Kommissar Platow, Band 6: Frau Wirtins letzter Gast oder Der Klappergassen-Killer: Kriminalroman
By Martin Olden
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Die Kommissar Platow-Serie: Frankfurt, Mitte der 70er Jahre. Die Kriminalität boomt. Drogen. Terrorismus. Bandenkriege. Mittendrin: Kommissar Joachim "Joe" Platow. Gemeinsam mit seinem Assistenten Mike Notto und Schutzhündin Abba kämpft er gegen das Verbrechen. Dabei wird Platow immer wieder von seinem persönlichsten Fall eingeholt – seine Ex-Verlobte Petra, die sich der RAF angeschlossen hat ...
Alle Bände der Serie: Band 1 "Sieben Schüsse im Stadtwald", Band 2 "Das Grab am Kapellenberg", Band 3 "Endstation Hauptwache", Band 4 "Der Westend-Würger", Band 5 "Blutnacht im Brentanopark", Band 6 "Frau Wirtins letzter Gast", Band 7 "Geiselnahme in der Goethestraße", Band 8 "Der Rächer aus der Römerstadt", Band 9 "Geschändet am Frankfurter Kreuz", Band 10 "Abrechnung in Bankfurt", Band 11 "Die Sünderin vom Schaumainkai", Band 12 "Das Phantom aus dem Palmengarten", Band 13: "Zahltag auf der Zeil", Band 14 "Der Kerker im Kettenhofweg" und Band 15 "Letzte Ausfahrt Frankfurt-Süd"
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Kommissar Platow, Band 6 - Martin Olden
20
1
Samstag, 08. November 1975
Die „Babalu-Bar stank nach Schnaps, Schweiß und Glimmstängeln. Am Tresen und an den runden Tischen war die übliche Kundschaft versammelt. Osteuropäische Kriminelle mit gefälschten Pässen, rauschgiftsüchtige GIs, Zuhälter, Dealer und Prostituierte auf der Jagd nach schnellem Geld. Zur Melodie von „Fly, Robin, Fly
tanzte ein blutjunges Mädchen auf einem rotbeleuchteten Steg und ließ mehr oder weniger gekonnt die Hüllen fallen. Ab und zu glitten lüsterne Blicke über ihren halbnackten Körper. Mich konnten die Kurven der Stripperin nicht ablenken. Hochkonzentriert, mit angespannten Muskeln, bewegte ich mich im Slalom durch die Ansammlung der halbseidenen Gestalten. Stets darauf bedacht, ob unter irgendeinem Jackett der kalte Stahl eines Revolvers aufblitzen würde. Die Spelunke in der Moselstraße war für mich feindliches Gebiet, denn ihr Besitzer wollte meinen Tod. Alle nannten ihn „Zappa wegen seiner Ähnlichkeit mit dem Rocker Frank Zappa. Eigentlich hieß er Simon Zapatka, stammte aus Tel Aviv und hatte sich in Frankfurt als einer der führenden Unterweltbosse etabliert. Zappa beherrschte das Bahnhofsviertel. Ihm gehörten Bordelle, Spielcasinos, Restaurants und Immobilien. Nebenbei handelte er mit Drogen, Waffen und Mädchen. Dank vorzüglicher Beziehungen zum Geldadel unserer Stadt gelang es Zappa immer wieder einer gerechten Strafe zu entkommen, indem er Zeugen kaufte und Beweismittel verschwinden ließ. Offene Rechnungen mit Konkurrenten pflegte der Rotlicht-König in Blei zu begleichen. Auch der Name „Joe Platow
stand weit oben auf seiner Abschussliste, weil ich nicht käuflich war und geschworen hatte, ihn zur Strecke zu bringen. Ich wusste, dass Zappa ein Kopfgeld auf mich ausgesetzt hatte. Womöglich wollte es sich einer der zwielichtigen Gäste in der „Babalu"-Bar verdienen. Darum war ich nicht ohne Schutz gekommen. Neben mir lief eine hochgewachsene Blondine, von Mutter Natur gesegnet mit schnellen Reflexen und zweiundvierzig Zähnen. Abba – meine Lebensversicherung auf vier Pfoten.
„Wenn einer der Kerle frech wird, zeigst du ihm dein 1-A Scherengebiss", flüsterte ich und kraulte eine Stelle hinter ihren Schlappohren. In Gedanken hörte ich die Antwort meiner Hovawart-Hündin.
Gerne, Joe. Aber wir sollten mal über eine Gehaltserhöhung reden.
„Bekommst du nicht genug Futter?"
Erstens kann man nie genug Futter haben. Zweitens schiebe ich nicht umsonst Überstunden. Schau mal auf die Uhr! Um die Zeit schlummere ich normalerweise friedlich in meinem Körbchen.
„Tut mir leid um deinen Schönheitsschlaf. Aber wir müssen einen Kollegen retten. Ich hielt Ausschau nach einem Mann mit graubraunem Vollbart, speckiger Lederjacke und einem melancholischen Dackelblick. „Hast du ihn schon entdeckt?
Abba hob die Nase. Schluckspecht sitzt hinten links, neben der Bühne – folge einfach dem Whisky-Mief!
Uwe Fink erweckte den Eindruck eines Gammlers vom nahegelegenen Hauptbahnhof. Den erfahrenen Kriminalkommissar sah man ihm nicht an. Wie ein Fragezeichen hing er über seinem Bourbon-Glas und starrte auf die hellbraune Flüssigkeit, als sei darin eine tiefe, für ihn allein sichtbare Weisheit verborgen. Nach Uwes zerknitterter Miene zu urteilen, war es weder sein erster Drink noch würde es sein letzter sein – falls ich ihn nicht stoppte.
Ich ließ mich neben ihm nieder und tippte auf seine Schulter. „Suchst du Gesellschaft oder willst du dich allein ertränken?"
„Joe, du alter Anarchist! Wo kommst du denn her?" Uwe lächelte entrückt. Seine Reibeisenstimme klang schleppend.
„Ist nicht leicht gewesen, dich zu finden. Abba und ich haben ein gutes Dutzend Bars und Kneipen nach dir abgegrast. Konntest du kein schöneres Plätzchen für dein Besäufnis finden?"
Mit einer ausladenden Geste umarmte Uwe Fink den obskuren Schuppen. „Mir gefällt`s hier! Ich passe in diesen Laden wie der Arsch auf den Eimer! Abschaum zu Abschaum! Prost! In einem Zug leerte er das Glas. „Bedienung! Noch zwei für mich und meinen guten Freund!
Uwe drückte mich an sich. Sein Fusel-Atem wehte mir ins Gesicht.
„Was redest du für einen Stuss?, fragte ich und löste mich aus seiner Umklammerung. „Wer hat gesagt, dass du Abschaum bist?
„Ich! Und ich muss es wissen, weil ich mich selbst am besten kenne."
„Komm, lass uns ein andermal über die Vorzüge deines Charakters reden. Ich bringe dich nach Hause, es ist schon spät." Auffordernd legte ich die Hand auf seinen Unterarm. Uwe schob seinen stämmigen Körper von mir weg, sodass der Barhocker unter ihm knarrte.
„Will nicht nach Hause. Was soll ich da? Ich hab Durst, verstehst du? Wie damals in der Wüste! In Nordafrika hat`s nie genug zu trinken gegeben. Scheiß Gefangenenlager!"
Abba legte den Kopf schief. Oh weh, jetzt serviert er wieder seine Kriegsgeschichten!
„Hab die Knochen hingehalten, brabbelte er weiter, „für einen verschissenen Führer, der uns am Ende in den Arsch gefickt hat. Und heute? Da ist es keinen Deut besser, sage ich dir! Gute Jungs wie wir riskieren jeden Tag an der Front ihren Kopf. Wofür? Für nichts!
Uwe fummelte eine HB aus der Zigaretten-Schachtel und klemmte sie in seinen Mundwinkel. „Bin zweiundfünfzig Jahre alt und immer noch Schütze Arsch im letzten Glied. Ein popeliger Kommissar, mehr nicht."
Eine grell geschminkte Kellnerin brachte die Drinks. Uwe griff nach dem Glas. Ich hielt seine Hand fest.
„Lässt du deshalb die Whisky-Quelle plätschern, damit du im Selbstmitleid baden kannst? Mensch, hör endlich auf zu saufen und komm mit! Wir machen uns Sorgen um dich!"
Verständnislos sah er mich an. „Wer ist wir? Meinst du unseren hochverehrten Mister Brillant? Sag dem Chef, er kann mich kreuzweise. Bin nicht im Dienst. Und dann mache ich, was ich will."
„Ich rede von Lilo. Sie hat bei mir angerufen und mich gebeten, dich zu suchen."
Uwe grinste schief. „Lilo! Mein geliebtes Eheweib. Spielt die Fürsorgliche und sieht mich an wie einen Versager. Recht hat sie. Hab`s in all den Jahren zu nix gebracht. Hätt`s machen sollen wie der Jürgen. Nach oben buckeln und nach unten treten. Dann wäre ich jetzt wenigstens Oberkommissar."
„Jürgen hat den Posten verdient, was nicht heißt, dass du kein guter ..."
„So? Da hab ich was anderes gehört, fuhr er mir über den Mund. „Du solltest den Job kriegen. Hast du aber nicht, weil du genauso bist wie ich früher. Hab auch immer das Maul aufgerissen und gesagt, was ich über die hohen Tiere im Präsidium denke.
Uwe richtete die Zigarette auf mich wie ein Lehrer den Zeigestock. „Merk`s dir, Kumpel, nur die Angepassten bringen`s zu was im Leben."
Mein Kollege spielte auf ein Zeitungsinterview an, in dem ich über meine Liebe zu Petra Helm gesprochen hatte. Sie war meine Verlobte gewesen. Doch dann hatte sie der Drang, die Gesellschaft zu verändern, in die Fänge der Roten Armee Fraktion getrieben. Verdammen wollte ich Petra deshalb nicht. Ich verstand ihre Motive, auch wenn ich die Methoden der Terroristen zutiefst verabscheute. Unbeirrt träumte ich von einem Neubeginn für Petra und mich, wenn „der Krieg von sechs gegen sechzig Millionen", wie Heinrich Böll den RAF-Terror genannt hatte, endlich vorbei sein würde. Gegenüber einem Reporter der Zeit hatte ich meine Einstellung öffentlich erklärt und zugleich den Ablauf des Stammheim-Prozesses hinterfragt. Im Kampf gegen den Terrorismus darf der Rechtsstaat die Gebote von Fairness und Menschlichkeit nicht über Bord werfen. Andernfalls stellt er sich auf eine Stufe mit den zu verurteilenden Extremisten. Meine Kritik war nicht ungehört verhallt. Mitglieder der Polizeigewerkschaft hatten meine Entlassung gefordert mit einem Hinweis auf den Radikalenerlass. Dieser Beschluss war vor drei Jahren von unserem damaligen Kanzler Willy Brandt verkündet worden und besagte, dass niemand im Staatsdienst arbeiten durfte, an dessen Verfassungstreue der kleinste Zweifel bestand. Es genügte schon, mit Organisationen zu sympathisieren, in denen Kommunisten und Anarchisten eine tragende Rolle spielten. Der Radikalenerlass war der Freifahrtschein für eine Hexenjagd sondergleichen. Allein unter den Lehrern hatte es zweitausend Disziplinarverfahren und über einhundertdreißig Entlassungen gegeben. Wie konnte ausgerechnet Brandt seine Unterschrift unter ein Papier setzen, das Andersdenkende mit Berufsverbot bedrohte und die rebellische Jugend noch stärker gegen die Regierung aufbrachte? Darüber hatten Petra und ich noch im Januar `72 diskutiert – und nun wäre ich selbst davon betroffen gewesen, wenn sich Mister Brillant nicht persönlich bei Polizeipräsident Müller für mich verbürgt hätte. Mir hatte der Chef den dezenten Hinweis gegeben, ich solle das nächste Mal gefälligst mein Hirn einschalten, bevor ich mein Herz sprechen ließe. Ich konnte weiter meinen Dienst versehen, bekam aber das Misstrauen und die Abneigung mancher Kollegen zu spüren, besonders von Seiten der Schutzpolizisten. Da wurde schon mal eine Anfrage überhört, eine Bitte um Unterstützung verschlafen oder eine dringend benötigte Akte verschleppt. Zweimal waren mir die Reifen auf dem Parkplatz des Kommissariats zerstochen worden. War`s das wert gewesen? Die Frage hatte mir mein Partner Mike Notto gestellt. Meine Antwort lautete: Ja! Wenn ich meine Gefühle zu Petra weiter verleugnet hätte, wäre