Vergessene Erinnerung - Bis Alles in Scherben fällt: Autobiographie eines ehemaligen Rechtsextremisten
By Achim Schmid and Exit Deutschland
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Vergessene Erinnerung - Bis Alles in Scherben fällt - Achim Schmid
PROLOG
Ich habe mich nie als klassischen Aussteiger gesehen und wollte meine Vergangenheit nie zu meiner Gegenwart und schon gar nicht zu meiner Zukunft machen. Aber nachdem ich meine Kindheit, Jugend und einen Teil meines jungen Erwachsenenlebens an eine Ideologie verloren habe, die ich heute nicht mehr vertrete und diese Vergangenheit mich eingeholt hat, ist es umso wichtiger sich mit dieser dauerhaft auseinanderzusetzen.
Ja, ich bin immer ein Freidenker gewesen, bin oft damit angeeckt und habe polarisiert. Ich habe immer hinter die Kulissen geschaut und Dinge hinterfragt. Und je tiefer ich „hineingerutscht" bin, je mehr ich gesehen und erfahren habe, desto mehr habe ich hinterfragt.
Ich habe Dinge getan, gesagt und gesungen, auf die ich heute nicht mehr stolz bin. Aber meine Vergangenheit hat mich zu dem gemacht, der ich heute bin. Und dazu gehören auch gewonnene Akzeptanz und Verständnis, die ich sonst vielleicht so nicht erfahren hätte.
Nach meiner endgültigen Abkehr von Extremismus und Rassismus, hatte ich ein neues Leben begonnen und meine Vergangenheit völlig aus meinem Leben und auch aus meinem Kopf gestrichen. Es spielte in meinem neuen Leben einfach keine Rolle mehr. Wie gesagt, ich war ja auch nie einer den man als klassischen „Aussteiger" bezeichnen könnte. Ich habe damals aus eigenem Antrieb und ohne Hilfe von außen einen Schlussstrich gezogen. Und ich wollte auch nicht mit einem Schild um den Hals herumlaufen, um jedem zu erzählen was für ein schlechter Mensch ich damals gewesen bin, und wie sehr ich mich nun davon distanziere.
Sind es nicht die Taten die einen Menschen ausmachen? Wie oft hatte ich in meinem Leben diese leeren Worte gehört.
Für mich wollte ich es einfach damit definieren, ein guter Mensch zu sein. Und andere ebenso dazu beflügeln. Ich wollte einfach nur ein normales Leben, fernab von Hass und Diskriminierung, leben. Eine zweite Chance.
Natürlich war es aber immer eine Gratwanderung, wenn ich entscheiden musste, wem ich von meiner Vergangenheit erzähle und wann es eben keine Rolle spielte. Auch konnte ich nicht jedem mein ganzes Leben ausbereiten und ab und zu musste ich mir ein „DAS hattest Du mir aber nicht erzählt" anhören.
Manche, die mich dann später in der Zeitung oder im Fernsehen gesehen haben, hielten mir das (teilweise) Verschweigen dieses Lebensabschnittes vor. Die meisten aber verstanden, dass mein „altes Ich", nichts mehr mit der Person zu tun hat, die ich heute bin. Sie hatten mich als einen neuen Menschen kennengelernt.
Ich bin heute allen Personen, die mich seit meinem Ausstieg als diesen Menschen kennenlernten und mich mit offenen Armen empfingen, dankbar. Dankbar dafür, dass sie mir dieses neue Leben mit einer zweiten Chance vergalten.
Als im November 2011 die NSU-Zelle aufflog, nahm ich das bestürzt zur Kenntnis. Es war einer dieser Momente, in denen ich mir vor Augen führte, wie froh ich bin nicht mehr zu dieser „Szene" zu gehören. Nicht mehr in der Spirale des Hasses gefangen zu sein.
Aber als dann im Sommer 2012 das Telefon klingelte und das LKA mich als Zeuge befragen wollte, stellte ich fest, dass ich in einigen Medien bereits Thema geworden war. Meine Vergangenheit hatte mich eingeholt.
Als die Medien in der zweiten Hälfte des Jahres 2012 dann eine Hexenjagd auf mich starteten, und am Ende mein Geschäfts- und Privatleben wie ein Scherbenhaufen vor mir lag und sich leider auch nicht mehr zusammensetzen ließ, beschloss ich mich aus der Öffentlichkeit zurückzuziehen. Ich fing mit dem ersten Manuskript zu diesem Buch an, das dann aber, obwohl ich bereits einen Verlag gefunden hatte, von mir nicht weiterverfolgt wurde. Zu groß war mein Wunsch nach einem normalen Leben. Das Verlangen meine Vergangenheit hinter mir zu lassen.
Letztendlich habe ich mich dann doch dazu entschieden, Teile des von mir Erlebten niederzuschreiben. Mehr als dreieinhalb Jahre in denen ich massiv mit meiner damaligen Zugehörigkeit zur rechten Szene konfrontiert wurde, zwangen mich dazu, mich mit meiner Vergangenheit nochmals neu und auch differenzierter auseinanderzusetzen. Ich fing an mein erstes Manuskript komplett zu überarbeiten und entschied mit meinem neuen Verleger, das Buch in mehreren Teilen zu veröffentlichen.
Nun, dieses Buch soll kein Geständnis werden, und es soll auch kein Versuch werden meine Person reinzuwaschen. Ich bin in meiner Vergangenheit nicht gerade das gewesen was man als „guten Menschen" bezeichnet. Ja, ich habe Schuld auf mich geladen. Dennoch gibt es verschiedene Gründe, warum ich dieses Buch nun doch veröffentliche.
Es gibt sehr viele Menschen die Fragen haben. Zu meiner Person, zu meiner Vergangenheit, zu meinen damaligen Aktivitäten. Auch wenn ich kein Tagebuch geführt und einiges vergessen habe, oder anderes auch einfach nicht für relevant halte, so hoffe ich doch, dass ich hiermit einige Fragen beantworten und somit den Wissensdurst einiger Zeitgenossen etwas stillen kann.
Und es gibt auch viele Bücher über und von Aussteigern, von den aber kaum eines den Einstieg in die Szene reflektiert. Ich glaube, dass es enorm wichtig ist, dass man junge Menschen verstehen muss. Das WIESO zu verstehen und die Hintergründe, warum sie nach „rechts" abdriften. Man muss sie und ihre Ängste ernst nehmen, anstatt sie einfach in die rechte Ecke abzustellen, wo sie dann von Extremisten bereitwillig abgeholt werden. Und das gilt nicht nur für junge Menschen!
Ich hoffe aber auch, dass ich Menschen erreiche, die sich auf dem falschen Weg befinden. Wenn ich auch nur einem jungen Menschen helfen kann, nicht weiter abzudriften, oder sich auch nur einen Schritt von Rassismus, Hass und Gewalt zu entfernen, dann habe ich schon gewonnen.
Ich habe beschlossen in diesem Buch chronologisch von Erlebnissen, Schlüsselereignissen und Personen zu berichten, die maßgeblich an meiner Entwicklung beteiligt waren.
Es haben mich auf meinem Weg viele Personen begleitet, von denen ich mich an viele noch sehr gut erinnern kann, an andere aber weniger. Manche Personen habe ich sogar ganz vergessen. Einige Personen waren (ungewollte) Schlüsselfiguren, die mein Leben eine Kehrtwende haben machen lassen. So wie manche Begegnungen Schlüsselerlebnisse für den Einstieg oder die Radikalisierung waren, sind andere Schlüsselerlebnisse Anlass für mein Umdenken gewesen. Dieses Umdenken war aber ein langer Prozess, der viele Jahre dauerte.
Von all diesen Erlebnissen und Personen in meinem Leben möchte ich in dieser Buchreihe erzählen, ohne Anspruch auf Vollständigkeit zu erheben. Erinnerungen sind relativ und scheiden irgendwann im Laufe der Jahre auch dahin. Daher hoffe ich, dass ich - nach einer doch sehr langen Zeit von teilweise mehr als 20 Jahren - Personen und Zeiten richtig einordnen konnte.
Sollte dieses Buch teilweise eine zu geringe Distanz zu diesem Thema aufweisen, so ist es dem Versuch geschuldet, den Leser verstehen zu lassen, wieso sich ein junger unverstanden gefühlter Mensch zu einem Einstieg in die rechte Szene überhaupt erst hat hinreißen lassen. Dazu habe ich versucht mich in meine damalige Situation hinein zu versetzen und mich zu erinnern, was mich damals bewegte. Dies ist mit alles andere als leicht gefallen.
Alle Ereignisse in diesem Buch haben sich so, oder so ähnlich zugetragen. Alle Dialoge wurden aus meiner Erinnerung rekonstruiert und müssen nicht zwingend wortwörtlich so stattgefunden haben.
ACHIM SCHMID
VERGESSENE ERINNERUNG
BAND I
- Bis Alles in Scherben fällt -
Ein biografischer Bericht
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie;
detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. ISBN: 978-3-945529-03-4
Das Werk, einschließlich aller seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jegliche Verwendung ohne Zustimmung des Herausgebers ist unzulässig. Das gilt insbesondere für Veröffentlichungen, Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen sowie die Verbreitung durch Film, Funk, Fernsehen und Internet.
1. Auflage, Berlin 2016
BEGLEITWORT
Dr. Bernd Wagner, EXIT-Deutschland
Der Junge spielte 1980 noch Gitarre zu populären internationalen Weisen. In dem Jahr hatte ich in Ostdeutschland mit einer nazistischen Wehrsportgruppe im heutigen Brandenburg zu tun. 1974 das erste Mal und das bis zum heutigen Tag. Achim Schmid wurde in Westdeutschland zu einem Nazi. Es muss also etwas komplexes Gesellschaftliches wirksam sein, das Menschen in den Bann des Rechtsradikalismus bringt und dem Rassismus zuführt.
Der Weg im Leben ein Nazi, ein Rechtsextremist zu sein ist - trotz der
bekannten Verbrechen des Nationalsozialismus - ein in Deutschland nicht seltener. Der Rechtsradikalismus reproduziert sich aus den lebendigen
Verhältnissen der Demokratie selbst. Und heute wieder erweitert. Es steht genug Ideologie in allen gesellschaftlichen Poren bereit, überall wird sie in Fetzen und langen Texten, als Mythen und „geheime Botschaften", als Musik und Zeichen erzählt, gespielt und gezeigt. Und Menschen aller
Altersgruppen, nicht nur die Jungen, erleben genug Ungerechtes, erleben Paradoxes, Lügen und Bürokratie, leiden unter Dysfunktionen zu Lasten ihrer Freiheit. So geraten diese rassistischen, nationalistischen und
volks-sozialistischen Erzählungen zur materiellen und persönlichen Gewalt, in vielen Gestalten. Die einen greifen zu nationalistisch motiviertem
Extremismus, die anderen suchen einen gewaltbefehlenden Gott, wie die Jihadisten, um aus der Falle ihrer Freiheit herauszukommen und in einer Affirmation glorios aufzugehen. Sicher, es ist besser die eigene Freiheit
demokratisch zu nutzen und sein Heil nicht in kollektivistischen Missionen zu suchen. Allerdings: Freiheit ist schwer, muss gelernt, erarbeitet und
ermöglicht sein, ohne in vorgegebenen Glaubens- und Bekenntnisschienen zu verlaufen.
Achim Schmid ist trotz seiner ideologischen Fixierungen einer, der die Türen in die demokratische Gesellschaft nicht völlig verschloss, sich Reflexion
bewahren konnte. Er wurde zwar ein Hermetiker, aber mit einer später für ihn bedeutsam werdenden Distanz. Der Schlüssel zum endgültigen ideologischen und mentalen Ausstieg. Er durchlebt zuvor, aus einer Familie
stammend, die Politiker gerne als „Mitte" bezeichnet, als anwachsend
ideologisch Gläubiger eine häufig anzutreffende Entwicklung von einem subkulturellen Gefühlsrechten, einem völkischen zu einem Ideologen des weißen Rassismus und organisatorischen Macher. Als Akteur spannt er sich in den verschiedenen Lebenslagen in den Teufelskreis des Extremismus ein, die wie in einer Spirale des Denkens und Handelns in ein Finale der Radikalität führte. Dabei durchläuft Schmid verschiedene Phasen. Diese Phasen lassen sich in seinem Buch auch in seinem jeweiligen Sprachgestus nachvollziehen, der jeweils den herrschenden Geist durchschimmern lässt. Immer ist seine sich in Phasen wandelnde Weltanschauung auf den Rassismus zurückgebunden, bis zu seinem endgültigen Ausstieg auch aus dieser Ideologie, ein Konstrukt, das dem Menschen nicht gerecht werden kann, nicht gerecht ist.
Heute wird er auf eine unheilige Weise mit den rassistischen und nazistischen Mordtaten des Nationalsozialistischen Untergrundes in Verbindung gebracht und ist in die Bemühungen der Aufklärung eingebunden. Eine Lage die ihn zum Handeln auffordert und einen wieder nicht üblichen Weg zu gehen. Mit seinem Buch gibt Achim Schmid einen Einblick in die extremistische Welt, in die er sich umtriebig begab und auch an wichtigen Positionen gestaltete. Er war kein Mitläufer, sondern ein Macher.
Der Rechtsradikalismus ist nach der deutschen Einheit wieder zu einer Größe geworden, seine Spielarten zunehmend vielfältig. Kulturelle Subversion steht neben Militanz, das Politische wird Lebensweise und die Lebensweise ist Politik gegen die universale Freiheit und Würde und gegen die Demokratie als staatliche Grundordnung.
Achim Schmid bediente die NS-Front, den arischen Rassismus von Blood & Honour und die ‚weiße Macht’ des Ku-Klux-Klans. Er sah sich als Kämpfer einer menschenverachtenden Mission, die er für Wahrheit hielt. Zuerst Nazi, dann eingebildeter Aussteiger als rassistischer Klansmann und es kam der Tag, an dem er sein rassistisches Leben verwarf, nicht über Nacht. Nun wollte er zur neuen Tagesordnung der einfachen bürgerlichen Existenz übergehen. Doch die Verhältnisse holten ihn dort ein. Sie ließen ihn erkennen, dass er seine rassistische und nazistische Vergangenheit nur durch das Engagement gegen ihre beständige Reproduktion in der Gesellschaft besiegen kann. Das ist seine neue Arbeit an der Freiheit.
Schmid engagiert sich heute im AKTIONKREIS ehemaliger Extremisten bei EXIT-Deutschland. Dort geht es nicht darum zu büßen und einem neuen ideologischen Gott zu huldigen, sondern darum, an den Möglichkeiten der heutigen Freiheit für sich und andere zu bauen, unabhängig von Herkunft und Bekenntnis, eingebunden in die Arbeit für die Freiheit und Würde die jedem Menschen gebührt. Es ist eine Arbeit die nicht selbstverständlich ist, auch nicht für ehemalige Extremisten. Schmid und die anderen gelten als Verräter an ihrer Sache, sind Repressionen und Ausgrenzungen ausgesetzt. EXIT-Deutschland sieht in Menschen wie Achim Schmid Partner, die aus verschiedenen Richtungen kommend nunmehr ein gleiches Ziel anstreben. Das vorliegende Buch, besser zunächst sein erster Teil, ist dafür ein Beweis.
Die Schmid`sche Reise in die rechtsextreme Vergangenheit, die auch Informationen in heutige rechtsextreme Denk- und Organisationstrukturen der Gegenwart vermittelt, soll mahnen und ein Beitrag zur gezielten Auseinandersetzung sein. Dem vorliegenden ersten Teil sollen weitere Teile folgen. Das Buch wird Kontroversen auslösen. Sie sind wichtig, um die Wege in eine Zukunft zu finden, die die Welt gerechter und freier in den sozialen, kulturellen und geistigen Möglichkeiten, Demokratie und würdevolles Leben, ohne Krieg, Gewalt, Repression und unmenschlicher Ausbeutung werden lässt.
Inhaltsverzeichnis
KAPITEL I
KAPITEL II
KAPITEL III
KAPITEL IV
KAPITEL V
KAPITEL VI
KAPITEL VII
KAPITEL VIII
KAPITEL IX