Faruk: Mehr als nur ein Flüchtling
By Marlon Baker and Faruk Souleyman
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Book preview
Faruk - Marlon Baker
Faruk
Marlon Baker
FARUK
Mehr als nur ein Flüchtling
Unter der Mitwirkung von Faruk Souleyman
Alle Texte, Textteile, Grafiken, Layouts sowie alle sonstigen schöpferischen Teile dieses Werks sind unter anderem urheberrechtlich geschützt. Das Kopieren, die Digitalisierung, die Farbverfremdung, sowie das Herunterladen z. B. in den Arbeitsspeicher, das Smoothing, die Komprimierung in ein anderes Format und Ähnliches stellen unter anderem eine urheberrechtlich relevante Vervielfältigung dar. Verstöße gegen den urheberrechtlichen Schutz sowie jegliche Bearbeitung der hier erwähnten schöpferischen Elemente sind nur mit ausdrücklicher vorheriger Zustimmung des Verlags und des Autors zulässig. Zuwiderhandlungen werden unter anderem strafrechtlich verfolgt!
Die Originalausgabe erschien am 21. Juni 2016
im mysteria Verlag / www.mysteria-Verlag.de
© 2016 mysteria Verlag
Publishing Rights © Marlon Baker & Faruk Souleyman
Buchsatz & Lektorat: AutorenServices.de
Coverartwork © Marlon Baker
Das Paperback ist erschienen durch:
CreateSpace Independent Publishing Platform
mit der ISBN-13: 978-1534611894
Alle Rechte vorbehalten.
www.facebook.com/MarlonBakerFanpage
www.MarlonBaker.com
Dem Terror zu entfliehen
ist meine wichtigste Lebensaufgabe,
die mir sehr viel Kraft abverlangt.
Faruk Souleyman
Faruk
Faruk war noch nie ein Kind von Traurigkeit gewesen. Oft erweckte er den Eindruck, als dass es ihm mit fetten Lettern auf der Stirn stand, dass er alles andere als zufrieden war mit seinem Leben. Dabei hatte es auch andere Zeiten gegeben, die jetzt jedoch in einer Welt lagen, die es nicht mehr gab. Noch vor wenigen Jahren hätte sich Faruk nie vorstellen können, seine Heimat zu verlassen, auch wenn es zu dieser Zeit schon problematisch war, über alles offen zu reden, was in seiner Familie oder im Bekanntenkreis vor sich ging.
Seine Eltern waren immer sehr bedacht darauf gewesen, mit höflicher Zurückhaltung zu argumentieren, wenn sie sich nicht selbst ans Messer liefern wollten. Und Faruk und seine Eltern lebten in einem Land, in dem es oft nur ein Fünklein an der Waage brauchte, um die Stimmung kippen zu lassen. Diese Vorsicht bestimmte seit jeher Faruks Leben, da er wusste, wie schnell man in Ungnade fallen konnte. Da war es auch völlig egal, ob man nun beste Freunde oder Schulkollegen war. Brachte man Dinge zur Sprache, die besser unausgesprochen blieben, riskierte man nicht selten sein Leben und das seiner Angehörigen.
Dieser Form der permanenten Einschüchterung war es schließlich zu verdanken, die Faruk lieber schweigen ließ. Und dieses Schweigen wollte er niemals brechen; zumal er eine große Schuld auf sich geladen hatte, um heute da zu sein, wo er war. Faruk hatte in den letzten Jahren nicht nur miterleben müssen, wie seine Heimat systematisch zerstört wurde von einer Ideologie, die ihm völlig fremd war und die er nicht nachvollziehen konnte. Doch seine Seele hätte er niemals verkauft. Weder an den Teufel noch an irgendeine andere Person, die ihn mit süßen Verlockungen das Seelenheil versprach. In der Familie hatte es in den letzten Monaten viele Überlegungen gegeben, wie man dieser Lage Herr werden sollte, und doch waren sie nicht bereit, alle ihre Werte über Bord zu werfen, nur um am Ende des Tages auf den Knien gedemütigt einen Gott anzubeten, der nicht der ihre war. Faruk war in den letzten zwei bis drei Jahren ein sehr aufmerksamer Beobachter geworden. Mit großer Angst sah er die Entwicklungen in seinem Land. Aber auch an sich selbst nahm er Dinge war, die beängstigend waren, wenn man so wie er in Syrien aufwuchs und sich täglich die Frage stellen musste, wann all diese Lügen auffliegen würden.
Selbst seine Eltern belog er, da er wusste, was es zur Folge hätte, wenn er ihnen die Wahrheit über sich sagen würde. Nicht einmal die Wahrheit über all die Schrecken in ihrem Land wollten seine Eltern hören. Stattdessen versuchten sie, ihn davon zu überzeugen, dass es Gott schon richten und die Hand schützend über ihn halten würde.
»Jetzt aus diesem Land zu fliehen, dass wir unsere Heimat nennen, wäre das falsche Signal, mein Junge«, sagte Tarek, Faruks Vater, der von den Fluchtplänen seiner Landsleute nichts hören wollte. »Ich kann meine Gemeinde doch nicht im Stich lassen.«
»Aber viele haben dieses Land bereits verlassen«, versuchte Faruk zu argumentieren, »weil sie für sich keine Zukunft mehr sehen. Und wir dürfen nicht so blind sein und unsere Augen und Ohren vor dem verschließen, was da auf uns zugerollt kommt.«
»Aber mit Gottes Stärke werden wir auch diese Prüfung überstehen«, sagte Tarek und deutete auf die vielen Schriften, die er in seinem Haus angesammelt hatte. »Gott stellt hier unseren Glauben auf den Prüfstand, und wir müssen jetzt Stärke beweisen und dem trotzen, was uns auslöschen will.«
»Aber Vater«, erwiderte Faruk und konnte seine Tränen nicht länger zurückhalten. »Sie werden uns überrollen, so wie sie es auch schon anderenorts getan haben und wenn sie erfahren, dass wir anders sind, werden sie kein Erbarmen mit uns haben und uns abschlachten, wie alle, die sich ihnen in den Weg stellen.«
»Hier sind wir geboren worden. Hier sind wir aufgewachsen. Syrien ist unsere Heimat und wir sollten hier auch ausharren der Dinge, die noch auf uns zukommen werden.« Tarek beendete das Gespräch, indem er das Heilige Buch zuschlug, dass er immer schon gern zurate zog, wenn er mit seinem Sohn sprach.
Faruk wusste genau, dass sich sein Vater nicht eines Besseren belehren ließ. Nicht von ihm und erst recht nicht von irgendjemand sonst aus der kleinen Gemeinde, die vor den Toren der großen Stadt ein Schattendasein fristete. Offiziell gab es ihre Gemeinde nicht einmal mehr, da es in ihrer Heimat mit dem Tode bestraft wurde, andersgläubig zu sein. Mit dem falschen Gebetbuch unter dem Arm stand man nur allzu schnell auf der Todesliste eines Märtyrers, der sich im Paradies Jungfrauen versprach. Und in einer anderen Gemeinde war es schon vorgekommen, dass ein Selbstmordattentäter ins Gebäude stürmte, um sich dann während des Gebets in die Luft zu sprengen. Alles sehr deutliche Signale und Botschaften, was Faruk von diesem Land zu erwarten hatte, würde er hierbleiben.
Aber nicht nur sein Glaube war ein Makel, das wusste er, denn in den letzten Monaten hatte er Veränderungen an sich wahrgenommen, die selbst sein so toleranter Vater missbilligte. Und wie sollte er seinen Freunden erklären, warum er trotz seines Teenageralters noch immer nicht beschnitten war?
Entsetzt zeigte er sich allerdings, als erste Jungs aus seiner Klasse und dem Bekanntenkreis damit begonnen hatten, sich der ISIS anzuschließen, weil sie es als ihre von Allah gegebene Pflicht ansahen, für ihre Überzeugungen in einen Krieg zu ziehen, der für ihre Begriffe längst überfällig war.
Mit diesen Gedanken schlief Faruk heute Nacht ein.
Es war ein so beklemmendes und beängstigendes Gefühl, dass sich der Strick um seinen Hals immer enger zog, sodass er in dieser Nacht beschloss, seinem alten Leben ein Ende zu setzen.
Im Internet und auf den sozialen Netzwerken hatte er allerlei Informationen zusammengetragen, die es brauchte, um erfolgreich ein neues Leben zu beginnen. Faruk wusste, dass er den Tod finden würde, wenn er in Syrien bliebe. Und dieser Tod hätte ihn auch von seinem eigenen Vater ereilen können, der ihn immer öfter dazu drängte, sich eine Freundin zu suchen. Sein Vater hatte ihm schon viele Mädchen aus der Gemeinde oder aus befreundeten Familien vorgestellt, doch Faruk lehnte stets mit der Begründung ab, dass er sich noch nicht reif für eine Beziehung fühlte. Doch wie lange wollte er dieses Konstrukt aus Lügen noch aufrecht erhalten? Seinem eigenen Vater mitten ins Gesicht zu lügen, war schon frevelhaft genug, aber sollte er dieses Bild wirklich aufrechterhalten, nur um seinem Vater zu gefallen?
Er konnte sich nicht einmal mehr im Spiegel betrachten, so sehr schämte er sich für die Tatsache, dass sein Leben auf Lügen erbaut worden war … wenn er weiterhin in Syrien bliebe. Sein Entschluss stand daher fest, es auf eigene Faust versuchen zu wollen, um sich aus dieser Enge — aber auch dem sicheren Tod — zu befreien.
Eigentlich hatte sein Vater große Pläne mit ihm. Faruk sollte studieren und seine Familie mit Ehre und Stolz erfüllen. Doch was würde er über seine Familie bringen, wenn eines schönen Tages die Wahrheit ans Licht käme? Schande würde er über sie bringen, nicht zuletzt, weil er so lange verschwiegen hatte, was ihm schwer auf den schmalen Schultern lastete. Um sich von dieser erdrückenden Last zu befreien, gab es im Grunde nur zwei Möglichkeiten: Er könnte sich das Leben nehmen, was ihm sein Vater aber niemals verzeihen würde, oder er könnte sich bis an sein Lebensende verstellen, um ja keinen Verdacht zu erwecken, dass er unglücklich war mit dem, was andere in ihm sahen. Aber wollte er wirklich sein gesamtes Leben unglücklich bleiben und sich wie eine Marionette verhalten, deren Fäden im Hintergrund ein selbst auferlegtes Schweigen zog?
Nein, das wollte er mit Sicherheit nicht! Und ganz gewiss wollte er auch nicht seine Ideale verraten, seine Vorstellungen von einem glücklichen und zufriedenen Leben — wie es nur anderenorts möglich wäre.
Anderenorts!
Dieser Gedanke war in letzter Zeit allgegenwärtig. Überall in Syrien wurde Faruk damit konfrontiert, dass es anderenorts sicher besser wäre. Denn früher oder später würde er wahrscheinlich von seinen eigenen Freunden gelyncht werden, die einen ersten Verdacht hegten, dass er nicht ihren Vorstellungen entsprach. Aber wollte er wirklich den anderen um jeden Preis gefallen, in dem er sich jeden Morgen in das Korsett aus Lügen zwängte?
Nein, diese Zeit sollte ein Ende finden. Nicht länger wollte er sich verbiegen oder in irgendeinen Schubkasten stecken lassen, weil es die anderen für richtig hielten, ihm dieses Etikett aufzudrücken. Jetzt wollte er sein Leben in die eigene Hand nehmen und dafür sorgen, dass er derjenige sein konnte, der er war. Glück und Glückseligkeit sollten fortan sein Leben bestimmen und nicht die Furcht, eines Tages wie ein Verräter an der eigenen Kultur gesteinigt und ermordet zu werden.
Faruk hatte viel zu weiche Gesichtszüge, aber stets ein Lächeln parat, sodass ihm andere nur schwer einen Gefallen abschlagen konnten. Er hatte sich im Morgengrauen aus dem Haus geschlichen, mit dem endgültigen Entschluss, sich niemals mehr umzudrehen.
Stattdessen wollte er nach vorne blicken und herausfinden, was ihm diese Welt, mit all ihren unterschiedlichen Versprechungen, zu bieten hatte.
Ein LKW-Fahrer bot ihm eine Mitfahrgelegenheit an.
»Wo soll es denn hingehen?«, fragte der junge Mann, der an den Straßenrand gefahren war, um sich den Jungen genauer anzusehen, der sich ganz allein auf den Weg machen wollte. Und ganz gleich, was ihm Faruk auch erwiderte, dieser junge Mann wusste genau, wohin seine Reise gehen sollte. Und auch wenn Faruk es niemals Flucht nannte, sondern eine lange Reise, die ihm bevorstand, so konnte er sich niemals sicher sein, ob sein Leben nicht doch in Gefahr war.
»An die Landesgrenze«, sagte Faruk schließlich, als er alle Fürs und Widers abgewogen hatte, wie viel er von seinem Abenteuer preisgeben wollte.
»Willst auch du unser schönes Land verlassen, statt dich uns anzuschließen«, sagte der junge Mann, der sich ihm als Salah vorstellte, und ohne es wie eine Frage klingen zu lassen.
Auch das noch, dachte Faruk und sah seine Pläne bereits in Gefahr, jemals an die Landesgrenze zu gelangen. Ausgerechnet ein IS-Kämpfer hatte ihn von der Straße aufgelesen, weil er sich vermutlich davon versprach, den Jungen für sich und seinen Kampf zu gewinnen, um in Syrien einen Gottesstaat zu etablieren. Doch alle Argumente, die der junge Mann während ihrer mehrstündigen Fahrt hervorbrachte, prallten an Faruk ab, auch wenn er gute Miene zum bösen Spiel machte. Manchmal ging Faruk sogar so weit, dass er seinem Gegenüber zu verstehen gab, dass er die Motive durchaus nachvollziehen könnte, die so viele junge Männer in Scharen zu Märtyrern werden ließ.
Allerdings sah Faruk auch der bitteren Realität auf dieser Fahrt ins Auge. Sie kamen an Städte vorbei, die in Schutt und Asche lagen. Sie sahen viele Hunderte Menschen, die sich mit wenig Gepäck ebenfalls auf eine Reise ins Ungewisse begaben — auch wenn diese Personen eher von einer Flucht sprachen. Der junge Mann, der Faruk versprochen hatte, dass er ihn bis zur Grenze mitnehme, wurde nicht müde, aus dem Koran zu zitieren. Er sprach davon, dass die Ordnung in der Welt wiederhergestellt werden müsste und dass es keinen anderen Glauben als den Islam geben dürfe.
Faruk zeigte sich jedoch resistent von all den Werbungsversuchen, die der junge Mann während ihrer Fahrt unternahm:
»Wenn du für die richtige Sache kämpfst, wirst du von Allah reichlich belohnt werden. Er lässt seine Kämpfer nicht im Regen stehen und wird auch für sie sorgen, wenn sie das Paradies betreten.«