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Unter Kretas Sternen: Liebesroman
Unter Kretas Sternen: Liebesroman
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Unter Kretas Sternen: Liebesroman

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About this ebook

Eleni, deutsche Tierärztin mit griechischen Wurzeln, betreibt auf Kreta eine mobile Tierklinik und besitzt ein wunderschönes Grundstück direkt am Meer, das sie zu einem Tierasyl gemacht hat. In dieses kleine Paradies platzt ein griechischer Hotelier, der Elenis Grundstück kaufen und Luxushotels bauen will. Er beauftragt die auf Kreta lebende deutsche Anwältin Anika, ihm das Grundstück zu beschaffen – mit allen Mitteln. Anika, selbst in einer unglücklichen Beziehung steckend, zerrt Eleni vor Gericht, doch schon bald ist es mit der Professionalität vorbei, denn Anika entwickelt tiefere Gefühle für Eleni, was ihren Beruf und ihre ganze Existenz in Frage stellt ...
LanguageDeutsch
Publisherédition eles
Release dateNov 1, 2016
ISBN9783956091995
Unter Kretas Sternen: Liebesroman

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    Unter Kretas Sternen - Haidee Sirtakis

    Fotolia.com

    1

    »Was für ein Mensch sind Sie bloß?«

    Anika drehte sich mit dem Autoschlüssel in der Hand um und runzelte irritiert die Stirn. »Wie bitte?«

    »Was für ein Mensch sind Sie bloß?«, wiederholte die dunkelhaarige Schönheit vor ihr. Ihre stahlblauen Augen blitzten vor Wut. »Können Sie morgens eigentlich noch in den Spiegel schauen?« Sie machte ein verächtliches Geräusch. »Ja, bestimmt. Sie gehen doch sicher über Leichen.«

    »Frau Patros . . .« Anika schlug absichtlich einen beschwichtigenden Tonfall ein.

    Aber Eleni Patros ließ sich nicht so leicht beschwichtigen. »Wissen Sie überhaupt, was Sie mir da drin angetan haben, in diesem Gerichtssaal? Rechtsanwältin! Pah! Rechtsverdreherin passt wohl besser!«

    »Sie wären besser beraten, wenn Sie sich ebenfalls einen Anwalt genommen hätten oder nehmen würden«, erwiderte Anika reserviert. Es hatte wohl keinen Sinn, sich mit dieser Frau auf ein längeres Gespräch einzulassen.

    »Ich bin aber nicht so reich wie Herr Stolakis. Ich kann mir keinen Anwalt leisten«, fauchte Eleni. »Ich drehe für meine Tiere jeden Euro zehnmal um. Die brauchen das mehr als irgendein Rechtsverdreher wie Sie.« Ihr stahlblauer Blick sprühte Anika eisige Funken entgegen. »Aber eines verspreche ich Ihnen. Ich werde kämpfen . . . für mich, mein Haus und meine Tiere. Und wenn das das Letzte ist, was ich tue!«

    »Das ist Ihr gutes Recht«, entgegnete Anika, öffnete die Autotür und warf ihren Aktenkoffer auf den Beifahrersitz. »Aber ich sage Ihnen gleich: Ihre Aussichten sind schlecht. Sie haben Ihr Grundstück und Haus illegal erworben. Nächstes Jahr wird dort schon ein Hotel stehen, darauf können Sie sich verlassen. Da wird es keinen Platz mehr für Sie und Ihre Tiere geben.« Entschlossen startete sie den Wagen und fuhr eilig davon.

    Auf der Fahrt konnte Anika jedoch nicht so recht abschalten. Eleni Patros’ Worte wollten ihr nicht mehr aus dem Kopf gehen. Wie kam das, und was hatte das zu bedeuten? Sonst konnte sie sich doch immer problemlos dem nächsten Fall widmen, sobald sie den Gerichtssaal verlassen hatte. Aber diese unwiderstehlichen blauen Augen . . . und dieses Temperament. Mist! Als Rechtsanwältin muss dir so etwas egal sein. Was soll das denn, Anika?, ermahnte sie sich innerlich. Solch sentimentales Getue hat hier keinen Platz. Reiß dich endlich zusammen!

    Sie hatte schon mehrmals mit Frau Patros, zusammen mit ihrem Mandanten Alexandros Stolakis, vor Gericht gestanden. Eleni hatte einen enormen Kampfgeist. Das war Anika nicht entgangen. Aber dennoch spürte Anika, dass Eleni langsam die Argumente ausgingen.

    Sie schüttelte über sich selbst den Kopf. Ja, es war hart, wenn man ein Tierasyl betrieb und dann von dort vertrieben wurde. Aber was sollte sie, Anika, da schon tun? Hätte sie Alexandros Stolakis nicht als Mandanten angenommen, hätte es ein anderer getan. Außerdem hatte Stolakis ihr ja auch geholfen, dass sie hier auf Kreta überhaupt richtig praktizieren und vor allem vor Gericht auftreten konnte. Er hatte ihr damals eine hiesige Rechtsanwaltskanzlei vermittelt, sonst würde sie jetzt wahrscheinlich immer noch mit der griechischen Bürokratie um eine entsprechende Zulassung beim Bezirksgericht kämpfen.

    Diese Eleni hatte echt schlechte Karten, sie konnte einem wirklich leidtun. Mit Tierliebe allein gewann man nun mal keine Prozesse, vor allem nicht auf einer griechischen Insel, wo das Wohlergehen von Tieren leider oft keinen so hohen Stellenwert hatte.

    Ihr Blick fiel auf die Uhr am Armaturenbrett. Oh, jetzt musste sie sich aber beeilen. Sina, ihre Freundin, würde sowieso schon sauer sein, weil sie so spät nach Hause kam.

    Als Anika in die Einfahrt fuhr, hörte sie ihren Hund Joya schon freudig bellen. Joya wollte immer als erstes begrüßt werden und Anika bedauerte es sehr, dass sie manchmal einfach nicht genug Zeit für ihren geliebten Vierbeiner hatte. Auch dieses Mal musste die Begrüßung eher kurz ausfallen, Anika wollte Sina nicht noch einen zusätzlichen Grund geben, auf sie sauer zu sein.

    »Wo warst du so lange?«, beschwerte sich Sina denn auch lautstark, als Anika endlich eintraf. »Ich will noch an den Strand«, fuhr sie in mürrischem Ton fort.

    Anika atmete tief durch und seufzte innerlich. »Eine Gerichtsverhandlung dauert nun einmal so lange, wie sie dauert. Da kann ich nicht einfach mitten in der Verhandlung davonspazieren. Schließlich muss ich doch unseren Lebensunterhalt verdienen.« Mit einem besänftigenden Blick schaute sie Sina an. »Bitte . . . lass uns nicht streiten«, sagte sie und ging lächelnd auf Sina zu, streichelte ihr über die Wange und küsste sie zärtlich auf den Mund.

    Sina stampfte trotzig auf den Boden und kniff ärgerlich die Augen zusammen. »Du vernachlässigst mich. So könnte ich noch auf dumme Gedanken kommen«, meinte sie in schnippischem Tonfall und blickte beleidigt an Anika vorbei.

    »Ja, ja, . . . schon gut.« Anika wusste, dass es keinen Sinn hatte, mit Sina zu diskutieren, wenn sie in so einer miesen Stimmung war. Wenn sie es recht betrachtete, hatte es eigentlich nie einen Sinn, mit Sina zu diskutieren, aber diesen Gedanken verdrängte sie lieber ganz schnell wieder. »Du hast ja recht«, seufzte sie müde. »Wir sind nach Kreta gekommen, um den Strand und die Sonne zu genießen.« Du zumindest . . . wie es mir dabei geht, ist dir doch egal, dachte sie sich im Stillen. Denn sie waren auf Sinas ausdrücklichen Wunsch hier. Anika hatte sich diesem Wunsch gebeugt und musste sich nun darum sorgen, dass sie den gemeinsamen Lebensunterhalt irgendwie finanzieren konnte.

    Leider hatte es vor einiger Zeit einen schlimmen Unfall gegeben, für den Anika sich bis heute verantwortlich fühlte. Sina hatte anschließend unbedingt ins Warme und ans Meer gewollt, um sich von ihren Verletzungen zu erholen. In der Schule hatte Anika eine deutsch-griechische Schulfreundin gehabt, und sie war von der griechischen Sprache damals sofort begeistert gewesen. Über Jahre hin hatte sie an der Volkshochschule Neugriechisch gelernt und konnte sich zwischenzeitlich ganz gut darin verständigen. Ein Spezialkurs, der sich mit juristischen Fachbegriffen beschäftigte, hatte ihr dann glücklicherweise ermöglicht, hier auf Kreta als Anwältin recht schnell Fuß zu fassen.

    »Beeil dich jetzt wenigstens.« Sina blitzte Anika böse an. »Pack deine Sachen und komm endlich«, herrschte sie sie an. »Dann kriegen wir vielleicht noch den Sonnenuntergang mit.« Sie griff nach ihrer Tasche und latschte schmollend zum Auto.

    Beim Verlassen des Hauses stolperte Anika fast über Joya, die gerade um die Ecke gelaufen kam. Sie ging in die Knie und streichelte ihr über den Kopf. Das dreifarbige Haarkleid der Collie-Mischlingshündin glitzerte im Sonnenlicht. »Ach du Arme. Du kommst echt viel zu kurz. Ich sollte mir wirklich mehr Zeit für dich nehmen«, flüsterte sie ihr seufzend ins Ohr. Anika rannte noch eben in den Keller, um Joya ihren Lieblingskauknochen zu bringen. »Für dich.«

    Joya drückte sich anhänglich gegen Anikas Knie und ließ sich kurz von ihr knuddeln. Dann widmete sie sich ihrem Knochen und zottelte fröhlich schwanzwedelnd davon.

    Anika hörte es zweimal hupen. »Ja, ja, . . . ich komm ja schon«, murmelte sie missmutig und beschleunigte ihren Schritt auf dem Weg zum Auto.

    Sina zog noch immer eine Schnute. »Die Sonne geht bald unter«, meinte sie vorwurfsvoll. »Mit dem Hund kannst du dich auch nachher noch beschäftigen . . . wenn wir zurück sind«, zischte sie und schüttelte genervt den Kopf.

    Anika hätte Joya gern mit an den Strand genommen, aber wenn Sina so mies drauf war wie heute, war das sicher keine gute Idee. Und Sina war in letzter Zeit oft schlecht gelaunt. Um dann die Stimmung wieder etwas aufzuheitern, forderte sie von Anika vollste Aufmerksamkeit. Da war es für Joya besser, wenn sie mit ihrem Lieblingskauknochen zu Hause im großen Garten blieb und so nicht auch noch Sinas Unmut ausgeliefert war.

    »Ich will jetzt endlich zum Strand und den Sonnenuntergang genießen!«, sagte Sina in trotzigem Ton und war wieder einmal die Ungeduld in Person.

    »Menschenskinder . . . Die Sonne geht doch jeden Tag unter . . . und auch wieder auf«, erwiderte Anika, von einem plötzlichen Widerspruchsgeist getrieben.

    Sina schaute Anika irritiert an. »Tssss«, meinte sie und stieß einen schlechtgelaunten Seufzer aus.

    2

    Anika verließ das Haus am nächsten Morgen völlig unausgeschlafen. Da Sina keiner Arbeit nachging, hatte sie kein Verständnis für die Bedürfnisse der arbeitenden Bevölkerung. Meist schlief sie bis mittags und verbrachte den Rest des Tages am Strand. Nach einem wunderschönen Sonnenuntergang hatte sie Anika noch die halbe Nacht wachgehalten und ausgiebigen Sex von ihr verlangt. Müde war sie kein bisschen gewesen, da sie sich ja den ganzen Tag hatte ausruhen können.

    Im Grunde genommen wusste Anika, dass sie Sina Grenzen hätte setzen müssen, denn sie lebten hier auf Kreta allein von Anikas Einkommen, also musste Anika fit sein, um ihren Job als Rechtsanwältin gewissenhaft erledigen zu können. Das hätte Sina eigentlich auch verstehen müssen. Tat sie aber nicht.

    Anika hatte sich vorgenommen, noch einmal mit Eleni Patros zu sprechen. Ihr Mandant hatte ihr einen gewissen Verhandlungsspielraum gegeben und sie wollte versuchen, sich mit Eleni vielleicht doch noch außergerichtlich zu einigen.

    Seit gestern hatte sie immer wieder diese bezaubernden Augen vor sich gesehen, diese Leidenschaft und dieses Feuer in Elenis Blick. Eleni würde nicht so einfach aufgeben, und das könnte vor Gericht richtig unangenehm werden. Ein harter Brocken . . . diese Eleni, dachte Anika. Aber vielleicht gab es ja doch noch eine andere Lösung, die für alle Parteien akzeptabel sein würde. Anika hatte damals in Hamburg eine Zusatzausbildung als Mediatorin gemacht. Ihr waren Verhandlungsergebnisse, mit denen alle Beteiligten gut leben konnten, am liebsten. Nun wollte sie also ihre diesbezüglichen Fähigkeiten einsetzen und versuchen, mit Frau Patros vielleicht doch noch ein gutes Resultat zu erzielen.

    Eleni Patros’ Haus stand ganz für sich allein auf einer kleinen Anhöhe. Anika stieg aus ihrem Auto und ging ein paar Schritte. Was für eine Aussicht! Ein echter Traum. Mit großen Augen schweifte ihr Blick über das türkisfarbene Meer, das im Sonnenlicht wie Juwelen glitzerte. Hier würde es bestimmt vielen Touristen gut gefallen. Eine Goldgrube für Alexandros Stolakis. Der ideale Ort für ein Hotel.

    Sie ging weiter über den Kiesplatz und näherte sich dem Haus. Lautes Hundegebell ertönte. Vor dem Eingangstor blieb sie stehen und blickte sich nochmals um.

    Im zweiten Stock des Hauses öffnete sich ein Fenster. Frau Patros stand dort, mit zwei Topfdeckeln bewaffnet, die sie mehrmals kräftig gegeneinanderschlug. Die Vierbeiner verstummten und beruhigten sich augenblicklich.

    Anika schaute verblüfft zu ihr hoch. »Die Rasselbande haben Sie aber gut im Griff«, meinte sie und lächelte.

    »Was wollen Sie denn hier?«, stöhnte Eleni. Ihr Blick schoss zu Anika herunter und hinterließ auf Anikas Haut ein eigenartiges Kribbeln.

    »Mit Ihnen reden. Vielleicht finden wir ja doch noch eine passende Lösung«, sagte Anika in freundlichem Ton.

    Frau Patros kniff ärgerlich die Augen zusammen. »Will Ihr Mandant etwa aufgeben?«, fragte sie angriffslustig. »Baut er sein Hotel woanders?« Ihre Augen blitzten Anika zornig an.

    Anika verzog traurig die Mundwinkel, während sie ihren Blick noch einmal über das traumhafte Panorama schweifen ließ. »Wohl kaum«, seufzte sie entschuldigend.

    »Dann vergessen Sie es.« Eleni winkte ab. »Je länger sich die Sache hinzieht, desto mehr verdienen Sie doch schlussendlich auch, oder? Sie sollten also mit dem bisherigen Werdegang ganz zufrieden sein.« Abschätzig, ja beinahe verächtlich musterte sie Anika von oben herab.

    Bin ich aber nicht, dachte Anika und holte tief Luft. »Frau Patros . . .«, versuchte sie es geduldig noch einmal. »Seien Sie doch vernünftig. Mein Mandant hat mir einen gewissen Verhandlungsspielraum gegeben. Ich könnte Ihnen ein wirklich großzügiges Angebot unterbreiten.«

    Elenis eisblaue Augen blitzten Anika wütend an. »Machen Sie einen Abflug!«, fauchte sie. Laut knallend flog das Fenster zu.

    Was für eine Frau, dachte Anika. Aber leider mehr Temperament als Verstand. Wenn sie doch nur mit mir reden würde, seufzte sie innerlich und drehte sich einmal um die eigene Achse. Sie würde wohl ihren Mandanten anrufen und ihm mitteilen müssen, dass die Vergleichsverhandlungen gescheitert waren.

    Anika hatte den ganzen Tag in der Kanzlei zu tun. Sie musste alle anfallenden Arbeiten selbst erledigen, da sie hier einen Ein-Frau-Betrieb führte. Damit es Sina und ihr finanziell an nichts fehlte, hatte sie bewusst darauf verzichtet, eine Sekretärin einzustellen.

    Ungläubig schüttelte sie den Kopf. Immer öfters erwischte sie sich dabei, wie sie gedanklich abschweifte. Diese Eleni und diese wunderschönen Augen wollten ihr einfach nicht mehr aus dem Kopf gehen. So sehr sie sich auch bemühte, nicht an sie zu denken, es half nichts. Anika raufte sich genervt die Haare. Immer wieder sah sie den Glanz, die Leidenschaft und das Feuer dieses Blickes vor sich aufblitzen.

    Kurz vor Mitternacht löschte Anika endlich das Licht und verließ müde die Kanzlei. Seit Mitte Nachmittag regnete es schon in Strömen. Sie hielt sich ihren Aktenkoffer zum Schutz über den Kopf und rannte zum Auto. Durch ein Gässchen sah sie, wie das Meer wild vor sich hin tobte und furchteinflößende Geräusche von sich gab. Was für eine Weltuntergangsstimmung, dachte sie. Nichts wie nach Hause.

    In der Dunkelheit quietschten die Scheibenwischer auf Hochtouren über die Frontschutzscheibe. Ihr war kalt und ihre alte Kiste brauchte immer eine gefühlte Ewigkeit, bis sie das kleinste bisschen Wärme produzierte. Ungeduldig versuchte sie, in diesem Unwetter auch nur irgendetwas auf der Straße erkennen zu können.

    Was ist das denn? Ein Jeep stand einsam am Straßenrand. Langsam fuhr sie an ihm vorbei. Keine Menschenseele zu sehen. Komisch. Sie schüttelte den Kopf und fuhr weiter.

    Auf einmal entdeckte sie im Dunkeln eine Menschengestalt, die rechts an der Straße entlanglief. Sie fuhr langsamer, wollte gerade anhalten, drehte sich nach rechts und blickte direkt in Eleni Patros’ kristallklare Augen. Für einen Moment saß sie stocksteif hinter dem Lenkrad und hielt überrascht den Atem an. Dann kurbelte sie eilig das Fenster hinunter, so dass der Regen nur so hereinprasselte. »Gehört Ihnen der Jeep? Hatten Sie eine Panne?«, fragte sie mit zusammengezogenen Augenbrauen.

    Eleni rollte genervt mit den Augen. »Sie sind wirklich die Intelligenz in Person«, knurrte sie völlig durchnässt. Dann stieß sie einen Seufzer aus. »Wie haben Sie das nur erraten?«, fragte sie spöttisch und schüttelte den Kopf.

    Anika bekam sofort ein schlechtes Gewissen. Diese Frau hatte das genauso gut drauf wie Sina. »Steigen Sie ein«, bot sie trotzdem an. »Ich fahre Sie nach Hause.«

    Elenis Mundwinkel zuckten. »Wieso sollte ich ausgerechnet bei Ihnen einsteigen?«, fragte sie entnervt.

    Anika verzog das Gesicht und zuckte gespielt gleichgültig die Schultern. »Hm . . . Gute Frage«, meinte sie und blickte zur Frontschutzscheibe hinaus. Dann wandte sie sich wieder Eleni zu. »Vielleicht, weil es gerade wie aus Kübeln schüttet und Sie schon völlig durchnässt sind.« Sie lächelte einladend und nickte. »Geben Sie sich einen Ruck. Ich beiße wirklich nicht. In zehn Minuten sind Sie zu Hause und können sich morgen in aller Ruhe um Ihr Auto kümmern.«

    Frau Patros blickte zweifelnd zum Himmel hoch, als suchte sie dort nach Rat. »Okay«, murmelte sie schließlich. »In Anbetracht der Situation . . .«, seufzte sie und stieg ziemlich widerwillig bei Anika ein.

    Im Auto herrschte eisiges Schweigen. Die Sekunden kamen Anika wie Minuten vor, die Situation war ihr mehr als unangenehm. »Sie sprechen aber gut Griechisch«, kam ihr das Erstbeste, was ihr einfallen wollte, über die Lippen – wohl in der Hoffnung, mit Eleni über irgendein unverfängliches Thema reden zu können, damit diese belastende Stille endlich ein Ende hätte.

    Eleni strich sich müde mit der Hand übers Gesicht und starrte stur geradeaus. »Ich bin zweisprachig aufgewachsen«, antwortete sie barsch und erstickte damit jegliches Gespräch im Keim.

    Anika schauderte es. Das kann ja heiter werden. Ganz offensichtlich will sich Eleni nicht mit mir unterhalten, dachte sie und konzentrierte sich erneut auf den Straßenverkehr.

    Sie waren kaum ein paar Minuten gefahren, da schrie es neben Anika unvermittelt auf: »Stopp. Anhalten!«

    Anika erschrak fürchterlich und drückte geistesgegenwärtig auf die Bremse. Beide wurden recht unsanft nach vorn geschleudert.

    »Haben Sie das denn nicht gesehen?« Eleni schaute Anika mit strafendem Blick an.

    Anika zuckte die Schultern und blickte suchend um sich. »Wie? Wo? Was denn?«, fragte sie reichlich verunsichert.

    »Den Hund natürlich.« Sie starrte Anika prüfend an und schüttelte ungläubig den Kopf.

    »Wo?«, fragte Anika ganz aufgeregt und blickte nach links und rechts.

    Eleni zeigte mit der Hand nach hinten. »Da . . . im Straßengraben.«

    Anika riss die Augen weit auf. »Und jetzt?«, fragte sie und starrte Eleni etwas hilflos an.

    »Warten Sie hier«, befahl Eleni energisch, öffnete eilig die Autotür und wandte sich noch kurz zu Anika um. »Ich schaue erstmal in Ruhe allein nach. Zu zweit könnten wir das Tier zu sehr verunsichern.«

    »Okay . . .«, murmelte Anika und stellte den Motor ab. Im Rückspiegel beobachtete sie, wie sich Eleni langsam dem Hund näherte, der nun fast panisch versuchte aufzustehen. Doch er schaffte es nicht, überschlug sich mehrmals und blieb schließlich erschöpft im Graben liegen. Anika schloss die Augen. Sie fühlte einen ihr bis dahin unbekannten Schmerz in sich. Der Anblick dieses Tieres war für sie einfach nur schrecklich und ging ihr durch Mark und Bein. Das arme Tier war sicherlich schwer verletzt. Bestimmt wäre es am liebsten geflüchtet, schaffte es aber aus eigener Kraft nicht. Ob Eleni helfen kann?, dachte Anika und beobachtete die beiden still, während ihr Adrenalinspiegel weiter in die Höhe schoss.

    Eleni kniete sich behutsam neben den Hund und ließ ihn zuerst einmal an ihrer Hand schnuppern. Eine gefühlte Ewigkeit verharrte sie wortlos neben ihm und bewegte sich kaum. Dann streichelte sie ihm sanft den Hals entlang und kraulte ihn schließlich zärtlich hinter dem Ohr. Er ließ dies widerstandslos geschehen. Vorsichtig begann Eleni, seine Gliedmaßen auf Verletzungen abzutasten.

    Anika betrachtete das Geschehen weiterhin, sehr interessiert und ganz still, im Rückspiegel. Sie hielt inne, als sich nun auf ihrer Haut ein eigenartiges Prickeln ausbreitete. Langsam drehte sie sich im Fahrersitz um und blickte zur Heckscheibe hinaus. Es wurde ihr ganz warm ums Herz, als sie sah, wie der Hund allmählich Vertrauen zu Eleni fasste. Völlig in Gedanken versunken zuckte sie zusammen, als sie bemerkte, dass Eleni aufgestanden war und jetzt direkt aufs Auto und somit auf sie zumarschiert kam.

    »Haben Sie eine Decke?«, fragte Eleni mit aufgeregter Stimme und wischte sich Regenwasser aus dem Gesicht.

    »Nein. Wozu denn?« Anika starrte Eleni fragend an.

    »Der Hund ist verletzt und kann nicht mehr aufstehen . . . nicht mehr gehen.« Eleni strich sich müde durchs Haar und entdeckte auf dem Rücksitz einen Mantel.

    Reflexartig griff Anika nach ihm. »Nehmen Sie ihn ruhig. Kann ich irgendwie helfen?«, fragte sie und löste rasch ihren Sicherheitsgurt.

    Eleni starrte Anika mit leicht irritiertem Blick an. »Äh . . . Ja. Kommen Sie mit . . . ganz ruhig und mit etwas Abstand, bitte.«

    Anika stieg aus dem Auto, schloss ganz leise die Tür und näherte sich mit Eleni zusammen dem verletzten Tier.

    Eleni gab Anika ein paar Anweisungen. Innerhalb kürzester Zeit war nun auch Anika bis auf die Haut nass. Der Regen prasselte nur so auf die drei herunter. Gemeinsam legten sie den verletzten Hund auf den Mantel. Geduldig ließ der Vierbeiner alles über sich ergehen und sich ins Auto tragen. Eleni setzte sich vorsichtig zu ihm auf die Rückbank und streichelte ihm sanft über den Kopf. Anika startete den Motor, schaute kurz in den Rückspiegel und fuhr in Richtung Elenis Haus los.

    »Was ist denn mit dem Hund?«, wagte Anika nach einer Weile leise zu fragen und blickte erneut in den Rückspiegel. Sie spürte durchaus, wie angespannt Eleni war.

    »Er hat eine offene Wunde an der Pfote und wahrscheinlich ein gebrochenes Hinterbein«, meinte Eleni und streichelte dem Hund, der vor Erschöpfung ganz ruhig und teilnahmslos neben ihr lag, sanft über den Rücken. »Und höchstwahrscheinlich ist sie – es ist eine Hündin – hochträchtig«, seufzte sie erschöpft und strich sich durchs Haar.

    Anika blickte in den Rückspiegel und sah, wie Eleni nervös an ihrer Unterlippe knabberte, während sich Denkfalten auf ihrer Stirn abzeichneten. Dann blickte Anika wieder auf die Straße zurück. »Was ist? Was geht Ihnen durch den Kopf?«, fragte sie, und ihre Blicke trafen erneut für einen raschen Moment aufeinander.

    »Ich überlege.« Eleni verzog die Lippen und strich sich über die Schläfen. »Verflixt . . . Wie mach ich das nur«, murmelte sie vor sich hin.

    Anika hob fragend die Augenbrauen. »Was denn?«

    »Wie bringe ich den Hund bloß ins Haus . . . in Sicherheit . . . an all den anderen Tieren vorbei?« Sie betrachtete die Hündin, eine große innere Anspannung stand Eleni ins Gesicht geschrieben. »Die Hündin ist groß und wiegt mindestens vierzig Kilo . . . wenn nicht sogar mehr.«

    Anika schenkte Eleni ein beruhigendes Lächeln im Rückspiegel. »Selbstverständlich werde ich Ihnen helfen. Gemeinsam schaffen wir das schon«, meinte sie zuversichtlich.

    «Sie? Ausgerechnet Sie wollen mir helfen?«, krächzte Eleni verblüfft nach vorn. »Tssss . . . Doch bestimmt nur deshalb, damit Sie bei mir zu Hause für Stolakis herumschnüffeln können!«, fauchte sie ziemlich wütend.

    »Ich bitte Sie«, sagte Anika energisch und stieß genervt einen Seufzer aus.

    »Hm . . . Hm . . .« Auf Elenis Stirn zeichneten sich nachdenkliche Falten ab. Sie legte den Kopf in den Nacken und atmete ein paar Mal tief durch.

    »Ich werde Herrn Stolakis hiervon nichts erzählen. Versprochen«, sagte Anika herzlich, blickte erneut im Spiegel zu Eleni nach hinten und schenkte ihr ein warmes Lächeln.

    Eleni presste die Lippen zusammen. »Wieso sollte ich Ihnen glauben? Ausgerechnet Ihnen? Sie sind alles andere als meine Freundin. Sie wollen mich aus meinem Haus vertreiben . . . mich und meine Tiere«, zischte sie giftig.

    »So, das reicht«, sagte Anika in scharfem Ton und blitzte Eleni wütend

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