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Karfreitag: Kommissar Bauer und die Frauen
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Karfreitag: Kommissar Bauer und die Frauen
Ebook254 pages5 hours

Karfreitag: Kommissar Bauer und die Frauen

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About this ebook

Helmut Bauer, Kriminalhauptkommissar der Münchner Polizei, ermittelt in einem mysteriösen Fall. Pierluigi Cantoni, ein italienischer Kellner und Gelegenheitsstricher, wird im Englischen Garten, gefesselt und mit einer Tüte über dem Kopf, tot aufgefunden. Die Obduktion ergibt, dass er nicht erstickt, sondern ertrunken ist.Das Münchener Schlachthofviertel mit seinen eigenwilligen und einfachen Menschen bildet die Kulisse für Bauers Ermittlungen, aber auch für sein Leben, das er größtenteils in diesem Viertel verbrachte.Der Kommissar selbst ist Opfer dieses Milieus. Er trinkt zuviel, isst zuviel und die Liebe zu Frauen erlebt er nur in Zweckbeziehungen.\\\"Karfreitag\\\" ist ein bayerischer Kriminalroman, der nicht nur an der Oberfläche des Kommissars kratzt, sondern sein Innerstes, sein Empfinden und seine Sichtweisen zeigt - manchmal ernst, manchmal kauzig. Bauer ist ein Mensch, den man hassen, aber auch lieben muss.
LanguageDeutsch
PublisherEurokomm
Release dateMay 13, 2013
ISBN9783000388712
Karfreitag: Kommissar Bauer und die Frauen

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    Karfreitag - Wolfgang Schuldlos

    Karfreitag

    Karfreitag

    Bauer sitzt an einem dunklen Holztisch, vor sich ein Glas, das die Spuren von Bierschaum trägt. Bauer ist zufrieden mit diesem Tag. Die Stoppeln des Dreitagebartes schimmern grau und ein Mundwinkel ist leicht zur Seite gezogen, sodass ein leichtes Grinsen sein Gesicht umspielt.

    Bauer grinst immer leicht, wenn er zwei Halbe Bier getrunken hat. Dann steigt in ihm dieses wohlige Gefühl nach oben. Aus der Magengegend entspannt sich der mächtige Körper und die scheinbare Unbill des Alltags weicht.

    Das Wirtshaus, mit schwarzem Holz getäfelt, die Tische schlicht und dunkel, tut ihm gut.

    Bauer hat sich zurückgelehnt an die Holztäfelung. Rechts neben ihm hängt sein dunkler Mantel, darüber der grüne Filzhut, den er seit seinem sechzehnten Lebensjahr besitzt.

    Nun ist er 47, unverheiratet und ohne Kinder. Helmut Bauer - ein Kind des Münchener Schlachthofviertels, oder, wenn man es etwas genauer nimmt, ein Kind von Theresia Bauer, einer Wirtshausbedienung, die aus Niederbayern nach München kam, um anständiges Geld zu verdienen.

    Helmut kam als Bastard zur Welt und hat seinen Vater nie kennen gelernt. Wahrscheinlich, so vermutet Bauer, war es ein Viehhändler oder ein Lohnmetzger, der nach dem Wirtshausbesuch schnell etwas mit der feschen Bedienung hatte, aber ebenso schnell wieder verschwand. Vielleicht war er sogar Landsmann von Theresia gewesen und hatte damit ihre Zuneigung erworben.

    Heute will Bauer dies alles nicht mehr wissen. Seine Mutter ist vor etwas mehr als zwei Jahren gestorben. Man fand sie tot in ihrer Zwei-Zimmer-Wohnung liegend. Herzinfarkt stellte man als Todesursache fest. Allein sterben ist grausam, meint Bauer.

    Nach der Beerdigung hat er ihre Wohnung übernommen und wohnt nun wieder in seinem Viertel, dem Schlachthofviertel. Hier ist man nicht reich, sondern arbeitsam, fleißig und bodenständig.

    Ein Viertel, in das man nicht zieht, weil es schick ist, sondern weil man so ist, wie die Menschen, die diesem Viertel die Prägung geben.

    Hier wohnt der Tod, meint man gemeinhin - vieltausendfach sogar! Jeden Tag werden die Tiere in den Schlachthof gekarrt, um dort ihr Leben zu lassen. In den wartenden Lastwagen sind die ängstlichen Schreie zu hören, die das lebende Fleisch von sich gibt. Minuten später zerteilen eisenbehandschuhte Hände mit Messern die Kreaturen.

    Bauer ist ein Kind des Viertels. Er kann bei diesen Gedanken nichts empfinden. Für ihn ist hier der Magen dieser Stadt, der Schlachthof, und nebenan der Großmarkt. Nein, hier wohnt nicht der Tod - hier entsteht das Leben! Was wäre das Leben ohne Schweinebraten oder saures Lüngerl, fragt sich Bauer.

    „Noch eine Halbe, Maria!", ruft er der vorbeihuschenden Bedienung hinterher. Die nickt nur stumm.

    Hier wird nicht viel geredet, sondern der Konsens besteht im Sein. Man ist so, wie man ist, in diesem Viertel. Da genügt es nicht, viele Worte zu machen. Hier ist nicht Schwabing oder Bogenhausen, wo man seine eigene Bedeutung durch bedeutungsschwangere Sätze manifestieren muss.

    Überhaupt, so meint Bauer, besteht der Sinn des Lebens nicht darin, sich wichtig zu fühlen. So ein Schmarrn, findet er.

    „Dein Bier!"

    Die Bedienung stellt das volle Bierglas vor Bauer ab und räumt das leere Glas und einen leeren Teller mit Besteck ab. Sie hat Bauer aus seinen Gedanken gerissen. Er nimmt das Glas und setzt es an seine Lippen. Der Schaum verschwindet nach und nach, und das Bier strömt langsam in seinen Mund.

    Es ist halb zwei, er hat seinen Schweinebraten gegessen und sitzt nun vor seinem dritten Bier. Manchmal muss das so sein, findet Bauer. Im Präsidium wird man ihn schon nicht vermissen. Was soll die Hektik? Er hat bisher jeden seiner Fälle gelöst und das gibt ihm das Recht, so zu sein, wie er ist. So, wie dieses Viertel ist!

    „Zahlen!", ruft Bauer der Bedienung zu.

    „Wie viel Brezen?"

    „Eine" entgegnet Bauer.

    Er hat die dritte Halbe Bier geleert und muss sich auf den Weg machen. Bauer steht auf, zieht seinen Mantel an und setzt seinen Filzhut auf. Er weiß, der Stoppelbart und die vernickelte runde Brille lassen ihn eher aussehen wie einen Viehhändler und nicht wie einen Kriminalhauptkommissar der bayerischen Polizei, Dezernat Mordfälle. Ihm ist das egal.

    „Warum Mordfälle?", haben ihn Bekannte gefragt. Er kann darauf nur antworten, dass Mord ein Geschäft sein kann – so, wie im Schlachthof.

    Bauer gilt unter seinen Kollegen als kauziger Sonderling, kein Karriererist, aber ungemein erfolgreich, wenn es um das Enträtseln der menschlichen Psyche geht. Er ist wahrlich nicht feinfühlig, nein, eher das Gegenteil. Und er versteht es, den Menschen zu reduzieren, ihm die Verkleidung zu nehmen. Das ist sein wahres Erfolgsgeheimnis - man kann ihm nichts vorspielen. Täter werden unruhig in seinem Beisein. Ein langer, ruhiger Blick, eine vermeintliche Wortlosigkeit und das Reduzierte, was auch das Wissende sein könnte, ist sein Vorteil.

    Nach mehr als 25 Dienstjahren erlaubt sich Bauer keine Hektik mehr. Warum auch? Dies liegt auch nicht in seinem bayerischen Gemüt. Bei seinem ersten Mordfall war das anders. Er kann sich noch gut an den jungen Mann erinnern, den er schließlich als den Mörder seiner eigenen Mutter enttarnte.

    Nervös hatte er die Vernehmungen geführt und ungeduldig die Verdächtigen mit einer Kanonade von Fragen beschossen, anstatt sie einfach reden zu lassen. Damals setzte sich Bauer selbst immens unter Druck. Heute würde er sagen: „Ja mei, ich wollt‘ halt was werden!". Seine eigene Karriere stand im Vordergrund und nicht die Genugtuung darüber, einen Mörder überführt zu haben. Heute muss er lächeln, wenn ihm die alten Zeiten durch den Kopf gehen. Seine damalige Unerfahrenheit ist ihm nicht peinlich, sie belustigt ihn eher.

    Nach etwa zehn Minuten ist Bauer am Präsidium angekommen.

    „Servus, Ferdl", entwindet er seinen rauen Lippen, als er den Pförtner passiert. Langsam steigt er Stufe für Stufe nach oben in den ersten Stock. Natürlich könnte er auch den Fahrstuhl nehmen, aber er hat keine Lust auf ein Gespräch mit irgendeinem Kollegen, dem er sicherlich dort begegnen würde. Nein, dann schon lieber Treppensteigen. Oben angekommen, blickt er den Gang entlang, in dem sein Büro liegt. Niemand ist zu sehen. Gut, schweigt er in sich hinein. Schließlich erreicht er sein Büro, hängt Mantel und Hut auf und setzt sich an den Schreibtisch. Ungeordnet liegen dort unzählige Zettel und Akten. Bauer blickt auf die schwarze Oberfläche seines PC-Monitors. Natürlich erleichtert die Technik die Fahndung, aber entscheidend bleibt der Mensch, findet Bauer. Er lehnt sich zurück und starrt sinnierend weiter auf die glänzende Fläche. Seine Stimmung ist schweigsam melancholisch.

    Schließlich reißt ihn Franz Kreuzpeintner aus seinen Gedanken. Der 37-jährige Kriminalkommissar ist einer der wenigen Kollegen, für die Bauer eine gewisse Sympathie empfindet. Die drückt sich aber nicht in Herzlichkeit aus, sondern in einer Form von Nichtmissachtung. Viele seiner Kollegen halten ihn für einen eigenartigen Menschen; manche sogar für ein ausgemachtes Arschloch, was Bauer in keinster Weise stört, sondern eher noch beflügelt, seine Eigenbrötlerei weiter auszubauen.

    „Also, der Chef hat mir gerade gesagt, dass wir beide beim nächsten Fall zusammenarbeiten sollen. Ich weiß nicht, ob dir das recht ist, aber ich würd‘ schon gern", meint Kreuzpeintner an Bauer gewandt.

    „Mal schau’n", entgegnet ihm Bauer und starrt Kreuzpeintner dabei mit zusammengekniffenem Gesicht an.

    Er findet diese Pärchenbildung bei der Ermittlungsarbeit lächerlich. Ein Ermittlungspartner erscheint ihm eher als Klotz am Bein. Du musst jeden deiner Schritte erklären und möglicherweise auch noch auf Richtigkeit diskutieren. Es ist ihm schlicht zuwider.

    Kreuzpeintner kennt Bauers sparsame Art zu antworten. Er weiß, dass er jetzt nichts zu entgegnen braucht. Schließlich murmelt er im Umdrehen:

    „Na dann."

    Bauer schrickt auf. Sein Mobiltelefon, das er kurz vor dem Einschlafen auf sein Nachtkästchen gelegt hatte, läutet. Er ist schlaftrunken und der Rausch, den er nach den sechs Weißbieren am Abend hatte, ist auch noch spürbar.

    „Hallo, Bauer", murmelt er mürrisch in das Gerät.

    „Hallo Herr Bauer, tut mir Leid, dass ich sie wecken muss, aber wir haben einen Leichenfund im Englischen Garten", erklärt ihm die Stimme am anderen Ende der Leitung.

    „Wo genau?", will Bauer wissen.

    Nachdem er den genauen Fundort beschrieben bekommen hat, zieht er langsam Socken, Hemd und Hose an und macht sich auf den Weg zur Haustür.

    „Zefix, immer in der Nacht", brummt er, während er den Mantel anzieht.

    Im Auto, auf dem Weg zum Fundort der Leiche, fällt ihm das Gespräch mit Kreuzpeintner wieder ein und er fragt sich, ob er diesen Fall im Duett lösen muss. Ja, er denkt „lösen". Es gibt für ihn keine Alternativen! Der Gedanke, dass er einen Fall bearbeitet, aber keinen Mörder finden kann, ist für ihn absurd. Noch nie war dies bis jetzt der Fall, denn immer hat ihn sein Gespür untrüglich zum Mörder geführt.

    Er hat nun den Englischen Garten erreicht und steuert den Wagen zum beschriebenen Fundort. Die Kollegen von der Spurensicherung untersuchen die nähere Umgebung im Scheinwerferlicht. Bauer steigt aus dem Fahrzeug aus und geht einige Meter auf einen Körper zu, der ausgestreckt auf dem Boden liegt. Er betrachtet die Person mit einem langsam abtastenden Blick. Die Hände sind hinter dem Rücken mit einem Seil zusammengebunden. Die Füße sind ebenfalls gefesselt.

    Über den Kopf ist eine Plastiktüte gezogen, die um den Hals herum mit einer Schnur fixiert ist.

    „Da sieht man mal wieder, dass der Aldi recht robuste Plastiktüten hat", hört Bauer eine Stimme in seinem Rücken.

    Er dreht sich um und erkennt Kreuzpeintner, der etwa einen Meter hinter ihm steht.

    „Was machst du denn da?", fragt ihn Bauer knorrig.

    „Ist schon gut, brauchst nichts sagen", fährt er fort, bevor Kreuzpeintner antworten kann.

    „Habt‘s schon was gefunden?", will Bauer von einen vorbeihuschenden Kollegen der Spurensicherung wissen.

    „Nein, gar nichts, bis jetzt."

    „Was meinst du, Helli? Der Mord ist doch nicht hier passiert?", fragt Kreuzpeintner.

    Bauer überlegt kurz, ob er jetzt schon damit beginnen muss, den Fall zu diskutieren und zudem über so etwas Eindeutiges zu reden, wie das, was Kreuzpeintner als Erkenntnis ausdrückt. Aber gut, er mag seinen Kollegen, also gibt er ihm eine Antwort:

    „So isses."

    Mehr muss nicht sein, findet Bauer.

    Am nächsten Morgen wartet Kreuzpeintner bereits in Bauers Büro, als dieser eintrifft.

    „Pathologie, Helli", bemerkt Kreuzpeintner.

    „Wann?", fragt Bauer zurück.

    „Jetzt gleich!"

    In der Pathologie angekommen, begeben sich die beiden Kommissare in einen der gekachelten Säle, in denen die Leichen seziert werden und Dr. Brandl den Geheimnissen der toten Körper auf die Spur kommt.

    „Habe die Ehre, meine Herren", begrüßt sie Brandl.

    „Na, samma heut‘ einer mehr, als sonst, Helli", meint Brandl lächelnd zu Bauer.

    Der verzieht nur einen Mundwinkel zu einem sauren Grinsen.

    „Also, fährt Brandl fort. „Der Tod ist gestern so gegen 20 Uhr eingetreten. Es ist also sehr wahrscheinlich, dass der Mord nicht im Englischen Garten passiert ist. Außerdem, und jetzt kommt’s, ist der Tod nicht durch Ersticken eingetreten, sondern durch Ertrinken. Ich habe Wasser in seinen Lungenflügeln gefunden, was eindeutig auch die Todesursache darstellt. Ich konnte keine Form von grober Gewaltanwendung feststellen, sodass hier kein Zweifel besteht.

    „Sonst noch irgendwas Besonderes?", fragt Bauer.

    „Na ja, es steht zwar nicht in Zusammenhang mit dem Verbrechen, aber der Tote hatte, für einen Mann sehr ungewöhnlich, ein Zungenpiercing", bemerkt Brandl. Kreuzpeintner schaut Bauer neckisch an.

    „Das wär‘ doch auch was für dich, Helli! Vielleicht hätt‘st damit endlich mal ein bisserl mehr Glück bei den Frauen!"

    „Depp! Wir gehen. Servus Hans", bemerkt Bauer knapp und bewegt sich Richtung Ausgang.

    Im Auto, Bauer fährt und Kreuzpeintner sitzt neben ihm, ergibt sich tatsächlich ein Gespräch zwischen den Beiden.

    „Hast‘ Hunger, Franz?"

    „Ja, natürlich. Ich hab‘ heut‘ Morgen nur kurz ein Tasserl Kaffee g‘habt. Die Nacht war ja eh so kurz."

    „Dann lass‘ uns doch schnell auf ein paar Weißwürscht gehen!"

    „Gute Idee, Helli! Sag‘ mal, hast du eine Idee, wie wir jetzt weitermachen?"

    „In so einem Fall ist es besser, noch nicht zu viel zu denken. Erst die Weißwürscht, dann die Leich‘."

    Bauer steuert den Wagen ins Schlachthofviertel. Hier kennt er alle Kneipen und Wirtschaften. Weißwürscht nur beim Neuner, würde seine Antwort lauten, wenn man ihn nach den besten Weißwürsten der Stadt fragen würde. Sie betreten die Wirtsstube.

    „Servus, Helli, schmeißt ihm eine Bedienung kurz entgegen. „Servus, Kathi!

    Die Wirtsstube ist gut gefüllt und Bauer steuert einen Tisch an, an dem bereits vier Männer sitzen.

    „Dürf‘ma uns dazusetzen?", fragt Bauer in die Runde.

    „Hockts euch hi", kommt es knapp zurück. Eine Bedienung erscheint und stellt einen Korb Brezen auf den Tisch.

    „Trinken?", ist die Aufforderung der Bedienung, die Getränke zu nennen.

    „Ein Weißbier und viere", entgegnet Bauer knapp.

    Kreuzpeintner stutzt kurz und fügt an:

    „Ein Weißbier und drei."

    Die Bedienung entgegnet ein kurzes „Danke!" und eilt davon. Bauer nimmt sich eine Breze, zerreißt sie in zwei Teile und beißt ein Stück davon ab. Kreuzpeintner tut es ihm gleich. Bevor beide ein Wort wechseln, kommt die Bedienung und stellt zwei Weißbiere auf den Tisch. Kreuzpeintner und Bauer heben die Gläser, stoßen an und nehmen einen kräftigen Zug. Nachdem sie die Gläser wieder abgestellt haben, sagt Bauer:

    „Schau dich hier mal um. Jeder Tisch ist voll und das um halb elf. Das ist bayerisches Lebensgefühl! Was immer behauptet wird; dieses Lebensgefühl ist nicht tot, sondern es lebt. Und es lebt besonders hier, in diesem Viertel!"

    „Du magst das ganz besonders, dieses Lebensgefühl", murmelt Kreuzpeintner.

    „Ja, das bestimmt auch mein Leben", antwortet Bauer.

    „Aber glaubst du nicht, dass das alles allmählich antiquiert ist? Globalisierung und so weiter", will Kreuzpeintner wissen.

    „Ein Schmarrn! Was hams denn alle von ihrer Globalisierung? Hektik, Stress, Herzinfarkt und Burn-out", murrt Bauer.

    Bauer hat einen weiteren großen Schluck von seinem Weißbier genommen und fährt fort:

    „Irgendwann im Leben kommt der Zeitpunkt, da muss man ehrlich zu sich sein. Man muss wissen, was einem gut tut und was schlecht ist. Man muss sich entscheiden. Ich habe mich entschieden. Ich gehöre hierher und lebe im Rhythmus dieses Viertels. Hier bestimmt der Schlachthof den Rhythmus und ihm folgen die Menschen hier. Prost!"

    „Also ich weiß nicht, das ist schon eine sehr einfache Sicht", zweifelt Kreuzpeintner.

    Er wird durch die Bedienung unterbrochen. Sie stellt eine große Porzellanschale, mit den Weißwürsten in heißem Wasser, auf den Tisch. Dann folgt je ein Teller für Bauer und für Kreuzpeintner.

    „An Guadn", wünscht die Bedienung den beiden Männern, bevor sie sich umdreht und geht.

    „Danke dir, Kathi", ruft ihr Bauer nach und angelt sich mit seiner Gabel eine Wurst aus dem Gefäß. Kreuzpeintner tut es ihm gleich. Bauer hat bereits einen großen Klecks Süßen Senf auf seinem Teller platziert und tunkt nun die Wurst in den Senf. Dann beginnt er, an der Wurst zu zutzeln. Kreuzpeintner schneidet die Haut der Wurst auf und zieht sie ab. Danach fängt er an mit Messer und Gabel die Wurst zu zerteilen und schiebt sich ein Stück in den Mund.

    „Schau Franz, das ist Leben", bemerkt Bauer.

    Prostet Kreuzpeintner zu und bestellt sich das nächste Bier.

    Zurück im Präsidium gehen die beiden Männer direkt in Bauers Büro. Auf dessen Schreibtisch liegt ein DIN A4-Umschlag. Bauer öffnet ihn.

    „Das sind die Ergebnisse vom Erkennungsdienst", erklärt Bauer seinem Kollegen.

    „Es handelt sich um einen gewissen Pierluigi Cantoni. Er war Kellner bei Beppo & Bippo am Gotzinger Platz, in der Nähe der Großmarkthalle.

    32 Jahre alt. Keine Vorstrafen. Er hat in der Zenettistraße gewohnt und ist unverheiratet."

    „Ein unbeschriebenes Blatt also?", fragt Kreuzpeintner.

    „Ja, scheint so. Wer bringt denn einen Kellner aus Sendling um und legt ihn dann in den Englischen Garten, damit man ihn ja findet? Merkwürdig."

    Sie halten mit ihrem Wagen vor dem italienischen Lokal. Bauer betritt als Erster das Restaurant. Es ist 13.30 Uhr und auslaufendes Mittagsgeschäft. Die Hälfte der Tische ist noch gefüllt. Hier beginnt das Leben früh am Morgen. Bereits vor 6 Uhr öffnen zahlreiche Bistros, Gasthäuser und Kneipen, um die hungrigen Mägen der Metzger und Gemüsehändler zu füllen.

    Das Mittagsgeschäft ist für viele dann schon die Zeit kurz vor Feierabend. Auch bei Beppo & Bippo ist es so. Bauer erkundigt sich bei einem der Kellner nach dessen Chef. Dieser deutet auf einen Mann, um die 50, der hinter dem Tresen Getränke vorbereitet.

    „Grüß Gott, Herr Kolfani! Bauer mein Name, von der Kripo München. Das hier ist mein Kollege Kreuzpeintner."

    „Buongiorno, Signore Kommissare", entgegnet der Angesprochene und schüttelt Bauer die Hand.

    „Sie kommen sicher wegen Pierluigi? Sehr, sehr tragisch, diese Sache. Wissen sie, er war einer meiner besten Angestellten. Zuverlässig und schnell."

    „Wann haben sie ihn denn das letzte Mal gesehen?", will Bauer von dem Italiener wissen.

    „Letzte Woche, Sonntag. Das war seine letzte Schicht, Signore Kommisare. Die Woche darauf hatte er frei genommen."

    „Herr Kolfani, ist ihnen in der letzten Zeit irgendwas an Herrn Cantoni komisch oder anders vorgekommen? War er irgendwann mal bedrückt oder besorgt", fragt Bauer den Lokalbesitzer.

    „No, nonono. Er war immer fröhlich. Immer hilfsbereit und nett. Nix merkwürdig", verneint Kolfani.

    „Hatte Herr Cantoni Freunde, die sie kennen", wirft Kreuzpeintner ein.

    „No, keine Ahnung, welche Freunde er hatte. Er war hier, um zu arbeiten und mehr nicht."

    Bauer und Kreuzpeintner blicken sich gegenseitig an. Hier kommen sie offenbar nicht weiter.

    „Ja, dann vielen Dank, Herr Kolfani. Wir haben fürs Erste keine Fragen mehr."

    Bei diesem Satz schüttelt Bauer dem Italiener die Hand, dreht sich schweigend um und geht. Kreuzpeintner folgt ihm.

    Als sie wieder im Wagen sitzen, murmelt Bauer:

    „Der braucht mir nicht erzählen, dass er Cantoni nicht privat gekannt hat. Die Italiener, insbesondere hier im Viertel, sind alle miteinander vernetzt. Der kann einen anderen für blöd verkaufen."

    Nach Dienstschluss hat Bauer keine Lust, sofort in seine leere Wohnung zu fahren. Außerdem hat er noch Hunger. Er stellt seinen Wagen in der Nähe seiner Wohnung ab und geht zu Fuß zu einem kleinen, italienischen Bistro in unmittelbarer Nähe des Schlachthofs.

    „Servus, Gino", begrüßt er den Wirt, der sofort auf ihn zukommt.

    „Hallo Helli, wie geht‘s? Schon lange nicht mehr da gewesen!"

    Bauer setzt sich an einen Tisch und entgegnet Gino:

    „A mei, manchmal passt‘s und manchmal nicht. Bring mir doch erstmal einen Chianti."

    Der Wirt flitzt los, um den Chianti zu holen. Einige Minuten später kehrt er mit einem großen Weinglas und einer

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