Wulfeniaflora vereint: Mimi Wulfend. Schweigen aus dem Off, dem offenen Vollzug. Ihr werdet sie noch kennenlernen! Raunen geht durch das Off. Durch den Off. Kyrill Raunen sitzt schon eine Weile in Klagenfurt im Gefängnis. Mimi Wulfend kennt sich mit Justizanstalten nicht aus, dafür aber mit Kleinanzeigen. Sie sucht einen Lebensmenschen, der idealerweise auch ein Gutmensch ist. Negative Besetzungen von Wörtern kümmern sie wenig. Mimi schreibt: Menschen- und Tierrechtsaktivistin sucht Umweltschützer, der sie zum gewaltlosen Kampf gegen grausame Zustände in Österreichs Schlachthöfen begleitet und dann mit ihr gegen Großkonzerne angeht, die Menschen in Entwicklungsländern alles nehmen. Sucht Idealisten. Sucht Liebe, einfach nur Liebe. Die große, die kleine, ganz egal.
Wenige antworten, weil sie nicht als Gutmenschen exponiert werden wollen. Mimi versteht die Welt nicht mehr so ganz. Was ist aus den guten Ideen geworden, aus den
mutigen Veränderern? Trotzdem muss es weitergehen. Als sie nach einem Tag, an dem sie auf zwei Demonstrationen im strömenden Regen gewesen ist, mit dem aufgeweichten Pappschild Leben und leben lassen! in ihre Einzimmerwohnung in Bahnhofsnähe zurückkommt und versucht, das Theaterblut abzuwaschen, mit dem sie in einer schlecht besuchten Performance vor dem Klagenfurter Schlachthof auf Tierschicksale aufmerksam hat machen wollen, findet sie dann doch einen Brief vor der Tür. Aktionskunst und Kärnten: kein Paar mit Zukunft. Aber vielleicht Mimi und Kyrill, Wulfend und Raunen. Das klingt super, denkt sich Mimi.
Mimi Wulfends Brieffreundschaft mit Kyrill Raunen geht in die vollen, in die vollen krakeligen Handschriftseiten, aber nicht in die Knie. Doch mitten ins Herz. Sie besucht ihn, sie verlieben sich. Sie fragt nicht danach, was er getan hat. Mimi findet die Frau, die an ihr die Sicherheitskontrolle beim ersten Besuch durchgeführt hat, wunderschön. Sie findet das Leben wunderschön. Und Mimi findet Kyrill wunderschön. Er hat ja nur irgendwelche Landesgelder jongliert, sagt man. Mimi mag das Jonglieren. Das Werfen von Bällen erinnert sie an Planeten im Universum, daran, wie klein wir sind. Und wie gut das Leben sein kann, wenn man es sich schön macht. Sie ist eine Blauäugige. Die Wulfend liebt die Menschen auf der Welt, liebt die Tiere, auch, wenn ihr alle irgendwann ins Herz latschen. Heute: Der Raunen nennt sie mein Sternchen. Morgen: Der Raunen verlässt sie für eine reiche Erbin mit Wörtherseegrundstück, die seine selbstgestochenen Tattoos anregend findet.
Mimi Wulfend sitzt im Planetarium. Allein, aber nicht vereinsamt. Irgendjemand wird schon kommen. Sie singt Zeilen von David Bowie: There’s a starman waiting in the sky. He’d like to come and meet us. Während eine Supernova im Kuppelkino wütet, ist Mimi dann doch froh, in Klagenfurt zu sein, auch, wenn sie mittlerweile manche hier zum Mond schießen möchte. Sie macht es aber nicht. Ebenso wenig wie Kyrill Raunen je einen Stern nach ihr benannt hätte. Wås kümmern mi die Sternlan … Doch Mimi wulft einfach weiter wie bisher: Mimi Wulfend Superstar. Bewahrt sich süße Hoffnungsreste. Die sind haltbar wie zuckrige Brötchen der Fastfood-Ketten. Man darf sie nur nicht einfach wegschmeißen. Das ist Hoffnung, die geht noch …
Auch die Wulfenia kann bleiben, wächst gut auf Kompost. Sie wächst gut auf Asche. Sie hat keinen Grund und Boden, um zu gehen. Man kann es sich auch richten. Man kann an und in vielem wachsen. Man kann versuchen, großartig zu werden, aber auch großmütig. Wie Björk schon gesungen hat: All is full of love. Ein Leben in Perfektion, das würden wir wohl kaum bemerken, uns nicht darin spüren. Ein Leben in Kärnten, das fühlt sich sehr nach Menschsein an.
Problembären, einsame Wölfe und Luchse, gefangene Jongleure und gefallene Sternchen, Freiheit und Blattlaus: Wenn in Kärnten, dann sind sie alle für die meisten zu klein, zu weit weg, um sie leben zu sehen. Bär, Wolf und Luchs werden in die Hauptstadt gehen müssen. Sich neben den Lindwurm stellen. Darauf warten, Sagengestalten zu werden. Es wird dauern. Aber vielleicht gar nicht allzu lange. Derweil versteinern sie. Wer sich als Schlächter neben sie gesellt, neben ihnen sedimentiert, das kann man noch nicht sagen. Doch wenn man nicht die liebste Mimi Wulfend ist, hat man Ahnungen.
Wir müssen etwas gegen die Versteinerung tun. Zuhause ist, wo das Herz ist, nicht aus Stein ist. Alter Platz. Neue Liebe. Und ålles is voll Gfühl …
tango tanzt
von Delphine Blumenfeld
(… frei flottierende angst und räume…)
eine frei schwimmende flotte
widersprüchlichster gefühle
schiffte sich aufgewühlt
durch das flottengesichtige lachen
von frau kapitänswitwe,
die langsam auf grund sank
und allmählich am grund ihrer schapsflasche ersoff.
wenigstens für diese nacht.
und die folgende und …
schnapsflasche schüttelte sich ab
und trieb als flaschenpost davon –
mit kapitänswitwe als altem segelschiff
(und ihren 6 oder 18 vergrundelten masten).
madame pompadour bäcker-mistlacke
und sonst noch sachen,
wärmten sich an blechtonne mit feuer,
am straßenrand,
mit zerlumptem gesicht.
hugo flottenschneider ist auch da,
und schneidet sich ein stück speck
aus der rippe
und reicht es weiter.
madame pompadour bäcker-mistlacke
wischt sich die fettigen finger
ins kreuz,
in das am rücken,
und in jenes, welches an schwerer blechkette
zwischen ihren ausgemergelten brüsten baumelt.
sie lächelt.
kleines lächeln verläßt wie eine
motte ihr gesicht
und läßt sich an hugo flottenschneiders
zerbeulter schulter nieder,
flattert ihm ein stück dankbarkeit
mit zärtlichen flügelschlägen ins ohr.
irgendwo summt eine fliege
(die eine träne ist,
aus hugos vermotteter herzkammer).
fliege verbrennt im heißen gesicht
von lampe.
lampe ist fiebergesicht
von frau kapitänswitwes
gestrandeten hoffnungen –
die hoffnungsvoll
in einem eimer randvoll
mit schnaps ersoffen.
beinahe hundert jahre nach kapitäns
großer seenot
an einer bunten küste,
vor der er mit frachtschiff ersoff.
nichts kann ihm mehr etwas anhaben.
nichts kann geschehen.
kapitänswitwe schläft blubbernd
und eingerollt hinter der tonne.
II
akkordeonklänge.
bordermaus kommt um die ecke
des zerfallenden gebäudes geschlurft
und spielt in pantoffeln ihr lied.
ein lied aus dem tangvögel fliegen.
es schneit federn,
rote flamingos, kormorane,
sturmvögel, wildenten, mantelrochen
und nachtvögel.
bordermaus lehnt am hauseck und spielt.
vogelschwärme ziehen über die dächer,
tauchen in den verlotterten straßen
und wirbeln papiermüll auf.
sie spielt immer dasselbe.
anderes kennt sie nicht.
kapitänswitwe ist am grund
ihrer schnapsflasche angekommen,
schnarcht schnapswolken
und einen besoffenen wolkenhund.
bordermaus spielt,
eingehüllt in einen fliegermantel
aus dem letzten, oder zukünftigen Weltkrieg.
im flattern erwacht tango.
klettert aus ihrem lied.
er zerrt madame pompadour bäcker-mistlacke
und hugo flottenschneider
aus ihrem hocken und kauern,
in dem sie fast erstarrt wären, vor kälte.
blechtonnes feuer
ist in sich zusammengesunken,
unter ganz warmer asche.
bordermaus’s lied ist fast zu ende.
sie spielt es von neuem
und von hinten nach vorn,
dass sich ihre vogelschwärme
darin überschlagen,
spiegeln,
und draußen von den wänden purzeln,
die häuser entlang.
durch stahlbetonbauten
und kaputte fenster.
III
dahinter höfe mit katzenpisse
und glumpert,
und leergeschleckten ranzigen töpfen,
in denen streunende ratte
welken flieder, schuhsohle,
knochen mit glasmurmeln und warzenkraut kocht,
für ihre kinder,
die hungrig im bett liegen und heulen.
ratte kocht.
kocht steine und steinsuppe.
derweil wärmt straßenköter die kleinen
in seinem löchrigen fell.
mit trockener zunge
bellt er ihnen raue geschichten,
vom mond und zelt
und hühnerhöfen
und …
jetzt träumt der alte knochen ihnen
straßenköterträume,
die nach menschenbeinen, -fleisch
und trauben riechen.
bordermaus spielt:
ratte, berg, spinne, straßenköter,
mond,
ein zelt mit sternen.
eine gelbe leiter mit graffitis:
bin tot – auferstehung vielleicht morgen!
spielt einen müdgelaufenen
zerrauften alten tango.
tango tanzt,
dass papierfetzen und wollratten
neben und aus den tonnen und Containern
schneien, fliegen, steigen,
in sturmböe,
die ein buch daraus entblättert.
sturmböe liest
seite für seite:
papierflügel
und riesenwollmäuse
in tangos schultern.
bis er aussieht, wie ein zerfledderter engel.
an tangos schmutzigen pfoten,
tanzen madame pompadour bäcker-mistlacke
und hugo flottenschneider,
strudeln und wirbeln
leicht mit den mausefüßchen,
randvoll mit wilder Zärtlichkeit –
in ihren lumpen,
mit den milchbärten,
im kalten tabak,
der flockig
vor ihren gesichtern hängt.
kapitänswitwes schnarchen rüsselt