Der Imperialismus der EU
By Tibor Zenker
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Es handelt sich um eine aktualisierte Auflage! (14. Februar 2016)
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Der Imperialismus der EU - Tibor Zenker
Tibor Zenker
Der Imperialismus der EU
Texte zur marxistischen EU-Kritik
Copyright © 2015 Der Drehbuchverlag, Wien, und Tibor Zenker
2. Auflage, 14. Februar 2014
Alle Rechte vorbehalten
eBook: Der Imperialismus der EU - Texte zur marxistischen EU-Kritik
ISBN: 978-3-99041-555-9
Inhaltsverzeichnis
Vorbemerkung
Wem nützt die EU?
Von Berlin nach Stalingrad, Zwischenstation Brüssel
Die Marktwirtschaft in der Energiekrise
Was macht die OMV am Bosporus?
Esel können nicht fliegen
Imperialismus und Antiimperialismus in Lateinamerika und Europa
EU-Imperialismus in Afrika
Entwicklungspotenzial und Militarisierung der EU
Bedingungen, Möglichkeiten und Aussichten einer linken EU-Austrittsbewegung
Raus aus der EU… – und dann?
Kampf dem Imperium! Raus aus der EU!
Gegenwärtige Probleme und Perspektiven der kommunistischen Bewegung
„Vom Standpunkt der ökonomischen Bedingungen des Imperialismus … sind die Vereinigten Staaten von Europa unter kapitalistischen Verhältnissen entweder unmöglich oder reaktionär." – Wladimir Iljitsch Lenin
Vorbemerkung
Obige Worte Lenins stammen aus dem Jahr 1916. Heute, 90 Jahre später, sind die kapitalistischen Verhältnisse in ganz Europa wiederhergestellt, nachdem der revolutionäre Prozess, der 1917 in Russland seinen Anfang nahm, erfolgreich rückgängig gemacht wurde. Nicht unbedeutend war für diesen vorläufigen Sieg des Kapitalismus über den Sozialismus die Schaffung der Europäischen Gemeinschaften (EG), aus denen die jetzige Europäische Union hervorgegangen ist. Die EG haben ihre Aufgabe als antisozialistisches Bündnis erfüllt, in den letzten eineinhalb Jahrzehnten konnte der „Integrationsprozess" der EU, der charakterlich die monopolkapitalistische Durchdringung und Unterordnung aller Lebensbereiche und aller Nationen bedeutet, unter optimierten Bedingungen fortgeführt werden. Die reaktionäre Variante der europäischen Neuformierung scheint somit zunächst geglückt.
Weniger geglückt ist hingegen die Neuformierung der europäischen Linken. Viele (ehemalige) SozialistInnen und KommunistInnen stehen seit 1989/90 vor der neuen Situation wie das Kalb vor der neuen Stalltür. Vielen bleibt der Weg zu einer den neuen Begebenheiten entsprechenden Anwendung des Marxismus versperrt. Einerseits besteht mancherorts eine gewisse theoretische wie praktische Unfähigkeit, mit einem vorläufigen Rückschlag umzugehen, andererseits glauben manche, sich nun einer bürgerlich-kosmopolitisch statt proletarisch-internationalistisch zu charakterisierenden Idee Europas unterordnen zu müssen. So wird der in Wahrheit zutiefst antidemokratische, weil eben imperialistische europäische Integrationsprozess zur historischen Notwendig- und Gesetzmäßigkeit, die angeblich klassenindifferent zu verstehen sei. Tatsache ist jedoch, dass derjenige den Klassenkampf verliert, der ihn aufgibt, und dass derjenige, der das Werkzeug des Marxismus nicht anzuwenden weiß oder dessen nicht willens ist, kraft seiner zwingenden Fehlanalysen zur Handlungsunfähigkeit verurteilt ist. Diesen „Linken" kommt nicht nur selbstverschuldet das revolutionäre Subjekt abhanden, sondern sie ordnen sich sogar der objektiv gegenrevolutionären Neuformierung des europäischen Monopolkapitals unter und werden zu dessen HandlangerInnen.
Eine Erfolg versprechende Neuformierung der europäischen Linken ist hingegen nur auf marxistischer Grundlage möglich, möge dieser Prozess auch aller Wahrscheinlichkeit nach längerfristig anzusetzen und beschwerlich sein. Und dieser Prozess wird dann erfolgreich sein, wenn er auf Basis der Grundpositionen des Marxismus-Leninismus sowie im Bewusstsein und in der Verteidigung der Bedeutung der historischen Rolle der sozialistischen Staaten in Europa den Kampf gegen den Revisionismus führt. In Bezug auf die EU bedeutet dies, die marxistische Staatsauffassung, Lenins Imperialismustheorie und vor dem Hintergrund des solidarischen und antiimperialistischen Internationalismus das Selbstbestimmungsrecht der Nationen zu verteidigen. Denn die EU ist ein imperialistisches Bündnis, dass für Reaktion und Repression nach innen sowie Militarismus, Aggression und letztlich Krieg in der Außenwirkung steht, wobei dies alles in jeder Richtung interaktiv wirkt.
Die richtige, marxistische Analyse der EU ist Voraussetzung revolutionärer Handlungsfähigkeit. Und die Überwindung der EU ist dafür Voraussetzung, den europäischen Nationen wieder sozialistische Perspektiven in der Praxis zu eröffnen. Zu ersterem, zur Entwicklung und Verbreitung marxistischer Theorien in ihrer Anwendung auf die EU, soll der vorliegende Band ein Beitrag sein, ohne eine breite Gesamtdarstellung beanspruchen zu können oder zu wollen. Dieser Band fasst unterschiedliche Texte zusammen, die bestimmte Aspekte der EU-Frage befassen und einen ersten Überblick zur Analyse der EU, zur Strategie ihrer Überwindung und zur diesbezüglichen Auseinandersetzung in der Linken bieten können. Die umfassende systematische Analyse bleiben die Texte somit in gewisser Hinsicht schuldig, doch ist es auch nicht notwendig, jeden Tag alles aufs Neue zu erfinden – das gilt für das Rad ebenso wie für den Marxismus.
Insofern bleibt die Aufgabe, den Marxismus anzuwenden. In der theoretischen Arbeit wurde dies auf den folgenden Seiten versucht, in der gesellschaftlichen Praxis bleibt dies die historische Aufgabe des Proletariats und seiner Verbündeten. Beides gemeinsam, die dialektische Einheit marxistischer Theorie und Praxis der revolutionären Bewegung, wird es den heute unterdrückten und ausgebeuteten Menschen ermöglichen, nicht nur die EU, sondern auch den Kapitalismus in seiner Gesamtheit zu überwinden und ein neues Kapitel der Menschheitsgeschichte aufzuschlagen – oder vielmehr erst zu schreiben.
Tibor Zenker
Wien, August 2006
Wem nützt die EU?
Mit 1. Januar 2006 übernimmt Österreich zum zweiten Mal die EU-Ratspräsidentschaft. Hinter uns liegt mit diesem Datum auch ein „Gedenkjahr, das mitunter auch das zehnte Jubiläum der EU-Mitgliedschaft beinhalten musste. Gleichzeitig enthüllte im Dezember 2005 eine EU-weite Umfrage, dass in Österreich nur noch 32% der Bevölkerung der Ansicht sind, die EU-Mitgliedschaft sei „eine gute Sache
. Dies bedeutet den niedrigsten Zustimmungswert unter allen 25 Mitgliedsstaaten, zugleich verkehrt dieses nunmehrige Verhältnis das Abstimmungsverhältnis von 1994 geradewegs ins Gegenteil.
Offensichtlich sind also zahlreiche Menschen mit dem Ergebnis der zehnjährigen EU-Mitgliedschaft Österreichs nicht zufrieden, wenngleich auf den ersten Blick nicht immer mit jenen Begründungen, die MarxistInnen gegen das imperialistische Bündnis des europäischen Monopolkapitals ins Treffen führen. Teuerungen, Ausverkauf, Sozialabbau, Arbeitslosigkeit – kurz: die wachsende Unsicherheit der Existenz – sind bedeutende Argumente, die nicht den vorgeschobenen Pseudoantworten der rechten und rechtsextremen Parteien zur chauvinistischen, nationalistischen und rassistischen Propaganda überlassen bleiben dürfen. Wenn die Lebensunsicherheit der Menschen und die Unzufriedenheit durch die EU steigen, wenn der österreichischen Bevölkerung in den letzten zehn Jahren also keine spürbaren Vorteile, sondern eine Flut an Nachteilen erwachsen ist, dann drängt sich zunächst eine simple Frage auf, die es zu beantworten gilt: Wem nützt eigentlich die EU?
Verlierer und Gewinner
Zu jedem Monatswechsel im Jahr 2005 servierten uns die österreichischen Medien neue Höchstwerte bezüglich der Arbeitslosenzahlen, nicht zuletzt bezüglich der Jugendarbeitslosigkeit. Auf selbigem Wege erreichte uns auch ein neuer Höchstwert bezüglich der Anzahl jener Menschen, die in Österreich in Armut oder an der Armutsgrenze leben. Zum Halbjahr und zum Jahresende erreichte uns darüber hinaus der regelmäßig wiederkehrende neue Höchstwert bezüglich der Insolvenzen und Konkurse, dies betrifft Privatpersonen ebenso wie Klein- und Mittelbetriebe. Auch die selbständige Landwirtschaft, als deren Retter die EU 1994/95 propagiert wurde, befindet sich nun erstrecht im täglichen und aussichtslosen Existenzkampf. – Hier also die Verlierer in der österreichischen Gesellschaft. Wo es Verlierer gibt, gibt es freilich auch Gewinner. Auch sie geisterten 2005 durch die Medien: sie heißen Erste Bank, Raiffeisen oder OMV und konnten in diesem Jahr abermals Rekordgewinne verbuchen. Mit diesen Rekordgewinnen gehen große Übernahmen in Osteuropa einher, ebenso der massive Personalabbau vor Ort. Diese Gleichzeitigkeit ist natürlich kein Zufall: Wer sich in Osteuropa ehemaliges Volkseigentum unter den Nagel reißen kann, tausende Beschäftigte auf die Straße setzt und die Arbeitsbedingungen und Löhne der übrigen Beschäftigten nach unten nivelliert, wird auf der Habenseite einen satten Gewinn einfahren. Im selben Handstreich werden die ArbeitnehmerInnen der westlichen Industriestaaten gegen jene Osteuropas ausgespielt – und umgekehrt (und genau darauf basieren auch die falsche und verlogene EU-Kritik und die „antikapitalistische" Demagogie in der Rhetorik der rechten und rechtsextremen, der neofaschistischen Parteien). Als Resultat werden die Großunternehmen noch größer, die kleineren werden geschluckt oder ruiniert, die Lage der Werktätigen wird finanziell und sozial bedrückt, die Arbeitslosigkeit steigt: die besitzenden Reichen werden noch reicher, die eigentumslosen Armen ärmer. Man bezeichnet derartiges landläufig als Kapitalismus.
Die EU als Vehikel des imperialistischen Kapitalismus
Für manche mag es eine Überraschung sein, doch es ist kein Wunder, dass die Profiteure und Gewinner des transnationalen EU-Kapitalismus die Konzerne, die Banken und Versicherungen sind. Der Charakter der EU als imperialistisches Bündnis, das den Akkumulationsbedürfnissen, ja schlichtweg der Profitmaximierung des europäischen Monopolkapitals zu dienen hat, wird augenscheinlich. Wo der Profit auf der einen Seite maximiert werden muss, muss am anderen Pol der Gesellschaft als Tendenz die soziale Unsicherheit steigen, denn Geld hat nun mal nicht die Eigenschaft, sich jungfräulich zu vermehren. Wann und wo immer ein neuer Rekordgewinn eines Konzerns medial verkündet wird, sind Massenentlassungen, Standortschließungen, gesteigerte Arbeitsintensität bzw. Lohnkürzungen als komplementär mitzudenken – auch wenn es Herr Ackermann von der Deutschen Bank AG nicht gerade in ein und derselben Pressekonferenz schamlos ausplaudert. „Geht’s der Wirtschaft gut, dann…" – ja, dann geht’s dem Großkapital gut. Und sonst niemandem. Das ist die Wirklichkeit und Wahrheit des imperialistischen Kapitalismus, dessen Vehikel die EU ist. – Und wie dies alles funktioniert, möge uns die oben erwähnte Erste Bank der österreichischen Sparkassen AG exemplarisch verdeutlichen…
Am Beispiel „Erste Bank"…
Die Erste Bank konnte seit der EU-Mitgliedschaft Österreichs durch eine ganze Reihe von Übernahmen in Mittel- und Osteuropa hier zu einem der bedeutendsten Kreditinstitute aufsteigen. Zunächst erwarb sie 1997 einen Anteil von 83,66% an der ungarischen „Mezöbank, die 1998 als „Erste Bank Hungary
voll integriert wurde. Im Jahr 2000 übernahm sie 52,07% an der staatlichen tschechischen „Ceska sporitelna, mittlerweile wurde der Anteil auf 97,9% aufgestockt. Selbiges gilt für die staatliche slowakische „Slovenska sporitelna
, bei der die 2001 übernommenen 67,19% mittlerweile auf 80,01% aufgestockt wurden. In Kroatien fusionierte die Erste Bank ihre drei übernommenen Institute („Bjelovarska banka, „Cakovecka banka
und „Trgovacka banka) zum Tochterunternehmen „Erste und Steiermärkischen Bank d.d.
, an der direkt 40% gehalten werden, weitere 40% durch die Steiermärkische Bank und Sparkassen. In Kroatien verfügt die Erste Bank darüber hinaus seit 2002 über eine 85%-Mehrheit an der „Rijecka banka. Im Jahr 2003 konnte die Erste Bank sich schließlich im Bieterverfahren um die staatliche ungarische „Postabank
durchsetzen: 400 Millionen Euro Kaufpreis bedeuteten damals die größte Investition in der Geschichte der Erste Bank, dafür konnten aber die scheinbar mächtigeren Konkurrenten Bank Austria-Creditanstalt (HVB) und GE Capital (das ist der Finanzbereich des US-Konzerns „General Electric) überboten und in Ungarn bezüglich Marktanteil Platz zwei erreicht werden. Was damals zu erwarten war, ist inzwischen Realität: die beiden ungarischen Institute der Erste Bank werden fusioniert, die „Synergieeffekte
für die Wiener Zentrale kosteten gerade rechtzeitig zum EU-Anschluss Ungarns rund 1.000 ungarische Beschäftigte den Arbeitsplatz.
Die Erste Bank wurde damit zunächst bereits 2003/2004 einer der führenden Finanzkonzerne in Mittel- und Osteuropa. Sie hatte mit Jahresende 2003 über 10 Millionen Kunden (1997: 600.000), fast 1.400 Auslandsfilialen, einen Börsenwert von rund 6 Milliarden Euro, eine Bilanzsumme von etwa 130 Milliarden und einen Konzernüberschuss für das Geschäftsjahr 2003 nach Steuern und Fremdanteilen von 353,3 Millionen Euro (gegenüber 2002: +98,1 Millionen, also +38,4%). Das bedeutete, dass seit dem Funktionsbeginn von Vorstandsvorsitzendem Andreas Treichl und dem Beginn der Abfolge transnationaler Übernahmen (1997) der Gewinn der Erste Bank verzehnfacht wurde.
So weit die Erste Bank vor der letzten großen Übernahme im Dezember 2005. Da wurde bekannt, dass