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Das Geheimnis vom IJsselmeer
Das Geheimnis vom IJsselmeer
Das Geheimnis vom IJsselmeer
Ebook254 pages3 hours

Das Geheimnis vom IJsselmeer

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About this ebook

Neun Jahre sind vergangen, seit Eriks Schwester während einer Europareise verschwunden ist. Lediglich eine Postkarte aus Brügge, Anitas letztes Lebenszeichen, erinnert an sie; seitdem fehlt von ihr jede Spur. Eriks anfängliche Hoffnung auf den Erfolg der Internationalen Fahndung ist schon längst der Trauer und Resignation gewichen. Ablenkung findet er nur in seiner Arbeit. Als eines Tages ein Bild von Brügge alle verdrängten Emotionen wieder hochkommen lässt, entschließt sich Erik selbst auf die Reise zu gehen. Es wird ein Aufbruch zu ungewissen Ufern, der ihn in ein faszinierendes Land und zu Menschen führt, die ihm viel zu erzählen haben. Und tatsächlich stößt er auf seiner Reise immer wieder auf rätselhafte Spuren, die seine Schwester für ihn gelegt zu haben scheint. Der Schweizer Autor Christian Barmettler versteht es wunderbar, seine Liebe zu den Niederlanden gekonnt in eine wunderbare Story einzubinden, die spannender und geheimnisvoller nicht sein könnte. Dieser Roman mit geheimnisvollem Hintergrund ist gleichzeitig aber auch Reiseliteratur pur, die viele Regionen der Niederlande detailliert beschreibt.
LanguageDeutsch
PublisherVerlag Kern
Release dateApr 15, 2013
ISBN9783944224565
Das Geheimnis vom IJsselmeer

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    Book preview

    Das Geheimnis vom IJsselmeer - Christian Barmettler

    Christian Barmettier

    Das Geheimnis vom IJsselmeer

    Christian Barmettier

    Das Geheimnis vom lJsselmeer

    Bibliografische Informationen der Deutschen Bibliothek:

    Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte Dateien sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar

    Impressum:

    © 2013 Verlag Kern

    Autor: Christian Barmettler

    © Inhaltliche Rechte beim Autor

    Herstellung: Verlag Kern, Bayreuth

    Umschlagdesign und Satz: www.winkler-layout.de

    Printed in Germany

    ISBN: 9783944224-701

    ISBN E-Book: 9783944224565

    www.verlag-kern.de

    Inhaltsverzeichnis

    Cover

    Titel

    Copyright

    Prolog

    1

    2

    3

    4

    5

    6

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    37

    Epilog

    Über den Autor

    Prolog

    Tief atmet Erik die frische Brise ein, die vom IJsselmeer zu ihm herüber weht. Er spürt, wie diese Luft, in welcher er bereits ein bisschen Salz zu riechen glaubt, seinen Körper belebt. Von seiner Lunge breitet sich ein herrlich wohliges Kribbeln in seine Arme und Beine und bis in die Fingerund Zehenspitzen aus. Dabei schweift sein Blick über die kleinen Häuser dieses niederländischen Fischerstädtchens. Die Nachmittagssonne taucht die grünen und hellbraunen Fassaden der gepflegten zwei- bis dreigeschossigen Gebäude in ein warmes Licht. Die rostroten und dunkelgrauen Dächer sind von weissen Giebeln gerahmt, die sich vor dem blauen Hintergrund deutlich abzeichnen.

    Die Segelschiffchen im Hafen vor den Häusern schaukeln im Spiel der Wellen sanft auf und ab. Die Buchstabenfolge UK prangt von den Vordersteven der meisten Schiffe. Die Spitzen der Masten ragen hoch in die Luft und scheinen eine geheimnisvolle Zeichnung in den Himmel malen zu wollen. Kindergelächter dringt an Eriks Ohr. Dort drüben am Kai spielen vergnügt einige Kinder. Und auch dort, an Bord dieses kleinen blauen Segelschiffchens mit der hellbraunen Kajüte sind Kinder zu sehen, die sich über die Reling lehnen. Erik hat das Gefühl, dass in diesem kleinen Fischerstädtchen vor allem Kinder leben würden.

    Er dreht seinen Kopf und überblickt den weissen Sandstrand. Im Hochsommer tummeln sich hier bestimmt hunderte von Badegästen. Doch jetzt ist er leer; menschenleer zumindest. Nur ein paar Möwen flattern kreischend über die Sandfläche und scheinen sich um etwas Essbares zu streiten. Dahinter erstreckt sich die riesige Wasserfläche des IJsselmeers, dessen Oberfläche durch Wind und Wellen gekräuselt ist. Weit draussen ist ein einsames Segelschiffchen unterwegs. Und es macht den Anschein, als würde es in die Unendlichkeit fahren. An einen Ort, wo Zeit, Geld, Hektik, Krieg und Gewalt Fremdwörter sind. Und Erik wünscht sich in diesem Moment nichts mehr, als dorthin mitfahren zu können.

    1 13. Mai 2009 - Gekonnt und in zügigem Tempo lässt Erik seine Finger über die Tastatur gleiten. Gerade gibt er einige HTML-Befehle in den Quelltext ein. Er arbeitet an der Website eines Kunden, eines Reiseveranstalters, der sich auf Destinationen in Europa spezialisiert hat.

    Erik ist Webdesigner von Beruf. Er mag seine Arbeit sehr. Es ist für ihn immer wieder spannend, die Vorstellungen und Ideen von Kunden zu konkretisieren und umzusetzen in eine Homepage, die dann seine Handschrift trägt. Erik hinterlässt gerne Spuren. Spuren im Internet zum Beispiel.

    Er arbeitet gerade an der Unterseite, auf welcher der Reiseveranstalter Vorschläge macht für Trips in die Benelux-Staaten. Amsterdam im Frühling zum Beispiel, inklusive blühende Tulpenfelder, alte Windmühlen und Holzschuh-Fabrikationen. Oder eine Flandern-Rundfahrt mit den geschichtsträchtigen belgischen Städten Antwerpen, Gent und Brügge.

    Brügge. Auf einmal hält Erik inne und lässt seine Finger auf die Tastatur sinken. Als er die Vorschau dieser Unterseite betrachtet, sieht er ein Foto von prunkvollen alten Häusern und darunter wieder der Name dieser Stadt: Brügge. Erik war noch nie dort und trotzdem erfüllt dieser Name seine Gedanken mit Schmerz. Von dort bekam er einst eine Ansichtskarte. Im Jahre 2000, von seiner Schwester Anita. Es war ihr letztes Lebenszeichen. Seither ist sie verschollen. Erik lehnt sich in seinem Bürostuhl zurück und betrachtet den Bildschirm mit dem Foto. Auf der Ansichtskarte damals war ein ähnliches Bild mit reich verzierten alten Häusern. Jahrelang hat Erik versucht, den Schmerz zu verdrängen. Die Ungewissheit über das Schicksal seiner Schwester zur Seite zu schieben. Er hat sich in seine Arbeit gestürzt, die ihm Ablenkung gebracht hat. Er hat bereits geglaubt, diesen grausamen Schicksalsschlag von damals überwunden zu haben, immerhin sind doch bereits neun Jahre seither vergangen. Und wie heißt es doch so schön: Die Zeit heilt alle Wunden. Doch jetzt holt ein einziges Wort all diese schlimmen Erinnerungen wieder zuvorderst in sein Gedächtnis: Brügge.

    Erik hat eine wohlbehütete Kindheit erlebt. Er ist zusammen mit seinen Eltern und seiner um zwei Jahre jüngerer Schwester Anita aufgewachsen. Und zu seiner Schwester hatte er immer ein besonders inniges Verhältnis. Fast die ganze Freizeit verbrachten sie als Kinder zusammen; zogen zu zweit durch die Wälder, vergnügten sich am Bach und spielten Verstecken.

    Erik kann sich an jenen Tag erinnern, als er nicht den Mut aufbrachte, auf den grossen Kastanienbaum hinter dem Schulhaus zu klettern. Dieser Baum, das war die Mutprobe schlechthin für alle Buben seiner Schule. Wer oben war, der hatte die Mutprobe erfüllt. Wer es nicht schaffte, der war ein Feigling. Erik hatte es nicht geschafft. Er war ohnehin nicht der, der von Selbstvertrauen und Mut strotzte. Er war für sein Alter immer ein bisschen klein und schmächtig.

    Erik erinnert sich daran, wie er Anita an diesem Abend von seiner Blamage erzählt hatte. Und wie sie liebevoll ihren Arm um seinen Hals legte und ihm ins Ohr flüsterte: „Weisst du, Erik, mir ist es vollkommen egal, ob du auf dem Baum oben warst oder nicht. Für mich bist du einfach der beste Bruder, den man haben kann!"

    All die kleinen Kindersorgen hatten sie damals gemeinsam bewältigt. Bei schlechten Schulnoten trösteten sie sich gegenseitig. Auch später, als Jugendliche, blieb diese starke Bindung zwischen den beiden Geschwistern erhalten. Als Erik zum ersten Mal verliebt war und das Mädchen ihm nach kurzer Zeit den Rücken zu kehrte, hatte Anita ihn getröstet.

    Und als wenige Monate später Anitas erste Liebe den Bach runter ging, war es Erik, der seine Schwester in den Arm nahm und Trost spendete.

    Das war eine wunderschöne Zeit und vor allem auch eine menschliche. Erik hatte das Leben in dieser liebevollen Umgebung sehr genossen. Bis dann das Schicksal so erbarmungslos zuschlug.

    Als er 21 war, starb völlig überraschend seine Mutter an einem Krebsleiden. Vor allem Anita, die ihre Mutter über alles verehrt hatte, konnte diesen grauenvollen Schicksalsschlag einfach nicht verarbeiten. Wochenlang hatte sie geweint. Erik hatte oft versucht, sie zu trösten. Doch es gelang ihm nicht. Schließlich war er selber auch so traurig und erschüttert und wenn er sie in den Arm nahm, um ihr Trost zu spenden, endete es häufig damit, dass sie beide um die Wette heulten. Zudem wollte Erik nach vorne schauen und das Schlimme hinter sich zurücklassen.

    Dann kam der Tag, an welchem Anita ihm eröffnete, dass sie eine Reise machen wolle. Eine Reise quer durch Europa. Und sie wünschte sich, dass er sie begleiten würde. Doch Erik hatte zu diesem Zeitpunkt gerade eben diese Stelle als Webdesigner angetreten. Ein Traumjob mit einem guten Lohn. Und den wollte er auf keinen Fall schon wieder aufgeben. Deshalb zog seine Schwester alleine los.

    Heute weiss Erik, dass es ein Fehler war. Er hätte seine Schwester niemals alleine gehen lassen dürfen, nicht in dem Zustand, in dem sie war. Obwohl seit dem Tod ihrer Mutter damals zwei Jahre vergangen waren, hatte sie diesen Schicksalsschlag noch immer nicht verwunden. Sie trauerte noch immer. Und ihr Schmerz war immer noch riesig. Warum liess er sie nur alleine ziehen?

    Und dann ein paar Monate später gleich der nächste Fehler: wieso hatte er nicht nach ihr gesucht, nachdem sie verschwunden war? Warum war er ihr nicht nachgereist? Das einzige, das er getan hatte, war, eine Vermisstenanzeige bei der Polizei aufzugeben. Herzlich wenig für einen Menschen, den man liebt.

    Noch immer fixiert Eriks Blick das Foto der verschnörkelten historischen Häuser auf dem Bildschirm. Brügge. Er spürt, wie es ihm die Kehle zuschnürt und wie die Tränen in seine Augen steigen.

    „Hey, Erik, was ist denn los mit dir?" fragt plötzlich ein Arbeitskollege. Er läuft zu ihm hin, legt ihm die Hand auf die Schulter und schaut auf seinen Bildschirm. Es ist nichts Außergewöhnliches darauf zu sehen.

    „Du brauchst ein bisschen frische Luft. Komm, wir gehen schnell raus!"

    Die beiden begeben sich auf die Terrasse, die sich hinter dem Büro befindet und auf welcher die Raucher jeweils ihr Verlangen stillen. Eriks Arbeitskollege zieht eine Zigarette aus der Packung und steckt sie sich in den Mund.

    „Gibst du mir auch eine, Timmy?" fragt Erik.

    „Ich denke, du bist Nichtraucher?" meint sein Arbeitskollege erstaunt.

    „Eigentlich ja, aber jetzt brauche ich eine."

    Tim streckt ihm die Packung entgegen. Erik zieht eine Zigarette heraus und steckt sie in seinen Mund. Dann lässt er sie sich von seinem Kollegen anzünden.

    „Willst du darüber reden?" fragt Tim, nachdem es etwa eine Minute lang absolut still war.

    „Ich arbeite doch gerade an der Website für diesen Reiseveranstalter, erzählt Erik. „Da bin ich auf eine Rundreise gestoßen durch flämische Städte, unter anderem nach Brügge.

    „Na und?"

    „Hab ich dir mal von meiner Schwester erzählt, Timmy?"

    Tim schüttelt den Kopf. „Du erzählst sowieso nie etwas aus deinem Privatleben, Erik."

    „Na ja. Ich finde, wenn man zur Arbeit geht, sollte man sein Privatleben zu Hause lassen. Erik zieht an der Zigarette und bläst dann den Rauch über seine Lippen. Dann beginnt er zu erzählen: „Vor elf Jahren starb unsere Mutter überraschend an Krebs. Meine Schwester Anita konnte diesen Schicksalsschlag einfach nicht verkraften. Zwei Jahre später sagte sie mir, sie müsse weg. Sie wollte eine Reise durch Europa machen. Und sie wollte, dass ich mitkomme. Aber damals hatte ich gerade diesen Job hier angetreten und den wollte ich nicht verlieren. So ging sie dann eben alleine. Seither habe ich sie nie wieder gesehen. Sie verschwand spurlos. Ihr letztes Lebenszeichen war eine Ansichtskarte. Eine Ansichtskarte aus Brügge.

    „Oh Gott, das ist ja furchtbar, meint Tim. „Und als du nun ein Bild von diesem Brügge gesehen hast, ist natürlich alles wieder hochgekommen.

    „Es war ein Fehler, sie damals alleine ziehen zu lassen, resümiert Erik. „Und es war genauso ein Fehler, die Suche nach ihr der Polizei zu überlassen. Ich hätte selber nach ihr suchen müssen.

    „Ach komm, nun mach dir doch keine Vorwürfe, Erik, meint Tim und legt seinem Arbeitskollegen die Hand auf die Schulter. „Das Schicksal kannst du ohnehin nicht beeinflussen.

    „Hast du eine Schwester, Timmy? will Erik wissen. Tim nickt. „Was würdest du tun, wenn sie verschwinden würde?

    „Das gleiche wie du, Erik, antwortet Tim. „Ich würde eine Vermisstenanzeige bei der Polizei aufgeben.

    Erik drückt die Zigarette im Aschenbecher aus. „Seltsam, flüstert er. „Warum sind wir Menschen so egoistisch? Ich verstehe das nicht.

    2 Es fällt Erik schon auf, dass es irgendwie nach Essen riecht, als er seine Wohnung betritt. Das ist außergewöhnlich, denn in der letzten Zeit war seine Freundin so sehr mit ihrer Höheren Fachschulausbildung beschäftigt, dass ihr zum Kochen schlicht die Zeit fehlte.

    „Jolanda? Bist du schon zu Hause? ruft er, während er sich die Schuhe auszieht und die Tür hinter sich ins Schloss zieht. Dann läuft er den Gang entlang und steckt seinen Kopf durch die Türöffnung ins Wohnzimmer. „Jolanda?

    Auf einmal spürt Erik, wie sich zwei Arme um seinen Bauch legen. Instinktiv legt er seine Hände darauf und schaut zurück über seine Schultern. Er blickt direkt in das strahlende Gesicht seiner Freundin.

    „Hallo, Schatz!" begrüsst sie ihn und gibt ihm einen Kuss.

    „Schön, dass du da bist!"

    „Hallo, Liebling, antwortet Erik. „Na, du machst vielleicht einen glücklichen Eindruck! Was ist denn los mit dir?

    „Ich habe heute endlich meine Diplomarbeit abgeschlossen!"

    erzählt Jolanda feierlich.

    „Ach, wirklich? Das heißt, ich brauche in Zukunft nicht mehr auf Zehenspitzen durch die Wohnung zu laufen?"

    „Nein, das brauchst du nicht mehr, mein Schatz! frohlockt die junge Frau. „Und kochen musst du in Zukunft auch nicht mehr selber!

    „Na ja, ich hätte mich beinahe schon daran gewöhnt!"

    erwidert Erik.

    Jolanda packt ihren Freund an der Hand und zieht ihn in Richtung Küche. „Komm, Erik, schau mal, ich habe dein Leibgericht gekocht! Piccata milanese!"

    „Oh, du bist ja wahnsinnig! Aber warum hast du denn nicht dein Leibgericht gekocht, Liebling? Schließlich hast du ja Grund zum Feiern!"

    „Das mache ich dann, wenn mein Abschluss erfolgreich war, erklärt Jolanda. „Schließlich habe ich meine Diplomarbeit erst fertig geschrieben, abgenommen ist sie noch nicht! Und du hast mich in der letzten Zeit soo sehr unterstützt!

    „Ich habe dich unterstützt?, fragt Erik erstaunt. „Das muss mir entgangen sein. Womit denn?

    „Na ja, du hast keinen Lärm gemacht, du hast keine unnötigen Fragen gestellt, du hast selbst gekocht und abgewaschen und es hat dich auch nicht gestört, dass ich den Computer ständig besetzt habe."

    „Nun ja, abgewaschen hat immer noch die Geschirrspülmaschine, relativiert Erik. „Und was den PC betrifft: Ich sitze schon im Büro die ganze Zeit vor der Kiste, da geniesse ich es doch richtig, meine Freizeit nicht auch noch davor zu verbringen.

    „Hauptsache, du setzt dich jetzt an den Tisch, Erik, das Essen kommt gleich!"

    „Kann ich dir nicht behilflich sein?"

    „Hüte dich! Die Küche ist heute allergisch auf männliche Wesen."

    „Oh, na gut, dann lasse ich das lieber sein!" meint Erik und setzt sich an den Tisch. Kurz darauf serviert Jolanda das Essen und setzt sich danach zu ihrem Freund.

    „Guten Appetit, Erik!"

    „Dir auch, Jolanda!" erwidert Erik und beginnt in den Tomatenspaghetti herum zu stochern.

    „Schmeckt es dir nicht, Schatz?" fragt Jolanda nach einigen Minuten.

    „Doch, es ist ausgezeichnet", antwortet Erik.

    „Aber du hast ja noch fast nichts gegessen!"

    „Ich habe heute irgendwie keinen richtigen Appetit. Es tut mir so leid, Jolanda, du hast so gut gekocht!"

    Besorgt schaut Jolanda ihren Freund an. „Was fehlt dir denn, Schatz? Bist du krank? Soll ich einen Arzt rufen?"

    „Nein, das ist nicht nötig, versichert er. „Ich fühle mich nur ein bisschen flau in der Magengegend.

    Jolanda steht auf, stellt sich hinter ihren Freund und legt ihm die Arme um den Hals. „Dabei wollte ich dir doch eine Freude mit dem Essen machen."

    „Das hast du doch auch, Liebling, entgegnet Erik. „Es ist wunderbar!

    „Aber du hast doch kaum etwas gegessen", stellt Jolanda fest und lässt ihren Blick traurig über den Teller ihres Freundes schweifen. Ihre Fröhlichkeit, die sie eben noch versprüht hat, ist wie weggeblasen.

    „Macht es dir etwas aus, wenn ich mich ein bisschen ins Wohnzimmer setze, Liebling? fragt Erik. Jolanda schüttelt den Kopf. „Soll ich dir etwas bringen? Möchtest du einen Tee?

    „Nein, danke, im Moment brauche ich nichts."

    Müde steht Erik auf, läuft ins Wohnzimmer und setzt sich auf das Sofa. Er hört, wie seine Freundin im Esszimmer das Geschirr abräumt und die Geschirrspülmaschine damit füllt. Er weiss, dass er sie enttäuscht hat und das tut ihm weh. Doch dann sind seine Gedanken schon wieder bei seiner Schwester. Erik erinnert sich an jenen Tag, an welchem er die Ansichtskarte aus seinem Briefkasten fischte. Die Ansichtskarte aus Brügge. Es war nicht die erste Karte, die er während dieser Reise von seiner Schwester bekommen hatte. Zuvor erhielt er schon eine Postkarte von der Côte d’Azur, dann eine aus der Bretagne und schließlich eben jene aus Brügge. Und immer lagen zwei bis drei Wochen dazwischen.

    Erik erinnert sich daran, wie er die Postkarte gelesen und sie, ohne sich etwas Besonderes dabei zu denken, auf den Schreibtisch gestellt hatte. Damals konnte er ja noch nicht ahnen, dass dies das letzte Lebenszeichen seiner Schwester sein würde. Doch dann kam einfach nichts mehr. Keine Postkarte, kein Telefonanruf. Nichts. Einfach Flaute. Und dies bis heute.

    Inzwischen hat Jolanda neben ihrem Freund Platz genommen und legt ihren Arm behutsam um seine Schultern. „Dich bedrückt doch etwas, Erik, meint sie. „Willst du mir nicht sagen, was es ist?

    Erik schaut seiner Freundin in die Augen, dann beginnt er leise zu erzählen: „Ich habe heute auf der Homepage eines Kunden ein Foto von Brügge gesehen."

    Er schweigt mehrere Sekunden, als ob er darauf warten würde, dass bei Jolanda der Groschen fällt. Doch sie kann den Zusammenhang nicht erkennen, obwohl Erik ihr damals, als sie sich vor einigen Jahren kennenlernten, vom Schicksal seiner Schwester erzählt hatte.

    „Ja und?" hakt sie nach.

    „Aus Brügge kam die letzte Postkarte meiner Schwester", erklärt Erik und beginnt leise zu schluchzen.

    Jolanda seufzt. „Das ist es also. Die Ungewissheit. Ich habe gewusst, dass dich das irgendwann wieder einholt, Erik. Die Ungewissheit, was mit deiner Schwester damals passiert ist."

    „Ich war mir doch so sicher, das Thema abgeschlossen zu haben, schluchzt Erik. „Ich dachte, darüber hinweg zu sein. Und jetzt hat ein simples Foto von dieser Stadt gereicht, um alles wieder zuvorderst in mein Gedächtnis zu holen.

    „Erik, du weisst, dass ich dich liebe, flüstert Jolanda. „Ich möchte dich auf keinen Fall fortschicken und erst recht möchte ich dich nicht verlieren. Aber du musst endlich deine Vergangenheit aufräumen! Du musst versuchen, herauszufinden, was mit deiner Schwester passiert ist! Fahr nach Brügge und such nach ihr!

    „Wie stellst du dir das vor?, fragt Erik verzweifelt. „Das ist neun Jahre her!

    „Wenn du jetzt nicht gehst, wirst du dir für den Rest deines Lebens Vorwürfe machen, weshalb du nichts unternommen hast."

    „Ich finde doch jetzt nichts mehr von ihr, meint Erik. „Es ist so lange her. Ich habe viel zu lange gewartet.

    „Du weißt ja noch nicht einmal, ob sie noch lebt oder nicht. Du hast doch

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