Vinland – Die Entdeckungsfahrten der Wikinger von Island nach Grönland und Amerika: Erik der Rote, Bjarni Herjulfsson, Leif Eriksson und Thorfinn Karlsefni
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Mit der Ausgrabung eines Basislagers der Wikinger auf Neufundland rücken die frühmittelalterlichen Quellen und Sagas von Erik dem Roten, Leif dem Glücklichen und anderen Entdeckern neuerlich in den Mittelpunkt wissenschaftlicher und publizistischer Abhandlungen.
In einer vergleichenden kritischen Sicht der Schriftquellen um „Vinland“ und unter Berücksichtigung neuerer archäologischer Erkenntnisse skizziert der Nordeuropahistoriker Jörg-Peter Findeisen den aktuellen Wissensstand zu den Reisen der Isländer und Grönländer nach Nordamerika.
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Vinland – Die Entdeckungsfahrten der Wikinger von Island nach Grönland und Amerika - Jörg-Peter Findeisen
Jörg-Peter Findeisen
Vinland
Die Entdeckungsfahrten der Wikinger von Island nach Grönland und Amerika
Erik der Rote, Bjarni Herjulfsson, Leif Eriksson und Thorfinn Karlsefni
Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.
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ISBN 978-3-86935-188-9
ISBN der Printausgabe 978-3-86935-055-4
Gewidmet meinen dänischen Freunden
Poul Husum, Ministerialdirektor a. D., Kopenhagen
Prof. Dr. Ole Lauridsen, Univ. Aarhus
Vorwort
»Entdecker« werden – ein »Zauberwort« aus Kindertagen
Abb. 1. .
Ob sich erfüllt habe, was ich als Kind und Heranwachsender vom Leben erwartete, werde ich manchmal gefragt. Natürlich träumte ich meine Zukunft wie wohl alle. Einiges davon überlebte selbst Jahrzehnte in der Erinnerung, manches erwuchs sogar sehr frühen Kindertagen. Noch immer gegenwärtig sind mir die ersten eigenen Berufsvorstellungen.
Nein, da war keine Karriere als Feuerwehrmann oder Polizist »angedacht«. Mir, dem vielleicht Siebenjährigen, bedeutete damals »Entdecker« alles. So einer wollte ich werden, verblüffte damit die fragenden Erzieherinnen im Kindergarten. Längst sind die Bilder an jene verblasst und deren Namen mir seit Langem aus dem Sinn. Noch immer gegenwärtig ist jedoch, dass ich die Nachmittagsstunden der frühen Grundschulzeit, inzwischen schon eifriger Leser der Schulbibliothek, im Kindergarten nahe der Arbeitsstelle meiner Mutter verbrachte. Und hier zählte das Fragespiel »Was willst du denn einmal werden?« offenbar zum gewöhnlichen Ritual. Anfangs erntete ich fröhliches Lachen der jungen Damen, wenn ich mich nachdrücklich für einen bäuerlichen Lebensgang entschied. Da gab es jedenfalls immer zu essen, glaubte ich zu wissen. Irgendwann in sehr früher Jugendzeit muss ich dann meine Hoffnungen erstmals gründlich revidiert und nun, ganz im Geiste meiner damaligen Helden Magellan, James Cook und »Sigismund Rüstig«, vom Entdeckerdasein fabuliert haben.
Merkwürdig, dass ich es nicht vergaß, die Reaktionen der Fragenden noch heute gegenwärtig sind. Irgendwie verwirrt musste ich erkennen, dass die »Tanten« nun immer an Männer wie Röntgen oder Einstein dachten, mir wieder und wieder bedeuteten, die Welt sei längst entdeckt. Dabei habe ich ein Buch damals besonders gern und oft gelesen, in dem irgendwo im weiten Sibirien junge Menschen durch eine tiefe Höhle schritten und plötzlich in einer bisher unbekannten Steppenlandschaft Steinzeitmenschen trafen. Auch hatte ich schon früh von Siegfried, Brunhild und dem unermesslich fernen Eisland im Nordatlantik gehört, in alten Schullehrbüchern jene Bilder der kühnen Männer in den Segelbooten auf den wild bewegten Weltmeeren gesehen, ihre Geschichten verschlungen. So einer wollte ich auch werden, in Öljacke, den Südwester fest um das Kinn geschnürt, hielt unzählige Male mutig auf einem Holzhaufen im Hof stehend ein imaginäres Ruder im Orkan …
Nein, eisige Kälte und Stürme suche ich nicht mehr. Geblieben ist das Interesse an der Geschichte ebenso wie an archäologischen Ausgrabungen weltweit. Und trotz anderer Spezialisierungen sind die wilden vollbärtigen Nordmänner nie ganz aus meinem Gesichtsfeld verschwunden, füllt eine umfangreiche »Wikingerbibliothek« meine heimischen Buchregale. Die Ausgrabungen von L ’ Anse aux Meadows während meiner Studentenjahre taten ein Übriges.
Jahrzehnte später stand ich auf Island – da, wo die einheimischen Archäologen den Siedlungsplatz Eriks des Roten entdeckten, das Gehöft rekonstruierten. Dortige Führer erläuterten mir überzeugt, es bestände kein Zweifel, dass Leif Eriksson hier geboren wäre und die Kindheit verbracht hätte. Da jedenfalls rangierte dieser Entdecker schon seit Langem auf meiner selbst zusammengestellten Liste der Großen der Geschichte, hatte ich ihn relativ weit vorn platziert, deutlich vor Kolumbus jedenfalls. Auch das geschuldet einer gewissen Abneigung gegenüber diesem kleinlich geldgierigen Seefahrer, der wider besseres Wissen seinen eigenen Matrosen Rodrigo da Tirana um die verheißenen Dublonen betrog, »Amerika« zuerst gesehen haben wollte.
Aber es war natürlich vor allem der Mythos jener unerschrockenen Segler und Ruderer, die überall erschienen, rasch zuschlugen und noch schneller ungestraft verschwanden, der mich immer wieder faszinierte.
In die Geschichte der kontinentaleuropäischen christianisierten Völker gingen die Wikinger als fürchterliche, kaum menschliche Regungen bekundende Wesen ein. Sie seien so unerwartet erschienen, dass der gern und überall ausführlich zitierte Überfall auf das englische Kloster Lindisfarne am 8. Juni 793 einen lang nachwirkenden Schock auslöste, bemerken die Historiker wieder und wieder. Sie erklären so die fast legendäre Angst vor den Barbaren mit Schwert, Axt, Speer und Bogen und übersehen, dass schon 787 erstmalig über den Tod eines königlichen angelsächsischen Statthalters durch Wikinger in der gleichen Quelle, der Angelsächsischen Chronik¹, berichtet wurde.
Es waren schreibkundige Mönche, die erste Nachrichten von den mordenden und raubenden Nordmännern notierten. Sie waren vor allem deshalb bis ins Mark getroffen, weil gold- und silbergeschmückte Kruzifixe, Monstranzen, Reliquienschreine und andere Kultgegenstände der Kirche eifrig nachgesuchte Beute der Angreifer waren. Empörte Geistliche wurden so nie müde, das sonderlich Barbarische solcher Untaten, die Täter entsprechend schrecklich zu zeichnen.
Sie plünderten nicht nur, sie zerstörten auch, oft sinnlos. Gnadenlos töteten die Wikinger selbst kleine Kinder, fürchteten offensichtlich den Rachedurst der einmal zu Feinden Heranwachsenden.
Sie waren dennoch nicht nur Räuber und Zerstörer. Wie ihre Sagas belegen, feierten sie in den Holzhallen der Königs- und Fürstenhöfe wie auch in den Hofverbänden der Großbauern und Händler fröhliche Feste. Gern berauschten sie sich auch am Klang schöner Worte, genossen die Heldendichtungen der Skalden, lauschten begierig den Neuigkeitsberichten ihrer Tage. Daheim entwickelten die rauen Gestalten des Nordens eine Gebrauchskunst, die reich an herrlichen Ornamenten war. Wahrscheinlich waren viele dieser Seefahrer in erster Linie Bauern und Händler. Sie konnten das aber auch unter den ihrigen nur so lange sein, wie sie waffengeübt und wehrfähig blieben. Hinter jeder heimatlichen Klippe konnten Nachbarn lauern, um dem unaufmerksamen Wikinger-Kaufmann, dem Farmann – dem Fernhändler –, abzunehmen, was er – wie auch immer – erworben hatte. Ein ewiger Wechsel zwischen Krieger, Händler und wieder Krieger, manchmal auch nur Pirat, häufig aber auch schon Entdecker. Getrieben von der Hoffnung, fern der alten Gestade ein neues Leben beginnen zu können, pflügten sie furchtlos auf ihren schnellen Kielen den Atlantik. Die Wikinger stießen von Skandinaviens Küsten bis zu den Färöern, Island und schließlich sogar nach Grönland vor. Dort siedelten sie als Bauern und Händler, versuchten solches zumindest auch an der nordamerikanischen Küste.
So gesehen schien es mir mehr als reizvoll, trotz der vielen Darstellungen der Wikingerperiode diesen Versuch zu wagen, die Siedlungsperioden im westlichen Atlantik darzustellen, vor allem die einzelnen Fakten abzuwägen, Streitfragen anzuschneiden und eigene Überlegungen anzubieten. Es lässt sich allerdings nicht leugnen, dass kein »Aspekt der Lebensweise, der Kultur und der Leistungen der nordischen Grönländer … wirklich unumstritten« ist, wie die amerikanische Historikerin Kirsten A. Seaver kürzlich treffend resümierte.² So wird jeder Leser eigene Schlüsse ziehen, sein Bild der kühnen Entdecker Islands, Grönlands und Nordamerikas malen müssen.
Besondere Schwierigkeiten erwachsen aus der vielfältigen Schreibweise der Namen einzelner Persönlichkeiten und Orte. Mit meinem Verlag kam ich schließlich überein, in wörtlichen Zitaten die dort gebrauchte Orthographie zu übernehmen, entsprechend mal »Eirik«, »Erik« oder »Erich«, »Bjarni«, »Bjarne« usw. zu schreiben, um nur zwei häufig zu benennende Wikinger anzuführen. Das gleiche gilt natürlich für die lokalen Bezüge, die sich im Deutschen, Schwedischen, Isländischen und Englischen sehr stark unterscheiden können. Auch wurde der Anmerkungsteil bewusst ausgedehnt, um dem interessierten Leser zusätzliche Informationen und Belege anzubieten, die der eine oder andere im eigentlichen Lesetext als eher ermüdend empfinden könnte.
1 Siehe The Anglo-Saxon Chronicle, transl. by James Ingram 1823 (The Echo Library 2007), S. 40, A.D. 787 u. A.D. 793; vgl. auch Ausgabe New York 1967, S. 54 u. 57, bzw. Ausgabe London 1965, S. 35 u. 36.
2 Kirsten A. Seaver: Mit Kurs auf Thule. Die Entdeckungsreisen der Wikinger, Stuttgart 2010, S. 66.
Eine frühmittelalterliche Handschrift berichtet Weltgeschichte – das »Vinland« Adams von Bremen
Man schrieb das »Jahr des Herrn 1579«, ein merkenswertes Datum für die Geschichtswissenschaft. Gerade hatte der dänische Gelehrte und Historiker Anders Sörensen Vendel eine Handschrift zur frühen Geschichte des Erzbistums Hamburg publiziert. Sie war ihm bei Studien in der Bibliothek des kürzlich mit der Reformation aufgehobenen Zisterzienserklosters Sorö auf Seeland aufgefallen. Als Autor fixierte er den einstigen Kanoniker und Rektor der Bremer Domschule im letzten Drittel des 11. Jahrhunderts, Adam von Bremen. ³ Offenbar entdeckte Vendel bald, welche überraschende Botschaft der Text offenbarte, wahrlich eine spannende Lektüre. Der glückliche Finder konnte dort einiges lesen, was nicht nur ihn irritierte, frühe Kenntnisse über Amerika andeutete.
Jetzt, mehr als fünfhundert Jahre später, war der Konti-nent in Kreisen gebildeter Leser überall in Europa bekannt, hatten die Spanier in der Neuen Welt Azteken und Inkas grausam unterworfen, dehnten ihr Herrschaftsgebiet systematisch aus. Nachdem er ein gutes Menschenalter vorher nahezu unbemerkt im spanischen Valladolid verstorben war, bewunderte man inzwischen wieder allgemein Christoph Kolumbus und dessen Pioniergeist. Auch waren schon mehrere Expeditionen auf der Suche eines nördlicheren »Westweges« nach China an die nordamerikanische Küste gesegelt, Italiener, Franzosen, Engländer und Portugiesen, fischten nicht nur Bretonen seit Langem vor Neufundland. Da musste das Studium der Sorö-Schrift zumindest die übergroße Zahl der Lateinkenner in der Alten Welt mit den Bemerkungen über »Vinland« irgendwo im westlichen Atlantik hinter Grönland grübeln lassen, Verwirrungen bei den Lesern hervorrufen.
Es sollte allerdings noch weitere Jahrhunderte währen, bis 1846 im neunten Band der »Monumenta« eine lateinische Ausgabe Adams in Deutschland erschien. Aber schon vier Jahre später erschloss dann die erste deutschsprachige Übersetzung breiten Schichten deutscher Leser jene Zeilen über die frühe Entdeckung nordamerikanischer Territorien.
Die neueste wissenschaftliche Bearbeitung der »Gesta Hammaburgensis« betont berechtigt, dass Adams Aufzeichnungen »eine erste wissenschaftliche Darstellung der unbekannten Länder und Völker des Nordens« waren, »Beobachtungen … von unbestechlicher Wahrhaftigkeit … wie sie der mittelalterlichen Geschichtsschreibung sonst fremd« seien.⁴ Ähnlich euphorisch summierten 1995 auch die Autoren des mehrbändigen biographischen Wörterbuchs Adams »reifes, kritisches Werk« als »früheste« Geschichte und »Geographie« des Nordens »und zugleich« der norddeutschen Reichsgeschichte.⁵
Nannten die Historiker des 19. Jahrhunderts den Bremer Gelehrten zunächst noch vorsichtig einen »deutschen Geschichtsschreiber«, glaubten auch sie dennoch bereits damals einräumen zu müssen, er habe die Geschichte seines Erzstiftes »nach Urkunden, mündlichen Mittheilungen und älteren Quellen« gewissenhaft aufgezeichnet.⁶ Tatsächlich war Adam von Bremen kein Fabulierer.
Schon kurz nach seiner Berufung zum Schulleiter 1069 beauftragte Erzbischof Adalbert, einer der mächtigsten Männer auf deutschem Boden, den Kleriker mit der Abfassung einer Chronik des relativ jungen Erzstiftes. Der einflussreiche Prälat aus Hochadelskreisen – Erzieher des jugendlichen Königs Heinrich IV. – wünschte den Machtbereich seiner Diözese auf die skandinavischen Bistümer auszudehnen. Er hatte Adam auch an den Hof des damaligen dänischen Königs Sven(d) Estridsen⁷ gesandt. Wahrscheinlich um 1067/68 gewann der Deutsche das Vertrauen des welterfahrenen dänischen Herrschers, führte offenbar zahlreiche Gespräche mit dem Monarchen über das dänische Reich und dessen Geschichte, »den Zustand der nordischen Missionen«⁸. Manche Fachhistoriker bezweifeln allerdings, dass der Monarch mit dem wahrscheinlich noch relativ jungen Bremer Kanoniker »aktuelle politische Fragen« diskutierte.⁹ Eine merkwürdige Wertung – war doch vieles, was beide beredeten, damals wichtige Politik.
Wahrscheinlich plauderte König Sven wirklich gerne mit dem deutschen Mönch. Soviel scheint jedenfalls gewiss: Adam reiste noch des Öfteren an den dänischen Hof, durfte dem Regenten offensichtlich weiterhin Fragen stellen.
Als Erzbischof Adalbert 1073 in Goslar verstarb, sammelte der Domherr vermutlich weiterhin Informationen, hatte mit der Niederschrift noch nicht begonnen, wie die Experten glauben. So widmete er dann dem Nachfolger auf dem erzbischöflichen Stuhl die Arbeiten. Aus seinen Notizen wurde bekannt, dass er am zweiten Buch schrieb, als ihn die Nachricht vom Tode Sven Estridsens am 28. April 1074 erreichte. Auch wissen wir heute, dass Adam jenen Teil des Werkes, das für die Kenntnisse der nordischen Ereignisse so wichtige dritte Buch, schrieb, bevor der slawische Fürst Butue am 8. August 1075 erschlagen wurde.¹⁰
Adam hörte natürlich auch manches Phantastische, das moderne Leser lächelnd abwinken lässt. Anderes wiederum wird auch heute noch als historisch wertvoll verstanden. Hier ist nicht der Ort, über Missionsreisen Hamburg-Bremer Geistlicher zu referieren, Adams Wertungen zu den frühen schwedischen Herrschern zu zitieren. Es soll nur die bis heute umfangreichste frühe schriftliche Quelle über die Entdeckung Amerikas durch nordische Seereisende angeführt werden. Gewöhnlich verweisen die meisten Autoren der Vinlandbücher nur in Nebensätzen auf jenes gewichtige Gespräch Adams mit König Sven Estridsen.
Abb. 2. Der norwegische Historiker Axel Anthon Bjørnbo zeichnete Anfang des 20. Jhdts nach den Beschreibungen Adams von Bremen eine »Karte« von Grönland und Vinland.
Der Dänenkönig erzählte ihm, so führte der Domherr an, »viele« Seefahrer hätten im Atlantik »noch eine weitere Insel« nach den Besiedlungen Islands und Grönlands »entdeckt; sie heiße Winland, weil dort wilde Weinstöcke wachsen, die besten Wein bringen«. Dabei gab sich Adam wohl keinerlei Illusionen hin, wie manche seiner Leser auf diese Eröffnungen reagieren würden. Er versicherte jedenfalls sogleich, es handele sich dabei nicht um übertriebene Behauptungen oder irreale »Vermutungen«. Er »entnehme … zuverlässigen dänischen Berichten …, dass dort ohne Aussaat reichlich Getreide wächst«. Doch habe ihm der König erläutert, hinter »dieser Insel« fände man »in diesem Ozean kein bewohnbares Land mehr«, nur ungeheure Eismassen und »Dunkelheit«.¹¹
Dort erzählte der Domherr auch, es gäbe »noch mehrere andere Inseln im Ozean; eine der größten ist Grönland«. Bis zu dieser »soll man von der norwegischen Küste aus wie nach Island in 5–7 Tagen segeln«. Die Menschen auf Grönland »leben ähnlich wie die Isländer«.¹²
Der Bericht Adams von Bremen sei bis heute die »älteste Nachricht, die wir über das neugefundene Land haben«, betonte auch Schwedens derzeit bekanntester Wikingerexperte Mats G. Larsson kürzlich in einer Publikation über Vinland und die Amerikafahrten der Wikinger. Sie belege, »dass die Entdeckung im letzten Teil des 11. Jahrhunderts noch weiterhin in frischer Erinnerung« gewesen sei.¹³
Heute ist kaum abzuwägen, was gewichtiger erscheint: Die Kenntnis des Königs Sven Estridsen über dieses Land und seine Besonderheiten¹⁴ oder die Selbstverständlichkeit, mit der Dänemarks Herrscher das ihm Vertraute im Gespräch berichtete. Immerhin war der Monarch lange Zeit ein Getriebener. Er kämpfte um sein Königtum, hatte in jenen Jahren anderes zu bedenken, als Berichten über Seereisen isländischer oder norwegischer »Farmänner« in unbekannte Regionen nachzusinnen, zumal die dänischen Interessen vor allem Landstrichen im angelsächsischen England galten. Waren seine Informanten am Königshof im Nachbarland Norwegen zu Hause, hatten dänische Fernhändler solch Wissen aus Island oder Reisen in die neuen Siedlungen auf Grönland heimgebracht? Darüber schwiegen er und sein Zuhörer Adam. Auch scheinen die Namen der Entdecker und ersten Reisenden nicht erwähnt worden zu sein. Wirklich schade – kannte sie der Herrscher nicht? Waren ihm die Seereisen der Wikinger so sehr Alltag, dass er sich mit derart allgemeinen Informationen zufrieden gab oder war auch in seiner Überzeugung das Zeitalter der nordischen Expansionen bereits Vergangenheit? Immerhin sprach Sven Estridsen mit Adam ja noch von »vielen«, die in jenes exotische Land aufgebrochen waren. Da mussten es wohl doch mehr als die uns aus den Sagas bekannten vier oder fünf Expeditionen sein? Sicherlich meinte der deutsche Domherr mit seinem Hinweis auf »Berichte« nicht die Sagas, denen er seine Erkenntnisse »entnommen« hatte. Bedauerlicherweise sind solche frühen schriftlichen Zeugnisse nicht auf uns gekommen.
So viele Fragen, auf die wahrscheinlich keine Antworten mehr zu erwarten sind. Vielleicht täuschen sich jene modernen Experten nicht, die anmerken, der Bremer Domherr habe auch einige offenkundige Urkundenfälschungen in seinem Umfeld nicht erkannt, wurde wohl von dem von ihm bewunderten Adalbert nicht in alle politischen Erwägungen einbezogen. Möglicherweise verstarb Adam zu früh oder erfasste die Bedeutung des Erzählten nicht immer wirklich. Auffällig ist jedenfalls, dass der Scholastiker in seinem Werk die Schwerpunkte auf die Christianisierung der nordischen Fürsten legte, auch fein unterschied, welche Diözese die Missionare entsandte. Er war nicht eben ein unparteiischer Kämpfer des Herrn, schätzte missionsbeflissene Iren in Nordeuropa weniger.
Sein moderner deutscher »Herausgeber und Interpret« hat bilanzierend hervorgehoben, Adam habe »größten Wert darauf gelegt, die Herkunft seiner Angaben genau zu verzeichnen«. Leider existiert heute nur eine einzige vollständig erhaltene Abschrift der verloren gegangenen Fassung des großen frühmittelalterlichen Historikers in der Wiener Nationalbibliothek. Wir wissen, dass Adam auch nach Übergabe seiner Darstellung an Erzbischof Liemar um 1076 eifrig weiter Informationen sammelte, die Ergänzungen als Glossen in sein Manuskript eintrug, manche Randbemerkungen nur schwerlich einzuordnen sind. Bedauerlicherweise trug er offenbar weniger Sorge, den Erhalt seiner Aufzeichnungen zu sichern. »Die letzten von ihm verzeichneten Nachrichten beziehen