Eine Episode im Leben des Reisemalers
By César Aira
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César Aira
César Aira, geboren 1949 in Coronel Pringles, veröffentlichte bisher über 80 Bücher: Romane, Novellen, Geschichten und Essays. Darüber hinaus übersetzt er aus dem Englischen, Französischen und Portugiesischen und lehrt an den Hochschulen von Rosario und Buenos Aires, wo er heute lebt. Aira gilt als einer der wichtigsten lateinamerikanischen Autoren der Gegenwart – und als ihr raffiniertester. Seine Texte überraschen durch Genresprünge, aberwitzige und riskante Erzählkonstruktionen und Plots. 2016 erhielt er den Premio Iberoamericano de Narrativa Manuel Rojas.
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Book preview
Eine Episode im Leben des Reisemalers - César Aira
Moritz Rugendas, vor 1852
Bibliothek César Aira
Band 5
Aus dem Spanischen
von Christian Hansen
César Aira
Eine Episode im Leben des Reisemalers
Inhaltsverzeichnis
Cover
Titelei
Eine Episode aus dem Leben des Reisemalers
Impressum
Es hat im Westen nur wenige wirklich gute Reisemaler gegeben. Der beste, von dem wir wissen und Bildmaterial in Fülle besitzen, war der große Rugendas, der zweimal in Argentinien gewesen ist; auf der zweiten Reise im Jahr 1847 fand er Gelegenheit, Landschaften und Menschen im Gebiet des Rio de la Plata festzuhalten – in solcher Menge, dass man die Zahl der Gemälde, die bei Privatleuten in diesem Winkel der Erde verblieben sind, auf rund zweihundert schätzt –, und sie war geeignet, Humboldt, seinen Freund und Bewunderer, Lügen zu strafen, besser gesagt: eine verkürzte Interpretation von Humboldts Theorie, der gewollt hätte, dass sich das Talent des Malers auf die überbordende Orographie und Botanik der Neuen Welt beschränkte. Eigentlich war das schon zehn Jahre zuvor deutlich geworden, bei seinem ersten Besuch, der, kurz und dramatisch, von einem seltsamen Vorfall unterbrochen wurde, der sein Leben auf unwiderrufliche Weise prägte.
Johann Moritz Rugendas kam am 29. März 1802 in der Reichsstadt Augsburg als Sohn, Enkel und Urenkel angesehener Genremaler zur Welt; einer seiner Vorfahren, Georg Philipp Rugendas, war ein berühmter Schlachtenmaler. Die ursprünglich flämische Familie Rugendas war 1608 aus Katalonien emigriert und hatte sich auf der Suche nach einem gesellschaftlichen Umfeld, das sich besser mit ihrem protestantischen Glauben vertrug, in Augsburg niedergelassen. Der erste deutsche Rugendas war ein gelernter Uhrmacher; alle späteren wurden Maler. Schon im Alter von vier Jahren gab Johann Moritz erste Beweise seines Talents und tat sich in der Werkstatt von Albrecht Adam und später an der Münchner Kunstakademie hervor. Mit neunzehn Jahren bot sich ihm die Chance, an der von Baron Langsdorff geleiteten und vom russischen Zaren finanzierten Amerika-Expedition mitzuwirken. Seine Aufgabe hätte hundert Jahre später ein Fotograf übernommen: Er sollte die Funde, die man machen, und die Landschaften, die man durchqueren würde, zeichnerisch dokumentieren.
An dieser Stelle ist es unerlässlich, etwas weiter auszuholen, um eine klarere Vorstellung von der Arbeit zu geben, die der junge Künstler in Angriff nahm. Die Familiengeschichte reicht nicht so weit zurück, wie der vorige Absatz glauben machen könnte. Sein Urgroßvater, Georg Philipp Rugendas (1666–1742), war der Begründer der Malerdynastie. Und das nur, weil er in jungen Jahren seine rechte Hand verlor; eine Verstümmelung, die ihn untauglich machte für den in der Familientradition liegenden Beruf des Uhrmachers, auf den er sich von Kindheit an vorbereitet hatte. Er musste lernen, die linke Hand zu gebrauchen und mit ihr Zeichenstift und Pinsel zu führen. Er spezialisierte sich auf die Darstellung von Schlachten und hatte enormen Erfolg, was sich der übernatürlichen Genauigkeit seiner Zeichnung verdankte, die sich ihrerseits seiner Uhrmacherausbildung und dem Gebrauch der linken Hand verdankte, die ihn, da sie nicht seine natürliche Malhand war, zu einem methodischen Vorgehen zwang. Der köstliche Kontrast von unterkühlter Detailliertheit der Form und gewalttätigem Getümmel der Thematik machte ihn so einzigartig. Sein Schirmherr und wichtigster Abnehmer war der Kriegskönig Karl XII. von Schweden, dessen Schlachten er malte, derweil er den Armeen aus dem hyperboreischen Schnee bis in die glühende Türkei folgte. In reiferem Alter betrieb er als Drucker und Verleger einen schwunghaften Handel mit Kupferstichen, natürliche Konsequenz seiner Technik der Kriegsdarstellung. Seine drei Söhne, Georg Philipp, Christian und Jeremias, erbten von ihm den Kunstverlag und die Technik. Der Kreis schloss sich mit Johann Lorenz (1775–1826), dem ältesten Sohn von Georg Philipp und Vater unseres Rugendas, der die Schlachten Napoleons, eines weiteren gekrönten Kriegers, malte.
Nun folgte auf Napoleon aber in Europa das sogenannte Friedensjahrhundert, und der Geschäftszweig, auf den sich die Familie verlegt hatte, geriet unweigerlich immer mehr ins Abseits. Johann Moritz, zur Zeit von Waterloo fast noch ein Kind, musste sich in vollem Lauf umorientieren. Von der Lehre in der Werkstatt des Schlachtenmalers Adam wechselte er zum Studium der Naturmalerei an die Münchner Kunstakademie. Die »Natur«, die in Form von Gemälden und Drucken einen Markt fand, war die exotische ferner Welten, was seine künstlerische Berufung um die eines Reisenden ergänzte; deren Fluchtpunkt wurde ihm durch die angebotene Beteiligung an der bereits erwähnten Expedition bald vorgezeichnet. Kaum zwanzigjährig, eröffnete sich ihm eine schon fertige, zugleich aber auch noch fertigzustellende Welt, wie es zur selben Zeit ganz ähnlich dem jungen Darwin widerfuhr. Rugendas’ Fitzroy war der Baron Georg Heinrich von Langsdorff, der sich jedoch im Verlauf der Atlantiküberquerung als so »unverträglich und versponnen« herausstellte, dass der Künstler bei der Ankunft in Brasilien die Expedition verließ und seine dokumentarischen Aufgaben von einem anderen talentierten Zeichner, Taunay, übernommen wurden. Mit diesem Schritt ersparte er sich eine Menge Ärger, denn die Expedition stand unter keinem guten Stern: Taunay ertrank im Guaporé, und mitten im Urwald verlor Langsdorff das bisschen Verstand, das er besaß. Rugendas kehrte seinerseits nach vierjähriger Arbeit und Abstechern in die Provinzen Rio de Janeiro, Minas Gerais, Mato Grosso, Espíritu Santo und Bahía nach Europa zurück, wo er ein hübsches illustriertes Bändchen veröffentlichte, Voyage pittoresque dans le Brésil (der Text wurde nach Notizen des Malers von Victor Aimé Huber verfasst), das seinen Ruhm begründete und ihm die Bekanntschaft des hervorragenden Naturforschers Alexander von Humboldt eintrug, mit dem er bei mehreren Veröffentlichungen zusammenarbeitete.
Seine zweite und letzte Reise nach Amerika dauerte sechzehn Jahre, von 1831 bis 1847. Mexiko, Chile, Peru, erneut Brasilien und Argentinien waren Schauplatz seiner mühevollen Erkundungszüge und Hunderte, Tausende von Gemälden ihr Ergebnis. (Sein unvollständiger Katalog führt 3353 Werke in Öl, Aquarelle und Zeichnungen auf.) Zwar ist die mexikanische Etappe die am umfänglichsten dokumentierte und bildeten die tropischen Urwälder und Berge thematisch ihren sinnfälligsten Gegenstand, doch war das geheime Ziel seiner langen Reise, die seine ganze Jugend umspannte, Argentinien, die geheimnisvolle Leere, die es in den unermesslichen Weiten an einem von den Horizonten gleich weit entfernten Punkt gab. Nur dort, dachte er, würde er die Kehrseite seiner Kunst finden können … Diese gefährliche Illusion verfolgte ihn sein ganzes Leben. Zweimal überschritt er die Schwelle, das erste Mal 1837 von Westen, als er von Chile kommend die Anden überquerte; das zweite Mal 1847 vom Rio de la Plata aus; dieser zweite Anlauf war der produktivere, doch kam er über die Ausläufer von Buenos Aires nicht hinaus; dagegen hatte er sich beim ersten Anlauf bis in das erträumte Zentrum vorgewagt und für Augenblicke tatsächlich den Fuß hineinzusetzen vermocht, obwohl der Preis, den er dafür zahlen musste, wie man noch sehen wird, enorm war.
Rugendas war ein Genremaler; sein Genre die Physiognomik der Natur, eine