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Bapogana: Roman
Bapogana: Roman
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Bapogana: Roman

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About this ebook

Nach einem Unfall auf einer Baustelle findet sich der Architekt David Schüttler plötzlich als Mr. David Shuttler in einem fremden Land wieder und das größte Abenteuer seines Lebens beginnt. Gespickt mit Intrigen, gefährlichen Situationen, spannenden Begebenheiten und einer gehörigen Portion Liebe lässt dieser Roman seine Leser in eine Welt eintauchen, die es im "normalen" Leben eigentlich nicht gibt, oder doch? In diesem Buch wird auf fast 600 Seiten die Unterhaltung geboten, die man erwartet, wenn man sich auf eine fantastische literarische Reise begibt.
LanguageDeutsch
PublisherVerlag Kern
Release dateFeb 2, 2012
ISBN9783944224107
Bapogana: Roman

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    Book preview

    Bapogana - Dieter Janz

    Dieter Janz

    Bapogana

    Bibliografische Informationen der Deutschen Bibliothek: Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte Dateien sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.

    Impressum:

    © 2012 Verlag Kern

    © Inhaltliche Rechte beim Autor

    Autor: Dieter Janz

    Verlag u. Herstellung: www.verlag-kern.de

    Umschlagdesign und Satz: www.winkler-layout.de

    Umschlagbild: www.DuF-Net.de

    1. digitale Auflage: Zeilenwert GmbH 2012

    ISBN e-Book: 9783944224107

    www.verlag-kern.de

    Inhalt

    Cover

    Titel

    Impressum

    Inhalt

    Widmung

    Bapogana

    Weitere Bücher aus dem KERN Verlag

    Für Tamara

    Kaum hatte David Schüttler sein Büro betreten, kam Anna Reismann, seine Sekretärin, hinterher und kündigte mit leicht schriller Stimme aufgeregt an: „Auf der neuen Baustelle ist etwas schief gelaufen, Chef! Ich glaube, Sie müssen mal nachschauen. Die „neue Baustelle bestand zwar schon seit über einem Jahr, aber es war tatsächlich sein jüngster offizieller Auftrag, den er als selbständiger Architekt angenommen hatte und der wichtigste obendrein. Ein millionenschweres Objekt, das seine Zeit fast vollständig in Anspruch nahm, die Freizeit inklusive. Manchmal glaubte er, davon erdrückt zu werden, andererseits spülte es ordentlich Geld in seine ansonsten eher leeren Kassen. Dass sein Privatleben darunter litt, hatte er schon mehrfach zu spüren bekommen. „Was gibt´s denn diesmal?, fragte er genervt, während er gleichzeitig auf die Uhr schaute. Frau Reismann umschrieb in groben Zügen, wo die Probleme lagen. Er seufzte und fluchte, was seine Sekretärin geflissentlich überhörte. „Okay, okay, ich fahre sofort hin. Rufen Sie bitte Frau Kast an und teilen ihr mit, dass ich heute später nach Hause komme. Es wird sie nicht wundern. Frau Reismann runzelte die Stirn und sah ihn skeptisch an, worauf er hinzufügte: „Schon gut, ich erledige das selbst."

    Nachdem er das Büro verlassen hatte, griff er zum Telefonhörer, um Miriam anzurufen. Sie hatte es sich schon längst abgewöhnt, mit „bei Schüttler zu melden, sondern meldete sich mit ihrem eigenen Namen, obwohl der Anschluss auf ihn zugelassen war. „Kast. „Ich bin´s, David. Ich muss dir leider mitteilen ... „Dass du nicht pünktlich nach Hause kommst, stimmt´s? Ihre Stimme klang gereizt. „Wieso rufst du deswegen überhaupt an? Du solltest mir lieber Bescheid geben, wenn du rechtzeitig hier eintriffst. Das wäre nämlich wirklich eine Überraschung. Er antwortete nicht, weil er keine Lust verspürte, immer wieder dasselbe, lästige Spiel zu spielen. Dafür redete Miriam weiter: „Aber du weißt, dass wir heute Abend eingeladen sind, oder? Darf man auch mit deiner Anwesenheit rechnen? „Ich weiß es nicht. Aber ich werde mich beeilen... „Vergiss es!, unterbrach sie ihn scharf. „Miriam, versteh doch bitte, dass das momentane Projekt existenziell wichtig für mich ist! Es gibt Probleme, um die ich mich kümmern muss. „Oh ja, Probleme gibt es in der Tat, nur bezweifle ich, dass du sie erkennst. David seufzte. Miriams Stimme klang mit einem Mal gekünstelt freundlich. „Mach dir nur keinen Stress, mein Lieber, das ist schlecht für Herz und Kreislauf. Lass dir richtig Zeit bei deinen ach so wichtigen, unaufschiebbaren Aufgaben. Ich werde Jo fragen, ob er mich heute Abend begleiten will. Das saß! Miriam hatte wieder auffallend häufig Kontakt mit ihrem Ex, „auf rein freundschaftlicher Basis, wie sie immer betonte. Aber David zweifelte daran. Auf jeden Fall nutzte Miriam Jo zunehmend als Druckmittel auf ihn, allerdings erfolglos. „Mach was du willst, erwiderte er resigniert, „ich muss jetzt zur Baustelle fahren.

    Der Bauleiter erwartete ihn bereits sehnsüchtig. Es waren Sonderschichten eingelegt worden, um schneller voran zu kommen. Aber jetzt standen alle Räder still und so würde es auch bleiben, bis David das anstehende Problem gelöst hatte. Dazu musste er dem Bauleiter bis zum 3. Stock des Rohbaus folgen, für ihn immer noch, angesichts fehlender Geländer und Absperrungen, ein mulmiges Gefühl. Er hatte gehofft, im Laufe der Jahre seine Höhenangst zu verlieren, aber ganz verschwunden war sie nie. Oben angekommen wurde er auf einen Balkon geführt. Ursprünglich wollte er sich auf die Problemstellung konzentrieren, machte aber dann den Fehler, nach unten zu schauen. Der Magen drehte sich ihm um. Auf einmal überfiel ihn ein wahnsinniger Schwindel, er suchte nach Halt, fand aber keinen. Als letztes hörte er die Stimme des Bauleiters: „Vorsicht! Halt!" Doch da war es schon zu spät, er rutschte ab und fiel in die Tiefe. Dann war es um David herum stockfinster und still.

    Es dauerte eine Weile, bis er die Umwelt nebulös wahrnahm. Völlig ungewohnte Geräusche drangen zu ihm vor, Wortfetzen, die er nicht verstand. Als er die Augen öffnete, sah er in das Gesicht eines Mannes, der sich über ihn beugte und auf ihn einredete, in einer Sprache, die David völlig fremd war. Ob der Mann ihm helfen wollte oder gerade im Begriff war ihn auszurauben, konnte er an dessen Gesicht nicht ausmachen. David rappelte sich langsam auf. Der Mann bemühte sich offenbar in guter Absicht um ihn, denn er half ihm dabei, ebenso wie beim anschließenden Abschütteln des Staubes von seinem Anzug, der danach wieder ganz passabel aussah.

    Der Helfer sah David eine Weile an und fragt ihn dann in gebrochenem Englisch: „Alles okay? Geht gut?" Auf Davids Nicken hin klopfte er ihm kurz auf die Schulter und verschwand, bevor ihm irgendwelche Fragen gestellt werden konnten. Und deren hatte David weiß Gott genug.

    Wo war er und wie war er hier hingekommen? Er befand sich in einer dunklen Gasse, die wiederum in einer ihm unbekannten, scheinbar asiatischen Stadt lag. Als er auf seine Uhr schaute, musste er feststellen, dass das Glas zerborsten und der Zeiger stehen geblieben war. Was war geschehen? Er erinnerte sich an nichts mehr. Die Straße war menschenleer und wirkte unheimlich auf ihn. Nirgendwo konnte er eine Menschenseele ausmachen. Auch die sich eng aneinander reihenden Häuser schienen unbewohnt. Doch von Fern vernahm er ein Stimmengewirr. David beschloss, dieser Richtung zu folgen. Am Anfang war er etwas benommen, aber dann gewann er die Sicherheit beim Gehen zurück. Er hatte noch keine 100 Meter zurückgelegt, da gelangte er auf einen belebten Platz einer ihm völlig fremden Welt. Männer und Frauen in bunten Gewändern gingen verschiedenen Tätigkeiten nach. Ochsenkarren wurden durch die Menge geführt, über den Platz verstreut standen Tische, die mit verschiedenen Waren beladen waren, dahinter Männer und Frauen, die sie zum Teil lautstark feilboten. Dazwischen tauchten immer wieder Menschen mit völlig anderer Kleidung auf, vor allem die Frauen schienen europäischen Großstädten der 20er Jahre des letzten Jahrhunderts entsprungen zu sein. Aber auch die Männer sahen nicht wie nach der neuesten Mode gekleidet aus. Überhaupt alles, was David hier mit Staunen betrachtete, schien aus vergangenen Zeiten zu stammen. Er überquerte den Marktplatz im Schneckentempo. Einige der Stände boten Essbares an, zum Teil auf Holzkohlefeuer dampfend heiße und zum Teil kalte Gerichte. Es roch verführerisch und David bemerkte seinen Hunger.

    Aber wie sollte er hier etwas kaufen, es bezahlen? Sein Griff fuhr in die Hosentasche. Das Portemonnaie war noch vorhanden und mit reichlich Euro-Münzen gefüllt, die hier allerdings wahrscheinlich völlig wertlos waren. Dennoch wagte er den Versuch, einen Snack zu kaufen. Sein Blick fiel auf eine Art Fleischspieß. Die Verkäuferin, deren an sich schon schönes Gesicht durch ein freundliches Lächeln noch hübscher wirkte, sprach ihn an. Er verstand zwar kein Wort, nahm aber logischerweise an, sie fragte nach seinem Wunsch. Daraufhin deutete er auf den Spieß. Sie nahm ihn vom Feuer und legte ihn auf ein grobes Papier. Doch bevor sie den Snack überreichte, stellte sie eine Frage. David zuckte mit den Schultern und zog eine hilflose Grimasse. Daraufhin wiederholte sie die Frage in einwandfreiem Englisch: „Möchten Sie eine Soße zu dem Fleisch? „Gerne, welche gibt es denn? Sie deutete auf ein paar vor ihr stehende Töpfchen und meinte: „Von ganz mild bis sehr scharf. „Eher mild, bitte. Während sie die Sauce über dem Spieß verteilte, fragte er sie nach dem Preis. „Eine halbe Krolie, bitte. „Aha, dachte er, „Krolie heißt hier die Währung. Er hielt ihr einen Euro entgegen und fragte so naiv wie möglich: „Nehmen Sie auch das hier? Die junge Frau zögerte, nahm aber dann die Münze in die Hand. „Das kann ich nicht. Sie gab David den Euro zurück, als sei es eine heiße Kartoffel. Ein elegant, wenn auch altmodisch gekleideter Mann, der neben ihr stand, wurde auf David aufmerksam. „Entschuldigen Sie bitte, wenn ich mich einmische, sprach er David in akzentfreiem Englisch an, „ich möchte nicht unhöflich sein. Aber dürfte ich mir die Münze einmal ansehen? Selbstverständlich hatte er keine Einwände und überreichte sie ihm. Der Herr betrachtete sie von allen Seiten, wiegte sie in der Hand und meinte schließlich: „Scheint wertvoll zu sein, gegen eine Fälschung spricht die exzellente Verarbeitung. Woher haben Sie sie? David musste nicht lange überlegen: „Ein altes Erbstück, log er. „Und damit wollen Sie einen Fleischspieß bezahlen?, wunderte sich kopfschüttelnd der Mann.

    „Nun ja, erwiderte David, wohl wissend, dass seine Worte schwachsinnig klingen mussten, „ich habe zurzeit keine Krolien einstecken, aber entsetzlichen Hunger. Da macht man schon mal verrückte Dinge. Außerdem habe ich keine Ahnung vom Wert der Münze. Mehr noch als seine merkwürdige Ausrede wunderte sich David über die Tatsache, dass er ohne die geringste Mühe Englisch sprechen und verstehen konnte, also musste er es irgendwann einmal intensiv gelernt haben. Gleichzeitig wurde ihm erneut schmerzlich klar, den größten Teil seines Gedächtnisses verloren zu haben und völlig hilflos zu sein. „Dem kann man Abhilfe schaffen. Der Herr konnte keineswegs Gedanken lesen, sondern bezog seine Worte auf die Münze. „Dort drüben, er zeigte dabei in die Richtung einer kleinen Straße, „befindet sich ein Goldschmied, der sich auch auf Geld versteht. Suchen Sie ihn auf. David bedankte sich für den Tipp. Dann wandte er sich mit bedauerndem Blick an die Verkäuferin: „Tut mir Leid. Ich muss die Köstlichkeit zurücklassen, denn ich kann sie nicht bezahlen. Lächelnd schüttelte sie den Kopf und reichte ihm den Spieß. „Macht nichts. Wenn Sie das nächste Mal vorbeikommen, können Sie das Bezahlen nachholen. David fühlte sich beschämt. Er war gerade im Begriff, eine ehrliche, vertrauensvolle junge Händlerin übers Ohr zu hauen. Daher empfand er das Angebot des eleganten Herren als Erleichterung. „Lassen Sie sich darüber keine grauen Haare wachsen, ich übernehme das. David bedankte sich überschwänglich, nahm seinen Spieß im Empfang und entfernte sich in die Richtung, wo der Goldschmied sein sollte. Der Snack schmeckte, wie er duftete – einfach köstlich. Nur die Soße machte ihm etwas zu schaffen, sie brannte wie Feuer in seinem Mund. Und das sollte die milde Variante sein? Nicht auszudenken, welche Wirkung die sehr scharfe auslösen würde!

    Vor dem kleinen Laden des Goldschmiedes blieb er stehen und betrachtete die Auslage des Schaufensters. Sie wirkte mit viel Sorgfalt und Liebe zum Detail erstellt, aber furchtbar altmodisch. David war am Zweifeln, ob er den Laden wirklich betreten und sich mit seinem Euro womöglich lächerlich machen sollte. Doch als er seine kleine Mahlzeit aufgegessen hatte, gab er sich einen Ruck und ging hinein. Beim Öffnen der Tür bimmelte ein Glöckchen, worauf ein älterer Mann hinter dem Verkaufstresen aufschaute und ihn neugierig ansah. Offenbar hielt er David von vorne herein nicht für einen Einheimischen, denn er sprach ihn direkt auf Englisch mit hartem Akzent an. „Guten Tag Sir, was kann ich für Sie tun, Sir? David holte den Euro hervor und legte ihn behutsam, wie einen kleinen Schatz, auf den Tresen. „Wie viel ist das wert? Der Mann klemmte sich eine Lupe an das rechte Auge, nahm die Münze vorsichtig in die Hand und begutachtete sie ausführlich und lange. Zwischenzeitlich schüttelte er immer wieder den Kopf. David bekam langsam weiche Knie und schielte hin und wieder zur Tür, so als ob er sich versichern wollte, dass der Fluchtweg frei war. Doch dazu bestand überhaupt kein Anlass. Denn der Goldschmied nahm schließlich die Lupe vom Auge und meinte: „Schwer zu sagen, Sir. Ich habe noch nie eine solche Münze gesehen. Dann nahm er ein dickes, vergilbtes Buch zur Hand, blies den Staub weg und blätterte darin. Dabei konnte David erkennen, dass es unzählige Abbildungen von Münzen mit entsprechender Beschreibung enthielt. Aber der Mann wurde natürlich nicht fündig, der Euro existierte nicht darin. Schließlich klappte der Goldschmied die Kladde zu und seufzte laut und vernehmlich. Den Blick auf den Euro gerichtet, meine er: „Muss extrem selten sein und aus einem Land mit einer anderen Zeitrechnung stammen. Da David ihn entgeistert anschaute, fügte er, auf eine bestimmte Stelle des Euro deutend, hinzu: „Sehen Sie, hier steht eine Zahl, 2002. Wenn das eine Jahreszahl sein soll, dann aber wohl kaum nach englischer Zeitrechnung. „Kaufen Sie mir die Münze ab?, fragte David vorsichtig nach. Der Mann wiegte den Kopf hin und her und antwortete schließlich: „Naja, für 200 Krolien würde ich es riskieren. David glaubte, seinen Ohren nicht zu trauen. Wenn er auf dem Markt für einen köstlichen Fleischspieß eine halbe Krolie zu zahlen hatte, mussten 200 Krolien ein kleines Vermögen sein. Deshalb wiederholte er ungläubig die Summe. „Naja, erwiderte der Goldschmied sofort, „meinetwegen auch 250. David schaute ihn entsetzt an, worauf der Mann noch einmal nachlegte: „Also gut, Sir, 300 Krolien, aber mehr ist nicht drin, Sir. Zunächst atmete David tief ein und aus, dann sagte er schnell: „Die Münze gehört Ihnen."

    Der Goldschmied zog unter dem Tresen eine altmodische Geldkassette hervor, die für ihr anzunehmendes Alter noch recht neu aussah und öffnete sie. Vor Davids Augen blätterte er Geldscheine mit dem Aufdruck „10 Krolien auf den Tresen. „Der Mann könnte mir mit einem PC erstellte Fantasiescheine geben, ohne dass ich es merke, dachte David, verwarf den Gedanken aber sofort wieder. Der Goldschmied wusste sicherlich mit dem Begriff „PC überhaupt nichts anzufangen. Während David das Geld einsteckte, packte der Mann den Euro in ein Schmuckkästchen. „Gibt es in der Nähe eine Herberge? „Ja Sir, ganz in der Nähe, nur ein paar Häuser weiter." Er beschrieb David den Weg, der daraufhin dankend den Laden verließ. Das Gefühl, zumindest für die nächsten Tage ein gültiges Zahlungsmittel zu besitzen, linderte sein Unbehagen ob seiner merkwürdigen Lage wenigstens ein ganz kleinbisschen. Immerhin konnte er sich jetzt ein vernünftiges Nachtlager suchen. Die beschriebene Herberge erwies sich als einfache, aber saubere Unterkunft, die obendrein wegen ihrer altmodischen Einrichtung sehr gemütlich wirkte. Außerdem war sie sehr preisgünstig – ganze drei Krolien musste er für Kost und Logis pro Tag bezahlen. Angesichts seines heutigen Handels konnte er also eine Weile von seinen Barschaften leben. Das Abendessen in der Herberge war reichhaltig und köstlich, auch wenn er die einzelnen Zutaten nicht identifizieren konnte. Er überlegte, ob dieser Umstand nicht auch besser wäre. Nach der Mahlzeit begab er sich auf sein Zimmer, legte sich rücklings auf das Bett und starrte die Decke an, an der sich um eine Lampe ein Ventilator drehte. Nachdenklich zog er eine Bilanz des heutigen Tages. Er musste einen Unfall gehabt haben oder überfallen worden sein und dabei sein Gedächtnis verloren haben. Die Welt, in der er lebte, war ihm völlig fremd. Immer wieder tauchten Erinnerungsfetzen an eine ihm gewohnt erscheinende Umgebung auf, aber er konnte sie nicht einordnen. Die Münzen in seinem Portemonnaie hatten ihn zum Beispiel überhaupt nicht überrascht, sie kamen ihm vertraut vor. An irgendwelche Personen konnte er sich hingegen ganz und gar nicht erinnern, weder Freunde noch Verwandte. In diesem Land kannte er auf jeden Fall niemanden. Warum war er hier, auf welche Weise war er hergekommen? Hatte er einen Beruf, dass es ihn in das fremde Land verschlagen hatte? Bei all diesen Gedanken schlief er schließlich ein.

    Am nächsten Morgen wachte er durch lärmendes Stimmengewirr auf der Straße auf. Beim Blick aus dem Fenster stelle er fest, dass es sich um ganz gewöhnliche Betriebsamkeit handelte, kein Aufruhr oder Streit. Er drehte sich um und entdeckte auf einer Anrichte einen großen Krug voll Wasser, daneben eine leere Schüssel. Auch saubere Handtücher standen bereit. Ohne Eile wusch er Gesicht und Hände. Wie gerne hätte er jetzt die Kleidung gewechselt, aber er hatte ja nichts dabei. Deshalb beschloss er, diese Situation umgehend zu ändern. Nach dem Frühstück in der Gaststube mischte er sich unter das Straßengetümmel und ließ sich einfach treiben, in der Hoffnung, zufällig an den geeigneten Geschäften vorbei zu kommen. So geschah es auch. Als erstes besorgte er sich einen großen Lederkoffer, den er in weiteren Geschäften nach und nach mit den ihm wichtig erscheinenden Kleidungsstücken und Utensilien füllte, bis er so voll gepackt war, dass er ihn kaum schließen konnte. Dann machte er sich wieder auf den Rückzug zur Herberge. Glaubte er zumindest, denn ganz sicher war er sich über die richtige Route nicht. Die Straßen ähnelten doch einander sehr. Plötzlich huschte ein Junge vor ihn und redete wild gestikulierend auf ihn ein. David verstand kein Wort, bis er in englischer Sprache „tragen, nach Hause bringen" hörte. Der junge Mann war vielleicht 14 oder 15 Jahre alt, aber schon von so kräftiger Statur, dass er David den schweren Koffer mühelos hätte entreißen und damit im Getümmel verschwinden können. Deshalb reagierte er auf das Angebot zunächst zurückhaltend. Andererseits war das Gepäckstück wirklich eine große Last und er hätte Hilfe gut gebrauchen können. Da der Junge sich nicht abschütteln ließ, willigte er schließlich ein und nannte den Namen seiner Herberge. Der Junge ergriff sofort den Koffer und eilte David voraus, der große Mühe hatte, Schritt zu halten. Sie nahmen jedoch eine völlig andere, als die von David eingeschlagene Richtung, was sein Misstrauen nur erhöhte. Womöglich würde er ihn direkt in die Arme einer Räuberbande führen.

    Es dauerte aber nicht lange, da stellte er den Koffer mit einem strahlenden Lächeln ab und David stellte staunend fest, dass sie sich genau vor der Herberge befanden. Alleine hätte David diesen Weg nie gefunden. Dankbar drückte er dem Jungen 20 Sortis - eine Krolie sind 100 Sortis - in die Hand. Der reagierte zunächst gar nicht, schüttelte den Kopf und wollte David 10 Sortis zurückgeben. „Auf keinen Fall!", meinte David und hob die Hände abwehrend in die Höhe. Der Junge bot daraufhin an, den Koffer noch in Davids Zimmer zu bringen. Sein Stolz ließ es nicht zu, 10 Sortis ohne Gegenleistung zu erhalten.

    Danach holte David die Morgentoilette und den fälligen Kleiderwechsel nach. Jetzt unterschied er sich in der Aufmachung nicht von den anderen ausländischen Herren auf der Straße. Ihm gefiel die Mode und er war mit dem Blick in den Spiegel zufrieden. Nach dem Mittagessen wollte er einen ausgiebigen Spaziergang machen, vielleicht würde ihm das beim Ordnen seiner Gedanken und der Wiederfindung seines Gedächtnisses helfen. Diesmal passte er genau auf, welche Straßen er wählte, damit er später die Richtung wieder fand. Es war heiß. Der leichte Sommeranzug, den er ausgewählt hätte, kam ihm sehr zu passe. Die Plätze und Gassen waren voller Betriebsamkeit. Ihm fielen immer wieder Männer in Uniformen auf, darunter auch englische Soldaten. Sie bewegten sich völlig unbefangen in der Menge, von Feindseligkeiten keine Spur. Als er an dem Laden des Goldschmieds vorbei kam, entdeckte er im Schaufenster seinen Euro demonstrativ ausgestellt, daneben ein deutlich lesbares Preisschild: „1200 Krolien. „Dieses Schlitzohr!, dachte David, gleichzeitig beruhigte dies sein Gewissen - er hatte den alten Mann wohl nicht über den Tisch gezogen. Er überlegte sogar, ob er ihm einen weiteren andrehen sollte, entschied aber, noch ein paar Tage damit zu warten. Je weiter er sich vom Zentrum der Stadt entfernte, desto ruhiger wurde es. Jetzt tauchten auf den Straßen hin und wieder Autos auf, die ihm allerdings merkwürdig vorkamen. Es waren regelrechte Schnauferl, die sich mit lustigen Huplauten freie Bahn verschafften.

    David war schon über eine Stunde unterwegs – jedenfalls nahm er es an - kontrollieren konnte er es mangels einer funktionierenden Uhr nicht - als er einen wunderschönen Park entdeckte, an dessen Ende ein imposanter Tempel stand. Er entschloss sich, auf einer der Bänke Rast zu machen. Die Entscheidung fiel für eine Bank unter einem Schatten spendenden Baum. Hier herrschte eine himmlische Ruhe, ein extremer Kontrast zur Hektik der Innenstadt. Er schaute verträumt vor sich hin, als ihn plötzlich jemand ansprach. „Gestatten Sie, dass ich mich zu Ihnen setze? David blickte auf und erkannte das freundlich lächelnde Gesicht des Herrn vom Vortag, der ihm seinen Imbiss spendiert hatte. Mit einer entsprechenden Handbewegung antwortete David: „Selbstverständlich. Es würde mir eine große Freude bereiten. Der Herr nahm Platz und sie saßen eine Weile schweigend nebeneinander. „Ist schon komisch, meinte der Mann, „wir sind uns vorher noch nie begegnet und dann laufen wir uns an zwei aufeinander folgenden Tagen über den Weg. Wenn das mal kein Grund ist, sich gegenseitig vorzustellen. Er reichte David die Hand. „Gestatten, Thomas Mc Bride. „David Schüttler. Mr. Mc Bride konnte diesen Namen nicht aussprechen. Aus dem deutschen David wurde ein englischer David, der Nachname zu Shuttler umgewandelt. „Sagen Sie, Mr. Shuttler, was hat Sie eigentlich in diesen Winkel der Welt geführt? Das war genau die Frage, die David am meisten gefürchtet hatte, doch noch mehr wunderte er sich darüber, dass er seinen Namen auf Anhieb hatte nennen können. Bisher hatte sich hier niemand danach erkundigt, selbst in der Herberge war er nur ein anonymer Gast. Sein Gedächtnis hielt also noch Überraschungen parat. Doch nun musste er sich eine passende Antwort, eine Notlüge, ausdenken. „Die reine Neugier. Vielleicht werde ich ein Buch darüber schreiben. „Aha, Sie sind demnach Reiseberichterstatter, interessant." David spürte, wie sein Gesicht vor Aufregung glühte. Sollte er sich weiter auf dieses Glatteis begeben?

    Zunächst entschied er sich dafür. „Das Dumme ist nur, dass ich mich sehr schlecht vorbereitet und so gut wie keine Ahnung von diesem Land und seinen Einwohnern habe. Mr. Mc Bride lehnte sich lächelnd zurück, sein Blick wirkte fast verklärt, als er antwortete: „Bapogana ist das schönste Land der Erde, das ich kenne. Und ich kenne weiß Gott verdammt viele. Die Bapoganesen... Er hielt abrupt inne und schüttelte den Kopf, bevor er fortfuhr. „Ein furchtbares Monstrum von Wortschöpfung. „Bapoganesen, typisch britische Erfindung. Ich spreche lieber von den Bapos, so nennen sich die Einheimischen nämlich selbst. Also die Bapos sind die friedliebendsten Menschen, die mir je über den Weg gelaufen sind. Anders als ihr Deutschen, ha, ha. Mr. Mc Bride´s Lachen wirkte nicht bösartig und er fügte sofort hinzu: „War nicht so gemeint, wie es vielleicht geklungen hat. Ich denke, die Deutschen haben auch die Nase vom Krieg voll, sie wollen jetzt nur noch ihre Ruhe haben. David dachte angestrengt darüber nach, auf welche Gegebenheit sein Gesprächspartner hingewiesen hatte. Bei den historischen Daten, die ihm in den Sinn kamen, ließ ihn sein Gedächtnis nicht im Stich. Ihm fielen die beiden Weltkriege ein, längst vergangene Zeiten, die er gar nicht miterlebt hatte. „War Bapogana auch in den Krieg involviert? David stellte die Frage bewusst sehr allgemein haltend. „Oh nein, erwiderte Mc Bride energisch, „die meisten Bapos wissen gar nicht, was Krieg bedeutet. Selbst die Wirren der russischen Revolution sind an ihnen spurlos vorbei gegangen. Russische Revolution? David begriff nicht, was Mc Bride damit meinen könnte. Doch nicht etwa die von 1918? Der Mann redete so, als ob sie gerade erst stattgefunden hätte.

    Es kamen immer wieder Spaziergänger vorbei, die Thomas Mc Bride sehr freundlich, ja sogar äußerst respektvoll grüßten. Die meisten Passanten kannten ihn offenbar und so, wie sie sich verhielten, war er scheinbar eine wichtige Person. David überlegte, wie er ihm noch mehr Informationen über dieses Land entlocken könnte, ohne sich zu blamieren. Aber das war gar nicht nötig, denn Mc Bride fing von alleine an, weiter zu reden. „Natürlich befürchtete der Nagadsha, Lenins begehrliche Finger könnten auch nach Bapogana greifen. Versuche, Unruhe zu stiften und den Bazillus des Marxismus hier hinein zu tragen, gab es in der Tat, aber eine militärische Aktion wollte und will der neue sowjetische Staat bis heute, drei Jahre nach dem Weltkrieg, nicht riskieren. Das liegt allerdings nicht zuletzt an unserer Anwesenheit. Wir Briten hatten schon früher recht gute Beziehungen zu Bapogana - um ehrlich zu sein, auch wegen der reichhaltigen Bodenschätze dieses Landes – sodass es durchaus verständlich war, uns als Schutzmacht zu Hilfe zu bitten. Dem ist das UK nachgekommen. Seitdem hat Bapogana so eine Art Status einer britischen Kronkolonie mit allerdings sehr weitgehender Autonomie. Das Sagen und fast uneingeschränkte Macht hat immer noch der Nagadsha. „Ist der Nagadsha der Fürst in diesem Land?, wollte David wissen. „Fürst, Herzog oder sogar König... Mc Bride hielt inne und sah ihn mit skeptischem Blick an. Schließlich bemerkte er kritisch: „Sie wissen in der Tat nicht sehr viel für einen Reiseschriftsteller. Verlegen lächelnd zuckte David die Schultern und erwiderte: „Das ist richtig. Wie gesagt, ich habe mich leider sehr schlecht vorbereitet. „In der Tat, dem muss ich beipflichten. Ein Versäumnis, das zu Missverständnissen führen kann. „Missverständnissen?", hakte David nach, auch auf die Gefahr hin, sich nun damit endgültig zu blamieren. „Der Nagadsha ist eine Respektperson ersten Ranges und wird von der Bevölkerung tief verehrt. Wer abfällige Bemerkungen über ihn macht, kann bestenfalls mit Missachtung und der gesellschaftlichen Ächtung rechnen.

    Dabei spielt es keine Rolle, ob man Brite ist oder Bapoist. „Oder Deutscher, ergänzte David. „Ganz genau, bestätigte Mc Bride, um ihm dann von den Verhaltensmaßregeln gegenüber dem Nagadsha, falls er überhaupt je die Gelegenheit haben sollte, ihm zu begegnen, zu berichten. David hörte staunend zu und kam sich zuweilen wie in einem Märchen aus Tausend-und-einer-Nacht vor. Er spürte allerdings auch gleichzeitig das steigende Misstrauen Mc Brides ihm gegenüber. Deshalb beschloss David, aufs Ganze zu gehen und sein Geheimnis dem Mann preiszugeben. Irgendwie hatte er Vertrauen zu ihm gefasst, außerdem war er der einzige Mensch, den er bisher näher kennengelernt hatte. Aber Mc Bride war mit seinen Ausführungen noch lange nicht am Ende. Zum Schluss gab es noch eine wichtige Information, die er in melancholischem Tonfall vorbrachte. „Der Nagadsha ist allerdings ein alter, kranker Mann, dem das Schicksal übel mitgespielt hat. Seine Frau, die Nagadshi, ist vor Jahren bei einem Kraftwagen-Unfall ums Leben gekommen. Tja, nicht alle neuen technischen Erfindungen sind segenreich für die Menschheit. Man sagt, er sei über die Trauer um sie fast erblindet. Die restliche Sehkraft sei nur erhalten geblieben, um den letzten Stern seines Lebens erkennen zu können, seine Tochter, die er abgöttisch liebt. Ob es stimmt, weiß ich nicht, auf jeden Fall ist es eine rührende Geschichte. Tatsache ist, dass er seine Tochter schon zu Lebzeiten zur Nagadshi und seiner Nachfolgerin ernannt hat, die inzwischen fast alle Macht inne hat. Das war eine kluge Entscheidung, denn die neue Nagadshi ist zwar noch sehr jung, scheint aber alle Weisheit ihres Vaters aufgesogen zu haben. Und sie ist bei den Bapos, wie auch bei uns Briten sehr beliebt. David ließ noch ein paar Minuten des Schweigens vergehen, bis er mit seinem Geständnis herausrückte. „Ich bin kein Reiseschriftsteller, glaube ich zumindest. Mc Bride schaute ihn fassungslos an. „Genau genommen, weiß ich gar nicht, wer ich bin. Man meinte dem Briten anzusehen, plötzlich zu glauben, neben einem Verrückten zu sitzen.

    Doch David ließ sich nicht beirren und erzählte seine Geschichte. Mr. Mc Bride hörte ihm geduldig zu, ohne ihn ein einziges Mal zu unterbrechen. Auch danach ergriff er nicht sofort das Wort. David hätte es nicht gewundert, wenn er schweigend aufgestanden und von dannen gegangen wäre. Aber nichts dergleichen geschah. Mc Bride brach schließlich das Schweigen. „Mmh. Und das soll ich Ihnen glauben? Eine Geschichte, fast so fantasievoll wie aus einem Märchen? David antwortete nicht, er sah seine Felle davon schwimmen. Es war kaum anzunehmen, dass Mc Bride dieses Geheimnis für sich behalten würde. Bei seinem Bekanntheitsgrad würde es bald die Runde machen und David als verrückten und skurrilen Deutschen dastehen lassen, auf den man mit dem Finger zeigte. Aber er hatte sich gründlich geirrt. „Sprechen Sie mit niemandem darüber, Mr. Shuttler. Bitte besuchen Sie mich heute Abend. Ich würde gerne mit Ihnen ausführlich diskutieren. Hier meine Adresse. Er reichte ihm seine Visitenkarte und verabschiedete sich, bevor David sie lesen konnte. Als er dies Tat, staunte er nicht schlecht: „Lord Thomas Mc Bride, Gouverneur S. M. des Britischen Empires in Bapogana". Darunter stand die Adresse.

    Nachdenklich trat David den Rückweg an. Dabei fiel ihm ein, dass seine Lordschaft keine Uhrzeit und auch nicht erwähnt hatte, ob der zum Dinner oder nur zu einem Drink kommen sollte. Als er den Marktplatz passierte, schaute er sich nach dem gestrigen Stand mit den Leckereien um. Er entdeckte ihn recht schnell und überlegte, ob er sich noch einmal solch einen Spieß kaufen sollte, leisten konnte er es sich allemal. Die junge Verkäuferin erinnerte sich ihrem Lächeln nach offenbar an ihn, was durch ihre Frage bestätigt wurde: „Hat Ihnen der Fleischspieß gestern gut geschmeckt, Sir? „Ja, hervorragend, auch wenn die Soße etwas scharf war. „Scharf? Soweit ich mich erinnere, gab ich Ihnen die mildeste. Verlegen grinsend meinte er: „Tja, wir Europäer..., und zog dabei die Schultern hoch. Diesmal entschied er sich für etwas Süßes, eine Art Kuchenstück mit viel, viel Honig. Als sie ihm das Gewünschte übergab, war er fast versucht, die junge Frau zu fragen, ob er sie am Abend mal ausführen dürfte, überlegte es sich dann aber wieder anders. Bevor er die Sitten und Gebräuche dieses Landes nicht näher kennengelernt hatte, wollte er sich nicht auf derartige Unternehmungen einlassen. Anschließend begab er sich zu dem Goldschmied, in der Hoffnung, er kenne sich auch mit Uhren aus. Der alte Mann erkannte ihn natürlich sofort wieder. Er schien angesichts der neuen Münze in seiner Auslage, insbesondere wegen der Preisangabe, ein wenig verlegen zu sein. David ging gar nicht darauf ein, sondern legte direkt die Uhr auf den Verkaufstresen. „Können Sie die reparieren? Der Goldschmied prüfte das Objekt. Zu Davids erstaunen meinte er: „Schweizer Uhr, ziemlich neues Modell und sehr teuer. Eine Reparatur lohnt sich auf jeden Fall, Sir. „Sehr gut. Nennen Sie mir bitte den Preis. Der Mann wiegte den Kopf hin und her. „Kann ich nicht präzise sagen, dazu muss ich das Objekt genau untersuchen, Sir. Aber mehr als fünf Krolien wird es nicht kosten. David pfiff durch die Zähne. „Ich werde mich bemühen, es billiger werden zu lassen, Sir. Aber unter drei Krolien kann ich nichts machen, verstehen Sie, Sir? „Also gut, drei Krolien. Wie lange wird es dauern? Der Alte wiegte erneut den Kopf hin und her. „Eine Woche, Sir. „Na schön, in einer Woche komme ich wieder.

    Nach dem Verlassen des Ladens fiel ihm ein, dass er keinen Beleg für das Hinterlegen der Uhr bekommen hatte. Der Goldschmied konnte aber ohne Konsequenzen behaupten, das Stück nie zu Gesicht bekommen zu haben. Der Verlust der Uhr wäre sicherlich nichts im Vergleich zum Verlust Davids Gedächtnis gewesen, dennoch würde er ihn schmerzen. Der Chronograph war ein Teil seiner eigentlichen Identität, hinüber gerettet in eine fremde Welt.

    Am Abend beschloss er, die Mahlzeit in der Herberge einzunehmen. Mc Bride hatte nichts von einem Dinner bei seiner Einladung gesagt und er wollte den Besuch nicht hungrig absolvieren. David erkundigte sich bei dem Wirt nach dem Weg zum Sitz des Gouverneurs. Die folgende Beschreibung war kompliziert, er musste nochmals nachfragen, um durchzublicken. „Nehmen Sie doch einfach eine Droschke, Sir, schlug der Wirt schließlich vor, „dann besteht nicht die Gefahr, Ihr Ziel zu verfehlen. Am besten einen Kraftwagen, die Dinger sind sehr bequem. Er machte keinen Hehl daraus, Davids Einladung beim Gouverneur zu bewundern, in den Augen des Wirtes musste David demnach eine bedeutende Person sein. „Wenn Sie wünschen, Sir, bestelle ich Ihnen eine Droschke." David nahm das Angebot gerne an.

    Zum vereinbarten Termin stand dann auch tatsächlich ein solches Kraftfahrzeug vor der Herberge, ein riesiges, fast viereckiges Ungetüm. David nahm auf dem Rücksitz Platz und stellte fest, dass der Wirt nicht übertrieben hatte – die Bequemlichkeit war kaum zu überbieten. Außerdem war es ein besonderes Erlebnis, die Stadt mit ihrer regen Betriebsamkeit durch die Fenster eines PKW zu beobachten. Der Chauffeur verschaffte sich durch regelmäßiges Hupen freie Bahn. Dennoch kamen sie nur sehr langsam voran. Erst als sie die Innenstadt verlassen hatten, konnte der Chauffeur an Tempo zulegen und hatte dann recht schnell ihr Ziel erreicht. Als David vor der Villa des Gouverneurs stand, kamen ihm Bedenken, ob er die Einladung wirklich annehmen sollte. Vielleicht geriet er in einen Hinterhalt und Mc Bride hatte alles arrangiert, um ihn von hier direkt in eine Irrenanstalt schaffen zu lassen. Doch er überwand sich und zog an der Türglocke. Es dauerte ein paar Sekunden, bis ein Butler öffnete und nach seinem Anliegen fragte. „Mein Name ist David Shuttler, seine Lordschaft erwartet mich. Der Butler blieb ungerührt stehen, dann bat er um eine Visitenkarte. „Tut mir leid, ich habe das Etui mit den Karten zu Hause vergessen. Daraufhin führte ihn der Butler in den Flur, der einem riesigen Empfangssaal glich und verschwand. David vertrieb sich die Wartezeit, indem er sich das Treppenhaus bewundernd anschaute. Die Architektur imponierte ihm. Er staunte über die Tatsache, den Baustil einer bestimmten Epoche zuordnen zu können. Hatte er diese Fähigkeit aus seinem bisherigen in das jetzige Leben hinüberretten können?

    Er kam nicht mehr dazu, darüber weiter nachzudenken, denn der Butler kehrte zurück, um ihn in einen kleinen Salon zu führen, in dem Mc Bride bereits auf ihn wartete. „Guten Abend, Mr. Shuttler. Es freut mich, dass Sie meine Einladung angenommen haben. Nehmen Sie Platz. Dabei deutete er auf einen Sessel, in dem es sich David bequem machen sollte. „Haben Sie schon zu Abend gegessen? David bejahte die Frage und erwähnte dabei, wie köstlich die Speisen in der Herberge schmecken würden. „Ja, bestätigte der Gouverneur, „und nicht nur dort. Sie werden es schwer haben, in Bapogana einen Ort zu finden, wo die Mahlzeiten nicht schmecken. Gegen ein paar Snacks zu einem Drink haben Sie doch sicher trotz eingenommenem Dinner nichts einzuwenden? David war zwar bis oben hin satt, widersprach aber aus Höflichkeit nicht. Dann wurde die Frage des Drinks geklärt. Mc Bride hatte bereits ein Glas Cognac vor sich stehen und David schloss sich dem an. Danach kam der Gouverneur auch schon direkt auf das eigentliche Thema zu sprechen. „So so, Sie sind also Ihrer Meinung nach aus einer anderen Welt hierher katapultiert worden. Ihr Fall interessiert mich. „Um genau zu sein, erwiderte David, „ich weiß es nicht genau. Ich habe immense Erinnerungslücken. Das weitere Gespräch lief sehr angeregt. Mc Bride vertrat die Ansicht, David sei höchstwahrscheinlich im Rahmen eines beruflichen Auftrages nach Bapogana gereist und habe einen Unfall erlitten, bei dem er Teile seines Erinnerungsvermögens eingebüßt hatte. „Das mit der Zeitreise glaube ich auf keinen Fall. So etwas gibt es nicht. Vielleicht sind sie tatsächlich Schriftsteller und daher mit einer reichen Fantasie gesegnet. Zu allen Zeiten versuchten Menschen, die Zukunft vorauszusagen, mit mehr oder weniger gutem Erfolg. Einiges kann man sogar prophezeien, ohne Hellseher zu sein. Betrachten Sie zum Beispiel die automobile Entwicklung. Als der Kraftwagen vor gut 20 Jahren erfunden wurde, bewegte er sich im Schritttempo, heute kann man damit sogar reisen. In weiteren 20 Jahren wird es vielleicht Straßen geben, auf denen sich nur noch Kraftfahrzeuge bewegen dürfen, die in hohem Tempo darüber hinweg rasen. Pferdekutsche, Reiter und Fahrräder haben dann nichts mehr dort zu suchen. Oder die Flugzeuge – möglicherweise werden sie eines Tages ganz gewöhnliche Transportmittel für Reisende und Waren.

    David verkniff es sich, diese Prognosen zu kommentieren. Für ihn waren die Bilder dieser Vorstellungen keine Visionen, sondern verdammt konkret. Aber ihm kamen Zweifel. Waren diese Bilder womöglich tatsächlich das Produkt seiner ausladenden Fantasie? Die Themen für ihre Unterhaltung gingen nicht aus. Nach dem dritten Cognac war David froh, dass der Butler für ein paar Snacks gesorgt hatte und griff entsprechend zu. Im Laufe des Abends stellte er fest, dass der Gouverneur immer sympathischer wurde, was offensichtlich auf Gegenseitigkeit beruhte.

    Zu später Stunde wurde die Tür ohne vorheriges Anklopfen geöffnet und eine elegante, wenn auch etwas müde wirkende, junge Dame trat ein. Mc Bride war mit einem Satz aufgesprungen und zu ihr geeilt. „Mary, mein Liebes, ist der Bridge-Abend beendet? Er ab ihr einen Kuss. „Ja, Gott sei Dank, erwiderte sie matt lächelnd. „Darf ich dir Mr. Shuttler vorstellen? Inzwischen war auch David aufgestanden und ging auf sie zu. Site streckte ihm den rechten Arm entgegen und er deutete einen formvollendeten Handkuss an. „Sehr erfreut, Mr. Shuttler. Mc Bride stellte ihm die Dame als seine Gattin vor. „Ganz meinerseits, Mylady. „Seien Sie in unserem Haus Willkommen. Die Stimme der Lady klang wohltuend weich. „Vielen Dank, aber ich glaube, ich werde sie beide jetzt nicht länger stören. Lachend hob sie die Arme und meinte: „Umgekehrt wird ein Schuh daraus, ich werde Sie und meinen Mann nicht länger stören. „Aber das tust du nicht, mein Liebes. Hast du keine Lust, uns Gesellschaft zu leisten? Sie strich ihrem Mann zärtlich über die Wange und erwiderte: „Sei mir nicht böse, Liebster, aber ich bin furchtbar müde. Auch wenn ich davon überzeugt bin, dass Mr. Shuttler ein hervorragender Unterhalter ist, in meiner Gegenwart würdet ihr euch nur langweilen. Mr. Shuttler. Sie hielt ihm wieder den Arm entgegen, worauf er den Handkuss wiederholte. „Bis nachher, hauchte sie anschließend ihrem Mann zu und schien regelrecht aus dem Raum zu schweben. Die Männer setzen sich wieder zu ihren Cognac-Gläsern. „Ihre Gattin ist bezaubernd, Sie sind zu beneiden, Mylord. „Was reden Sie da, Mr. Shuttler! David missverstand Mc Brides Worte und starrte ihn entsetzt an. Der merkte jetzt selbst, wie das eben Gesagte geklungen haben musste und korrigierte sich sofort. „Natürlich haben Sie Recht, Mary ist für mich das bezauberndste Wesen der Welt. Aber Ihre Anrede „Mylord gefällt mir nicht. David runzelte die Stirn und schaute ihn fragend an, worauf Mc Bride erklärte: „Mylord ist zwar formell richtig, aber furchtbar unpersönlich. Der nun folgende Vorschlag kam sicherlich auch unter dem Einfluss des reichlich konsumierten Cognac zustande: „Das Einfachste wäre, wir nennen uns beim Vornamen. Ich heiße Thomas. „Und ich David. „Darauf müssen wir noch einen trinken, David. Eine ordentliche Zigarre wäre auch nicht schlecht, was meinst du? „Ich werde beides nicht ablehnen.

    Als sich David gegen Mitternacht endlich verabschiedete, spürte er die Wirkung des Cognacs ganz ordentlich. Aber auch an Thomas war er nicht spurlos vorbeigegangen. „Ich rufe dir eine Droschke, bot er an, wobei er das „sch der Droschke besonders in die Länge zog. Während sie auf das Fahrzeug warteten, fragte Thomas: „Kannst du reiten? „Ich weiß es nicht, antwortete David wahrheitsgemäß. „Probieren wir es doch aus. „Jetzt?, entfuhr es David mit Entsetzen. „Nein, natürlich nicht. Mary und ich wollen morgen Nachmittag ausreiten. Sie hätte bestimmt nichts dagegen, wenn du uns begleitest. Sagen wir um drei Uhr? „Okay, ich bin bereit. Und wenn ich vom Pferd falle, finde ich vielleicht mein Gedächtnis wieder.

    Am nächsten Morgen wachte David etwas später auf, das war der Tribut für den feuchten Abend. Ansonsten fühlte er sich aber wohl, sogar seine Psyche ließ nicht zu wünschen übrig. Er fing langsam an, sich in seiner neuen Rolle wohl zu fühlen, was auch immer er vorher getan haben mochte. Für ein Frühstück war es bereits zu spät, also entschied er sich, direkt zu Mittag zu essen. Danach unternahm er noch einen kleinen Bummel durch die Innenstadt. Er ließ sich einfach ohne Hektik von der Menge treiben. Als er eine Weile umhergeschlendert war, fiel ihm eine junge Frau auf, die es offensichtlich auch nicht eilig hatte. Sie trug ein bodenlanges, elegantes Kleid und einen dazu passenden Hut mit einem Schleier, der ihr Gesicht nur schemenhaft erkennen ließ. Sie zog ihn irgendwie in ihren Bann. David ertappte sich selbst dabei, wie er sie regelrecht anstarrte. Sie war gut fünf Meter von ihm entfernt auf der anderen Straßenseite, als sich zufällig ihre Blicke trafen. David drehte reflexartig den Kopf herum und spürte, wie er rot im Gesicht anlief. Dennoch wagte er es, wieder in ihre Richtung zu schauen, aber sie war verschwunden, wie vom Erdboden verschluckt. Das leuchtend hellblaue Kleid hätte man in der Menge sofort erkennen müssen. Er beschleunigte seinen Schritt, versuchte durch die Schaufenster in das Innere der Läden zu schauen und blickte in jede Seitengasse – vergeblich. Schließlich gab er es auf, nach ihr zu suchen und beschloss, den Heimweg anzutreten. Kaum hatte er Kehrt gemacht, da stach ihm das helle Blau wieder ins Auge. Auch sie ging jetzt in die andere Richtung, immer noch mit derselben Ruhe und Gelassenheit. Er hätte sie trotz der Menschenmassen mühelos einholen können. Sollte er sie ansprechen? Aber ihm fiel nichts ein, außer ein paar Floskeln, mit denen er sich nur blamiert hätte. In diesem Moment blieb sie vor einem Schaufenster stehen, holte aus einem Täschchen eine Dose und nutzte offenbar die Glasfront als Spiegel, um sich ihre Nase zu pudern.

    Beim Wiedereinstecken der Dose fiel, von ihr unbemerkt, ein weißes Taschentuch auf den Boden. „Das ist die Gelegenheit!, schoss es David durch den Kopf, eilte zu ihr und hob das Tuch auf. „Entschuldigen Sie bitte, Mylady, ich glaube, Sie haben etwas verloren. Er hielt es ihr entgegen. „Oh, tatsächlich, das ist meines. Vielen Dank, Sir. Während sie es an sich nahm, fragte David: „Hätten Sie etwas dagegen, wenn ich Sie ein Stück begleite? „Warum sollte ich? Dies ist eine öffentliche Straße, da kann jeder laufen, wo er will. Mit dieser Antwort konnte er wenig anfangen. War sie zustimmend oder ablehnend? Die junge Frau setzte sich wieder langsam in Bewegung. David ebenfalls. „Wissen Sie, fing er unbeholfen an zu reden, „ich halte mich noch nicht sehr lange hier in der Stadt auf. „Nein, weiß ich nicht. Ihre Stimme klang sehr weich und mild, aber ihre Worte waren wenig aufmunternd. Trotzdem wagte er einen weiteren Versuch. „Kennen Sie sich hier gut aus? Sie blieb abrupt stehen und drehte sich zu ihm um. „Hören Sie, Sir, wenn Sie eine Auskunft von mir wollen, sagen Sie es mir direkt. Ansonsten steht mir im Moment nicht der Sinn nach einer banalen Konversation. David erwiderte grinsend: „Sie muss ja nicht banal sein. Aber seine Hartnäckigkeit wurde nicht belohnt. Sie blieb noch ein, zwei Sekunden stehen und sagte dann: „Guten Tag, Sir, drehte sich um und ging. „Naja, dachte David, „wenigstens bin ich um eine Erfahrung reicher: Es gibt doch nicht nur freundliche Menschen an diesem Ort. In diesem Moment fiel ihm seine Verabredung ein. Unwillkürlich schaute er auf sein linkes Handgelenk, um dann den Kopf ob seiner Vergesslichkeit zu schütteln. Daraufhin suchte er die Straße nach einer öffentlichen Uhr ab und wurde auch fündig. Erschrocken stellte er fest, dass es schon zwei Uhr nachmittags war. Um in die Herberge zurückzukehren, war es schon zu spät. Er musste sich hier in der Nähe eine Droschke suchen, um direkt zu den Mc Brides zu fahren. Gleichzeitig kam ihm die Frage in den Sinn, wie er mit seiner Aufmachung an dem Ausritt teilnehmen sollte. Er besaß keinerlei Ausrüstung. Aber das Problem musste vor Ort gelöst werden, jetzt sah er zu, die Gouverneursvilla zu erreichen. Eine freie Droschke war bald gefunden, sodass er pünktlich der Einladung folgen konnte. David dachte während der Fahrt darüber nach, ob Mc Bride das vertrauliche Du, das er in weinseliger Laune angeboten hatte, bereits wieder bereute. Doch das war nicht der Fall. Er öffnete ihm sogar persönlich die Tür und begrüßte ihn, mit dem Vornamen ansprechend, sehr freundlich. Der Anblick des Lord in seiner Reiterkluft war imposant, er wirkte darin wirklich aristokratisch und erinnerte David an sein Problem. „Ich fürchte, Thomas, an eurem Ausritt nicht teilnehmen zu können." „Oh, wie schade, aber was ist der Grund?

    Doch nicht etwa die Folgen des gestrigen Cognac-Konsums? Ich habe erheblich mehr getrunken als du und fühle mich fit. „Damit hat es auch nichts zu tun. Mir fehlt schlicht und einfach die richtige Ausrüstung. Thomas lachte. „Dass du nicht in Reiterkluft sozusagen aus dem Jenseits gekommen bist, war mir schon klar. Wir beide haben in etwa die gleiche Statur. Deshalb habe ich dir bereits etwas Passendes zurecht legen lassen. Er führte David in ein Gästezimmer, wo er sich umziehen konnte. Danach begaben sie sich zu den Stallungen hinter der Villa, wo Lady Mc Bride auf sie wartete. Auch die Pferde standen schon bereit. Nach der Begrüßung durch die Dame des Hauses gab David höflich seine Bedenken von sich: „Ich hoffe, Mylady, ich störe wirklich nicht. Sicherlich würden Sie auch gerne mit Ihrem Mann alleine ausreiten. Sie legte lächelnd den Kopf schief und erwiderte: „Wenn mich Ihre Anwesenheit stören würde, hätte ich bestimmt eine Ausrede gefunden, die Einladung abzusagen. Unterschätzen Sie mich nicht, Mr. Shuttler. „Das hatte ich auch keinesfalls vor. „Bevor wir noch lange palavern, bitte ich ums Aufsitzen, mischte sich Thomas ein und fügte, seine Frau ansprechend hinzu: „Mr. Shuttler muss uns erst noch beweisen, ob er überhaupt mit einem Pferd umgehen kann. Doch David machte schon instinktiv das Richtige und spürte, dass es für ihn nichts Ungewöhnliches war.

    Im Schritt verließen sie den Hof in Richtung einer Wiese, wo sie in Trab fielen – auch das ohne Probleme für David. Sie ritten dicht nebeneinander und konnten sich daher mühelos unterhalten. „Du sitzt aber keineswegs heute das erste Mal im Sattel. Sieht alles sehr routiniert bei dir aus, meinte Thomas anerkennend. „Passen Sie auf, Mr. Shuttler, meinem Mann in der Reitkunst nicht den Rang abzulaufen. Er wird sich möglicherweise ärgern, wenn Sie ihn von seiner Spitzenposition verdrängen. Mc Bride würdigte seine Frau mit einem strafenden Blick und kommentierte ihre Worte mit „Ha, ha, ha, sehr witzig. „Du bist also ein wahrer Meister in der Reitkunst?, wollte David wissen, aber Thomas widersprach: „Meine Künste diesbezüglich sind äußerst mager. Ich habe den Sport Mary zuliebe erlernt. Es macht mir zwar Spaß, aber dennoch bin ich froh, mich überhaupt im Sattel halten zu können. „Jetzt übertreibst du, Liebster, du bist ein begabter Schüler. „Demnach darf ich annehmen, dass Sie Ihrem Mann das Reiten beigebracht haben, Mylady. „So ist es, antwortete Thomas für seine Frau. „Dazu bedurfte es viel Geduld und Ausdauer. Mary saß wohl schon auf dem Rücken der Pferde, als sie noch gar nicht laufen konnte." Die Unterhaltung wurde unterbrochen, weil Lady Mc Bride das Pferd in den Galopp brachte und die Männer ihr folgten.

    Im Nu waren zwei Stunden vergangen und sie zu den Stallungen zurückgekehrt. „Sie werden doch sicherlich noch einen Tee mit uns trinken, Mr. Shuttler. David kam erst gar nicht dazu, eine Antwort zu geben, weil Thomas das übernahm. „Natürlich wird er, das ist doch klar. Er ist schließlich ein Gentleman und wird deine Einladung nicht ablehnen. Lachend stimmte David zu. Sie begaben sich in denselben Salon wie am Vorabend. „Das ist unser Lieblingszimmer, erklärte der Lord fast entschuldigend, so, als ob es sich in der besseren Gesellschaft nicht geziemte, einen Gast zwei Mal hintereinander in denselben Raum einzuladen. Erst bei dem heutigen Besuch fiel David die weitere Größe der Villa auf. Sie glich eher einem Schlösschen. In Anbetracht der Tatsache, dass sie sicherlich nicht nur Wohn-, sondern auch Amtssitz des Gouverneurs war, wunderte er sich nicht darüber. Die Mc Brides waren es zweifellos gewohnt, hier offizielle Veranstaltungen durchzuführen, so wie sie es auch gewohnt waren, sich ständig von Personal bedienen zu lassen. Während es sich die drei im Salon bequem machten, brachten der Butler und ein Stubenmädchen Tee und Gebäck. Zu Beginn der Unterhaltung war David noch etwas unsicher, da er nicht wusste, inwieweit die Dame des Hauses über sein Schicksal informiert war und wenn nicht, wie sie seine abstruse Geschichte bewerten würde. Aber im Laufe des Gesprächs stellte sich heraus, dass Thomas sie offenbar in groben Zügen aufgeklärt hatte und Lady Mc Bride unbefangen mit den Gegebenheiten umging. David empfand dies als große Erleichterung. „Sie wohnen also in einer Herberge, Mr. Shuttler?, wollte Lady Mc Bride wissen, als sie auf das Thema seiner Unterkunft zu sprechen kamen. „Ist das auf Dauer nicht ziemlich beengend? „Nun, eine Wohnung wäre mir natürlich lieber, aber die Umstände zwingen mich dazu. Sie überlegte eine Weile und wandte sich dann an ihren Mann: „Steht nicht das Gästehaus in der Nähe der britischen Kasernen zur Zeit leer? „Ja, natürlich, erwiderte dieser und griff sich mit der flachen Hand an die Stirn, „dass ich nicht selbst schon darauf gekommen bin. Was hältst du davon, dort einzuziehen? „Ich weiß nicht, antwortete David zögerlich. „Meine Mittel sind derzeit etwas begrenzt und die Herberge ist preisgünstig. Außerdem besitze ich, soweit ich weiß, keine Möbel. „Beide Probleme sind schon gelöst. Das Gästehaus stelle ich dir im Namen des Britischen Empire kostenlos zur Verfügung, es ist im Übrigen voll möbliert. Doch David war noch keineswegs davon überzeugt.

    „Das kann ich nicht annehmen, Thomas. Ich käme mir vor wie ein Schmarotzer. „Nehmen wir mal an, Mr. Shuttler, Sie sind Reiseschriftsteller. Sie wandte sich bei ihren folgenden Worten an ihren Mann: „Gibt es nicht noch sehr viel über Bapogana zu berichten, was man in Großbritannien aufsaugen wird, wie ein Schwamm? Du hast doch kürzlich darüber geklagt, dass zu wenig geeignete Leute für solche Berichterstattungen existieren, was einen wahrlichen Mangel für das Empire darstellt. „Du liebe Güte, stöhnte der Lord auf, „ich glaube, mein Liebling, ich sollte meinen Posten als Gouverneur von Bapogana besser dir übertragen. Die wirklich guten Ideen tragen sowieso deine Handschrift. David, wärst du bereit, in die Dienste Seiner Majestät Georgs V. zu treten? Das kam für ihn absolut überraschend. „Meinst du das völlig im Ernst, Thomas? Er wusste wirklich nicht, ob der Gouverneur ihn jetzt auf den Arm nehmen wollte. „Natürlich meine ich das im Ernst. Wir machen das ganz offiziell, mit Vertrag. Als Berichterstatter für das UK würdest du in die Position eines Diplomaten rücken, natürlich verbunden mit einer entsprechenden Besoldung. David konnte den Vorschlag immer noch nicht fassen. „Ich bin aber, soweit ich weiß, Deutscher. Wie kann ich da britischer Diplomat werden?, gab er zu bedenken. Doch Mc Bride ließ seinen Einwand nicht gelten. „In den europäischen Königshäusern wurde auch nie nach der Nationalität gefragt. Man fühlt sich dem Land verpflichtet, dem man dient und nicht dem, in dem man geboren wurde. So einfach ist das. Im Zweifelsfall besorge ich dir einen britischen Pass." Es bedurfte aber noch einiges an Überredungskunst von beiden Mc Brides, bis David endlich zustimmte.

    Im weiteren Verlauf ihres Gesprächs erfuhr er noch viel über die noch wenig oder gar nicht erforschten Seiten Bapoganas. Dabei stieß die Schilderung einer bestimmten Region, der Nemang-Schlucht, auf sein besonderes Interesse. „Man nimmt an, dass der gleichnamige Fluss dort seinen Ursprung hat. Lord Mc Bride legte etwas Geheimnisvolles in seine Erzählungen. „Außerdem soll es der Sitz vieler Geister und Götter der Bapos sein. Sie huldigen nämlich einer Naturreligion und sämtliche britische Versuche, die Menschen hier zu missionieren, sind weitgehend fehlgeschlagen. Die Nemang-Schlucht hat noch niemand, weder Einheimischer, noch Forscher, erforscht. Das Gebiet ist extrem unwegsam. Tosende Wasserfälle und wilde Flussläufe prägen das Bild. Dennoch übt die Schlucht eine immense Faszination aus. Aber kaum jemand wagt sich dort hinein, geschweige denn, sie ganz und gar zu durchqueren. David kam ins Grübeln. Sollte er darin vielleicht eine, seine, Herausforderung sehen? Eine Expedition in die Nemang-Schlucht? Wäre ein ausführlicher Bericht darüber nicht eine Bereicherung für die Menschen in Bapogana und die britische Nation? Mary Mc Bride schien Gedanken lesen zu können, denn sie sprach ihn direkt darauf an: „Sie erwägen doch nicht etwa, sich solch einer Aufgabe zu widmen? „Was meinen Sie damit, Mylady? „Die Erforschung der Nemang-Schlucht. Bevor er die Frage beantworten konnte, klopfte es an der Tür und der Butler trat nach Aufforderung ein, um anzukündigen, dass das Dinner bald fertig sei. „Oh je, meinte David, „ist es schon so spät. Dann will ich Sie und Ihren Gatten nicht länger stören, Mylady. Wenn Sie gestatten, ziehe ich mich noch schnell um und verschwinde dann. „Ja und nein, erwiderte die Dame des Hauses lächelnd und fügte dann auf Davids fragenden Blick hinzu: „Wir werden uns jetzt alle umziehen und danach gemeinsam das Dinner zu uns nehmen. Sie werden uns doch sicher nicht durch eine Absage enttäuschen wollen. „Natürlich nicht, mein Liebes. Du hältst doch Mr. Shuttler nicht etwa für einen unhöflichen Menschen? Was blieb David bei diesen Worten anderes übrig, als die Einladung anzunehmen? Mary ordnete an, das Dinner im „kleinen Speisezimmer" zu servieren.

    Der Butler wartete vor Davids Umkleideraum, um ihn dann in den richtigen Raum zu begleiten. Dort wartete bereits Thomas und meinte augenzwinkernd: „Bei meiner Gattin dauert es etwas länger, aber es kann sich nur um Stunden handeln. Doch ganz so schlimm war es dann nicht. Sie erschien in bezaubernder Abendrobe und David gab sich viel Mühe, sie nicht allzu bewundernd anzuschauen. Beim Dinner wurde das Gespräch von vorhin fortgesetzt. Im „kleinen Speisezimmer war es üblich, dass kein Personal anwesend war, um sie zu bedienen. Für David ein angenehmer Umstand, denn man konnte ungestört reden. „Also, Mr. Shuttler, spielen Sie wirklich mit dem Gedanken, die Nemang-Schlucht zu erforschen? „Wenn mir der Gouverneur den Auftrag dazu erteilt, werde ich nicht nein sagen. Ich würde mich darüber freuen. „Der Gouverneur kann dir nicht so ohne Weiteres den Auftrag dazu erteilen, wandte Lord Mc Bride ein. „Ihre Hoheit, die Nagadshi, muss ihre Zustimmung geben. Das ist eine bindende Voraussetzung. „So wie du es sagst, klingt es ziemlich aussichtslos, stellte David fest und war schon bereit, die Sache abzuhaken. Aber Thomas wiegelte ab. „Nein, aussichtslos ist es nicht. Doch die Nagadshi muss natürlich darauf achten, dass die religiösen Gefühle ihres Volkes geachtet werden. Daher ist es notwendig, ihr den Sinn einer solchen Expedition schmackhaft zu machen. Reine Abenteuerlust wird sie kaum überzeugen können. Sie diskutierten noch eine Weile darüber, bis David dem Gouverneur schließlich die Frage, die ihm besonders am Herzen lag, stellte: „Würdest du dich denn bereit dazu erklären, bei der Nagadshi ein gutes Wort für eine solche Expedition einzulegen? Thomas lachte kurz auf. „Natürlich, aber überschätze meinen Einfluss nicht. Wenn sich die Nagadshi ein genaues Bild von einer solchen Aktion machen will – und das wird sie – ist es unvermeidlich, dass derjenige, der die Expedition zu leiten gedenkt, persönlich bei ihr vorspricht. Wenn du also an deinem Vorhaben festhalten willst, musst du dich um eine Audienz bei ihr bemühen. Diese Vorstellung war David allerdings nicht sonderlich angenehm. Bei einer diktatorisch herrschenden Königin zu Kreuze zu kriechen war überhaupt nicht nach seinem Geschmack. „Außerdem bist du auf ihre Hilfe angewiesen, fügte Thomas hinzu. „Du brauchst einheimische Führer, die sie zur Verfügung stellen muss. Ich kann dir bei solchen Dingen wenig von Nutzen sein. Einen Termin für eine Audienz zu beschaffen liegt allerdings in meinen Möglichkeiten, ebenso wie die Sammlung so vieler Informationen, wie verfügbar sind. Danach begannen sie Pläne zu schmieden, die in den folgenden Stunden immer konkreter wurden. Der Abend endete wieder spät, allerdings mit einer Vielzahl tiefgreifender Änderungen für David. Als er sich mit einer Droschke auf den Heimweg machte, war er zwar ein Mann ohne Vergangenheit, aber mit einer durchaus Erfolg versprechenden Zukunft.

    In den folgenden Tagen war er aber hauptsächlich mit seinem Umzug beschäftigt. Sein neues Zuhause lag einen Steinwurf von britischen Kolonialkasernen und Exerzierplätzen entfernt. Tagsüber konnte er die militärischen Kommandos mit verfolgen, dafür herrschte am Abend himmlische Ruhe. Das Gästehaus verfügte über mehrere Zimmer, war aber durchaus überschaubar. Ein kleiner Garten rundete die Idylle ab. David fühlte sich von Anfang an wohl hier, die Einrichtung des kleinen Hauses war durchaus nach seinem Geschmack. Langsam aber sicher fand er sich mit dem Umstand seiner fehlenden Erinnerung ab. Er wollte nur noch nach vorne schauen, um sein Leben sinnvoll gestalten zu können. Nach ein paar Tagen fand er Zeit und Ruhe, sich mit der

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