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Schwarzstein und Königin: Erbe der Sieben Wüsten 2
Schwarzstein und Königin: Erbe der Sieben Wüsten 2
Schwarzstein und Königin: Erbe der Sieben Wüsten 2
Ebook337 pages4 hours

Schwarzstein und Königin: Erbe der Sieben Wüsten 2

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Zeyndas Leben könnte so einfach sein, wäre da nicht das Gefühl, für den Tod der eigenen Mutter verantwortlich zu sein. Oder die Tatsache, dass sie sich ausgerechnet in den falschen Mann verliebt. Zudem droht ihrem Volk auch noch ein Krieg mit den Menschen, an dem besagter Mann nicht ganz unschuldig ist.
Am liebsten würde Zeynda ihn in die Wüste schicken - bestünde nicht die Bestie, ihr zweites Ich, darauf, dass ausgerechnet Daeon den perfekten Duft besitzt und damit ihr wahrer Gefährte sein muss.
LanguageDeutsch
Release dateDec 23, 2015
ISBN9783959590068
Schwarzstein und Königin: Erbe der Sieben Wüsten 2

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    Schwarzstein und Königin - Helen B. Kraft

    verschont.

    1. Kapitel

    Wir werden nie herausfinden, was der Grund für all den Hass ist. Wir können nur versuchen, ihn zu mildern, indem wir bereuen, was wir taten.

    Aus: Cruths Tagebuch, Datum unbekannt.

    50 Jahre später

    Cruth saß an seinem Schreibtisch und starrte blicklos auf die Papiere vor sich: Handelsabkommen, Friedensverträge, Wegerechte und vieles mehr. Der ganze Kram widerte ihn an. Nicht nur, weil die Arbeit daran bedeutete, an seinen Schreibtisch gefesselt zu sein, nein, es führte ihm einmal mehr vor Augen, dass das Leben eines Fürsten alles andere als rosig war.

    Er lehnte sich zurück und fuhr sich mit beiden Händen über die Augen. Dieser Tag bedrückte ihn auch ohne diese lästigen Pflichten schwer genug. Warum konnten die Bestien untereinander nicht einfach in Frieden leben? Warum mussten sie sich zanken wie kleine Kinder um ein Stück Honigbrot? Selbst hier in Sela, in der Welt der Menschen, wo sie vor einer Ewigkeit einen Außenposten errichtet hatten, kam es immer wieder zu Streitigkeiten unter den Clans. Ganz zu schweigen von den offenen Angriffen einiger bestimmter Clanführer, die nicht akzeptieren wollten, dass Cruth über ihnen allen stand.

    Er seufzte schwer, lehnte den Kopf in den Nacken und dachte an die Vergangenheit. An die Tage, als er noch unbeschwert durch diese Welt geritten war und seine einzige Pflicht darin bestanden hatte, einmal im Jahr seinem Vater Bericht zu erstatten. Er hatte sich für die Menschenwelt entschieden, weil sein Vater in Scáthgard auf grausame Art und Weise herrschte und ihn nie als Sohn hatte anerkennen wollen. Und nach dem Tod seines Vaters hatte Cruth keinen Sinn darin gesehen, in der Bestienwelt zu bleiben, wenn seine Gefährtin lieber unter den Menschen lebte.

    Das alles schien eine Ewigkeit her zu sein, dabei waren es noch nicht einmal achtzig Jahre. Ein Wimpernschlag im Leben einer Bestie.

    Der Geruch von Wildblumen stieg Cruth in die Nase, und er spähte zwischen den Fingern hindurch, um zu sehen, woher er kam.

    Wie immer war Barrique eingetreten, ohne um Erlaubnis zu fragen. Cruth tadelte ihn nicht dafür. Er kannte den Kobold inzwischen schon zu lange, um zu wissen, dass er ihn nicht ändern konnte. Sie beide verband eine Freundschaft, die beinahe so innig war wie jene, die er zu den Clanführern der Sturm- und Schlangenbestien, Earron und Osan, pflegte.

    Der Kobold hielt einen Strauß violetter und gelber Blumen in der Hand, der fast so groß war wie er selbst. Beim Anblick des Gebindes verkrampfte sich Cruths Magen. Er schluckte und wollte sich instinktiv verkriechen. Aber das konnte er ebenso wenig, wie er Barrique für die Störung anschreien konnte.

    „Ist es soweit?", fragte Cruth mit einer rauen Stimme, die jemand anderem gehören musste. Er selbst klang nie so.

    „Ja, mein Fürst. Heute jährt sich der Tag. Ich war so frei und habe ihre Lieblingsblumen besorgt."

    So war Barrique: aufmerksam und konsequent. Er würde nicht zulassen, dass Cruth den Todestag seiner Frau vergaß oder zumindest so tat, als ob. Sie beide hatten Nerey geliebt und waren gleichermaßen entsetzt gewesen, als sie starb. Zu früh. Zu jung.

    Es war ein Ritual, das sie beide seit jenem schicksalhaften Tag pflegten: Barrique besorgte die Wüstenblumen, die nur auf den Geröllebenen in der Welt der Bestien wuchsen, und brachte sie Cruth. Dann unterhielten sie sich einen Moment, ehe sie gemeinsam zum Silbertempel gingen, um die Blumen niederzulegen und der Toten zu gedenken.

    Die Menschen mochten sagen, dass es nach über siebzig Jahren keinen Grund mehr gab, am Grab eines geliebten Wesens zu trauern, doch Cruth sah das anders. Menschen kamen und gingen. Ihr Leben verstrich so schnell, dass er sie kaum wahrnahm. Doch wenn eine Bestie ging, dann bedeutete das etwas. Sie waren langlebige Kreaturen, die nur gewaltsam vor dem Ablauf ihrer Zeit zum Tode kommen konnten.

    „Mein Fürst?"

    „Schon gut, Barrique, ich komme."

    Schwerfällig stand er auf und ging um den Tisch herum. Dann nahm er Barrique den Strauß ab, sodass der Kobold erleichtert aufatmete.

    Anders als sonst verzichtete Barrique darauf, sich zu teleportieren, als sie sich auf den Weg machten. Cruth hatte ihn einmal danach gefragt und der Grüne hatte geantwortet, dass dies seine Art der Respektbezeugung bedeutete.

    Der Tempel lag unscheinbar im inneren Ring der Burgmauern, eingequetscht zwischen zwei Häusern. Cruth hatte ihn einst errichten lassen, um das darin befindliche Tor in die Welt der Bestien zu schützen. Zwei Sturmbestien, erkennbar an den rotschwarzen Litzen an ihren Rüstungen, bewachten den Eingang. Als sie Cruth und Barrique kommen sahen, richteten sie sich unwillkürlich ein wenig mehr auf.

    Sobald sie den Tempel betraten, kam Ruhe über Cruth. Die Wände des Raumes waren mit hellen Ornamenten besetzt. Überall lagen Sitzkissen, die nur dem Zweck dienten, dass Betende und Trostsuchende sich hier wohlfühlten. Cruth atmete tief den Geruch der verbrannten Kräuter ein, die auf dem in der Mitte befindlichen Altar in einer Schale vor sich hin glommen. Kerzen standen daneben und spendeten diffuses Licht. Hinter dem Quader aus Stein hing ein dunkler Vorhang, der den Weg in die andere Welt verbarg.

    Cruth hielt den Stoff auseinander, damit Barrique hineinschlüpfen konnte, dann betrat er hinter dem Kobold den kuppelförmigen Raum. Der Boden war bedeckt mit filigranen Silbergrashalmen, die nur widerwillig nachgaben, wenn sie darüber liefen. Eine Steinmauer in einigen Metern Entfernung begrenzte das Areal, von dem außer Barrique und Cruth niemand wusste, dass es dort einen geheimen Ausgang aus Sela gab.

    Vor der Mauer befand sich das Portal. Es glich einem schwarzen Oval, dessen Ränder mit der Luft verschwammen und wie ein Regenbogen flimmerten.

    Wortlos umrundeten sie das Gebilde und blieben abrupt stehen. Sie waren nicht allein.

    Ein schlanker Mann mit langen dunklen Locken und hagerer Gestalt kauerte bereits vor Nereys Grab, das sich in Form einer kleinen Erhebung unter dem Gras abzeichnete. Bei ihrem Kommen drehte sich Osan halb herum. Seine Miene war schmerzverzerrt und spiegelte den Kummer, den auch Cruth empfand. Nur, dass dieser bislang nicht gewusst hatte, dass es seinem Freund ebenso ging.

    „Was tut Ihr hier, Osan?" Barrique fand als Erster die Sprache wieder.

    „Trauern. Wie ihr auch. Aber es ist schon gut, ich gehe." Er stand auf, klopfte sich den Silberstaub von den Hosenbeinen und wollte an Cruth vorbeilaufen, der ihn mit der freien Hand festhielt.

    Stumm sahen sie einander an und zum ersten Mal nach all den Jahren begriff Cruth, dass er nicht der Einzige war, der Nerey mehr als das eigene Leben geliebt hatte. Er kämpfte gegen den Kloß in seiner Kehle an, wollte etwas sagen, ohne zu wissen was. Er erlaubte schon Barrique, an seiner Trauer teilzuhaben. Konnte er da noch weiter gehen und auch Osan mit einbeziehen? Für einen flüchtigen Moment wallte Eifersucht in Cruth auf, dann sagte er sich, dass seine Gefährtin nur ihn geliebt hatte, sonst hätte sie ihn damals nicht zu ihrem Partner gewählt.

    „Bleib ruhig, Schlange. Du störst nicht."

    Osan hob einen Mundwinkel und das vertraute schelmische Funkeln glomm in seinen Augen. „Nein, ich wollte nur den alten Göttern einen Wunsch für deine Gefährtin mit auf den Weg geben. Das ist dein Tag, ich hätte gar nicht mehr hier sein sollen, als du kamst. Ich muss die Zeit vergessen haben." Er drückte kurz Cruths Schultern und ging dann rasch davon.

    Barrique räusperte sich. „Er hatte recht, er gehört nicht hierher."

    „Barrique, tadelte Cruth sanft mit einer Nachsicht, die er im Laufe der Zeit gelernt hatte. „Er ist ein Freund.

    Ein Schnauben. „Ein Freund, der um die Hand Eurer Tochter angehalten hat. Mehrmals."

    Cruth seufzte. Er war hier, um zu trauern, nicht um Staatsgeschäfte zu besprechen. Aber der Kobold würde nicht locker lassen.

    Wie um dies zu bestätigen, setzte Barrique hinzu: „Ihr müsst sie anerkennen. Ich habe die Briefe ebenfalls gelesen. Die Bestien sind unruhig, einige wollen Blut sehen. Außerdem habt Ihr bereits fünf Anträge abgelehnt."

    „Ich werde mich nicht in Zeyndas Beziehungen einmischen. Ich bin froh, dass sie endlich begonnen hat, sich für das andere Geschlecht zu interessieren und mich nicht mehr als Ausrede benutzt, sich von Männern fernzuhalten. Trotzdem werde ich sie nicht dazu zwingen zu heiraten, nur um eine Allianz mit einem Clan zu bilden. Mein Vater …"

    „Ist tot, konterte Barrique unbarmherzig. „Er starb durch Eure Hand, weil er ebenfalls glaubte, auf Dauer alleine regieren zu können!

    Wütend funkelte Cruth den Kobold an. „Das ist nicht dasselbe! Ich liebe Zeynda."

    „Dennoch erkennt Ihr sie nicht als Eure Tochter an, um nicht zu altern. Erinnert Euch, mein Fürst. Ihr habt stets Groll gegen Crothar empfunden, weil er sich weigerte, Euch Sohn zu nennen."

    Cruth straffte sich. „Wie ich schon sagte, das ist nicht dasselbe. Zeynda weiß, dass sie meine Tochter ist, und dass ich sie ebenso sehr liebe, wie ich Nerey liebte. Solange sie sich nicht gebunden hat, muss ich am Leben bleiben. Sie benötigt meinen Schutz."

    „Ihr meint jene Tochter, die sich vom Studium ihrer Bücher direkt dem waffenlosen Kampf zugewandt hat? Das Mädchen, das Kraft seiner Gedanken einen Baum entwurzeln kann und eine schärfere Zunge besitzt, als es Schwerter in diesem Haushalt gibt? Barrique schaffte es tatsächlich, eine Braue zu heben und damit Cruth zu imitieren, während er gleichzeitig die Ärmchen vor der Brust verschränkte. „Oder sprechen wir hier von einer anderen Tochter, die Ihr mir verschwiegen habt? Das Mädchen ist eine Kriegerin. Sie befehligt doch schon jetzt Eure Elitetruppen!

    Cruth knurrte. Seine Säbel schossen hervor. Kurz bevor er nach Barrique schnappte, hielt er sich zurück. Der Kobold sprach ja die Wahrheit. Zeynda war stark. Stärker als ihre Eltern. Das Blut ihres Großvaters musste in ihren Venen pulsieren. Trotzdem blieb sie sein kleines Mädchen. Er musste sie doch beschützen!

    Vielleicht sah man ihm seine Gefühle an, denn Barrique wurde mit einem Mal weich. „Ich weiß doch, was Ihr empfindet, mein Fürst. Wir alle lieben Zeynda. Ihr sollt sie auch nicht zwingen, sich für einen Mann zu entscheiden, aber ein Schubs in die richtige Richtung könnte Wunder wirken. Kommt dazu noch Eure Anerkennung, könntet Ihr in Ruhe altern und Eure Gefährtin in einigen Jahren an einem besseren Ort wiedersehen."

    Die Weisheit in Barriques Worten drang zu Cruth durch, sodass er sich nicht länger dagegen verschließen konnte. Er würde sich die Sache durch den Kopf gehen lassen und eine Entscheidung fällen. Morgen. Nicht heute. Heute hatte er Wichtigeres zu tun.

    „Vielleicht sollte ich dich zu meinem Kanzler ernennen, Barrique."

    Der Kobold wurde blass. „Mich mit anderen Bestien herumärgern, nur, damit Ihr das nicht tun müsst? Mögen mich die Altehrwürdigen davor bewahren. Mit Euch habe ich schon genug zu tun!"

    Er wandte sich zum Grabhügel um und kniete sich vorsichtig davor nieder. Deutlicher konnte er nicht zeigen, dass er diese Unterhaltung beenden wollte. Es gab auch nichts mehr, was sie zu dem Thema zu besprechen hatten.

    Ohne Kommentar ließ Cruth ihm sein Verhalten durchgehen und trat an ihm vorbei, um die Blumen niederzulegen. Seine Gedanken huschten zu Nerey und plötzlich wusste er, dass seine Gefährtin dem Kobold zustimmen würde. Gleichwohl kam ihm aber auch der Verdacht, dass sie die Vorstellung von Barrique als Kanzler genießen würde. Sie hatte die unbestechliche Ehrlichkeit des Grünen immer gemocht.

    *

    Sie nannten sich Krieger, dabei waren sie nur eine Ansammlung abgerissener Gestalten mit schlecht sitzender Kleidung, stumpfen Waffen und zu viel Alkohol. Nur wenige der Männer konnten sich Lederrüstungen leisten. Die meisten trugen ihre gewöhnlichen Bauerngewänder, die keinem noch so zaghaften Angriff standhalten würden. Sie hielten ihren Hass hoch wie ein Kriegsbanner, doch das war auch schon alles, was sie ausmachte. Keinem von ihnen war zuzutrauen, dass er ihre Gruppe tatsächlich in jene Schlacht führte, nach der sie sich benebelt von Met, Ale und anderen hochprozentigen Getränken so sehr sehnten.

    Im Augenblick diskutierten sie darüber, was sie mit den Bestien tun würden, wenn sie sie erst einmal überrannt und niedergemetzelt hatten. Dass es dazu nie kommen würde, verdrängten sie erfolgreich. Ihnen war ganz offensichtlich nicht klar, dass ein einzelner Bestiengegner die Waffen mehrerer Menschen aufwog. Dass ein Schlag mit einer Klaue gleich drei oder vier Kehlen zerfetzen konnte, und dass die Reichweite eines Bestienarms deutlich größer war als die von einem Menschen.

    Der Schatten beobachtete all dies von seinem Platz in der Menge aus. Er trank und aß mit diesen Rebellen, denen nicht bewusst zu sein schien, wie viel sie den Bestien verdankten. Ohne deren Einmischung bestünden ihre Werkzeuge ebenso wie ihre Waffen immer noch aus Stein und Holz. Zwar kamen die technischen Errungenschaften aus Scáthgard nur in kleinen Tropfen in die Welt der Menschen, aber nur, weil sonst zu befürchten stand, dass ein Übermaß an Wissen mehr schadete als nutzte. Fast unmerklich, aber stetig, stieg der Lebensstandard der Menschen.

    Während der Schatten über all das nachsann, bemerkte er unter den Gröhlenden einen einzelnen blonden Mann, der ebenso ruhig dasaß wie er. Auf seinem Gesicht lag ein nachdenklicher Ausdruck, den der Schatten interessiert registrierte. Vielleicht hatte er sich ja darin getäuscht, dass es niemanden gab, der Führungskraft beweisen konnte.

    Der Blonde nahm einen Schluck aus seinem Becher, nickte, wenn er angesprochen wurde und antwortete. Er lächelte nicht. Auch schien er kein Interesse daran zu haben, sich mit den anderen zu ereifern. Hin und wieder neigte er den Kopf, wenn einer der Anwesenden einen Vorschlag machte, der nicht ganz aus der Luft gegriffen schien.

    Die Lippen des Schattens verzogen sich zu einem Lächeln. Endlich hatte er den einen unter Tausenden gefunden. Dieser Mann würde sein Werkzeug sein, die Hand, die dafür sorgte, dass sich die Zukunft so entwickelte, wie er es plante: ein Ende der Herrschaft von Cruth.

    Der Schatten leerte seinen Becher, stand geschmeidig auf und schlängelte sich an den Betrunkenen vorbei. Niemand beachtete ihn. Das war sein Geheimnis, er passte sich perfekt an, um unerkannt zu bleiben. Weder seine Kleidung noch sein Äußeres ließen einen Rückschluss darauf zu, wer er war oder zu welcher Fraktion er gehörte. Das musste niemand wissen. Das Einzige, das zählte, war, dass sie alle dasselbe Ziel hatten.

    Er erreichte den Tisch des Blonden, als dessen Gegenüber mit dem Kopf auf die Tischplatte schlug. Das Odeur von schalem Bier schlug dem Schatten entgegen, doch er bemühte sich, nicht das Gesicht zu verziehen. Je weniger Gefühlsregungen er zeigte, desto seltener erinnerte man sich an ihn. Kurzerhand schob er den Betrunkenen zur Seite und nahm dessen Platz ein.

    Der Blonde sah ihn nur kurz an, dann wandte er den Blick ab und konzentrierte sich auf seinen Becher, was dem Schatten besonders gefiel. Dieser Mann war der geborene Beobachter. Jetzt blieb nur herauszufinden, ob er leicht zu lenken war.

    Mit einer Geduld, die er im Innersten nicht empfand, verschränkte der Schatten die Finger auf der Tischplatte. Er sagte nichts. Er tat nichts. Er wartete nur. Irgendwann würde der Blonde ihn ansprechen.

    Als es soweit war, fühlte sich der Schatten wie eine Bogensehne, die kurz vor dem Reißen stand.

    „Was willst du?", knurrte der Blonde und stellte seinen Becher vorsichtig auf den Tisch. Eine Hand glitt unter die Platte, wo er vermutlich nach einem Messer tastete.

    „Nur den Abend in angenehmer Gesellschaft verbringen." Die Erwiderung des Schattens klang doppeldeutig. Er wollte herausfinden, wie schnell der Mann aus der Haut fuhr. Einen Heißsporn konnte er für sein Vorhaben nicht gebrauchen. Davon gab es in diesem Raum genug. Was er benötigte, war ein Anführer.

    „Such dir für deine Neigungen einen anderen, Mann, bei mir bist du falsch."

    Der Schatten lächelte sein falsches Lächeln. „Ich glaube nicht, dass wir von derselben Sache sprechen, mein Freund. Ich suche nach einem Mann, der seinen eigenen Verstand gebrauchen kann und sich nicht sinnlos volllaufen lässt wie der Rest hier. Ich suche nach einem Mann, der bereit ist, Worten Taten folgen zu lassen. Kein Mann, der nur daran denkt, sich an einen warmen Leib zu schmiegen, wenn er weiß, dass seine Familie in Gefahr schwebt. Ich suche einen Macher, der bereit ist, all die Dinge zu tun, von denen diese Narren hier nur reden. Der Schatten senkte den Kopf und starrte den Blonden intensiv an. „Wenn dir diese Neigung nicht zusagt, dann bist du hier vermutlich falsch, oder?

    Der Blonde schluckte. Sein Adamsapfel bewegte sich hektisch auf und ab. Als er endlich die Sprache wiederfand, kämpften Zweifel und Neugierde in seinen Augen.

    „Wer bist du?"

    Der Schatten zeigte ihm die Handflächen, ohne die Hände groß zu bewegen, denn jede Regung würde sich ins Gedächtnis des Mannes graben wie ein Wurm in feuchten Boden. „Nur ein Freund, der zufälligerweise dieselben Interessen hat wie alle anderen hier."

    „Wir alle wollen die Bestien aus dieser Welt vertrieben wissen. Was ist an dir so anders, dass du meinst, mich ansprechen zu müssen?"

    Der Schatten kicherte böse und hinterhältig, dass es einem Schauder über den Rücken trieb; ein beabsichtigter Vorgang, der nicht seine Wirkung verfehlte, wie er zufrieden feststellte. „Ich bin hier nicht der Besondere, sondern du."

    „Du kennst mich doch gar nicht."

    „Nun, er zwinkerte, „dann wird es vielleicht Zeit, genau das zu ändern. Fangen wir mit etwas Leichtem an: Wie ist dein Name?

    „Jokas."

    Der Schatten nickte. „Ein guter Name. Der Name eines Anführers."

    Das gefiel Jokas, der Schatten sah es ihm an. „Und wen, wenn ich fragen darf, soll ich anführen?"

    „Alle, die bereit sind, sich dir anzuschließen."

    2. Kapitel

    Etwas zu verlieren, das man nie haben wollte, wiegt erst dann schwer, wenn man erkannt hat, wie viel es einem doch bedeutet hat.

    Aus: Cruths Tagebuch, Datum unbekannt

    Heißer Schmerz fraß sich wie glühendes Eisen durch sein Innerstes. Daeon hob den Kopf. Witterte. In der Luft hing der Gestank von Feuer, verkohlten Leichen und Blut. Die Schreie der anderen waren längst verstummt. Nur noch das leise Wimmern seiner Schwester und das immer wiederkehrende Keuchen seiner Mutter waren noch zu hören. Sein Herzschlag donnerte laut und dennoch konnten Mann und Bestie die Angreifer hören. Bald schon würden sie kommen, um auch die Letzten seiner Familie zu holen und umzubringen.

    „D-du musst deine Schwestern beschützen", brachte Sassa atemlos hervor.

    Er sah sie an. Ihr schönes Gesicht war schmerzverzerrt. Ihre Klauen hatten das Bettzeug, auf dem sie lag, zerfetzt. An ihrem Kopf kauerte seine kleine Schwester Nemes, die Augen weit aufgerissen vor Angst, das struppige dunkelblonde Haar zerzaust. Aus ihrem Kiefer hingen dünne Säbelzähne, mit denen sie keinen großen Schaden anrichten konnte. Dazu war nur Daeon in der Lage, der die beiden in letzter Minute davon hatte abhalten können, das mit Gift versetzte Essen zu sich zu nehmen. Nachdem er mit angesehen hatte, wie sein Vater und seine Brüder, die in der großen Halle gegessen hatten, daran verreckt waren.

    Es war purer Zufall, dass Daeon noch lebte. Er war als Bestie nachhause gekommen und hatte sich in Menschengestalt verwandelt, um an den Feierlichkeiten teilzunehmen. Als er bemerkte, dass seine Mutter fehlte, hatte er nach ihr gesehen. Sie fühlte sich zu unwohl, um mit den anderen zu feiern. Die Geburt stand kurz bevor, und der vorherrschende Trubel anlässlich dieses Ereignisses war zu viel für die werdende Mutter.

    Die Übelkeit nach der Wandlung hatte Daeon davon abgehalten, ebenfalls etwas zu sich zu nehmen. Er hatte mit seinen Freunden und Brüdern am Tisch gesessen, gescherzt und gelacht. Als er endlich begriff, was vor sich ging, war es bereits zu spät. Freunde, Verwandte und Bekannte starben rings um ihn herum, ohne dass er etwas dagegen hätte tun können. Ihre Schreie gellten in seinen Ohren. Er roch noch immer das Erbrochene, als sie versuchten, das Gift loszuwerden.

    Ohne nachzudenken, war er zurück in Sassas Gemächer gehastet und hatte sie daran gehindert zu essen oder zu trinken.

    Seitdem war etwa eine Stunde vergangen. In der Zwischenzeit waren die Feinde aufgetaucht. Daeon, der nur kurz das Zimmer verlassen hatte, um nach dem Rechten zu sehen, hatte sie entdeckt, als sie wie eine Plage in die Haupthalle strömten. Sie brachten Feuer und Schwerter mit sich. Jedem Schwarzsteiner, der sich noch rührte, schlugen sie den Kopf ab. Die Leichen brachten sie nach draußen und zündeten sie an.

    Bislang waren sie noch nicht zu den Gemächern des Clanführers vorgedrungen. Doch das war nur eine Frage der Zeit.

    Als sein Vater seinen letzten Atemzug tat, fühlten sie es. Die Narben auf der Brust brannten und ein Gefühl des Verlustes breitete sich in ihnen aus. Nie in seinem Leben würde Daeon den entsetzten Gesichtsausdruck seiner Mutter vergessen, als ihr Gefährte starb - oder ihren gellenden Schrei, der die Feinde alarmierte. Nur Minuten später setzten die Wehen ein.

    Sassa atmete in schnellen Stößen und ließ zu, dass Nemes ihr mit einem feuchten Tuch über die Stirn wischte. Das Kind kam zu schnell. Sie wussten es alle drei.

    Heller Zorn loderte in Daeon auf. Er würde heute nicht auch noch den Rest derer verlieren, die er liebte. Wenn sie starben, dann als Familie. Und sie würden nicht alleine gehen. Er richtete sich auf, den Blick fest auf der Tür. Die wenigen Meter, die ihn davon trennten, stellten kein Hindernis dar. Ein einzelner Sprung würde genügen, um jeden, der hereinkam, aufzuspießen und in Stück zu reißen.

    Blut konnte seiner Mutter helfen. Wenn es ihm gelang, ein Herz aus der Brust eines Feindes zu reißen und es Sassa zuzuwerfen, könnte sie es fressen und sich und dem Kind dadurch mehr Zeit verschaffen.

    Ein gellender Schrei sagte ihm, dass es dafür zu spät war.

    „… da drin. Die Schlampe ist noch am Leben!"

    Schritte näherten sich. Vier, vielleicht fünf Angreifer kamen heran, um zu ernten, was sie gesät hatten.

    Bitterkeit stieg in Daeon auf. Ein ganzer Clan war ausgelöscht worden, der anlässlich der Geburt seiner Schwester zusammengekommen war, um zu feiern. Ein freudiger Tag, der mit Blut und Gewalt endete.

    Er stemmte sich auf die Hinterbeine und streckte sich. Ein heiseres Brüllen entrang sich seiner Kehle, während er die Arme zurücknahm und die Brust vorstreckte.

    Er würde nicht kampflos untergehen.

    Einen Schwarzsteiner zu entfesseln, hieß, eine Naturkatastrophe zu beschwören. Wie ein Sturm kam er über die vermummten Gestalten, deren Kleidung es unmöglich machte, herauszufinden, ob es reine Menschen oder Bestien in Menschengestalt waren.

    Daeon brüllte und warf sich nach vorn. Ein erbitterter Kampf entbrannte. Blut spritzte, die Angreifer schrien auf, sobald Daeons scharfe Krallen sie erwischten, doch es waren zu viele. Immer mehr kamen heran, schlugen und stachen auf ihn ein.

    Er kämpfte, bis seine Kräfte ihn verließen. Hinter ihm trotzte seine Mutter den Wehen und versuchte gleichzeitig, Nemes zu schützen. Die Kleine quiekte vor Angst. Der schrille Laut biss Daeon in den Ohren und machte ihn noch rasender. Inzwischen blutete er aus mehreren Wunden, was ihn zusätzlich schwächte. Ohne ein Herz zur Heilung würde er untergehen. Und wenn er fiel, dann auch seine Familie. Trotzdem gab er nicht auf. Sie mussten ihm schon zuvor den Todesstoß versetzen, wenn sie an Sassa und Nemes heranwollten.

    Daeon knurrte und rammte dem nächstbesten Angreifer seine Klauen in die Kehle. Warme Flüssigkeit rann über seine Haut und er nutzte die Gelegenheit, einen kleinen Schluck zu nehmen, ehe er den Mann in das Knäuel seiner Kumpane schleuderte. Es half. Ein wenig. Nicht genug, um die schwereren Verletzungen zu heilen, höchstens, um noch ein wenig mehr Zeit herauszuschinden. Es fehlte einfach an weiteren Kämpfern, die jenen Deckung gaben, die sich heilen mussten. Er war auf sich allein gestellt. Aus den Augenwinkeln sah er, wie seine Mutter sich aufbäumte. Kurz darauf hörte er ein Quäken, als seine neugeborene Schwester ihren ersten Schrei ausstieß.

    Dadurch abgelenkt bemerkte Daeon den Angreifer nicht, der sich ihm näherte. Erst, als der Kerl schon fast an ihm dran war, setzten seine Reflexe wieder ein. Daeon duckte sich, sodass die Klinge seine Kehle verfehlte. Sie prallte an den Hornplatten an seinem Unterarm ab und glitt mit einem kreischenden Geräusch daran entlang, um ihn schließlich an der Stirn zu erwischen. Oberhalb der Braue klaffte eine breite Wunde auf. Blut strömte heraus und lief ihm in ein Auge. Er blinzelte, verlor die Orientierung und hieb in wilder Hast um sich, ohne jemanden zu treffen. Nur sein Gehör und sein Geruchssinn funktionierten noch. Doch durch die Geburt, die vielen Toten und den Kampf an sich strömten derart viele Düfte auf ihn ein, dass er damit auch nichts anfangen konnte. Als die Angreifer bemerkten, dass er so gut wie blind war, griffen sie ihn systematischer

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