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Dorian Hunter 52 – Die Knochen-Menagerie
Dorian Hunter 52 – Die Knochen-Menagerie
Dorian Hunter 52 – Die Knochen-Menagerie
Ebook340 pages4 hours

Dorian Hunter 52 – Die Knochen-Menagerie

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About this ebook

Innerhalb der Schwarzen Familie setzt sich der Machtkampf um den vakanten Posten des Oberhaupts fort. Jedoch mehren sich die Gerüchte, dass in naher Zukunft ein mächtiger Dämon auferstehen soll, um den Thron zu besteigen: Aszaghon, den man auch als die "Dunkle Eminenz" bezeichnet. Dorian Hunter bleibt nicht viel Zeit, um das Erwachen des Gegners zu verhindern ...

Der 52. Band der legendären Serie um den "Dämonenkiller" Dorian Hunter. - "Okkultismus, Historie und B-Movie-Charme - ›Dorian Hunter‹ und sein Spin-Off ›Das Haus Zamis‹ vermischen all das so schamlos ambitioniert wie kein anderer Vertreter deutschsprachiger pulp fiction." Kai Meyer

enthält die Romane:
217: "Blutige Reliquien"
218: "Die Knochen-Menagerie"
219: "Fenster in die Vergangenheit"
LanguageDeutsch
Release dateAug 1, 2014
ISBN9783955720520
Dorian Hunter 52 – Die Knochen-Menagerie

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    Dorian Hunter 52 – Die Knochen-Menagerie - Ernst Vlcek

    Die Knochen-Menagerie

    Band 52

    Die Knochen-Menagerie

    von Ernst Vlcek, Peter Morlar und Uwe Voehl

    nach einem Handlungsexposé von Ernst Vlcek

    © Zaubermond Verlag 2014

    © Dorian Hunter – Dämonenkiller

    by Pabel-Moewig Verlag GmbH, Rastatt

    Titelbild: Mark Freier

    eBook-Erstellung: story2go | Die eBook-Manufaktur

    http://www.zaubermond.de

    Alle Rechte vorbehalten

    Was bisher geschah:

    Der ehemalige Reporter Dorian Hunter hat sein Leben dem Kampf gegen die Schwarze Familie der Dämonen verschrieben, seit seine Frau Lilian durch eine Begegnung mit ihnen den Verstand verlor.

    Seine Gegner leben als ehrbare Bürger über den gesamten Erdball verteilt. Nur vereinzelt gelingt es Dorian, ihnen die Maske herunterzureißen.

    Bald kommt Hunter seiner eigentlichen Bestimmung auf die Spur: In einem früheren Leben schloss er als französischer Baron Nicolas de Conde einen Pakt mit Asmodi, dem Oberhaupt der Schwarzen Familie, der ihm die Unsterblichkeit sicherte.

    Um seine Sünden zu büßen, verfasste de Conde den »Hexenhammer« – jenes Buch, das im 16. Jahrhundert zur Grundlage für die Hexenverfolgung wurde. Doch der Inquisition fielen meist Unschuldige zum Opfer; die Dämonen, auf die de Conde es abgesehen hatte, blieben ungeschoren. Vielmehr wurde bald er selbst als Ketzer angeklagt und hingerichtet. Der Pakt galt, und de Condes Seele wanderte in den nächsten Körper. In vielen Inkarnationen verfolgte er seitdem rachsüchtig die Mitglieder der Schwarzen Familie, bis es ihm in der Gegenwart als Dorian Hunter endlich gelang, Asmodi zu vernichten und auch dessen Nachfolgern wenig Glück beschieden war.

    Hunter, der sich selbst als Dämonenkiller bezeichnet, besitzt als Hauptstützpunkt seiner Aktivitäten die Jugendstilvilla in der Londoner Baring Road. Dort lebt er zusammen mit der Hexe Coco Zamis, die aus Liebe zu ihm die Seiten wechselte, und weiteren Mitstreitern des Dämonenkiller-Teams, wie dem Hermaphroditen Phillip sowie Trevor Sullivan, dem alternden Leiter der Mystery Press. Auch Martin Zamis, Dorians und Cocos Sohn, gehörte zu den Bewohnern der Jugendstilvilla. Aber Martin hat die Seiten gewechselt – und ist nach einem Sturz durch die Zeit als Isbrant zum neuen Fürsten der Finsternis geworden. Seine Regentschaft jedoch währte nicht lange. Zu groß waren die Widerstände in den Reihen der Schwarzen Familie.

    Mit Isbrants Tod ist nicht nur Dorians und Cocos größter Gegner vernichtet. Gleichzeitig starb auch ihre unterschwellige Hoffnung, ihren Sohn eines Tages doch noch zurück auf den richtigen Weg führen zu können. Für die Schwarze Familie bedeutet der Tod des Oberhaupts den Aufbruch in eine neue Zeit – und in ein neues Chaos. In vielen Teilen der Welt kommt es zu unheimlichen Zwischenfällen an heiligen Orten, die auf den ersten Blick nichts miteinander gemeinsam haben. Immer wieder kommen dabei Menschen auf unglaubliche Weise zu Schaden, sterben grausame Tode. Und in allen Fällen spielen heilige Reliquien eine blutige Rolle. Es mehren sich die Gerüchte, dass in naher Zukunft ein mächtiger Dämon auferstehen soll, um den Thron zu besteigen. Dorian Hunter bleibt nicht viel Zeit, um das Erwachen des Gegners zu verhindern ...

    Erstes Buch: Blutige Reliquien

    Blutige Reliquien

    von Peter Morlar

    1. Kapitel

    Die Holztür flog mit einem lauten Krachen gegen die Wand. Pater Enrique fuhr erschrocken aus dem Schlaf hoch und blinzelte durch das Halbdunkel der kleinen Bambushütte. Im Türrahmen zeichneten sich die Umrisse eines hageren, hochgewachsenen Mannes ab.

    »Mottao?«, fragte der Geistliche schlaftrunken.

    »Herr, müssen kommen. Schnell!«

    »Wie oft habe ich dir schon gesagt, dass du gefälligst anklopfen sollst?«, rief Pater Enrique. Er warf einen Blick auf den verbeulten Wecker auf dem Nachttisch und stieß geräuschvoll die Luft aus. Es war kurz nach Mitternacht.

    »Aber Herr …«

    »Keine Widerrede!« Pater Enrique hob gebieterisch die Hand. »Zur Strafe wirst du zehnmal das Vaterunser beten.« Er schwang die Beine aus dem Bett und entzündete den Docht einer Petroleumlampe. »Meine Güte, du siehst aus, als wärst du dem Leibhaftigen begegnet.«

    Schweiß glänzte auf der Stirn des Eingeborenen, die Augen quollen ihm fast aus den Höhlen, und das Weiß der Augäpfel schimmerte im Licht der zuckenden Flamme. »Müssen kommen, Herr. Schnell!«

    Irgendetwas in der Stimme des dunkelhäutigen Eingeborenen beunruhigte Pater Enrique. Schnell schlüpfte er in seine Kleidung, die fein säuberlich über die Stuhllehne gehängt war. Hose, Hemd, Jacke. Mehr brauchte er nicht.

    Der Eingeborene wirkte nervös und aufgeregt.

    »Immer mit der Ruhe, mein Junge. Ich bin ja schon unterwegs.« Der Geistliche hängte sich noch ein Holzkreuz vor die Brust. »Was ist denn überhaupt passiert, Mottao? Bitte berichte mir!«

    Der Dunkelhäutige verzog das Gesicht, als litt er unter Schmerzen. »Selber ansehen, Herr. Bitte.«

    »Dann führe mich. Los!«

    Der Eingeborene senkte demütig das Haupt und eilte voran.

    Sie schritten durch das aus einem halben Dutzend Bambushütten und einem großen Zelt bestehende Lager. Die schwül-feuchte Tropenluft war auch in der Nacht kaum abgekühlt, und sehr bald schon lief Pater Enrique der Schweiß in Strömen über den Körper. Der betagte Geistliche hatte Mühe, das Tempo zu halten, das Mottao, der gut ein halbes Jahrhundert jünger war als er, vorgab.

    Kurze Zeit später blieb der Eingeborene stehen. Der Schweißfilm auf seinem nackten Oberkörper glänzte. »Dort vorne, Herr. Bitte sehen!«

    Mit einem scharfen Geräusch sog Pater Enrique die Luft ein. »Du meinst doch nicht etwa die Kapelle?«

    Mottao nickte. »Kapelle. Ja, Herr.«

    Das Gesicht des Paters wurde aschfahl. Nur allzu deutlich waren ihm die Ereignisse der letzten Wochen noch in Erinnerung. Doch bevor er die Gedanken weiterführen konnte, stürzte ihm eine junge Frau entgegen. Ihr Arztkittel wehte hinter ihr her. »Gut, dass Sie da sind, Padre.«

    »Sie sind ja völlig außer Atem«, sagte Pater Enrique zu der schwarzhaarigen, mandeläugigen Medizinerin, die vor fünfundzwanzig Jahren in Barcelona das Licht der Welt erblickt hatte und im Lager trotz ihres Doktortitels einfach nur »Schwester Dolores« genannt wurde. »Jetzt sagen Sie nicht …«

    »Es hat wieder ein Opfer gegeben.«

    Pater Enrique war entsetzt. »Wen?«

    »Einen Einheimischen. Ich fürchte, er hat nicht mehr lange zu leben.«

    Der Geistliche setzte sich sofort wieder in Bewegung. Er eilte am Quarantänezelt vorbei, in dem man die unheilbar Malaria- und Cholerakranken zusammengepfercht hatte. Hin und wieder drang ein unterdrücktes Stöhnen oder krampfartiges Husten an seine Ohren.

    Als er sich der kleinen, in mühsamer Arbeit aus Steinen und tönerner Erde errichteten Kapelle näherte, drang ihm der Gestank verbrannten Fleisches in die Nase. Hastig schlug er ein Kreuzzeichen.

    Drei Eingeborene hatten sich versammelt und diskutierten aufgebracht miteinander. Immer wieder glaubte Pater Enrique das Wort Teufel oder Satan zu vernehmen, doch er verstand die Sprache der Einheimischen nicht gut genug, als dass er es mit Sicherheit hätte sagen können.

    Erst als er direkt vor den Männern stand, die sich draußen vor der Kapelle versammelt hatten, sah er auch den am Boden liegenden Körper, der mehr einem verkrüppelten Baumstamm denn einem Menschen ähnelte. Für Pater Enrique war es kaum vorstellbar, dass dieses mit schwärenden Blasen und schwarz verkohlten Hautfetzen überzogene Etwas noch am Leben war.

    Der Geistliche kniete sich nieder und besah sich betroffen das schmerzverzerrte Gesicht des Eingeborenen. Wenn ihn nicht alles täuschte, handelte es sich um Paolo, einen ehemals kräftigen und lebenslustigen Brasilianer.

    »Paolo …«, flüsterte Pater Enrique. »Was ist passiert?«

    Der Pater erschauerte, als die lippenlosen Kiefer aufklappten und er den dunklen Klumpen sah, der einst eine Zunge gewesen war. »Der Blitz …«

    »Welcher Blitz? Es hat kein Gewitter gegeben. Wovon redest du?«

    »Der – der Blitz … Habe doch nur …«

    »Er spricht im Fieber, Herr«, sagte Mottao vorsichtig.

    Pater Enriques Blick richtete sich auf Dolores.

    »Ich habe ihm eine Morphiumspritze verabreicht«, sagte sie. »Mehr konnte ich nicht für ihn tun.«

    Pater Enrique wandte sich wieder dem Sterbenden zu. »Was wolltest du hier?«

    Paolo stöhnte. »Habe – habe Licht gesehen.«

    »Licht?«

    »In – in der Kapelle … Wollte nachschauen, ob – ob alles in Ordnung …«

    Pater Enrique bedachte die Eingeborenen mit zornigen Blicken. »Wer von euch war das? Wer von euch hat die Kapelle betreten?« Seine Stimme klang aufgebracht.

    Zögernd trat einer der Dunkelhäutigen einen Schritt vor. »Wir erst gekommen, als Paolo geschrien, Herr. Ehrenwort.« Zur Untermauerung seiner Worte legte er die rechte Hand auf die Brust.

    »Er spricht die Wahrheit«, sagte Schwester Dolores. »Ich befand mich im Quarantänezelt, um noch einmal nach dem Rechten zu schauen, als ich ein lautes Krachen und gleich darauf die fürchterlichen Schreie hörte. Ich habe sofort alles stehen und liegen lassen und …«

    Pater Enrique winkte ab. »Die Burschen lügen doch, wenn sie den Mund aufmachen.« Er erhob sich und deutete auf den Sterbenden. »Wie lange hat er noch?«

    »Nicht mehr sehr lange, vielleicht eine Viertelstunde«, antwortete Dolores leise.

    »Lasst uns für seine arme Seele beten.« Der Geistliche nahm das Kreuz in die Hand und schloss andächtig die Augen, während seine Lippen leise ein Gebet herunterleierten.

    Ansonsten lastete betroffenes Schweigen über der kleinen Gruppe. Doch immer wieder knackte oder raschelte es im Unterholz des Dschungels ringsum, ertönten schrille Schreie von Primaten oder anderen Lebewesen, die sich gerade paarten oder von hungrigen Raubtieren gerissen wurden. Die sechs Mitglieder der Dschungelmission hörten diese Laute schon gar nicht mehr, so alltäglich waren sie ihnen geworden.

    »Gib mir die Fackel!«, wandte sich der Geistliche schließlich an Mottao.

    Der Eingeborene gehorchte zögernd.

    Pater Enrique atmete noch einmal tief durch, bedachte Dolores mit einem undefinierbaren Blick und verschwand dann in der kleinen Kapelle.

    Schlagartig verstummten die Geräusche des Dschungels. Für Pater Enrique war es, als hätte er eine andere Welt betreten. Der Geruch nach Moder, Fäulnis und feuchter Erde schlug ihm entgegen. Zudem war es im Inneren der Kapelle unangenehm kühl, ein Umstand, den sich der betagte Geistliche nicht wirklich erklären konnte.

    Sein Augenmerk richtete sich auf den kunstvoll verzierten Schrein, der den Mittelpunkt des Raums darstellte.

    Fast ehrfürchtig trat er vor das mit weißer Farbe gestrichene Holzschränkchen, in dessen näherer Umgebung die Temperatur noch ein paar Grad niedriger zu sein schien. Wenn es nicht jeder Vernunft widersprochen hätte, Pater Enrique hätte Stein und Bein geschworen, dass die Kälte direkt von dem Schrein ausging.

    Der Pater öffnete das Schränkchen. Auf einem roten Samtkissen, eingerahmt von golden ziselierten Figuren und Bildern, deren Oberflächen sich immer wieder zu verändern schienen, lag darin das Wertvollste, das Pater Enrique jemals besessen hatte.

    Eine Hand.

    Die Hand eines unbekannten Heiligen.

    Sie war einbalsamiert in bräunlich-gelbe Stofffetzen. Pater Enrique schätzte ihr Alter und das des Schreins auf etwa zwei Jahrtausende. Und er glaubte daran, dass sie ihm Glück brachte. Zumindest hatte er daran geglaubt – bis er erkannt hatte, dass die Häufung der mysteriösen Todesfälle kein Zufall sein konnte.

    Ein leises Rascheln riss ihn aus seinen Gedanken.

    »Dolores«, sagte er überrascht, als er sich umgedreht hatte und in das bleiche Gesicht der Spanierin blickte. Ihre Augen lagen glanzlos in den Höhlen.

    »Er ist tot«, sagte sie.

    »Der Herr sei seiner armen Seele gnädig.«

    »Mehr fällt Ihnen nicht dazu ein?«

    »Was soll das werden, Dolores? Ein Verhör?« Auf Pater Enriques Stirn schwoll eine Zornesader. »Und habe ich Ihnen nicht verboten, die Kapelle zu betreten?«

    Die Ärztin hielt dem eisigen Blick des Geistlichen stand. »Wir müssen reden.«

    »Worüber?«

    »Über die Vorfälle in den letzten Wochen.«

    »Jetzt fangen Sie auch noch damit an! Reicht es nicht, dass unsere Helfer schon hysterisch werden? Glauben Sie jetzt auch an diesen – diesen Unfug?«

    »Schwester Carmen …«, begann Dolores, doch der Geistliche ließ sie nicht weitersprechen.

    »Was, in aller Welt, soll der Schrein mit Schwester Carmens Epilepsieanfällen zu tun haben? Finden Sie das nicht ein wenig weit hergeholt?«

    »Carmen wollte ihn nur abstauben«, erklärte Dolores. »Und bis zu jenem Tag war sie kerngesund.«

    »Einmal wird jeder von uns einer Prüfung unterzogen«, gab sich Pater Enrique überzeugt. »Wann und wie, das weiß nur er.« Der Pater richtete seinen Blick nach oben. »Schwester Carmen war eben an der Reihe.«

    »Ihr Zustand verschlechtert sich rapide«, sagte Dolores. »Jeder neue Anfall kann zu ihrem Tod führen.«

    »Und was wollen Sie mir damit sagen?«

    Dolores holte tief Luft. Sie wusste, dass sie – was den Schrein und die einbalsamierte Hand des Heiligen betraf – bei Pater Enrique gegen Windmühlenflügel ankämpfte. Dennoch versuchte sie es. »Warum haben Sie den Schrein damals nicht verkauft? Die einflussreichsten Kirchenoberhäupter aus Rio de Janeiro und São Paulo haben keine Kosten und Mühen gescheut, nur um hierher, an den wohl entlegensten Fleck der Erde zu kommen. Sie haben sich förmlich um den Schrein geschlagen, Ihnen ein halbes Vermögen dafür geboten. Und was taten Sie? Sie schickten sie einfach wieder nach Hause.«

    »Es ist allein meine Angelegenheit, was …«

    »Für das Geld hätten wir hier ein Krankenhaus errichten können«, unterbrach Dolores, »ausgestattet mit den modernsten Geräten und mit den besten Ärzten, die es in Südamerika gibt. Keiner der Eingeborenen müsste mehr an Malaria, Typhus oder Cholera zugrunde gehen, nur weil wir nicht über ausreichend Medikamente verfügen. Von Fachpersonal ganz zu schweigen. Stattdessen müssen wir improvisieren und auf Wunder hoffen.«

    »Der Herr ist unser Hirte, Dolores.«

    »Verschonen Sie mich mit Ihren frommen Sprüchen. Tun Sie endlich etwas. Sorgen Sie dafür, dass nicht noch mehr Menschen zu Schaden kommen so wie der arme Lucca. Oder haben Sie den schon vergessen?«

    »Eine weitere Prüfung des Herrn«, erwiderte Pater Enrique. »Wie können Sie nur so verblendet sein?«

    »Lucca war ebenfalls kerngesund«, sagte Dolores. »Er wollte nur ein paar schadhafte Stellen am Mauerwerk der Kapelle ausbessern, und von einer Sekunde zur anderen verwandelte er sich in einen halbseitig gelähmten, sabbernden Idioten. Das nennen Sie Prüfung

    »Wenn ich auf Ihre Dienste nicht angewiesen wäre, Frau Doktor, dann würde ich Sie für Ihre blasphemischen Worte …« Er verstummte und sprach nicht weiter.

    »Was?«, fragte Dolores herausfordernd. »Mich bestrafen? Mich züchtigen? So wie Sie die armen Dorfbewohner bestrafen? Mich öffentlich auspeitschen oder über glühende Kohlen laufen lassen?«

    »Nur wer für seine Sünden und für seine Schuld büßt, dem wird auch vergeben«, rechtfertigte sich Pater Enrique.

    »Niemand hat Schuld auf sich geladen!«, stieß Dolores hervor. Ihre dunklen Augen funkelten den Pater zornig an. »Und die Dorfbewohner schon dreimal nicht!«

    Pater Enriques Mund klappte auf wie das Maul eines Karpfens.

    »Lassen Sie die Männer in Ruhe mit Ihrem Fanatismus«, setzte sie hinzu. »Sie glauben an Ihren Gott, die Eingeborenen eben an einen anderen.«

    »Diese Wilden! Ich werde ihnen ihre heidnischen Bräuche ein für alle Mal austreiben.«

    »Ach?« Dolores stemmte die Hände in die Hüften. »Jetzt sollen die Dorfbewohner an den mysteriösen Vorfällen schuld sein?«

    »Wer denn sonst?«

    »Sie und Ihr verdammter Schrein!«, rief die Ärztin. »Ohne das Teufelsding wären Lucca und Carmen noch bei bester Gesundheit und Paolo noch am Leben!«

    »Sie vergessen, dass die Hand des Heiligen Wunder vollbringen kann.«

    »Wenn Sie die plötzliche Genesung Mottaos und der anderen Männer damit meinen – bitte. Ich für meinen Teil glaube, dass besonders Mottao hart im Nehmen ist und das Antibiotikum sofort angeschlagen hat.«

    »Aber das Drüsenfieber …«

    »… wurde ganz allein durch die Schulmedizin geheilt«, erwiderte Dolores spitz, »und nicht durch ein Wunder.«

    »Die Eingeborenen sehen das anders.«

    »Das war bisher Ihr Glück, Padre. Ich an Ihrer Stelle würde mich jedoch nicht darauf verlassen, dass es so bleibt. Lassen Sie die Dorfbewohner einfach in Ruhe.«

    »Diese Wilden sollten froh sein, dass jemand ihnen das Wort Gottes nahe bringt und aus ihnen halbwegs zivilisierte Menschen macht.«

    Pater Enrique ballte die Hände zu Fäusten. Er verschloss den Schrei, in dem sich die Hand des unbekannten Heiligen befand, und stürzte wutentbrannt aus der Kapelle. Draußen standen die Dorfbewohner, einer neben dem anderen, schweigend, eine undurchdringbare Mauer des Widerstands. In ihren Augen las Pater Enrique einen stummen Vorwurf. Er zählte insgesamt vierzehn.

    »Wo ist Paolo?«, wandte sich der Pater an Mottao und deutete auf die Stelle, an der er den Sterbenden zurückgelassen hatte.

    »Sie Paolo mitgenommen. Möchten selbst bestatten«, antwortete Mottao, »nach altem Brauch. Ich leider kann nichts machen, Herr.«

    »Das kommt überhaupt nicht infrage!«, brauste der Pater auf.

    Sofort rückten die dunkelhäutigen Männer ein Stück auf ihn zu. Er spürte fast körperlich die Entschlossenheit, notfalls Gewalt gegen ihn anzuwenden.

    »Bitte, Herr«, flehte Mottao, der sich dem Geistlichen aufgrund seiner »wundersamen Heilung« verpflichtet fühlte.

    Der Pater focht mit sich einen inneren Kampf aus. Schließlich beugte er sich der Übermacht. »Wilde! Heiden!«, knurrte er geringschätzig und wandte sich ab.

    Die Männer setzten sich in Bewegung. Einer nach dem anderen verschwand im Dunkel der Nacht. Mottao ging als Letzter.

    Pater Enrique wurde fast schlecht bei dem Gedanken an die heidnischen Riten, welche die Dorfbewohner in den kommenden Stunden zelebrieren würden. Er ließ seinen Blick noch einmal durch das Lager schweifen, das sie auf einem steinigen Hügel inmitten des brasilianischen Dschungels errichtet hatten, über die armseligen Bambushütten, in denen die wenigen Überlebenden des Eingeborenenstammes hausten, und hörte das Stöhnen und Wimmern der Sterbenden aus dem Quarantänezelt.

    »Sie wollen es nicht anders«, sagte er und stapfte zu seiner Hütte am anderen Ende des Lagers zurück.

    Erschöpft ließ sich Pater Enrique auf einen Stuhl fallen und rang nach Atem. Das Hemd klebte ihm wie eine zweite Haut am Körper.

    Plötzlich erhob er sich, als hätte er einen stummen Befehl erhalten. Er entledigte sich seiner Kleidung und trat vor einen etwa mannshohen trüben Spiegel, der mit einem Seil an der Wand befestigt war.

    Ein etwa einssiebzig großer, gedrungener Mann mit deutlichem Bauchansatz, faltiger, mit unzähligen Altersflecken übersäter Haut und wassertrüben Augen starrte ihm entgegen. Die sonst so markanten Gesichtszüge wirkten resigniert und müde. Pater Enrique glaubte sogar, so etwas wie Unsicherheit oder gar Angst darin zu lesen.

    »Du wirst alt, Padre«, sagte der Geistliche zu sich selbst. Er öffnete die Schublade seines Nachttischs und holte eine Lederpeitsche daraus hervor, an deren Riemen kleine Glasscherben befestigt waren.

    Pater Enrique stellte sich seitlich vor den Spiegel. Auf seinem Rücken waren rötliche Striemen zu sehen und Narben von Wunden, die sich tief in die Haut gegraben hatten.

    »O Herr!«, rief der Pater und richtete seinen Blick zur Decke. »Ich habe Schuld auf mich geladen. Vergib mir meine Sünden!«

    Er holte aus und ließ die Lederriemen der Peitsche auf seinen Rücken klatschen. Pater Enrique verzog schmerzerfüllt das Gesicht, als die Glassplitter in die Haut eindrangen, und mit jedem Schlag, den er sich zufügte, verfiel er mehr in einen wahren Rauschzustand.

    Erst als ihm das Blut über den Rücken lief und der Schweiß wie Säure in den Wunden brannte, sank Pater Enrique halb ohnmächtig vor dem Spiegel zusammen …

    Beißende Feuerzungen schienen über seine geschändete Haut zu tanzen, und die damit verbundenen Schmerzen rissen Pater Enrique aus der Bewusstlosigkeit. Er stöhnte, wälzte sich auf die Seite und schlug die Augen auf.

    Minuten verstrichen, ehe er registrierte, wo er sich befand. Noch immer lag er auf dem Boden seiner Hütte, inmitten einer zum Teil getrockneten, zum Teil in den Holzbrettern versickerten Blutlache.

    Schwerfällig richtete er sich auf, kämpfte gegen den Schwindel an, der ihn erfasste, und atmete tief durch. Die Luft schien zu kochen. Pater Enrique hustete trocken und spuckte aus. Er wankte zur Tür, zog sie kraftlos auf und starrte nach draußen, mit beiden Händen das Holz umklammernd. Das grelle Licht der Sonne, die auf den steinigen Boden brannte, schmerzte ihm in den Augen.

    Das Lager schien wie ausgestorben. Nicht einmal die Eingeborenen, die unter der Hitze weit weniger litten als er und Dolores, ließen sich blicken.

    Pater Enrique zog sich ein Hemd über und stapfte durch das Lager. Als er sich dem Zelt näherte, hörte er unterdrücktes Wimmern.

    Als hätte sie sein Nahen gespürt, schlug Dolores die Plane beiseite und trat nach draußen.

    »Ausgeschlafen?«, begrüßte sie ihn frostig.

    »Wo sind die anderen?«

    »Sie bestatten die Toten.«

    »Die Toten?«

    »Heute Nacht hielt der Sensenmann reiche Ernte«, erklärte die Medizinerin. »Vier Patienten, davon drei Dorfbewohner, von denen ich dachte, dass sie sich wieder auf dem Weg der Besserung befänden.«

    »Der Herr …«, begann Pater Enrique, verstummte aber unter Dolores' eisigem Blick. »Wie geht es Schwester Carmen?«

    »Sie war die Vierte.«

    Pater Enrique fröstelte, trotz der Hitze. »Ursache?«

    »Sie hat ihren letzten Anfall nicht überlebt.«

    »Wo ist sie jetzt?«

    Dolores drehte den Kopf und blickte hinter sich.

    »Sind Sie des Wahnsinns?«, fuhr der Geistliche auf. »Sie können doch nicht zulassen, dass Schwester Carmen von den Wilden …«

    »Wenn Sie keine anderen Sorgen haben …« Die Medizinerin bedachte den Pater mit einem verächtlichen Blick und verschwand dann wieder im Zelt.

    Pater Enrique kämpfte nur mühsam die in ihm aufwallende Wut nieder. Mit weit ausgreifenden Schritten durchmaß er das Lager und näherte sich der abgelegenen Geröllwüste, wo die Eingeborenen ihre verstorbenen Angehörigen zu beerdigen pflegten.

    Schon von Weitem sah er ein halbes Dutzend provisorisch gezimmerte Holzgerüste in den Himmel ragen, auf denen die Körper der Verstorbenen aufgebahrt lagen. Auf diese Art und Weise sollten ihre Seelen den Göttern so nahe wie möglich sein, um nach genau drei Tagen und drei Nächten endgültig das Diesseits hinter sich zu lassen.

    Dunkle Fliegenschwärme umhüllten die Leichname. Der bitter süßliche Gestank von Verwesung und Vergänglichkeit schwängerte die Luft.

    Keuchend blieb der Pater bei einem der drei Dorfbewohner stehen, die man als Totenwache vor den Grabstätten postiert hatte, und legte den Kopf in den Nacken.

    »Das da ist Schwester Carmen, nicht wahr?«, rief er aufgebracht und deutete nach oben. »Holt sie auf der Stelle runter und begrabt sie, wie es einem Christenmenschen würdig ist!«

    Doch der Dunkelhäutige reagierte nicht. Er starrte reglos an dem Geistlichen vorbei, den Blick in weite Ferne gerichtet.

    »Ich rede mit dir, Jona!«, brauste Pater Enrique auf und packte den Mann an beiden Schultern. »Hast du nicht verstanden? Du sollst …«

    In diesem Moment fielen mehrere Schatten auf ihn. Der Pater wirbelte herum.

    Die Gesichter der Eingeborenen wirkten wie in Stein gemeißelt – grimmig, wütend, zu allem entschlossen. In ihren dunklen Augen blitzten Wut und unverhohlener Hass.

    »Was glotzt ihr denn so?«, rief Pater Enrique mit sich überschlagender Stimme. »Wollt ihr den Heiligen noch mehr erzürnen, als ihr es ohnehin schon getan habt, und noch mehr Opfer beklagen müssen?«

    »Du gehen«, sagte einer der Männer kehlig und führte mit dem Kopf eine ruckartige Bewegung aus.

    »Wollt ihr denn alle sterben?« Pater Enrique starrte einen nach dem anderen an – verzweifelt, hilflos. Sein Blick flackerte unstet. »Mottao«, wandte er sich dann an seinen früheren Schützling. »Ich flehe dich an: Bringe sie zur Vernunft!«

    Der Angesprochene senkte den Kopf. »Jetzt gehen, Herr, bitte.«

    »Auch du?«, rief Pater Enrique ungläubig.

    »Besser so, Herr. Gehen.«

    »Ihr Verblendeten!«, schrie der Geistliche, jetzt völlig außer sich. »Die Strafe des Herrn wird über euch kommen und euch vernichten. Denkt an meine Worte.«

    Pater Enrique warf sich auf dem Absatz herum und rannte wild gestikulierend davon. Mit vor Wut dunkelrot gefärbtem Gesicht stürzte er in seine Hütte und warf die Tür zu. Das Herz trommelte in einem wilden Stakkato

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