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Portrait des Managers als junger Autor: Zum Verhältnis von Wirtschaft und Literatur
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Ebook154 pages5 hours

Portrait des Managers als junger Autor: Zum Verhältnis von Wirtschaft und Literatur

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Der ehemalige Apple-Chef Steve Jobs wird verehrt als Manager, Visionär und Kultfigur, aber eigentlich war er ein begnadeter Geschichtenerzähler : Kaum einer war geschickter darin, die Entwicklung einer Firma und ihrer Produkte zu einer Story zu machen, die man gern weitererzählt. Heute wird die Methode des Storytelling in Managementkreisen als neue Zauberformel der Vermittlung gehandelt: "Storytelling ist ein trojanisches Pferd für Zahlen und Fakten." Doch was passiert, wenn die Wirtschaft mit dem ausschmückenden Erzählen auf eine Ressource zurückgreift, die eigentlich der Literatur entstammt? Entsteht hier eine neue Art der Poesie, werden Manager gar zu Autoren? Ausgehend vom Phänomen des Storytelling untersucht Philipp Schönthaler das Verhältnis von Wirtschaft und Literatur und plädiert für ein Schreiben, das sein Selbstverständnis aus der Überschneidung beider Sphären gewinnt.
LanguageDeutsch
Release dateJun 1, 2016
ISBN9783957573155
Portrait des Managers als junger Autor: Zum Verhältnis von Wirtschaft und Literatur

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    Portrait des Managers als junger Autor - Philipp Schönthaler

    2005

    I.

    Im Herzen des Storytellings,

    neun Skizzen aus Theorie und Praxis

    TAKE YOUR TIME – Erzählen und Management, im Storytelling Management gehen beide Begriffe ein Bündnis ein, das einer Begründung bedarf. Im Management herrscht Pragmatismus, es geht um Rationalisierungsprozesse, Entscheidungsfindungen und zielorientiertes Handeln, am Ende zählt die Bilanz. Die Erzählung fordert dagegen einen eigenen Atem, Wesentliches steht neben Nebensächlichem, Fakt neben Fiktion, ihre Botschaft ist im besten Fall mehrdeutig. Insbesondere läuft die Ökonomie der Erzählung, die immer auch der Zerstreuung dient, dem Beschleunigungsgesetz der technologischen Moderne entgegen, von dem Unternehmen unmittelbar betroffen sind. Die Beschreibung des Philosophen Hans Blumenberg, dass Geschichten erzählt werden, um Zeit und Furcht zu vertreiben, antwortet daher kaum auf die Sorge von Managern, deren Entscheidungs- und Handlungsgrundlage die Zeitnot ist. Der Alltag des Managers ist eng getaktet, dominiert von Unterbrechungen und Vielfalt, mit urchaus paradoxalen Folgen: »Zum Zeitmanagement fehlt mir die Zeit«, resümiert ein Manager, der mit Coaches, Trainern und Handbüchern das Problem bearbeitet hat.¹

    Das narrative Management tritt trotz allem nicht defensiv auf. Im Gegenteil, es empfiehlt die Erzählung als privilegierte Kommunikationsform für Organisationen. Und in der Tat sprechen die Namen der internationalen Konzerne und Institutionen, die mit Storytellingmethoden gearbeitet haben, für sich: IBM, Nike, Ford, Shell, Coca-Cola, Weltbank, Federal Express, Tipp-Ex, Danone, Renault; Procter & Gamble schrieb über lange Jahre den Posten eines Corporate Storyteller aus, und bei Microsoft steht derzeit Steve Clayton als Chief Storyteller einem Team von 25 Erzählern vor – ein Projekt aus dem Jahr 2015 beinhaltete einen Science-Fiction-Erzählungsband, für den der Konzern amerikanische Science-Fiction-Autoren engagierte … und auch die Liste in Deutschland steht dem in kaum etwas nach: Deutsche Post World Net, Siemens (in Kooperation mit der Ludwig-Maximilians-Universität München), T-Mobile, Bosch, voestalpine Stahl, F.A.S.T. (Gesellschaft für angewandte Softwaretechnologie).

    In einem Unternehmen wie F.A.S.T., das mit der Geschwindigkeit die Ideologie der digitalen Medien im Namen trägt, stellt sich die Frage nach der Verträglichkeit der Erzählung mit neuen Informationsund Kommunikationstechnologien in zugespitzter Form. Eingesetzt wurde die narrative Methode bei F.A.S.T. zur Umstrukturierung interner Kommunikationsprozesse sowie im Projektmanagement. Mittlerweile gehört die Münchner GmbH zu Cirquent, einem Beratungshaus für IT und technologisch unterstützte Organisationsprozesse; dieses gehört seit 2012 wiederum zu NTT Data, einem japanischen Unternehmen, das den kompletten Zahlungsverkehr mit Kreditkarten in Japan aufgebaut hat und als Vorreiter im Umgang mit Big Data auftritt. Folgt man der einschlägigen Literatur, dann gewinnt das Storytelling seine Legitimation gerade dort, wo die Geschwindigkeit der digitalen Informationsflüsse zu hoch ist, Datenmengen die kognitiven Kapazitäten des menschlichen Gehirns sprengen und die bereitgestellten Daten zu abstrakt bleiben, als dass ihr Nutzwert sich ohne Weiteres identifizieren ließe. Der Rückgriff auf das Erzählen als tradierte Praxis ist darin keiner Verlegenheit geschuldet, sondern den ›harten‹ Kriterien des Managements: Effizienz und Effektivität. Gerade weil die digitalen Informationstechnologien die Auffassungsgabe und den Rhythmus des menschlichen Kognitionsvermögens übersteigen, lösen neue Medien alte nicht einfach ab, sondern integrieren diese. Weder Technikskeptizismus noch Regress noch Nostalgie: Das Erzählen schlägt die digitale Kommunikationstechnologie auf ihrem eigenen Feld der optimierten Informationsverarbeitung und -zirkulation.

    ES LEBE DER KÖNIG – Erzählungen regeln seit je her den Umgang mit Komplexität. In dieser Funktion werden sie neuerdings für moderne Gesellschaften attraktiv, die sich grundsätzlich durch Ausdifferenzierungsprozesse definieren. Folgt man etwa dem französischen Soziologen und Philosophen Jean Baudrillard, dann ist die spätkapitalistische Gesellschaft im Zuge der Digitalisierung und Virtualisierung – vorneweg der Finanzwirtschaft – seit den Siebzigerjahren sogar in ein Stadium der Hyperkomplexität eingetreten. Das Aufkommen des Storytellings lässt sich demnach auch als Reaktion auf neue Unübersichtlichkeiten verstehen. Denn die Erzählung weist eine perfekte Komplexitätsstufe auf, die die kritische Schwelle ›reiner‹ Daten, die im Zeitalter der Information stetig anwachsen und als solche ohne eigenen Wahrheitswert ebenso schwer konsumier- wie erinnerbar bleiben, überschreitet und den gigantischen Geschwindigkeitsund Abstraktionsgrad des elektronischen Informationsflusses zugleich unterschreitet. Zwar fällt der quantitative Informationsgehalt von Erzählungen vergleichsweise gering aus, im Gegenzug erzeugen sie aber hohe Identifikations- und Integrationskräfte: Weil die Erzählung als Medium des Wissens nur wenige Prozesse der Spezialisierung durchlaufen hat, bildet sie eine hoch anschlussfähige, in ihren Zugangsbedingungen niederschwellige Kommunikationsform.

    Im Hinblick auf den Zusammenschluss von Erzählung und Management ist es vor diesem Hintergrund bemerkenswert, dass der Umgang mit Komplexität bereits in der Funktion des Managers angelegt ist. Seine Existenz verdankt er fortschreitenden Rationalisierungs- und Ausdifferenzierungsprozessen, die in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zu einer Krise führt, die meist als Kommunikationskrise beschrieben wird. Mit der Entstehung großer Betriebe wird die Organisation der Arbeit zu einem eigenständigen Problem. Der neue Posten des angestellten Managers soll in dieser Situation die Folgeprobleme moderner Großunternehmen auffangen; innerhalb beschleunigter Produktions- und Distributionsabläufe gehören dazu an erster Stelle Koordinations- und Kommunikationsaufgaben. Für die Figur des Managers folgt daraus, dass er ein Produkt von Komplexität ist, während seine Aufgabe gleichzeitig in der Bewältigung von Komplexität besteht. In dieser Funktion greift er auf die Erzählung zurück, weil er weiß, dass gerade innerhalb unübersichtlicher und auf Geschwindigkeit ausgerichteter Kommunikationsstrukturen der »wichtigste Erfolgsfaktor des Unternehmens der Mensch« ist, wie die Organisationswissenschaftlerin und Narrata-Consult-Beraterin Karin Thier in ihrem Buch Storytelling. Eine narrative Managementmethode erklärt.² Das Storytelling ist als Kommunikationstechnik überall dort überlegen, wo Menschen als affektive und kognitive Wesen in Informations- und Kommunikationskreisläufe involviert sind.

    Genau diese Erfahrung machte der Geschäftsführer der F.A.S.T. GmbH: »F.A.S.T. ist ein stark projektgetriebenes Unternehmen, deshalb ist es für uns essenziell, auch das weiche Wissen innerhalb der Projektarbeit zu nutzen und ständig zu verbessern. Doch hierfür hatten wir bisher keine Methoden.« Diese Ansprüche erfüllt nun das Storytelling: »Ich könnte mir vorstellen«, so der CEO weiter, »dass Storytelling zukünftig ein fester Bestandteil des KVP [kontinuierlichen Verbesserungsprozesses, P. S.] im Rahmen des Qualitätsmanagements nach ISO 9001 werden könnte. F.A.S.T. möchte jedenfalls auch künftig mit der Storytellingmethode weiterarbeiten.«

    Die Storytellingliteratur führt an diesem Punkt zu einem verblüffenden Befund. Der Philosoph und Literaturkritiker Walter Benjamin hatte den mündlichen Erzähler in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts nochmals emphatisch beschworen, um ihn endgültig der Vergangenheit anheimzugeben. Information und Erzählung sind für Benjamin miteinander unvereinbar; die Information geht mit einem Begehren nach Faktizität und Nachprüfbarkeit einher und treibt der Erzählung und ihrem auf lebensweltlichen Erfahrungen gründenden Wahrheitsanspruch den Geist aus. Benjamin kommt daher zu dem Urteil, dass die anbrechende Informationsgesellschaft das Ende von Erzähler und Erzählung einläuten muss.³ Achtzig Jahre nach Benjamins Diagnose weist das Storytelling in eine gegenläufige Richtung, um von einer Rückkehr des mündlichen Erzählers zu künden – und zwar im Herzen der Informationsproduktion.

    ZWEI KÜNSTLER IN PARIS – Noch immer übt Hans Christian Andersens Märchen »Des Kaisers neue Kleider« seinen Reiz auf uns aus. In erster Linie rührt dies wohl daher, dass es den regressiven Impuls nach der Enthüllung einer ›nackten‹ Wahrheit befriedigt, zumal wir es in der Erzählung mit einem Herrscher zu tun haben, der das Wohl seines Volkes gering schätzt. Im Märchen wird dieser Drang durch das ›unschuldige‹ Kind vertreten, das die Nacktheit des Kaisers und damit auch die Intriganz des Hofstaats in aller Öffentlichkeit entlarvt.⁴ Zwar gibt es eine weitere Position und Lesart, die mit den Webern paktiert. Andersens Erzähler denunziert die Weber jedoch durchweg als Betrüger und gleicht darin dem Kind, das auf eine eindimensionale Wahrheit drängt. Letztlich entfaltet auch er sein narratives Gewebe aus dem einzigen Grund, den Kaiser in seiner Nacktheit vorzuführen und wiederholt derart, was er den Webern, die dem Kaiser ihre Künste feilbieten, vorwirft: Die fiktive Textur des Märchens stellt den Kaiser in seinem raffinierten Arrangement in ähnlicher Weise bloß wie die Textilien der Weber. Anders als die Weber verkennt Andersens Erzähler dabei jedoch die zwei Körper des Kaisers, dessen Macht als symbolische unsichtbar bleibt und allein aufgrund sozialer Anerkennungs- und Abhängigkeitsdynamiken wirksam wird. Aus der Sicht der Weber sind Kind und Erzähler daher dumm, weil sie sich gegenüber den imaginären und fiktionalen Ursprüngen und Strukturen politischer und institutioneller Macht blind zeigen. Die fiktiven Gewänder der Weber lösen dagegen tatsächlich ein, was sie versprochen haben: Sie sind nicht nur kunstvoll, sondern überführen denjenigen, der über ein mangelndes Urteilsvermögen verfügt, Reales von Symbolischem zu scheiden – in diesem Fall Kind und Erzähler in ihrer Blindheit für die symbolische Verfasstheit der Macht. Das Märchen weist jedoch eine weitere Phase auf, sie besteht in der eigentümlichen Tatsache, dass aus der Enthüllung des Kaisers nichts folgt: »Nun muss ich aushalten, bis die Prozession vorüber ist!«, sagt sich dieser nach seiner Bloßstellung und beißt die Zähne zusammen. Die Zeremonie nimmt ihren Gang, das Ende des Märchens bleibt offen.

    Andersens Geschichte handelt von der Funktionsweise politischer und symbolischer Macht, sie lässt sich aber ebenso auf den Bereich der Unternehmensführung übertragen. Dies legt zumindest eine Erzählung aus dem – an Anekdoten reichen – Dunstkreis Steve Jobs’ nahe. Die Episode datiert aus dem Vorabend der New Economy, der Macintosh-Computer steckt noch in der Entwicklung, nur eine Generation zuvor war das kalifornische Santa Clara County hauptsächlich für seine Obstplantagen und Trockenpflaumen bekannt, nicht als Silicon Valley.

    In der Managementliteratur wird die Begebenheit oft und gern als Nachweis der charismatischen Führungsqualitäten des Ausnahmetalents zitiert, das wie kein anderes die Versprechen der neuen Technik verkörperte. Tatsächlich gewinnt man aber den Eindruck, dass in dieser Episode ein anderer, John Sculley, die Fäden in der Hand hält und dass er dabei lediglich dem Script von Andersens Märchen folgt – nicht um Unternehmensgeschichte zu schreiben, sondern um seinem Ruf als »Marketingzauberer« gerecht zu werden.

    Im Rückgriff auf Andersens Märchen gilt es dabei lediglich zu begreifen, dass die drei beschriebenen Phasen einer Illusionsstiftung, Enthüllung und prekären Passage zwischen diesen beiden Stadien, die bei Andersen statisch nebeneinander stehen und auf verschiedene Personengruppen verteilt sind, tatsächlich einen einzigen, in seiner Chronologie dynamischen Prozess bilden,

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