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SchwammerlRisotto
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SchwammerlRisotto

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About this ebook

In einem Baustofflager findet man einen schwerverletzten kleinen Buben, der Junge könnte im Zusammenhang mit den Verbrechen an zwei weiteren Kindern stehen. Für die Regensburger Kommissare Weinzierl und Oberhauser ein besonderer Fall, der an die Substanz geht. - Dann sterben zwei Frauen nach einer Geburtstagsfeier, ursächlich war offenbar der Genuss eines Pilzgerichtes. Der Fall erscheint zunächst einfach, doch dann tun sich unerwartet Abgründe auf.
LanguageDeutsch
Release dateMar 31, 2014
ISBN9783954520305
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    SchwammerlRisotto - Pia Roth

    20

    Kapitel 1

    Hauptkommissar Kurt Weinzierl von der Kriminalpolizei Regensburg stand wie festgefroren an seinem Schreibtisch, den Telefonhörer am Ohr und starrte auf seinen Kollegen, der ihm gegenübersaß und ihn aufgeschreckt ansah.

    Weinzierl rief: »Wir kommen sofort! Lasst in der Zwischenzeit niemand an den Buben! Wir sind schon unterwegs.« Er riss sich aus der Erstarrung und warf den Hörer zurück Richtung Telefon, das er jedoch verfehlte. Und zum Kollegen Oberhauser: »Komm, jetzt pressierts! Wir müssen nach Hofdorf zu meine Hausleut.«

    Bei diesen Worten war er bereits an der Tür und stürmte hinaus. Kollege Benedikt Oberhauser, genannt Hausl, eilte reichlich verdutzt hinterher, vergaß ungeachtet des erkältungsschwangeren Monats September seine Strickjacke und würde gewiss eine Erkältung riskieren. Beide rannten die Treppe hinunter zum Parkplatz. Weinzierl warf seinem Kollegen die Autoschlüssel zu und rief: »Fahr du, ich muss telefonieren.«

    Hausl tat wie ihm befohlen, fragte aber mehr ungehalten als verdutzt: »Darf ich jetzt vielleicht einmal erfahren, was eigentlich los ist?«

    Weinzierl, der bereits sein Handy am Ohr hatte, sagte nur kurz: »Gleich, jetzt muss ich erst noch die Hilde Wichmann anrufen und den Anton, die Beiden brauchen wir.«

    Oberhauser grunzte und fuhr auf den Zubringer zur Autobahn, während er überlegte, was Kurt wohl so aus der Fassung gebracht hatte. Harmlos war es sicher nicht. Vielleicht konnte er dem Telefonat schon einiges entnehmen und horchte gespannt.

    »Hilde, Servus, da ist der Kurt. Meine Vermieter in Hofdorf haben in ihrem Baustofflager einen Buben gefunden,… Was? Nein, er lebt, Gott sei Dank. Aber es könnte trotzdem sein, dass er zu den anderen beiden Kindern gehört, die man gefunden hat. Du bist im Bilde? Gut, dann komm bitte gleich nach Hofdorf, bring deine Utensilien mit, vielleicht gibt es ja diesmal verwertbare Spuren. Den Späth Anton ruf ich gleich noch an, der soll unbedingt auch kommen. Wir könnten ja Glück haben, oder? Die Adresse kennst? Gut. Dann bis gleich.«

    Oberhauser sah zu Kurt: »Sag bloß, schon wieder ein Kind! Hört denn das nicht mehr auf? Und du sagst, der Bub lebt?«

    »Ja, der Helmut hat angerufen. In seinem Lager hat der Bub gekauert, versteckt, aber er hat das Wimmern gehört, ihn gefunden, hinter Stahlmatten versteckt, und hat ihn mit ins Haus genommen. Der Bub jammert anscheinend auf tschechisch. Aber zum Glück kann der Helmut die Sprache, na ja, mehr oder weniger. Er hat aber nichts aus ihm rausbekommen. Ich hab gesagt, sie sollen ihn so lassen, wie er ist. Hast ja gehört, dass ihn die Hilde anschauen soll. Vielleicht kriegen wir diesmal eine Spur.«

    »Und du glaubst, er gehört zu den beiden Kindern, die gefunden wurden?"

    »Sicher bin ich nicht, nur hoffen tät ich es; dann hätten wir vielleicht endlich einen Anhaltspunkt. Jetzt ruf ich beim Anton an.«

    Wieder tippte er eine Nummer ein, wartete kurz, dann: »Späth, Gerichtsmedizin, was gibt’s?« Wie immer klang es leicht polternd und etwas ungehalten, wer es denn wagen würde, zu stören. Der Anton war ein mürrischer Mensch, wenn es sich nicht um sein Lieblingsthema, die Politik, handelte. Da taute er auf und wurde redselig, wie kaum ein anderer und nicht immer zur Freude seiner Zuhörer.

    »Anton, Servus, ich bin’s, da Kurt. Wir brauchen dich dringend in Hofdorf. Meine Hausleut haben einen kleinen Buben auf ihrem Grundstück gefunden, total durcheinander und wahrscheinlich auch verletzt. Jetzt nehme ich an, dass er zu den beiden anderen Kindern gehören könnte. Was? Nein, diesmal lebt das Kind. Das wär natürlich für uns ein saumäßiges Glück, wenn das zusammenhängen würde. Ich möchte, dass du ihn untersuchst; du hast die beiden toten Kinder untersucht, weißt um ihre Verletzungen und könntest sicher gleich sagen, ob da ein Zusammenhang besteht. Was? Ja, viel Arbeit haben wir auch. Aber deine Kundschaft läuft dir nicht weg. Bei uns ist das leider anders. Also Anton, ich verlass mich auf dich, bis gleich.«

    »So!« Kurt warf das Handy achtlos in die Mittelkonsole, lehnte sich zurück und bedeckte mit beiden Händen sein Gesicht. Oberhauser hörte ihn leise stöhnen. »Kreuzkruzifix!«, rief Weinzierl plötzlich, die Fäuste auf die Schenkel schlagend, »hört denn diese Sauerei nimmer auf?«

    »Und du meinst, dass das zusammenhängt? Die beiden anderen Kinder haben wir tot gefunden. Du denkst, wegen der Verbindung zu Tschechien könnten die Fälle zusammenhängen?«

    »Die Kleidung der beiden toten Kinder war aus Tschechien; das sagt noch nicht allzu viel, aber wenn dieser Bub tschechisch spricht, kann man es doch wenigstens ins Kalkül ziehen, oder?«

    »Ja, schon.« Oberhauser dachte an seine Enkel, Walter und Benjamin. Unvorstellbar, dass in seiner Familie so was passieren könnte. Er würde es nicht durchstehen. Nie würde er das aushalten. Mit so was könnte kein Mensch je fertig werden. Er dachte an die beiden kleinen Leichen, die gefunden worden waren, erst vor ein paar Wochen bzw. Monaten. Sie schätzten die aufgefundenen Kinder auf sieben bis acht Jahre; ein Bub und ein Mädchen. Erst das Mädchen im Altwasser an der Donau und dann den Buben auf dem Autobahnparkplatz bei Wörth. Beide Kinder waren eindeutig brutal sexuell missbraucht worden, betäubt und ausgeweidet. Er sah den kleinen Kerl vor sich, als wäre es erst gestern gewesen. Er lag hinter Büschen, uneinsehbar vom Parkplatz, war mit altem Papier und Unrat, wie er so auf Autobahnparkplätzen zu finden ist, bedeckt; war mit Hämatomen übersät; überall am kleinen Körper klebte vertrocknetes Blut. Und dann diese klaffenden Wunden. Man hatte dem Kind die Nieren entnommen, sich aber nicht mehr die Mühe gemacht, die Schnitte wieder zu schließen. Man hatte das Kerlchen einfach entsorgt. Oberhauser kämpfte auch jetzt mit der aufsteigenden Übelkeit, wie jedes Mal, wenn sich dieser Anblick in sein Bewusstsein drängte. Und nun der Bub bei den Reindls. Wer macht so was, wer bringt das fertig? Das Mädchen, das im Altwasser gefunden worden war, hatte er Gott sei Dank nicht sehen müssen. Er lag zu der Zeit mit Grippe im Bett und der Anblick war ihm erspart geblieben. Nur die Berichte aus der Gerichtsmedizin hatte er gesehen. Schrecklich genug. Keines der beiden tot aufgefundenen Kinder war als vermisst gemeldet worden. Das machte die Sache in seinen Augen noch um einiges entsetzlicher. Und unendlich traurig. Sie lagen begraben ohne Namen, kein Alter, keine Herkunft. Er wischte sich mit der Hand über die Augen.

    Sie fuhren bei Wörth von der Autobahn. Beide schwiegen; sie dachten, was wohl in Hofdorf ihrer harren würde.

    Hannelore Reindl erwartete sie bereits auf dem Firmenparkplatz; hin- und herlaufend, fuchtelnd, offensichtlich in Selbstgespräche verwickelt. Als beide aus dem Auto stiegen, rief sie: »Mei, da seids ja endlich. Oh, mein Gott, was hat man denn mit dem Buben gemacht? O mei, o mei!«

    »Hannelore, reiß Dich jetzt bittschön zamm, du musst uns helfen. Besorg bitte ein frisches Gewand für den Buben, ist wurscht woher; aber halt den Mund, lüg irgendwas zusammen, für was du die Sachen brauchst. Es soll vorerst keiner was erfahren. Sein Zeug wird die Spurensicherung mitnehmen müssen. Ist der Helmut mit dem Buben in eurer Wohnung oder im Büro?«

    Weinzierl wollte die Frau erst einmal aus dem Weg haben, sie war dermaßen durcheinander, dass es wenig hilfreich wäre, sie jetzt dabei zu haben. Zudem wurde die Kleidung für das Kind tatsächlich benötigt.

    Sie sagte nur: »Ja, im Büro. Und jetzt besorg ich das Gwand für das Kind. Und dann koch ich uns einen Kaffee.« Weinzierl wusste, Kaffee war das Allheilmittel von Hannelore Reindl. Oft mit Kuchen. Sie eilte davon.

    Weinzierl und Oberhauser betraten das Büro. Hinter einem Schreibtisch, übersäht mit Ordnern und Papieren, stand ein riesiger Drehstuhl aus schwarzem Leder, der beim Eintreten der beiden Beamten aber nur zum Teil sichtbar war. Helmut Reindl, der Figur nach Besitzer des Stuhls, saß davor auf der Schreibtischkante und redete leise zu dem schwarzen Ungetüm. Oberhauser bedeutete Kurt, an der Tür stehen zu bleiben, und ging allein um den Schreibtisch herum. Weinzierl verstand und wartete.

    Oberhauser, geschult durch seine Enkel, sagte zu dem im Stuhl verloren kauernden Buben: »Hey!«, mit der Hand zum Gruß wie ein Indianer, lehnte er sich neben Reindl an den Schreibtisch. Leise fragte er: »Hast schon was aus ihm raus gebracht, Helmut?«

    »Bis jetzt nur, dass er Pawel heißt und friert. Ich wollt ihn aber noch nicht in eine Decke wickeln, damit ich keine Spuren versau. Und ich will ihn auch nicht bedrängen, er tut mir so leid! Ich möchte ihn in den Arm nehmen und festhalten. Aber wegen eurer Spuren hab ich’s nicht gemacht. Glaubst Hausl, weinen könnt ich. Woher kommt das Kerlchen und was hat man mit ihm gemacht? Meinst, dass das mit den anderen Kindern zusammenhängt, die man gefunden hat?« Oberhauser zuckte mit der Schulter. Der Bub kauerte in dem großen Stuhl, bibberte, ob durch Frieren oder wegen des Erlebten, war nicht zu erkennen. Das Kind hielt die Augen geschlossen.

    Die Tür ging auf und Hilde Wichmann polterte mit einem Koffer und einer schweren Tasche beladen herein.

    »Scht, du..«, zischte Weinzierl, den Trampel verschluckte er, es wäre ungerecht gewesen, und deutete in Richtung der Männer, »dass er nicht noch mehr Angst kriegt.«

    Hilde Wichmann stellte Tasche und Koffer auf den Boden und ging ebenfalls um den Schreibtisch.

    »Grüß dich Hilde.« Oberhauser gab ihr die Hand. »Das ist der Helmut, er hat ihn gefunden, und das ist der Pawel.« Hilde nickte dem Kleinen lächelnd zu und gab Reindl die Hand.

    »Wir kennen uns. Servus Helmut.«

    »Der Kleine spricht tschechisch. Er sagt aber nix«, meinte Oberhauser zu Hilde gewandt. Weinzierl war nun ebenfalls an den Schreibtisch getreten, hielt sich aber etwas im Hintergrund.

    »Ihr habt gesagt, der Anton kommt. Da wart ich, bis er da ist. Habt ihr eine Heizsonne oder irgendwas, was den Kleinen wärmen könnte?« Hilde sah sich fragend um. Helmut sagte: »Im Bad haben wir es sehr warm. Darauf besteht die Hannelore. Vielleicht könnte man den Buben da untersuchen.« Hilde nickte.

    Ein alter VW fuhr auf den Firmenparkplatz. Aus ihm stieg der Anton. Doktor Anton Späth, Pathologe, Gerichtsmediziner in Regensburg, verhinderter Politiker, ewiger Grantler und außerordentlich gut in seinem Metier. Er gehörte zu der seltenen Spezies, die Leichen interessanter fand als Lebende, Politiker ausgenommen. Er holte vom Rücksitz seine Tasche und trabte zum Eingang vom Büro. Angesichts der Erfahrung, die Weinzierl mit Hilde Wichmanns lautem Eintreten gemacht hatte, hielt er die Tür auf. Anton polterte herein. Das Türaufhalten hätte sich Kurt sparen können.

    Anton warf seine Tasche auf den schon überladenen Schreibtisch, grüßte kurz in die Runde und rief: »Wo können wir die Untersuchung durchführen, ich habe wenig Zeit?«

    »Im Bad ist es am wärmsten«, wagte Reindl zu sagen.

    Doktor Anton Späth war ein Mann von mittlerer Statur und schütterem Haar. Die Schönheit hatte ihn wohl nie geschmerzt. Doch was an Aussehen fehlte, machte er mit seinem Auftreten wieder wett. Anton strahlte Autorität aus. Bei einigen war er gefürchtet. Nicht jeder wagte es, ihm zu widersprechen. Anton konnte als Unikat bezeichnet werden. Und, um ehrlich zu sein, es ist gut, dass er einmalig ist. Mehr von Seinesgleichen wären schwer zu ertragen.

    »Gut, dann gehn wir halt ins Bad, in Gottes Namen«, grunzte er in Richtung Gerhard.

    »Ja mei«, warf Weinzierl ein »einen Seziertisch haben wir hier keinen, leider. Aber hätten wir gewusst, dass du….«

    Anton warf ihm einen finsteren Blick zu und Kurt verschluckte den Rest, der ihm auf der Zunge lag.

    »Gehn wir halt ins Bad. Hilde komm!«, bestimmte Anton. Worauf die ansonsten sehr resolute Hilde ihre Tasche und den Koffer aufnahm und hinter dem Pathologen hertrottete.

    Helmut Reindl ging mit dem kleinen, leise wimmernden Pawel auf dem Arm voran.

    Die beiden allein Zurückgelassenen versuchten ihre gewonnenen Eindrücke in Worte zu fassen.

    »Du kannst schon Recht haben, dass das mit den anderen Kindern zusammenhängt«, meinte Oberhauser und schnäuzte sich. Er dachte an seine vergessene Strickjacke und spürte bereits die aufkommende Erkältung.

    »Wenn dem so wäre, hätten wir eine Chance, dem widerlichen Treiben auf die Spur zu kommen. Es muss hier in der Gegend Menschen geben, die sich zu ihrem Lustgewinn Kinder aus Tschechien kommen lassen, sich dann an den Organen bedienen und sie zuletzt beseitigen. Das ist so entsetzlich, eigentlich kann man es nicht in Worte fassen. Mir fehlen sie auf jeden Fall.«

    »Du hast Recht, Kurt. Das ist krank. Ziemlich krank. Und auch das trifft es noch nicht.«

    »Ich hab kürzlich gelesen, dass sich irgendein Cäsar, ich weiß nicht mehr welcher, aber wahrscheinlich war es der Julius; also der Cäsar hielt sich Lustknaben. Die mussten ihn, während er schwamm, befriedigen.«

    »Sag mal, was liest denn du?« Oberhauser zeigte sich irritiert.

    »Ich hab nicht nach so was gesucht«, verteidigte sich Kurt, »ich hab nur nachgelesen über die Lebensgewohnheiten der alten Römer. Im Zusammenhang mit den Äußerungen unseres Außenministers, der Harz-IV-Empfänger dekadent nannte.«

    »Und dabei bist du auf die Lustknaben gestoßen?« Hausl wollte es jetzt schon genau wissen.

    »Ja. Ich hab mich halt dann tiefer in die Materie eingelesen und da stand das mit den Lustknaben. Nicht nur die Römer, auch die Griechen hielten sich welche.«

    »Lustknaben? Die Griechen?« Er grinste. »Eventuell ist das die Ursache für das griechische Finanzdebakel und die Euro-Krise. Jetzt haben wir es! Das ist die Erklärung! Diese Dekadenz!« Und wieder griff er zum Taschentuch, kichernd prustete er hinein.

    »Denk nach! Wenn die Griechen noch Lustknaben hätten, dann hätten sie keine Krise. Dann hätten sie einen florierenden Tourismus, von dem sie sehr gut leben könnten«, sagte Weinzierl und sah zu Hannelore, die mit einem Tablett mit Tassen und einer Kanne Kaffee das Büro betrat. Unter den Arm geklemmt hielt sie ein Bündel Kleidung.

    »Wo ist denn der Helmut mit dem Buben?« Sie stellte das Tablett auf die Schreibtischkante, während Weinzierl einige Papiere und einen Ordner zur Seite schob, um etwas Platz zu schaffen. Sie sah fragend in die Runde. Oberhauser griff nach der mitgebrachten Kleidung und legte sie auf einen leeren Stuhl.

    »Sie sind mit dem Anton und der Hilde in euerem Bad. Dort untersuchen sie den Buben. Wo hast du denn das Gwand her? Hast aber doch hoffentlich nix gesagt, oder?«, wollte Weinzierl wissen.

    »Von den Vogels hab ich es ausgeliehen. Der Felix könnte in dem Alter vom Pawel sein. Es müsste passen. Ich hab gesagt, der Bub einer Kundschaft hat sich mit dem Gartenschlauch nass gespritzt. Und weil es nicht mehr so warm ist, wäre es besser, das Kind umzuziehen. Was passiert jetzt mit dem Kleinen?«, wollte Hannelore wissen, während sie Kaffee in die Tassen goss.

    »Wir werden das Jugendamt informieren müssen, damit die sich um das Kind kümmern, oder Hausl, was meinst du?« Kurt war unsicher.

    »Das ist wahrscheinlich der rechtlich richtige Weg. Aber für den eh schon traumatisierten Buben bestimmt der verkehrte. Glaubst du, dass die vom Jugendamt Mitarbeiter haben, die tschechisch sprechen? Das glaub ich eher nicht. Die übergeben ihn sicher gleich den Tschechen und dann ist er für uns nicht mehr verfügbar. Aber wir brauchen ihn hier, besonders, wenn die Fälle zusammenhängen. Meinst nicht auch, Kurt?«

    »Du gehst schon davon aus, dass dieser Bub auch nicht vermisst wird, oder? Wir müssen uns aber auf alle Fälle informieren, ob nicht doch eine Vermisstenmeldung vorliegt. Wir können ihn nicht einfach behalten. Das müssen wir auf jeden Fall mit den tschechischen Kollegen klären.

    Bitte Hausl, ruf du den Frantischek an, der weiß am besten Bescheid über die beiden toten Kinder, weil er in dem Fall damals schon mit uns zusammengearbeitet hat und außerdem spricht er deutsch. Er soll klären, ob es eine Vermisstenmeldung gibt.«

    »Mach ich gleich, wenn ich im Büro bin. Da hab ich auch die Privatnummer vom Frantischek. Aber wo bleibt der Bub einstweilen?« Hausl sah bei diesen Worten zu Hannelore.

    »Wenn es darum geht, der Kleine kann gerne vorübergehend bei uns bleiben. Da kann er sich wenigstens mit dem Helmut verständigen. Vielleicht ist das besser, als wenn er jetzt wieder zu anderen Fremden kommt und in den Ämtern herumgereicht wird. Dem Helmut ist das bestimmt auch recht.«

    »Das wäre eine gute Lösung, wenn auch nicht ganz legal. Eigentlich müsste der Fall dem Jugendamt gemeldet werden«, war Weinzierls Kommentar. Und zu Hannelore gewandt: »Es darf keiner erfahren, dass ihr den Buben habt. Ich schätze, er ist ausgerissen und wird gesucht. Er ist ein Risiko für diese Leute. Und auch ihr geht ein Risiko ein.«

    Hannelore nickte. »Geht schon in Ordnung, Kurt.«

    Oberhauser meinte: »Wenn die tschechische Polizei darüber informiert ist, dürfte es keine größeren Probleme geben, wenn er einstweilen hier bleibt.«

    Hilde Wichmann kam zurück und unterbrach die Debatte über den Verbleib des Kindes.

    »Ich bin soweit fertig und mach mich gleich auf den Weg. In eurem Baustofflager sind noch meine Kollegen. Das könnte noch etwas dauern. Aber heute Abend könnt ihr sicher wieder rein. Sobald ich mehr weiß, gebe ich Bescheid. Vom Anton könnt ihr bestimmt gleich einiges erfahren. Wir hören von einander. Bis zum nächsten Mal. Servus.« Sie schleppte ihren Koffer und die Tasche zur Tür, die ihr Weinzierl aufhielt. Er nahm ihr den Koffer ab und begleitete sie zu ihrem Auto.

    Oberhauser und Hannelore Reindl sahen ihnen nach.

    Helmut und Anton betraten das Büro. »Wo hast du denn den Buben?«, wollte Hannelore sofort wissen. Ihr Mann deutete hinter sich und sagte: »Der Anton hat ihm eine Beruhigungsspritze gegeben, da hab ich ihn in eine Decke gewickelt und auf die Couch gelegt. Ich glaube, er schläft schon.«

    Hannelore stand auf, stellte ihre Tasse auf den Schreibtisch, murmelte: »Er glaubt…«, und rauschte hinaus.

    Als Kurt zurückkam, begann Anton: »Ist gut, dass sie weg ist«, grunzte er, »braucht sie nicht unbedingt alles zu hören. Der Bub ist, wie die beiden anderen Kinder auch, missbraucht worden. Er blutet aus dem Anus. Er sollte die nächste Zeit nur Sachen essen, die leicht abführen. Sonst hat er Schmerzen beim Stuhlgang. Zudem hat er über und über Hämatome. Und Rhagaden«, er sah ihre fragenden Gesichter: »Also Risse in den Mundwinkeln. Da muss sich jemand ausgetobt haben, der sehr gut bestückt ist. In meinen Augen eine richtige Sau. Einmal, wenn ich so einen in die Finger kriegen würde, ich würde ihn häuten, lebendig! Ihr könnt von den gleichen Tätern ausgehen, die Verletzungen sind identisch. Der Bub wurde genauso zugerichtet wie die beiden anderen Kinder, nur dass er überlebt hat und somit weiter im Besitz seiner Nieren ist! Ich geh davon aus, es wurde diesmal weniger von dem Betäubungsmittel eingesetzt. Da hat wer einen Fehler gemacht. Das Kind ist dann wach geworden und ausgerissen. Ich denke, es sind die gleichen Täter; und darunter ist jedenfalls ein Arzt, wenn es nicht mehr sind. Die Organe der beiden anderen Kinder wurden fachgerecht entfernt. Das kann kein Laie.« Er starrte kurz vor sich hin. Dann, nach einer Pause: »Vorerst schläft er jetzt für ein paar Stunden; und was macht ihr dann mit ihm?« Er schaute in die Runde.

    Hannelore, die bei Antons letzten Worten das Büro betreten hatte, antwortete: »Er bleibt vorerst mal bei uns. Bis geklärt ist, wo er hingehört.«

    »Darum kümmere ich mich«, nuschelte Hausl hinter seinem Taschentuch hervor. Er bedauerte zutiefst, nicht an seine Jacke gedacht zu haben.

    »Die Lösung ist gut. Da wird er nicht noch weiter rumgereicht. Der Kerl ist schwer traumatisiert. Am besten, ihr holt morgen euren Hausarzt, dass der ihn sich noch mal anschaut und weiter behandelt. Der hat mehr Erfahrung auf dem Gebiet als ich. Meine Patienten sind...«, hier brach er ab und trank einen Schluck aus der Tasse, die Hannelore ihm gereicht hatte. Dabei stellte sie unüberlegt die Frage, aus welchem Grund jemand wie er Pathologe geworden ist.

    »Weil ich da nimmer viel kaputt machen kann«, war seine knappe Antwort. Nach dieser sehr aufschlussreichen Erklärung schwiegen alle leicht betreten. Aber so war er eben, der Anton. Er packte seine Tasche, grüßte kurz, und verließ das Büro.

    »Wir werden uns auch wieder auf den Weg machen.« Weinzierl stand auf und stupste Oberhauser am Arm. »Wenn irgendwas ist, ruft mich bitte gleich an. Auf dem Handy bin ich immer zu erreichen. Ich fahr jetzt nicht mehr nach Regensburg, bin also gleich da, wenn ihr mich braucht.«

    Oberhauser erinnerte ihn, dass das Handy noch im Auto liegen würde, und wenn es dort bliebe, er nicht erreichbar wäre.

    Sie verabschiedeten sich von den Reindls, nachdem sie noch einen Blick auf das schlafende Kind geworfen hatten.

    Beim Auto meinte Weinzierl zum Kollegen: »Kommst noch auf einen Schluck mit zu mir?«

    »Das würde ich liebend gerne, Kurt. Aber leider muss ich gleich zurück. Erst will ich mit dem Frantischek klären, ob in Tschechien eine Vermisstenanzeige vorliegt und dann steigt doch heute Abend die Geburtstagsparty der Kollegin von der Magda. Da sind wir doch eingeladen. Ach, mir grausts. Das sind für mich lauter fremde Leut. Immer macht sie so was aus, obwohl sie weiß, wie widerwärtig mir solche Einladungen sind.

    Und auch noch unter der Woche. Am nächsten Tag ist man dann saumüd. Das wird wieder schön fad werden. Hast du’s gut! Auf dich wartet ein gemütlicher Abend mit Hund. Was meinst, wie gerne ich mit dir tauschen würde. Vielleicht wird es mit meiner Erkältung schlimmer, dann brauch ich nicht mitgehn.« Er sah einen Silberstreifen am Horizont. »Hier, nimm dein Handy. Wir sehn uns morgen wieder.« Oberhauser saß bereits im Auto, als Weinzierl noch mal an die Scheibe klopfte. Hausl öffnete das Fenster: »Was gibt’s denn noch?«

    »Fahr vorsichtig und pass mir auf mein Auto auf, gell!« Er winkte und machte sich zu Fuß auf den Heimweg, während Oberhauser in Weinzierls Auto seinen abendlichen Genüssen entgegenfuhr.

    Kapitel 2

    »Jetzt pass auf und halt dich still«, rügte Magda Oberhauser liebevoll ihren Mann, während sie versuchte, seine Krawatte ordentlich zu binden. »Du musst mir schon zuhören, sonst kennst dich heut Abend nicht aus, fragst mich dauernd und bist dann grantig, wenn du nicht durchblickst, wer zu wem gehört. Also noch mal.«

    Er unterbrach sie: »Meinst nicht, dass es besser wäre, wenn ich daheim bleiben würde? Ich spür schon, wie ich Fieber krieg!« Er griff sich an die Stirn.

    »Jetz reiß dich einmal ein bissl zusammen! Du bist genauso wenig krank wie ich. Und jetzt hör zu! Die Anna Unterhuber hat vier Buben. Da ist erstens der Hans, das ist der Bauer in Wörth. Der ist mit der Katharina verheiratet und sie haben einen Sohn, den Markus. Das ist der, von dem ich dir erzählt habe, dass er einen Aussiedlerhof bauen und auf Bio umsteigen möchte.« Sie war inzwischen mit dem Knotenbinden fertig und besah ihr Werk. »Gut schaust aus.« Sie küsste ihn auf die Backe.

    Hausl genoss das Lob. »Der Aussiedlerhof ist doch der Grund für die Familienzwistigkeiten, soweit ich mich erinnere.« Womit er unter Beweis stellen wollte, dass er wohl aufpasse, wenn sie ihm was erzählte. Dazu schniefte er demonstrativ in sein Taschentuch.

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