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Die Nonne und der Derwisch: Liebe - ein Gebet eint alle Religionen
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Ebook199 pages3 hours

Die Nonne und der Derwisch: Liebe - ein Gebet eint alle Religionen

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About this ebook

Wer sich auf den Pilgerweg der liebenden Mystikerin Mechthild von Magdeburg und dem liebenden Sufi-Poet Rumi macht, wird staunen wie erotisch diese beiden Liebesmystiker dichteten.

Eine Gebetsschule für heute, inspiriert durch die uralten Weisheit zweier großer Seelen.
LanguageDeutsch
Release dateApr 22, 2016
ISBN9783958496248
Die Nonne und der Derwisch: Liebe - ein Gebet eint alle Religionen

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    Die Nonne und der Derwisch - Christoph Quarch

    Einstimmung

    Eine Fantasie

    Nur Liebe, nur Liebe –

    wir haben sonst kein Werk.

    (Rumi, Diwan 1475)

    Den 30. September 1207 stelle ich mir als einen trockenen und staubigen Tag vor. Von einem langen und heißen Sommer verdorrt, liegen die Felder und Weiden des afghanischen Zentralmassives müde im Schatten der Berge, deren Gipfel zart mit erstem Schnee bedeckt sind. Ein kühler Wind weht von Nordwest und kündet vom nahenden Herbst. Die Schatten der spielenden Kinder im Hof werden schon länger, da wird in einem Bürgerhaus der Stadt Balch ein Kind geboren: ein Junge, den sein Vater, der hoch angesehene Theologe Baha’eddin Walad, auf den Namen Dschelaleddin tauft und der als Mann den Ehrentitel Mevlana, unser Herr, tragen wird. Berühmt aber sollte das Neugeborene unter einem anderen Namen werden: Rumi – einer der im Lande Rum, in Zentralanatolien, lebt: dort, wo Mevlana Dschelaleddin Rumi die meisten Jahre seines Lebens verbrachte.

    In den kargen und menschenleeren Weiten der Mittelmark im heutigen Sachsen-Anhalt denke ich mir den 30. September 1207 als einen stürmischen Tag. Schon am Morgen ziehen Regenschauer über die Heidelandschaft, und der Nordwind rüttelt an Fenstern und Türen, so dass im Herrenhaus der Burg die Kohlebecken entzündet werden. Große Aufregung herrscht in den Privatgemächern der Edlen, denn die Herrin wird am Mittag mit einer Tochter niederkommen: Mechthild soll sie heißen – und sie erblickt im selben Augenblick das Licht der Welt, da im afghanischen Balch der kleine Dschelaleddin den ersten Schrei ausstößt. Im Himmel stimmen die Chöre der Engel einen Jubelgesang an, und – was man lange nicht gesehen – ein Lächeln leuchtet hell wie die Sonne auf dem Antlitz Gottes. Denn ihm sind heute zwei Liebende geboren: zwei Menschenseelen, die wie wenige vor und noch wenigere nach ihnen ihr Herz und ihre Seele der Liebe selbst verschrieben haben – der Liebe, die Gott ist.

    Achtsam hatte Gott diese Seelen ausgewählt. Sie waren sich schon einmal begegnet, ein Menschenalter zuvor in der heiligen Stadt Jerusalem: sie, die Tochter eines persischen Kaufmanns, er der Sohn eines fränkischen Ritters, der dem Heer der christlichen Kreuzfahrer angehörte. Die beiden sahen und liebten sich, doch ihre Liebe durfte nicht leben. Ein Christ und eine Muslima konnten unmöglich zusammenkommen. Aus Gram stürzte sich der junge Mann in ein todbringendes Gefecht, aus Schmerz erkrankte das Mädchen und starb noch vor ihrer Blüte. Ihre grenzenlose Liebe aber nahmen sie mit ins Grab. Und mit ihr traten sie vor den Thron Gottes, dem das Schicksal der Liebenden zu Herzen ging, weshalb er beschloss, sie erneut auf die Erde zu schicken: nun aber den Jüngling als Frau und das Mädchen als Mann. Und er senkte ihnen die größte und tiefste Liebe ins Herz, zu der Menschen überhaupt nur imstande sind: die allumfassende, grenzenlose Liebe seiner selbst. Dann legte er den Tag ihrer Rückkehr auf die Erde fest: den 31. September 1207. So wurden die Liebenden Gottes geboren: Dschelaleddin Rumi und Mechthild von Magdeburg.

    Zwei Leben

    Nichts als die Liebe lieben und leben wir.

    Die Liebe, nichts als die Liebe, pflanzen wir.

    Trunken, wie trunken von jenem König sind wir.

    Kommt her, kommt her,

    unsere Hände zu Gott strecken wir.

    Was wissen wir, was wir heute Nacht tranken,

    was wissen wir?

    (Rumi, Diwan 1475)

    Achthundert Jahre nach beider Geburt wissen wir nicht viel über das Leben von Rumi und Mechthild. Das heißt: Von Mechthild wissen wir fast nichts, von Rumi etwas mehr. So auch sein Geburtsdatum im September 2007. Dass Mechthild am selben Tag geboren sein könnte, ist äußerst unwahrscheinlich. Selbst das Jahr ihrer Geburt ist nicht sicher verbürgt, doch geht die Mehrheit der Forscher davon aus, dass sie 1207 das Licht der Welt erblickte. Ihre Sprache und ihre Bildwelt, ebenso wie ihr hoher Bildungsstand verraten eine adlige Herkunft und höfische Erziehung. Mechthild kam aus gutem Hause, und umso mutiger – um nicht zu sagen: unerhörter – war es, dass sie im Alter von 23 Jahren ihre Eltern und Verwandten, denen sie, wie sie einmal erwähnt, „stets die Liebste war (IV 2), verlässt, um in der Fremde, in Magdeburg, ein neues Leben als Begine zu beginnen. Sie folgte damit einer Bewegung, die im ausgehenden 12. Jahrhundert in Flandern aufgekommen war und von dort aus ganz Europa eroberte: Spirituell bewegte Frauen schlossen sich zu geistlichen Lebensgemeinschaften zusammen, gaben sich eine Ordensregel und lebten in Askese, Keuschheit und Armut. Meist siedelten sie in den aufblühenden Städten und unterhielten dort mit Hingabe und Leidenschaft geführte Armenhäuser, Hospize und andere Einrichtungen für die Bedürftigen und Elenden. Getragen wurde diese Bewegung von einer tiefen mystischen Spiritualität im Geiste einer radikalen Nachfolge Jesu. Mechthild fühlte sich gewiss auch deshalb zu den Beginen hingezogen, weil sie nach eigenem Zeugnis schon in jungen Jahren eine ihr ganzes Leben durchwirkende spirituelle Erfahrung machte: Mit zwölf Jahren habe sie, als sie allein war, der Heilige Geist „gegrüßt – ein Ereignis, das sich fortan 31 Jahre lang Tag für Tag wiederholt habe (IV, 2)…

    Was dann geschah, wissen wir nicht. Mechthilds spärliche Angaben über ihr Leben im Magdeburg geben lediglich zu erkennen, dass sie vierzig Jahre lang das Leben einer Begine führte. Das asketische Leben ebenso wie ihre lodernde Leidenschaft für Gott ließen sie oft erkranken. Und sie bekennt rückblickend, dass „die gewaltige Macht der Minne – also der Liebe – sie „all meiner Kräfte beraubt habe (IV, 2). Freundschaftlich verbunden war sie zu dieser Zeit ihrem Beichtvater, Heinrich von Halle, einem Dominikaner-Pater, der mit der seelsorgerlichen und geistlichen Aufsicht über die Beginen-Gemeinschaften beauftragt war. Dieser großherzige Mann ermutigte Mechthild um das Jahr 1250, ihre glühende Gottesliebe und die ihr darin zuteil gewordenen Erfahrungen niederzuschreiben. So entstand ihr Buch Das fließende Licht der Gottheit als erstes, volkssprachliches mystisches Werk der deutschen Literatur – und als bis heute bewegendes Zeugnis einer Gottesliebe, deren Leidenschaft zuweilen zwar ins Pathologische zu reichen scheint, die bei Lichte besehen aber immer fest verwurzelt und in einer wohltuenden Weise bodenständig ist.

    Das fließende Licht der Gottheit entstand nicht in einem Zug. Die sieben Bücher der Schrift erschienen nach und nach, sodass sich Themen und Tonfall der ersten von den letzten Büchern fundamental unterscheiden. Es sind vor allem die ersten zwei Bücher, die voll sind von Mechthilds unvergleichlicher erotischer Mystik. Und es waren diese Texte, mit denen sie allem Anschein nach Aufsehen erregte. Wir wissen nicht genau, ob es im allgemeinen die um die Mitte des 13. Jahrhunderts europaweit einsetzende kirchliche Kampagne gegen das Beginentum war oder ihre Schriften im Besonderen: Fest steht, dass Mechthild sich um 1270 herum veranlasst sah, ihr Leben als Begine aufzugeben und um Aufnahme in das kurz zuvor gegründete Zisterzienserinnen-Kloster in Helfta bei Eisleben zu gesuchen. Unter der Leitung der Äbtissin Gertrud von Hackeborn (1250-1291) war Helfta damals eine Hochburg mystischer Frauenspiritualität, in der Mechthild auf zwei junge Nonnen stieß, die später ihr spirituelles Erbe fortführen sollten: Mechthild von Hackeborn und Gertrud, die später „die Große" genannt wurde. In dieser inspirierenden Gemeinschaft verbrachte Mechthild die letzten Jahre ihres Lebens. Nahezu erblindet diktierte sie dort das letzte Buch vom Fließenden Licht der Gottheit, und dort starb sie hochverehrt und allseits geliebt. Wann sie genau diese Welt verließ, bleibt im Dunkeln. Einige Forscher datieren ihr Todesjahr auf 1294, andere auf 1282.

    Rumi wurde nicht so alt. Aber weniger ärmer war sein Leben deswegen nicht. Im Gegenteil: Es war von langen Reisen, verzehrenden Leidenschaften und unermüdlicher Schaffenskraft erfüllt – ein extremes Leben, in dem strenge Askese und ausgelassene Lebenslust zusammengespannt waren. Schon kurz nach seiner Geburt kam erste Unruhe in sein Leben. Er war gerade zwölf Jahre alt (auch hier die zwölf!) als seine Heimat von den anrückenden Heeren des Dschingis Khan bedroht wurde. Weitblickend genug, erkannte sein Vater die drohende Gefahr und verließ 1219 mit seiner Familie und seinen Schülern Balch. Als die Mongolen ein Jahr später Balch dem Erdboden gleich machten, war die Familie längst in Sicherheit. Am Ziel aber war sie noch nicht. Zunächst trat sie die Pilgerreise nach Mekka an, dann blieb Baha’eddin Walad mit den Seinen für längere Zeit Syrien. Zuletzt führte ihr Weg sie in die heutige Türkei, nach Zentralanatolien, in die Stadt Larandra. Dort starb Rumis Mutter, dort heiratete er, und dort wurde im Jahr 1225 sein erster Sohn geboren. Auch Larandra blieb nur ein Durchgangsquartier: 1228 erhielt Rumis Vater einen Ruf an eine Koranschule im nahegelegenen Konya, der Hauptstadt des damaligen Seldschukenreichs – von altersher ein geistiges Zentrum, in dem Ströme des spätantiken Platonismus mit der mystischen Spiritualität des benachbarten Kappadozien und mit dem Islam zusammenflossen. Dies war der richtige Ort für Rumi. Hier entstanden seine Werke, hier ereignete sich die Begegnung mit dem Wanderderwisch Schamseddin i-Tabris, die sein gesamtes Leben von Grund auf verändern sollte.

    Bevor diese schicksalhafte Stunde schlug, hatte Rumi als Koran-Lehrer und Wissenschaftler seinen Vater beerbt, nachdem dieser 1231 verstorben war. In dieser Zeit scheint Rumi ein eher konventioneller Denker gewesen zu sein – hoch gebildet, äußerst belesen und gern konsultiert in allen Fragen des Lebens. Von seiner späteren erotischen Mystik noch keine Spur. Sie trat erst mit Schamseddin in sein Leben – dies aber mit einer solchen Macht, dass selbst Rumis engste Vertraute ihren Meister fortan nicht mehr wiedererkannten. Die Begegnung mit diesem mysteriösen Wanderderwisch ereignete sich im Herbst des Jahres 1244. Rumi war 37 Jahre alt – und er wurde von der ersten Begegnung mit dem älteren Schamseddin mitten ins Herz getroffen. Er entbrannte in Leidenschaft, verbrachte Tage und Nächte mit dem Freund – und erregte damit langsam aber stetig den Unmut mancher Schüler und alten Vertrauten. Es ist nicht klar, wie wir uns den Umgang, den Rumi und Schameseddin pflegten, vorstellen müssen. Die Innigkeit und Leidenschaft der Gedichte und Aufzeichnungen Rumis lassen vermuten, dass es sich um eine handfeste Liebesbeziehung handelte, es gibt aber keine Hinweise auf eine sexuelle Verbindung. Vielmehr scheint Rumi von Anfang an die Erfahrung einer so umfassenden erotischen Liebe gemacht zu haben, dass er durch den Freund hindurch stets die Wirklichkeit und

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