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Das Haus Zamis 12 - Sei verflucht, Coco Zamis!
Das Haus Zamis 12 - Sei verflucht, Coco Zamis!
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Ebook325 pages4 hours

Das Haus Zamis 12 - Sei verflucht, Coco Zamis!

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About this ebook

Ganz Wien liegt unter einem Bann, dem - bis auf Coco - auch die Zamis-Sippe zum Opfer gefallen ist. Zu Stein erstarrt, geraten die Bewohner der Domstadt beim Rest der Welt auf unerklärliche Weise in Vergessenheit ... Auch Coco kann sich plötzlich nicht mehr an die vergangenen Ereignisse erinnern. Sie weiß nur, dass sie auf der Flucht ist. Auf der Flucht vor Asmodi, Skarabäus Toth und ihren Helfern. Ein erstes Versteck findet sie in Indien - doch es scheint, als trage sie ein unsichtbares Stigma. Nichts ist nämlich in diesen Tagen begehrter in der Familie als der Kopf von Coco Zamis ...

Der 12. Band von "Das Haus Zamis".

"Okkultismus, Historie und B-Movie-Charme - ›Dorian Hunter‹ und sein Spin-Off ›Das Haus Zamis‹ vermischen all das so schamlos ambitioniert wie kein anderer Vertreter deutschsprachiger pulp fiction." Kai Meyer

enthält die Romane:
35: "Todesflug"
36: "Sei verflucht, Coco Zamis!"
37: "Betaphor"
LanguageDeutsch
Release dateJan 1, 2013
ISBN9783955722128
Das Haus Zamis 12 - Sei verflucht, Coco Zamis!

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    Das Haus Zamis 12 - Sei verflucht, Coco Zamis! - Uwe Voehl

    Sei verflucht, Coco Zamis!

    Band 12

    Sei verflucht, Coco Zamis!

    von Uwe Voehl und Christian Montillon

    © Zaubermond Verlag 2012

    © Das Haus Zamis – Dämonenkiller

    by Pabel-Moewig Verlag GmbH, Rastatt

    Titelbild: Mark Freier

    eBook-Erstellung: story2go

    http://www.zaubermond.de

    Alle Rechte vorbehalten

    Erstes Buch: Todesflug

    Todesflug

    von Uwe Voehl

    1.

    Meine Familie war zu Stein geworden.

    Vater, Mutter, Georg …

    Ich schreckte auf. Erwachte wie aus einem Alptraum. Irritiert sah ich mich um. Es war tiefe Nacht. Ich lag im feuchten Gras und fror.

    Etwas war geschehen. Etwas Ungewöhnliches. Es hatte mit meinen Eltern und meinem Bruder zu tun. Groteske Bilder tauchten schemenhaft in meiner Erinnerung auf. Darin sah ich meine Familie zu Stein erstarren, während ich selbst in letzter Sekunde flüchten konnte. Dann erblickte ich einen großen Schatten, der mich forttrug.

    War es wirklich ein zum Leben erwachter Gargoyle gewesen – oder hatte mir mein Verstand angesichts des Unfassbaren einen gnädigen Streich gespielt?

    Je mehr ich versuchte, mich zu erinnern, desto stärker schob sich etwas davor – wie ein schwarzer Nebel, der immer dichter wurde. Allein das instinktive Wissen, dass ich mich in großer Gefahr befand, war real.

    Fröstelnd erhob ich mich. Es war kalt. Zumindest war auch das keine Einbildung! Wenn ich auch nicht wusste, wie ich hierher gekommen war, so befand ich mich doch ohne Zweifel mutterseelenallein in dieser Wildnis.

    Es war eine Lichtung, auf der ich mich befand. Von allen Seiten war sie von Wald umschlossen.

    Unwillkürlich suchte ich den Himmel ab. Nach einem großen, schwarzen Schatten. Aber nur die vertrauten Sternbilder zwinkerten mir zu.

    Ich konzentrierte mich wieder auf die Realität. Aus nicht allzu weiter Entfernung drang Verkehrslärm zu mir hin. Nun, ich hatte wohl keine andere Wahl! Ich musste herausfinden, was passiert war. Also stiefelte ich los und bahnte mir einen Weg durchs Unterholz. Bereits nach kurzer Zeit wurde der Lärm lauter. Fünf Minuten später endete mein Weg an der Seitenbegrenzung einer Autobahn.

    Ich wunderte mich, dass hauptsächlich nur eine Richtung befahren war. Auf der entgegengesetzten Spur war kaum ein Lichterpaar zu sehen.

    Die Autos fuhren langsam, kaum Schritttempo. Irgendwo weiter vorn musste es zu einem Unfall gekommen sein, der einen Stau nach sich zog. Einige Ungeduldige hupten, als könne ihr Lärm den Stau auflösen.

    Ich erblickte ein Hinweisschild. Bis zum Flughafen waren es nur zehn Kilometer. Wieso war ausgerechnet heute so viel los auf der Autobahn? Es hatte fast den Anschein, als würden die Menschen aus Wien flüchten – wie vor einer bevorstehenden Katastrophe.

    Wie auch immer, mir kam der Stau gelegen. Er verschaffte mir die Möglichkeit, den Wagen genau auszusuchen, der mich zum Flughafen bringen sollte. Mein Fluchtinstinkt wuchs mit jeder Sekunde.

    Die dunkle Mercedes-Limousine mit verspiegelten Fenstern, die langsam an mir vorüberrollte, zog sofort meine Aufmerksamkeit auf sich. Vor allen Dingen das Diplomatenkennzeichen, das sich unter den grellen Scheinwerfern abzeichnete. Diplomatische Immunität konnte nie schaden, wenn es darum ging, lästigen Fragen und Kontrollen auszuweichen.

    Langsam ging ich auf den Mercedes zu und klopfte sacht gegen die Seitenscheibe.

    Anstatt aufs Gas zu treten und schnellstens abzuhauen, tat der Fahrer das Dümmste, was er tun konnte: Er sah das hübsche Mädchen, das unter Umständen seiner Hilfe bedurfte, hielt an und öffnete hilfsbereit das Fenster.

    Ein Blick durch den schmalen Fensterschlitz genügte, ihn zu hypnotisieren. Als die elektrische Scheibe ganz in der Tür verschwunden war, beugte ich mich hinein. Für die etwa dreißigjährige Frau im Fond bedurfte es ebenfalls nicht mehr als eines Blickes, sie unter Kontrolle zu bringen.

    Die Lichtverhältnisse waren miserabel, nur eine winzige Funzel über dem Rückspiegel verbreitete eher Düsternis als Helligkeit. Deshalb erfasste ich auch jetzt erst, dass beide Insassen offensichtlich indischer Herkunft waren. Bei dem Mann schien es sich um den Chauffeur zu handeln. Nur die Orden fehlten an seiner Phantasie-Uniform. Die Frau trug ein blaues Kostüm europäischen Schnitts, darüber ein traditionelles Wickelgewand sowie ein Kopftuch, um wenigstens einigermaßen ihre Tradition zu wahren.

    Beide waren willenlos wie Marionetten. Keiner erhob Widerspruch, als ich hinten einstieg, dort war es bequemer. Die Polster waren angenehm weich, fast ein wenig zu weich. Die Sicherheit war trügerisch. Ich durfte mich von ihr nicht einlullen lassen.

    »Wohin darf ich Sie bringen?«, erkundigte sich der Chauffeur auf Deutsch. Hinter uns war erregtes Hupen erklungen, wir hielten den stockenden Verkehr noch zusätzlich auf.

    »Wohin waren Sie denn unterwegs?«, fragte ich dagegen.

    »Zum Flughafen«, gab die Inderin Auskunft.

    Ich hatte mich also nicht getäuscht. »Dann fahren Sie auch dorthin.«

    Der Chauffeur nickte und beschleunigte wortlos, wie eine Puppe. Oder wie ein Fahrer, der gelernt hatte, den Mund zu halten, wenn es angebracht war.

    Bis wir den Flughafen erreichten, würde es noch ein wenig dauern. Das gab mir die Gelegenheit, die Frau ein wenig auszufragen: Sie hieß Arundhati Ghosh und war im diplomatischen Dienst der Indischen Botschaft beschäftigt. Sie war sowieso gerade dabei gewesen, ihre Koffer zu packen, als sie aus dem Radio erfuhr, dass das Gelände um die Griechische Botschaft herum zu meiden sei. Sie hatte sofort an einen terroristischen Anschlag gedacht und sich augenblicklich zum Flughafen bringen lassen.

    »Es ist von höchster Wichtigkeit, dass ich heute noch abfliege«, fuhr sie fort. »Ich werde nächste Woche heiraten und kann es mir nicht erlauben, zu spät zu meiner eigenen Hochzeit zukommen.«

    Ich war enttäuscht. Eigentlich hatte ich gehofft, dass sie mir hätte erzählen können, was sich in Wien unterdessen ereignet hatte. Nun stellte sich heraus, dass sie davon wenig mitbekommen hatte und nur die Sorge, ihren Flug nicht rechtzeitig zu erwischen, getrieben hatte.

    »Tut mir leid, ich hatte wirklich nur den einen Gedanken: mein Flugzeug nicht zu verpassen.«

    Ich deutete auf das Radio vorne im Wagen. »Wie steht es damit? Bringen Sie denn nichts in den Nachrichten?«

    »Nein, merkwürdig. Seitdem wir auf der Autobahn sind, empfangen wir keinen einzigen Sender mehr.«

    Ich konnte nur hoffen, dass alles nicht so schlimm war, wie ich es allmählich befürchtete. Aber solange Schwechat den normalen Flugverkehr noch aufrecht erhielt, schöpfte ich Hoffnung, weit genug zu fliehen.

    Ihr Ziel war Kalkutta und ihr Ticket kam mir wie gerufen. Es war sogar Erster Klasse. Ebenso wie ihr Diplomatenausweis und ihre Kleidung. Indien schien mir für den Anfang weit genug entfernt zu sein, um eine Zeitlang unterzutauchen und neue Kräfte zu sammeln. Und der Gefahr zu entgehen, vor der dein Instinkt dich warnt. Was ist bloß geschehen?

    Ghosh besaß nur ein Ticket. Das Schicksal ihres Chauffeurs kümmerte sie offenbar nicht, der sollte selbst zusehen, wie er zurechtkam. So gesehen war es nur ausgleichende Gerechtigkeit, wenn die Diplomatin bei ihm blieb. Kein Grund, mir deshalb Vorwürfe zu machen.

    Als die Limousine zwanzig Minuten später eine der Tiefgaragen des Flughafens erreichte, stieg ich als Arundhati Ghosh aus. Das Kostüm hatte ich ihr gelassen, nicht jedoch den Sari und das Kopftuch.

    Und während ich mit ihrer Reise- und der Handtasche zum Aufzug ging, der mich zum Terminal bringen würde, fuhr die Limousine wieder zurück in die Indische Botschaft. Genau so, wie ich es befohlen hatte.

    Auf dem Flughafen war sprichwörtlich die Hölle los.

    Überall befanden sich lärmende, verzweifelte Menschen. Ein Stimmengewirr, ein Tohuwabohu, das seinesgleichen suchte. Sämtliche Schalter, an denen man mit allen Mitteln versuchte, einen Flug zu ergattern, waren heillos überfüllt. Lange Schlangen bildeten sich davor, vorausgesetzt, man reihte sich überhaupt noch hintereinander. Menschen drängten an die Terminals und versuchten einen Platz in irgendeiner Maschine zu bekommen.

    Es herrschte das pure Chaos. Geradezu apokalyptische Zustände, als gehe bald die Welt unter. Und das Schlimmste war, niemand konnte garantieren, ob dies nicht tatsächlich bald der Fall sein würde.

    In der Schalterhalle türmte sich das Gepäck, Kinder weinten, die ihre Eltern im Gewühl verloren hatten, Lautsprecherstimmen ertönten, die niemand verstand, und einige Hunde bellten sich gegenseitig an, die ihre Besitzer selbstredend ebenfalls nicht zurücklassen wollten.

    Ich hielt einen vorüberhastenden Bediensteten an und hypnotisierte ihn. Es war ein junger Bursche. Er wirkte verwirrt.

    »Was ist hier eigentlich los?«, verlangte ich zu wissen.

    »Die Leute wollen alle fort. Egal, wohin. Irgendetwas muss in der Wiener Innenstadt passiert sein. Ein paar erzählen völlig phantastische Geschichten, dass die Menschen dort reihenweise zu Stein erstarrt seien. So ein Unsinn …«

    Wieder tauchten in den Fetzen meiner Erinnerung meine Eltern auf. Erstarrt zu Stein. Im nächsten Moment wurde der Gedanke bereits wieder überdeckt von dem Fluchtinstinkt, der mir einhämmerte, so schnell wie möglich zu fliehen.

    Ich ließ den jungen Mann ziehen und schaute mich nach meinem Schalter um. Beim Check-In gab es keine Probleme, obwohl das Gesicht auf dem Diplomatenausweis nicht mit meinem identisch war. Ein wenig Hypnose ließ die Beamten sozusagen beide Augen zudrücken, und ich dankte dem Schicksal nicht zum ersten Mal für diese Gabe.

    Dennoch schien es eine halbe Ewigkeit zu dauern, bis ich als eine der Ersten in der Maschine nach Kalkutta saß: eine Boeing 747, ein Jumbo-Jet.

    Sogar einen Fensterplatz hatte ich, obwohl ich sogar einen wackligen Hocker im Frachtraum akzeptiert hätte. Ich saß in der dritten Reihe von vorn, die gleichzeitig die letzte Reihe der Ersten Klasse war. Ghoshs Handtasche, deren Inhalt – insbesondere ihr Geld und die Kreditkarten – hilfreich sein würden, legte ich auf den Sessel neben mich.

    Während die anderen Passagiere in den drei Klassen von den immerzu lächelnden Stewardessen in traditionellen Saris an ihre Plätze geleitet wurden, blickte ich nach draußen. Der Himmel war von blinkenden Lichtern erfüllt: landende und startende Flugzeuge, einige kleinere Privatmaschinen mochten ebenfalls darunter sein.

    Ich fühlte mich noch immer benommen. Präzise konnte ich es nicht beschreiben, doch mir war wie in einem Zustand zwischen Tag und Traum. Nicht schlafend, aber auch noch nicht wach.

    Dort!

    Ich hatte etwas aus den Augenwinkeln bemerkt. Sofort fuhr mein Kopf herum, ging mein Blick in Richtung der Tragfläche des Flugzeuges schräg hinter mir.

    Einen Schatten.

    Als ich genauer hinsah, war dort jedoch nichts. Jedenfalls nichts, was nicht dorthin gehörte. Nur die riesige Turbine, die wie die anderen bald eingeschaltet werden würden, um uns hinweg zu tragen, ans andere Ende der Welt.

    Allmählich siehst du Gespenster!, sagte ich zu mir. Dennoch musterte ich noch eine Weile die Tragfläche, in der Hoffnung, doch noch etwas Ungewöhnliches zu entdecken. Aber was immer ich meinte, dort gesehen zu haben, es tauchte nicht wieder auf.

    Ich gab für mich Entwarnung. Vielleicht war es jemand vom Bodenpersonal gewesen, höchstwahrscheinlich hatte mir meine Phantasie einen Streich gespielt.

    Tief atmete ich durch und sackte dann in meinem Sitz zurück. Entwarnung zu geben, bedeutete hingegen nicht, sorglos durchs Leben zu streifen. Ich sah mir meine Mitreisenden an.

    »Guten Abend.«

    Neben mir im Gang stand ein unsicher lächelnder junger Mann. Seine Blicke huschten über meinen Körper, und seinen Augen nach schien ihm zu gefallen, was er dort sah. Als sich unsere Blicke trafen, errötete er leicht. Ich hatte ihn ertappt.

    »Vandermar«, stellte er sich mit einem kurzen Nicken vor. »Professor Kai Vandermar.«

    Er war noch ziemlich jung für einen Professor, mochte irgendwo in den Dreißigern sein, hatte einen Drei-Tage-Bart und dunkelblondes Haar, das auf der Stirn schon ein wenig schütter wurde. Er trug einen legeren Jeansanzug und machte auf den ersten Blick einen recht sympathischen Eindruck.

    »Ich … ich habe diesen Platz hier …«, entschuldigte er sich und deutete auf meinen Nachbarsitz, auf den ich die Handtasche gelegt hatte.

    »Verzeihung.« Ich verstaute die Tasche im Gepäcknetz vor mir.

    Bevor er sich setzte, reichte mir Vandermar die Hand, die ich anstandshalber annahm. Er legte nicht allzu viel Kraft in den Händedruck, doch er fühlte sich auch nicht an, als habe man ein leblos schlaffes Stück Fleisch ergriffen. Dazu lächelte er und deutete einen Diener an. Gut erzogen war der Bursche auch noch.

    »Und Ihr Name …?«

    »Nennen Sie mich Coco«, antwortete ich. »Das ist ein … Spitzname. Alle nennen mich nur Coco.«

    »Ah …« machte er wissend und wusste doch nicht das Geringste. Mit einem Seufzer ließ er sich in seinen blauschwarzen Sitz fallen. »Sie sind Inderin?«

    »Ich arbeite für die Botschaft.«

    Kurz musterte er mich und fragte sich wahrscheinlich, ob ich für den diplomatischen Dienst nicht ein wenig jung war. Doch er sprach seine Frage nicht aus.

    »Haben Sie eine Ahnung, was in Wien los ist?« Offenbar versuchte er Smalltalk zu betreiben, was ich zurzeit allerdings weniger gebrauchen konnte. »Niemand ist hier in der Lage, einem eine vernünftige Auskunft zu geben. Ich habe diesen Flug schon vor Wochen gebucht. Zum Glück!«

    »Ich habe diesen Termin auch schon seit einigen Tagen, aber trotzdem bin ich nicht unglücklich, dass er ausgerechnet heute ist und nicht erst in ein paar Tagen.« Ein schiefes Grinsen legte sich auf sein Gesicht. »Wie unhöflich von mir, ich habe Ihnen gar nicht verraten, weshalb ich nach Indien will.«

    »Urlaub vermutlich.«

    »Ich bitte Sie … Nur ein Trottel würde ausgerechnet jetzt, wenn es am heißesten ist, dort Urlaub machen. Nein« – seine Stimme wurde um eine Nuance höher – »ich bin Professor für Geschichte. Indische Altertümer.«

    »Archäologe also …«

    »Nicht ganz. Archäologie ist nur mein Steckenpferd. Ich mag auch mehr die Praxis vor Ort, als die graue Theorie.«

    »Sie haben Ihren Beruf verfehlt, Herr Professor.«

    »Und nennen Sie mich bitte nicht Herr Professor:« Demonstrativ senkte er Schultern und Kopf. »So nennt mich nur meine Mutter.«

    »Sie muss mächtig stolz auf ihren Sprössling sein …«

    Vielsagend winkte er ab. Dies war offenbar ein Thema, über das er nicht gerne sprach.

    »Sie sind also auf einer Expedition?«, wollte ich wissen. Vandermar gelang es tatsächlich, meine Neugier zu wecken. Sein offenes Wesen und seine Art gefielen mir.

    »Könnte man so sagen …«

    Ich kam nicht dazu, nachzufragen, welche Geheimnisse er dem indischen Subkontinent zu entreißen gedachte.

    »Vandermar!«

    Die Stimme irgendwo hinter uns ließ ihn erschrocken zusammenfahren. Dann hatte er sich sofort wieder unter Kontrolle oder versuchte es zumindest.

    »Vandermar!«, ertönte es erneut, diesmal drängender. »Wo stecken Sie, verdammt?«

    Kleinlaut richtete sich der Professor auf und wandte sich um, verließ die sichere Deckung seines Platzes. Auch mich interessierte, wer meinen Nachbarn so einschüchterte.

    Soeben betrat der anonyme Rufer die Erste Klasse. Der Mann war nicht nur sehr groß, sondern schien fast ebenso breit zu sein. Kaum schaffte er es, ohne sich in die Seite drehen zu müssen, durch das Schott. Er mochte Mitte fünfzig sein, hatte eine Halbglatze und wirkte bereits auf den ersten Blick unausstehlich. Kleine Schweinsäuglein funkelten zwischen den Fettwülsten seines Gesichts. Das weiße Hemd, das er über den Stretchhosen trug, troff vor Schweiß, ständig wischte er ihn sich von der hummerroten Stirn, was seiner Laune keineswegs förderlich war.

    »Verdammt, Vandermar, warum geben Sie nicht Bescheid, wenn ich Sie rufe?«, polterte er.

    »Herr Held, ich versichere Ihnen …«

    »Papperlapapp«, wischte der den Einwand hinweg. »Tun Sie nicht so, als würde es Ihnen gefallen, dass ich mitkomme. Ich weiß, Sie würden am liebsten Ihr eigenes Süppchen kochen und sich auf meine Kosten einen schönen Lenz machen.« Das Knurren, das er dem Professor entgegenschickte, deutete darauf hin, seine Vorfahren waren offenbar noch nicht allzu lange von den Bäumen gestiegen.

    Ächzend ließ sich Held in den Sitz auf der anderen Seite des Gangs plumpsen. Dann wandte er sich wieder dem Professor zu: »Habe ich Ihnen nicht ausdrücklich gesagt, Sie sollen Plätze direkt nebeneinander für uns buchen?«

    Das war also der Grund seines Zorns.

    »Das habe ich doch«, erwiderte mein Nachbar lasch. Er hatte mein vollstes Mitgefühl. Ich hätte ebenfalls nicht direkt neben einem Ekelpaket wie Held sitzen wollen.

    »Ich traue Ihnen nicht, Vandermar. Ich weiß, Sie versuchen mich zu bescheißen. Aber das können Sie meinetwegen mit jemandem versuchen, der genauso lahmarschig ist wie Ihre Kollegen an der Uni. Aber nicht mit mir!«

    Phrasen! Er traktierte ihn weiter mit Worthülsen, auf die ich nicht weiter zu achten versuchte.

    Stattdessen beobachtete ich ein wenig die anderen Passagiere, die nach und nach die Kabine betraten. Vorne rechts, auf der mir abgewandten Seite, ließ sich soeben ein junges Paar nieder. Beide mochten in den Zwanzigern sein, die verliebten Blicke, die sie sich zuwarfen, waren eindeutig zweideutig. Offensichtlich befanden sich die beiden noch in den Zwitterwochen.

    Auf der anderen Seite saßen zwei Inder. Der eine, etwa sechzig, war möglicherweise ein Geschäftsmann oder Politiker, der andere, Ende zwanzig, schien dessen Leibwächter zu sein. Er trug das auffällig-unauffällige Schwarz dieser Branche. Nur die Sonnenbrille fehlte, und die Pistole war ihm vermutlich – hoffentlich! – bei den Zollkontrollen abgenommen worden.

    Drei Frauen kamen in die Erste Klasse, die zusammengehörten. Sie sprachen miteinander Französisch, kicherten und scherzten. Ihre offensichtlich gute Laune schien der ganzen Situation nicht angemessen. Zwei von ihnen setzten sich vor Held, der dritten verging das Scherzen sofort, denn sie hatte das zweifelhafte Vergnügen, sich neben Held drängen zu müssen. Natürlich, die Plätze waren großzügig angeordnet, dennoch gab es Angenehmeres, als zwischen dem dicken Mann und dem Fenster eingeschlossen zu sein.

    Alles in allem ganz normale Menschen, von denen keine Gefahr für mich ausgehen würde. Doch dann betrat noch jemand die Kabine.

    Ich spürte die seltsame Aura sofort, als die Person in meine Nähe kam.

    Abrupt riss ich den Kopf in ihre Richtung.

    Im Eingang entdeckte ich ein indisches Mädchen, das höchstens fünfzehn Jahre alt war. Sie war schmal gebaut, fast knochig, hatte dunkle Haut und langes, schwarzes Haar, das ihr bis über die Schultern ging. Was mir besonders an ihr auffiel, waren nicht die Jeans und das rote T-Shirt mit nichtssagendem Aufdruck, sondern der weiße Verband, den sie über den Augen trug.

    Sie war blind und ließ sich von einer etwa dreißigjährigen Frau, die hinter ihr ging, führen.

    Dieses Mädchen, fast noch ein Kind, zog sofort meine ganze Aufmerksamkeit auf sich. Eine leise Stimme irgendwo in meinem Hinterkopf sagte mir, dass mit ihr etwas nicht stimmte. Wir beide waren ziemlich unterschiedlich, gleichzeitig aber auch ausgesprochen ähnlich.

    Sie war mehr, als sie auf den ersten Blick zu sein schien. Sie war parapsychologisch begabt. Mehr konnte ich auf die Schnelle nicht feststellen, auch nicht ihre Gabe ergründen.

    Von der Inderin hinter ihr ließ sie sich mit sanften Berührungen auf der Schulter und gelegentlich geflüsterten Worten nach vorne lotsen.

    Fast als laufe sie gegen eine unsichtbare Mauer, blieb das Mädchen direkt zwischen Vandermar und Held stehen. Ruckartig wandte sie den Kopf nach links, und obwohl sie einen Verband um die Augen trug, obwohl sie nicht sehen konnte, traf mich ihr imaginärer Blick zielgenau. Sie spürte, wie ich sie anstarrte, auch wenn sie vermutlich nicht den Grund dafür erahnte.

    »Ich heiße Indira«, sagte sie unterkühlt zu mir. »Da es Sie offenbar interessiert – ich bin blind.«

    »Das … das habe ich vermutet«, sagte ich einigermaßen schlagfertig. Dennoch war ich verblüfft.

    »Ich wurde letzte Woche hier in Wien operiert, aber die Ärzte konnten mir mein Augenlicht nicht zurückgeben.« Sie schien mir gar nicht zugehört zu haben, hatte nur gespürt, begafft zu werden, was ihr aus verständlichen Gründen nicht gefiel. Wahrscheinlich war sie in ihrem Leben schon viel zu oft begafft worden. »Sind Sie jetzt zufrieden?«

    So genau hätte ich es gar nicht wissen wollen. Ich schwieg und hoffte, dass diese verdammte Maschine endlich abhob. Indira und ihre Begleiterin gingen weiter und vorbei. Während sich das blinde Mädchen auf den Platz vor mir setzte, ließ sich die Inderin neben ihr nieder. Mir leuchtete zwar nicht ganz ein, was eine Blinde mit einem Fensterplatz anfangen sollte, aber vermutlich bezahlten ihre Eltern die Tickets, deshalb verstand es sich auch von selbst, dass ihr Kind den bevorzugten Platz erhielt. Selbst wenn sie dieses Privileg nicht nutzen konnte.

    Inzwischen hatte es Held geschafft, nicht nur unsere ungeteilte Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, sondern auch die der Stewardessen. Zwei von ihnen kamen zu ihm und baten ihn höflich, freundlich und nett lächelnd, jedoch auch bestimmt, er möge sich beruhigen und anschnallen, der Start stehe unmittelbar bevor.

    Neben mir hörte ich ein erleichtertes Aufseufzen, als der Glatzkopf missmutig schwieg und sich von einer der Stewardessen helfen lassen musste, den Gurt über den Bauch zu spannen.

    Ich schnappte einen teils entschuldigenden, vor allem aber hilfesuchenden Blick von Vandermar auf.

    »Gelegentlich ist er … etwas schwierig.«

    Das hatten sowohl ich als auch das halbe Flugzeug bereits festgestellt.

    2.

    Die 747 war längst in der Luft und ließ Wien-Schwechat hinter sich, als ich aufstand. Im Flugzeug war Ruhe eingekehrt.

    Niemand schien zu bemerken, wie ich auf den Gang trat. Ich folgte meinem vagen Gefühl. Mein Weg führte mich nach vorn, zur Pilotenkanzel. Sie zog mich fast magisch an, wie in Trance bewegten sich meine Füße vorwärts.

    Das Schott war nicht verriegelt, ich öffnete es und …

    Ein Korridor erstreckte sich vor mir. Düster, aus obsidianem Stein gehauen und fensterlos. Ein archaisches Bauwerk, das erkannte ich sofort; Lampen würde man hier vergebens suchen. Er musste sich unter der Erde befinden, modriger Gestank schlug mir entgegen wie wenn man einen Kellerraum betrat, der seit langem nicht gelüftet worden war.

    Vielleicht hätte ich auch einfach umkehren sollen, ich konnte es nicht, sosehr ein Teil von mir auch danach verlangte.

    Es war dunkel, ich konnte kaum etwas erkennen. Dafür wurde das geringste Geräusch, das ich verursachte, mannigfaltig von den Wänden reflektiert. Vorsichtig setzte ich einen Fuß vor den anderen. Währenddessen hielt ich beide Arme weit zu den Seiten hin ausgestreckt, sodass meine Fingerspitzen die gegenüberliegenden Wände berühren konnten.

    Langsam gewöhnten sich meine Augen an die widrigen Lichtverhältnisse und entdeckten links von mir etwas an der Wand. Es handelte sich um eine Fackel in einer entsprechenden, metallenen Halterung. Spinnweben hingen klebrig von ihr hinunter.

    Ich nahm die Fackel von dem Gestell und zündete sie mit dem Feuerzeug an. Problemlos ließ sie sich entzünden. Das Material war knochentrocken, der hölzerne Griff spröde. Knisternd tauchte das Feuer den steinernen Korridor in flackerndes Licht und warf gespenstische Schatten an die Wände. Ich versuchte sie zu ignorieren und ging weiter.

    Kurz darauf kam ich

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