Heimatkinder 26 – Heimatroman: Der Erbe vom Lenz-Hof
By Elli Haft
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Lukas Lenz trat an das Fenster des großen, behaglich eingerichteten Wohnzimmers und schaute in den dichten Nebel hinaus, der um diese Jahreszeit jeden Morgen über dem weiten, flachen Land lag. Es war unwirklich still. Kein Geräusch war zu hören. Auch nicht im Haus. Und wie lebhaft war es früher auf dem großen Hof zugegangen, als seine Frau noch lebte, die Marei. Lukas Lenz hasste Nebel. Nebel war etwas, das einen Menschen hilflos machte. Der Hofbesitzer Lukas Lenz aber war reich, klug, ein geachteter Mann. Die Nachbarn erbaten seinen Rat. Die Leute im Dorf grüßten höflich. Nebel konnte nicht überwunden werden. Man musste ihn dulden. Auch Lukas Lenz musste ihn erdulden, bis die Sonne kam, ihn auflöste und mit unsichtbarer Hand fortwischte.
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Heimatkinder 26 – Heimatroman - Elli Haft
Heimatkinder –26–
Der Erbe vom Lenz-Hof
Mit Klein-Michael kam das große Glück
Roman von Elli Haft
Lukas Lenz trat an das Fenster des großen, behaglich eingerichteten Wohnzimmers und schaute in den dichten Nebel hinaus, der um diese Jahreszeit jeden Morgen über dem weiten, flachen Land lag.
Es war unwirklich still. Kein Geräusch war zu hören. Auch nicht im Haus. Und wie lebhaft war es früher auf dem großen Hof zugegangen, als seine Frau noch lebte, die Marei.
Lukas Lenz hasste Nebel. Nebel war etwas, das einen Menschen hilflos machte. Der Hofbesitzer Lukas Lenz aber war reich, klug, ein geachteter Mann. Die Nachbarn erbaten seinen Rat. Die Leute im Dorf grüßten höflich. Nebel konnte nicht überwunden werden. Man musste ihn dulden. Auch Lukas Lenz musste ihn erdulden, bis die Sonne kam, ihn auflöste und mit unsichtbarer Hand fortwischte.
Es war Sonntag. Zu früh, um irgendetwas zu tun. Lukas Lenz gehörte zu den Menschen, die den Sonntag heiligen.
Er trat an seinen Schreibtisch, setzte sich und nahm einen Brief und eine Fotografie auf. Stützte die Ellenbogen auf die wuchtige Platte des Tisches und sah sinnend auf die Fotografie.
In herzlicher Dankbarkeit, Regina!
Er las das wieder und wieder. Regina war etwa zweiundzwanzig Jahre alt, hatte große dunkle Augen, die von langen Wimpern umgeben waren. Sie war schlank und feingliedrig und hatte ein so liebes Gesicht, dass man es gernhaben musste. Regina Waldbauer!
Ihr Vater war sein Jugendfreund gewesen. Als jüngstes von sieben Kindern wurde er Lehrer. Lukas Lenz hatte ihn vor diesem Beruf gewarnt. Hungerleider, hatte er gesagt, doch Reginas Vater ließ sich nicht beirren. Auf dem Hof des Vaters wäre nie mehr als ein kümmerliches Leben für ihn gewesen. So wurde er Lehrer. Er liebte seinen Beruf. Und er heiratete ein Mädchen, das er liebte, das ihm aber nichts an Vermögen mit in die Ehe brachte.
Als die Eltern ziemlich bald hintereinander gestorben waren, hinterließen sie Regina nichts als die Möbel der kleinen Wohnung. Eine Zeit lang versuchte Regina sich als kaufmännische Angestellte, doch sie fühlte sich in diesem Beruf todunglücklich. Das bäuerliche Blut der Vorfahren wurde in ihr lebendig. Eine unnennbare Sehnsucht, aus der Stadt hinauszukommen, hatte sie ergriffen.
Den Freund des Vaters, Lukas Lenz, kannte sie aus Erzählungen, und so, wie der Vater ihr den Lenzhof geschildert hatte, musste dieser ein Paradies für den bedeuten, der sich nach Freiheit und Weite und ländlichem Lebensstil sehnte.
Regina schrieb an diesen Freund.
Lukas Lenz hatte den Brief vor sich liegen, den er wieder und wieder gelesen hatte. Dann betrachtete er das Bild des Mädchens so eingehend, als wolle er sein Schicksal daraus lesen. Hilfe konnte man auf einem großen Hof immer brauchen. Warum sollte er sie eigentlich nicht kommen lassen?
Er stand auf und ging in dem Zimmer auf und ab. Er nahm seine Pfeife aus dem Ständer, stopfte sie und zündete sie an. Dann setzte er sich wieder vor seinen Schreibtisch.
Lukas Lenz war Witwer. Ein junger Witwer. Vor wenigen Wochen hatte er seinen fünfundvierzigsten Geburtstag gefeiert. Man sah ihm die Fünfundvierzig nicht an. Vielleicht würden die Leute reden, wenn er Regina kommen ließ, doch was gingen ihn die Leute an?
Viele von den Nachbarn waren seine Freunde. Sie brauchten ihn, weil er immer einen Ausweg aus Schwierigkeiten wusste, und so manchem hatte er schon mit Geld und guten Worten über eine harte Zeit hinweg geholfen. Lukas Lenz stand in gutem Ansehen und brauchte nicht auf die Meinung anderer zu achten. Es würde ein gutes Werk sein, ein gutes Werk gegenüber dem verstorbenen Jugendfreund, der es so viel schwerer im Leben gehabt hatte als er, Lukas Lenz.
In der Küche wurde mit Geschirr hantiert. Lena, die Wirtschafterin, bereitete das Frühstück, das es am Sonntag immer eine Stunde später als sonst gab. Lena würde nichts gegen Regina Waldbauer sagen. Im Gegenteil. Sie würde froh sein, eine junge Hilfe zu bekommen.
Zwischen Lena und dem Bauern gab es ein Geheimnis. Der Bauer war schon als ganz junger Mann hinter hübschen Mädchen hergewesen, und die Lena war dazumal bildhübsch. Es hatte ihm nichts ausgemacht, dass sie älter war, im Gegenteil. Doch die Lena besaß gesunden Menschenverstand und forderte nicht von ihm, dass er sie heiratete. Sie blieben gute Freunde und mehr nicht, und was gewesen war, war gewesen, wenn auch die Erinnerung nicht aus der Welt zu schaffen war. Lukas Lenz dankte es ihr, dass sie den Mund hielt, und zeigte sich nicht knauserig, und so wuchs bald Gras über die kurze, heiße Liebesgeschichte zwischen dem Hoferben und einer kleinen Magd.
Dann starb die Mutter des jungen Lukas, und Lena nahm mit fester Hand das Regiment an sich. Seither war sie geblieben und gehörte zur Familie.
Michael, der Sohn, sah seinem Vater ähnlich wie ein jüngerer Bruder. Lukas hatte sehr früh geheiratet. Eigentlich viel zu früh, aber das kam, weil er eben keine Mutter mehr hatte.
Außer Michael war da noch dessen jüngere Schwester Resi. Der Name Resis durfte in diesem Haus nicht mehr genannt werden, wenn man nicht einen riesengroßen Krach heraufbeschwören wollte. In dieser Sache blieb Lukas Lenz hart und stur und ließ sich nicht durch Bitten noch durch Resis Briefe erweichen. Resi hatte mit achtzehn Jahren einen Amerikaner kennen gelernt, wie das in dieser Zeit eben so geschah. Es war keine Spielerei, sondern eine echte und große Liebe, die den härtesten Prüfungen standhielt. Als Resi ihren Freund mit nach Hause bringen wollte, um ihn dem Vater vorzustellen und ihn um seinen Segen zu bitten, hatte Lukas Lenz dem jungen Mann mit eisiger Miene die Tür gewiesen. Das war vor vier Jahren gewesen. Resi hatte die Konsequenzen gezogen. Nach einigen weiteren Versuchen, den Vater umzustimmen, verließ sie das elterliche Haus für immer und ging mit dem Mann ihrer Liebe nach Amerika. Ein halbes Jahr darauf starb Lukas’ Frau. Die Aufregungen und Sorgen hatten sie dahingerafft. Ihr Herz machte nicht mehr mit. Und Lukas Lenz hatte einen Grund mehr, Resi zu zürnen und keinen ihrer Briefe zu beantworten. Umso mehr war es jetzt ein guter Ausweg, wieder eine Art Tochter ins Haus zu bekommen: Regina. Noch heute wollte er an Regina schreiben.
*
Michael legte Birkenkloben nach auf das Feuer, das im offenen Kamin brannte, als sein Vater das Wohnzimmer betrat. »Guten Morgen, Vater! Scheußlicher Nebel heute Morgen! Man kann kaum fünf Meter weit sehen.«
»Wie? Ach so, ja! Ja, der Nebel ist scheußlich. Er müsste längst hoch sein.«
Sie setzten sich an den Tisch. Lena brachte die Kanne mit dem heißen, starken Kaffee. Sie setzte sich.
»Bei dem Nebel müsst ihr zeitiger losfahren«, sagte sie und meinte die sonntägliche Fahrt zur Kirche. »Ihr werdet doppelt so lange brauchen!« Der Bauer sah über ihre Schulter zum Fenster hinüber. »Ja, aber es ist noch Zeit.«
Sie aßen schweigend. Schließlich setzte sich Michael sehr gerade in seinem Stuhl auf und sah dem Vater ins Gesicht. »Vater, die Resi hat geschrieben. Du solltest doch endlich mal Vernunft annehmen und …«
Lukas Lenz’ Gesicht lief rot an. »Du weißt, wie ich hierüber denke! Ich will nichts wissen von dieser Sache. Und das für immer – verstanden?« Er holte tief Luft. »Dass du es doch nicht begreifen willst! Was ich gesagt habe, habe ich gesagt, und nichts, gar nichts wird meinen Entschluss ändern. Du solltest mich kennen! Ich weiß, was ich tue. Eine Lenz-Tochter, die davonläuft, soll bleiben, wo sie ist.«
Michael lehnte sich ein wenig zurück.
»Mach doch nicht so viel Wesen um diese Dinge, die selbstverständlich sind. Niemand will dir deinen Stolz nehmen, Vater, niemand! Du solltest nur menschlich denken. Die Resi liebt ihren Bill. Ist das etwas Böses? Du hast ihn damals rausgeworfen. Ohne Grund und Ursache rausgeworfen, na, und da ist sie eben mit ihm gegangen. Schließlich bist du daran selber schuld …«
»Michael!«
Lukas Lenz sprang auf. »Du wagst es …«
Michael Lenz stand ebenfalls auf. Lena verdrückte sich in die Küche. Wenn Vater und Sohn so miteinander zu reden anfingen, dann war sie überflüssig.
»Vater! Jawohl, ich wage es, weil es unrecht ist von dir, Resis Briefe nicht zu lesen. Ihr nicht zu antworten. Bill Powers ist jung, ordentlich, gesund und sorgt für seine Familie. Was willst du eigentlich mehr? Resi ist glücklich!«
»Glücklich!«, lachte Lukas Lenz hämisch auf. »Als ob es um Glück ginge! Sie hat sich mir widersetzt, sie hat mich einfach stehen lassen, als ich ihr klarmachen wollte, was es bedeuten würde, einem windigen Ausländer nachzulaufen. Sie hat mir getrotzt, wie, wie …«
Michael steckte die Hände in die Taschen seiner Jacke. »Wie eine Lenz-Tochter!«, sagte er mit einem Anflug von Lächeln.
»Wie deine Tochter, Vater. Du hättest in ihrem Fall auch nicht anders gehandelt, als das zu tun, was du für richtig gehalten hättest. Was wirfst du ihr eigentlich vor? Dass sie weggelaufen ist? Hast du es ihr nicht geraten? Hast du sie nicht vom Hof gewiesen?«
Lukas Lenz presste die Lippen zornig aufeinander. Dann holte er tief Luft. »Sollte ich sie vielleicht mit ihrem Freund dabehalten? Unter meinem Dach? Wie eine – eine …«
Michael hob energisch das Kinn. »Vater!«
Er steckte sich eine Zigarette an. »Die Zeiten sind anders geworden, Vater. Daran solltest auch du denken. Resi hatte nur das Pech, dass sie zu jung war, um allein handeln zu können. Sie war nicht zu jung, um sich zu verlieben. Denke doch an dich selber! Hast nicht auch du schon mit zwanzig Jahren Mutter gekannt?«
Krachend flog der schwere eichene Stuhl zu Boden. »Michael, ich warne dich!«
Michael Lenz wischte die Bemerkung mit einer Handbewegung fort. »Vater! Habe ich etwas Unrechtes gesagt? Ist es nicht die Wahrheit? Du lebst doch für Ehre und Wahrheit, nicht wahr? Was aber ist eine Wahrheit, wenn man nicht darüber sprechen darf? Ich wollte dir nur beweisen, wie unrecht du Resi tust. Gegen Liebe ist kein Kraut gewachsen. Liebe ist stärker als das Leben! Und