Discover millions of ebooks, audiobooks, and so much more with a free trial

Only $11.99/month after trial. Cancel anytime.

Dorian Hunter 81 – Flucht nach Varennes
Dorian Hunter 81 – Flucht nach Varennes
Dorian Hunter 81 – Flucht nach Varennes
Ebook239 pages3 hours

Dorian Hunter 81 – Flucht nach Varennes

Rating: 0 out of 5 stars

()

Read preview

About this ebook

Band 81 der legendären Serie um den "Dämonenkiller" Dorian Hunter!

Dorian Hunter und seine Freunde stecken zwischen zwei Fronten von Dämonen fest, die ihnen an den Kragen wollen. Wird es ihnen gelingen, sie gegen­einander auszuspielen? Und was haben Dorians Erinnerungen an sein früheres Leben an Hugo Bassarak damit zu tun? Was hofften die Vampire um Jerome de Choiseul während der Französischen Revolution unter der Bastille zu finden?

"Okkultismus, Historie und B-Movie-Charme - ›Dorian Hunter‹ und sein Spin-Off ›Das Haus Zamis‹ vermischen all das so schamlos ambitioniert wie kein anderer Vertreter deutschsprachiger pulp fiction." Kai Meyer

enthält die Romane:
281: "Nach uns die Hölle"
282: "Flucht nach Varennes"
LanguageDeutsch
Release dateSep 4, 2015
ISBN9783955720810
Dorian Hunter 81 – Flucht nach Varennes

Read more from Catherine Parker

Related authors

Related to Dorian Hunter 81 – Flucht nach Varennes

Titles in the series (100)

View More

Related ebooks

Horror Fiction For You

View More

Related articles

Related categories

Reviews for Dorian Hunter 81 – Flucht nach Varennes

Rating: 0 out of 5 stars
0 ratings

0 ratings0 reviews

What did you think?

Tap to rate

Review must be at least 10 words

    Book preview

    Dorian Hunter 81 – Flucht nach Varennes - Catherine Parker

    Flucht nach Varennes

    Band 81

    Flucht nach Varennes

    von Uwe Voehl und Catherine Parker

    © Zaubermond Verlag 2015

    © Dorian Hunter – Dämonenkiller

    by Pabel-Moewig Verlag GmbH, Rastatt

    Titelbild: Mark Freier

    eBook-Erstellung: Die Autoren-Manufaktur

    http://www.zaubermond.de

    Alle Rechte vorbehalten

    Was bisher geschah:

    Der ehemalige Reporter Dorian Hunter hat sein Leben dem Kampf gegen die Schwarze Familie der Dämonen verschrieben, seit seine Frau Lilian durch eine Begegnung mit ihnen den Verstand verlor. Seine Gegner leben als ehrbare Bürger über den gesamten Erdball verteilt. Nur vereinzelt gelingt es Dorian, ihnen die Maske herunterzureißen.

    Bald kommt Hunter seiner eigentlichen Bestimmung auf die Spur: In einem früheren Leben schloss er als französischer Baron Nicolas de Conde einen Pakt mit dem Bösen, der ihm die Unsterblichkeit sicherte. Der Pakt galt, und als de Conde selbst der Ketzerei angeklagt und verbrannt wurde, wanderte seine Seele in den nächsten Körper. Im Jahr 1713 wurde er als Ferdinand Dunkel in Wien Zeuge, wie Asmodi, das Oberhaupt der Schwarzen Familie, von einem Nachfolger verdrängt wurde, der sich fortan Asmodi II. nannte. Ihn kann Dorian schließlich töten.

    Nach vielen Irrungen nimmt Lucinda Kranich, die Schiedsrichterin der Schwarzen Familie, die Rolle des Asmodi an. Niemand weiß, dass sie in Wirklichkeit hinter dem wiedererstandenen Fürsten steckt. Und letztendlich wird ihre Maskerade Wirklichkeit. Dass Lucinda sich einen Teil Asmodis einverleibt hat, um seine Macht zu erlangen, wird ihr zum Verhängnis. Der in ihr schlummernde Asmodi übernimmt die Kontrolle über ihren Körper und ersteht so tatsächlich wieder auf.

    Und die Umstände wollen es, dass ausgerechnet Coco Zamis die neue Schiedsrichterin wird. Das Dämonenkiller-Team droht zu zerfallen, Dorian stirbt. Die Dämonen scheinen gesiegt zu haben.

    Aber mit vereinten Kräften gelingt es Dorians Freunden, ihn ins Leben zurückzuholen. Das Team formiert sich neu. Dummerweise sind einige von ihnen während Dorians Abwesenheit auf Abwege geraten. So hat der ehemalige KGB-Agent Kiwibin eine mächtige Dämonin namens Mainica aus ihrem steinzeitlichen Gefängnis befreit.

    Erstes Buch: Nach uns die Hölle

    Nach uns die Hölle

    von Uwe Voehl

    nach einem Exposé von Susanne Wilhelm

    1. Kapitel

    Paris

    Mystys Didgeridoo webte rhythmische Klangteppiche über die Tundra.

    Jason dagegen hatte es nach draußen zum Schneemobil getrieben, um sich eine Flasche Whisky aus seinem Gepäck zu holen. Eigentlich hatte er sich geschworen, die letzte Etappe clean zu bleiben. Das, was sie beide erwartete, würde er nur mit klarem Kopf bewältigen können.

    Jason McCullough war Schotte. Menschen, die ihn zum ersten Mal sahen, waren versucht, den bärenstarken, wortkargen Mann vorschnell in die Kategorie Rocker einzugruppieren. Äußerlich erfüllte er alle Klischees: Das lange schwarze Haar war zu einem dicken Zopf geflochten, die rechte Wange zierte eine lange Narbe, die er sich bei einer Messerstecherei zugezogen hatte, und seine Arme waren vollständig tätowiert. Zu Hause in Schottland fuhr er am liebsten auf seiner Harley die hügeligen Straßen seiner Heimat ab. Aber seine Leidenschaft für das Rockerleben beschränkte sich tatsächlich auf seine Harley und die damit verbundene Freiheit, die sie ihm schenkte. Er gehörte keiner Bikergang an, und die Sache mit dem Messerkampf lag schon lange zurück. In der Magischen Bruderschaft galt er als Tüftler. Für ihn gab es keine Probleme, nur Herausforderungen, die es zu überwinden galt. Wenn er einmal eine Aufgabe übernommen hatte, führte er sie bis zum Ende aus. Egal, wie lange es dauerte und wie mühsam der Weg war.

    Von seiner dänischen Mutter hatte er die Gabe der Runenmagie geerbt. Zugleich beherrschte er eine ganz spezielle Form der Synästhesie: Sein Gehirn setzte alle Gedanken, Wahrnehmungen und Sinnesreize in Runen um. In Ausnahmesituation wurden die von ihm erzeugten Runen auch für Außenstehende sichtbar. Sie schwebten dann wie filigrane Schatten um ihn herum, hüllten ihn ein und beschützten ihn.

    McCullough stapfte über die gefrorene Schneedecke. Sie war so hart, dass noch nicht mal ein Knirschen zu hören war. Obwohl es nur wenige Meter bis zu dem Schneemobil waren, drang die erbarmungslose Kälte sofort durch seinen schützenden Anzug. Lautlos fluchte er vor sich hin. Er befand sich an einem der abgelegensten und kältesten Orte, an denen er je gewesen war. Aber gerade das hatte ihn gereizt: Eine Herausforderung anzunehmen, die selbst für ihn völlig neu war. Natürlich hatte er sich mental auf die Mission vorbereitet. Er wusste, was ihn erwartete: eine Eiswüste, in der nur wenige Stunden am Tag die Sonne zu sehen war. Ohne Hilfsmittel und entsprechende Schutzausrüstung würde man zu dieser Jahreszeit innerhalb von Minuten erfrieren. Wer sich verirrte, dem drohte der Hungerstod.

    Plötzlich stutzte er. Direkt neben dem Schneemobil ragte ein Schatten auf. Blitzschnell jagte McCullough vorwärts. Doch bereits nach dem ersten Meter war der Schatten wieder verschwunden. Wahrscheinlich hatte er sich hinter dem Gefährt zu Boden geworfen und war nun nicht mehr zu sehen.

    McCullough überlegte nur kurz, ob er Mysty zu Hilfe holen sollte. Dann entschied er sich, die Sache allein zu regeln. Er selbst war unbewaffnet.

    In der Einöde war sich jeder selbst der Nächste. Und wen hier der Tod ereilte, hinter dem krähte kein Hahn. Vielleicht aber handelte es sich auch nur um einen hungernden Nomaden, der Hilfe suchte. Doch warum schlich er dann hier herum, anstatt sich offen zu zeigen?

    Eine Windböe erfasste ihn von vorn. Sie hüllte ihn in Schnee und feine Eiskristalle, sodass er von einer Sekunde zur anderen nichts mehr sah.

    Wenigstens nicht mit seinen Augen. Reflexartig schaltete sein Gehirn um. Er nahm die Umgebung als Runen wahr. Als solche, die ihm nutzten, und solche, die ihm schadeten. Die Schadensrune war pechschwarz und schwebte links oben in seinem imaginären Blickfeld. Ohne abzubremsen, lief er weiter, verließ sich dabei auf sein sensorisches Navi, wie er es scherzhaft nannte, das anstelle der bewussten Entscheidungen nun seine Bewegungen steuerte.

    Die schwarze Rune bewegte sich. Rasend schnell schwirrte sie davon und verschwand. Als McCullough die Stelle erreichte, an der der Fremde einige Sekunden zuvor noch gestanden hatte, war dieser verschwunden.

    Und mit ihm das plötzliche Schneetreiben. Er konnte wieder mit seinen Augen sehen. Aber auch das half ihm nicht weiter. Der Unbekannte schien über alle Berge zu sein.

    Als hätte er sich in Luft aufgelöst.

    Die Schneedecke lag unberührt vor ihm und verlor sich nach einigen Metern in der Dunkelheit.

    »Er ist noch da. Irgendwo dort draußen. Ich spüre ihn!«

    Zuerst zuckte er zusammen, als er die Stimme hörte. Doch er erkannte augenblicklich, dass keine Gefahr bestand. Sein Partner Volkher Fischer war lautlos hinter ihm aufgetaucht. Innerhalb der Magischen Bruderschaft nannten sie ihn Mysty, eine Mischung aus Nebel und Mysteriös. Lautlos wie der berüchtigte Londoner Nebel stand er unerwartet hinter einem. Und er verstand es wie kein Zweiter, zu schweigen. Was seine Person betraf, so wusste man nur sehr wenig über ihn, was zur allgemeinen Legendenbildung beitrug. Es hieß, er habe nach dem Besuch des Konservatoriums seine Studien auf die Musik der Naturvölker ausgedehnt. Auf privaten Reisen nach Süd- und Nordamerika, Afrika, Asien und Australien habe er dabei den magische Nutzen der Musik erkannt.

    Seit sie zusammen durch die Tundra reisten, spielte Mysty vor allem auf seinem Didgeridoo und trieb McCullough damit zur Weißglut.

    Du kannst ihn gar nicht bemerkt haben, dachte McCullough. Weil du auf deinem verdammten Holzschwanz rumgeblasen hast! Allerdings wusste er, dass Mysty ebenso wie er über mehr Sinne verfügte als normale Menschen. Sein Ärger verpuffte genauso schnell, wie er gekommen war.

    »Ich habe ihn nicht mehr auf dem Radar«, flüsterte er.

    »Aber ich«, erwiderte Mysty. »Es sind sogar zwei. Und sie verbergen sich in der Dunkelheit.« Er spähte hinaus in die Nacht, als würde er mit unsichtbaren Fühlern die Fremden, die sich dort versteckten, ertasten.

    »Sollen wir sie uns schnappen?«, schlug der Schotte vor, aber Mysty schüttelte nur den Kopf. Wie so oft ließ er nur Gesten sprechen, anstatt etwas zu sagen. Eine Angewohnheit, die McCullough zur Verzweiflung brachte.

    »Du meinst also, wir sollen hierbleiben?«

    Diesmal dauerte es sogar eine geschlagene Minute, ehe Mysty endlich nickte.

    »Was heißt das? Sind sie weg?«

    »Ja.«

    »Aber wer mögen die zwei gewesen sein? Warum schleichen sie hier herum, anstatt sich ordentlich vorzustellen? Es gibt Zeitgenossen, die fackeln nicht lange, wenn sich jemand auf diese Weise ihrem Lager nähert!«

    »Sie werden etwas zu verbergen haben.«

    »Ach ja, und was? Glaubst du, sie waren wegen uns hier?«

    »Weiß ich noch nicht. Und ich schlage vor, es auch nicht herausfinden zu wollen. Nicht heute Nacht. Unsere Mission lautet, das Hügelgrab vorzubereiten. Konzentrieren wir uns darauf.«

    Klugscheißer!, dachte McCullough, aber auch das behielt er für sich. Hier in der Wildnis waren er und Mysty aufeinander angewiesen. Sie hatten sich einander nicht ausgesucht. Das Oberhaupt der Magischen Bruderschaft hatte sie beide als erfolgversprechendstes Team für diesen Job ausgewählt.

    »Ist dir klar, dass du gerade das erste Mal mehr als zwei Sätze hintereinander gesprochen hast?«, sagte er stattdessen.

    »Es waren sogar vier.« Mysty grinste.

    »Also schön, ich schlage vor, dass wir für den Rest der Nacht abwechselnd Wache halten.«

    »Einverstanden. Ich bleibe hier draußen. Du kannst dich als Erster hinlegen.«

    »Okay, aber vorher brauche ich meine Wärmflasche. Jetzt erst recht!«

    Mysty sagte nichts dazu. Er trank keinen Alkohol. McCullough spürte aber, dass der andere es ihm zumindest als Schwäche auslegte. Dennoch war aus Mystys Miene, die auch die eines schweigenden Indianers hätte sein können, nichts herauszulesen.

    McCullough kletterte auf die Ladefläche, kramte aus seinem Gepäck die Flasche Whisky heraus und verzog sich schließlich zurück in das Thermozelt.

    Bereits nach fünf Minuten stürmte Mysty in das Zelt und machte McCulloughs Hoffnung auf Schlaf zunichte.

    »Der Motor springt nicht an. Wir sitzen fest.«

    »Der Motor? Welcher Motor?« Nicht, dass er wirklich viel getrunken hätte, aber im ersten Moment ließ ihn sein Begriffsvermögen im Stich.

    »Ich habe versucht, die Heizung im Schneemobil anzuwerfen. Scheint so, als wären sämtliche Batterien leer.«

    Fluchend wälzte sich McCullough aus seinem Schlafsack. »Glaubst du, dass die Kerle von vorhin dahinterstecken?«

    »Scheint so, als hätten sie die Energie abgezapft, ja.«

    »Energie abgezapft? Wie soll das funktionieren?«

    »Keine Ahnung.«

    »Was schlägst du vor?« Wenn es nach McCullough ginge, wäre er den Verbrechern hinterhergestürmt. Doch selbst sein Verstand sagte ihm, dass das erst recht ihr Todesurteil bedeuten konnte.

    »Hier drinnen ist es warm. Wir warten bis zum Anbruch des Tages und marschieren weiter.«

    »Wir marschieren weiter? Einfach so, als wäre nichts passiert?«

    »Unsere Mission lautet, das Hügelgrab zu verschließen. Egal wie. Wir werden unsere Aufgabe erfüllen.«

    »Und wie? Etwa zu Fuß?«

    Mysty antwortete nur mit einem Blick. Aber das, was McCullough darin sah, verriet ihm, dass sein verrückter Partner es tatsächlich ernst meinte.

    Zum ersten Mal bereute er, sich auf die Mission eingelassen zu haben. Sie hatten gewusst, dass es nicht einfach sein würde. Wobei ihnen der Weg zum Hügelgrab noch die geringsten Sorgen bereitet hatte. Das Hügelgrab darauf vorzubereiten, dass es auf magische Weise verschlossen werden konnte, war die eigentlich schwierige Aufgabe. In der Theorie hatten sie einen Weg gefunden. Doch ob er in der Praxis Bestand hatte, das konnte sich erst vor Ort erweisen. Wenn es ihnen einmal gelang, einen Bann zu wirken, würden sie die Prozedur beliebig wiederholen können. Sofern es Dorian Hunter gelingen sollte, die Hexe Mainica gefangen zu setzen.

    Der Gedanke an Dorian Hunter ließ ihn fluchen. Bevor Mysty und er in diese Kälte aufgebrochen waren, hatte er gehört, dass Dorian Hunter der Hexe auf den Fersen war und sich inzwischen in Versailles befand. Garantiert war es dort um einiges angenehmer.

    Trotzdem, irgendetwas stimmte nicht mehr mit dem Wetter, und innerhalb der Magischen Bruderschaft war man überzeugt, dass der Kälteeinbruch mit Mainicas Befreiung zusammenhing. Selbst in London schneite es heftiger als in sämtlichen Wintern davor, obwohl sich die Hexe inzwischen in Frankreich befand.

    Mit diesen Gedanken schlief er irgendwann ein.

    Er träumte davon, dass er eingeschneit wurde und erstickte.

    Als er schreiend von seinem Lager hochfuhr, war es bereits Morgen.

    Sie ließen jeden überflüssigen Ballast zurück und schulterten nur das Notwendigste. Schweren Herzens verzichtete McCullough sogar auf seine Flasche Whisky.

    Zuvor waren sie nach einem Blick auf das Kartenmaterial übereingekommen, dass sie drei Tage unterwegs sein würden. Drei elende lange Tage und Nächte, die sie überleben mussten, um ihr Ziel zu erreichen.

    »Habe ich dir eigentlich schon gebeichtet, dass ich Kälte hasse?«, fragte der Schotte.

    »Nein. Aber ich habe dir auch eine Beichte zu machen«, sagte Mysty. »Gestern Nacht, diese Besucher waren keine Menschen.«

    »Bist du dir sicher? Dämonen?«

    Mysty nickte. Dann stiefelte er los. McCullough schloss sich ihm fluchend an.

    Der Schnee knirschte unter ihren schweren Stiefeln. Sie befanden sich auf einer Höhe, in der die Schneedecke nur knapp den Boden bedeckte. Dennoch gab es in dieser eisigen Kälte immer noch eine Vegetation, die sich gegen die weiße Eintönigkeit behauptete.

    Stoisch marschierte McCullough hinter seinem Kollegen her. Jeder von ihnen wusste, dass jede Rast nur ihre Kraft- und Wärmereserven rauben würde. Also gönnten sie sich keine Pause.

    Die Umgebung wurde zusehends lebensfeindlicher. Die weiß bedeckten Hügel, die sich, so weit das Auge reichte, in allen Richtungen erstreckten, täuschten eine Idylle vor, die trügerisch war.

    »Wir müssen sehen, dass wir bis zum Einbruch der Dunkelheit das Tal erreichen«, sagte McCullough, bloß um das eintönige Schweigen zu brechen. Aber Mysty nickte nur.

    Sie wussten beide, dass die Temperatur rasch sinken würde. Tödlich sinken.

    Schließlich standen sie vor einem steilen Abhang. Der Schnee war trügerisch. Er verdeckte das lose Gestein.

    »Bist du dir sicher, dass wir da runter müssen?«

    »Es wäre zumindest eine gewaltige Abkürzung«, sagte Mysty. »Wenn wir erst mal unten sind, haben wir es geschafft.«

    Zumindest für heute, ergänzte McCullough in Gedanken. Sein Armbandmessgerät verriet ihm, dass die Temperatur mittlerweile auf einundzwanzig Grad minus gesunken war. Wahrscheinlich würde es noch eine Stunde hell sein, dann würden sich die Temperaturen rasch weiter verringern. In ihrem Thermozelt waren die minus vierzig Grad und mehr, die hier nachts herrschten, einigermaßen auszuhalten. Aber die Aggregate, die Wärme garantierten, hatten sie zurücklassen müssen. Sie trugen jeder nur einen Rucksack.

    Im Tal würde es zumindest einige Grade wärmer sein.

    Diesmal übernahm McCullough die Führung. Mehrmals rutschte er aus und drohte zu stürzen. Aber jedes Mal fing er sich wieder. Schließlich überließ er sich ganz den Runen. Er ließ sich von ihnen leiten, anstatt selbst nach dem ungefährlichsten Abstieg zu suchen. Fast schlafwandlerisch erreichte er schließlich das Tal.

    Mysty war ihm einfach nur gefolgt. Jetzt nickte er anerkennend.

    »Scheiße, sag einfach nur: Gut gemacht, Jason!«, knurrte der Schotte. Aber auch ihm war anzumerken, dass er froh war, den Abstieg geschafft zu haben.

    »Gut gemacht, Jason«, sagte Mysty. Er schaute auf seinen digitalen Temperaturmesser. »Nur noch fünfzehn Grad unter null. Scheint, als hätten wir eine echte Chance, die Nacht zu überleben.«

    »Du wirst ja noch richtig gesprächig, alter Knabe«, erwiderte McCullough erstaunt. Er sah hinauf zum Himmel, der sich zunehmend verdunkelte. »Wir sollten allmählich sehen, dass wir einen geschützten Platz für die Nacht finden, was meinst du?«

    Als wäre dies das Stichwort gewesen, ertönte von weither das Geheul eines Wolfs durch die sibirische Tundra.

    Eine halbe Stunde später hatten sie eine Höhle entdeckt. Sie schien endlos hinab in die Tiefe zu führen. Ihnen beiden reichten ein paar Meter, um sich für die Nacht einzurichten. Während Mysty die Route für den nächsten Tag errechnete, sammelte McCullough trockenes Holz für ein Lagerfeuer. Das Wolfsgeheul war näher gekommen. Und mittlerweile waren es mehrere Wölfe, die es anstimmten.

    Aber nicht wegen der Wölfe spähte der Schotte immer wieder umher. Wie am gestrigen Abend hatte er die ganze Zeit das Gefühl, dass ihn jemand beobachtete.

    Nachdem er in die Höhle zurückgekehrt war und das Feuer direkt vor dem Eingang entzündet hatte, sprach er mit Mysty darüber.

    Der schien nicht sehr überrascht. »Sie verfolgen uns schon den ganzen Tag. Seit wir aufgebrochen sind.«

    »Und das sagst du erst jetzt? Und überhaupt: Wer sind ›sie‹?«

    Mysty schüttelte den Kopf. »Ich weiß es nicht. Aber ich werde dafür sorgen, dass wir diese Nacht Ruhe vor ihnen haben.« Er hob das Didgeridoo vom Boden hoch und begann hineinzublasen. Die Klänge des Instruments erfüllten die Höhle. Selbst der Schotte war plötzlich für die

    Enjoying the preview?
    Page 1 of 1