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Basilikumdrache und Schöpfungskrönchen - Die phantastischen Werke von Regina Schleheck: Fantasy- und Science-Fiction-Kurzgeschichtensammlung
Basilikumdrache und Schöpfungskrönchen - Die phantastischen Werke von Regina Schleheck: Fantasy- und Science-Fiction-Kurzgeschichtensammlung
Basilikumdrache und Schöpfungskrönchen - Die phantastischen Werke von Regina Schleheck: Fantasy- und Science-Fiction-Kurzgeschichtensammlung
Ebook280 pages3 hours

Basilikumdrache und Schöpfungskrönchen - Die phantastischen Werke von Regina Schleheck: Fantasy- und Science-Fiction-Kurzgeschichtensammlung

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Es soll Zechen geben, in denen sich stählerne Möchtegerndrachen verbissen ihre eigene Legende zu fauchen versuchen. Auch Märchen wie vom schlauen Papierfresserdrachen, der seine Artgenossen befreit, warten nur darauf, erzählt zu werden. Oder wie wäre es mit schaurig-schönem Grusel rund um plappernde unsichtbare Doppelgänger und sich verselbstständigende Killer-Navigationsgeräte? Mystische Fantasy mit heiratsunwilligen Meerjungfrauen oder göttlichen Wunderheilungen als ultimative Vergebung gefällig? Eins steht fest: Wo Regina Schleheck draufsteht, ist immer einzigartig-phantastischer Lesegenuss drin.

Die Gattung der Kurzgeschichte erfährt zumeist wenig Wertschätzung, dabei gilt deren Formenreichtum und Experimentierfreude als Wegbereiter literarischer Strömungen. Das deutsche Phantastik-Genre ist zudem überschaubar und ob der Nähe zur Trivialität geringgeschätzt. Umso mehr stellt diese phantastische Kurzgeschichtensammlung den Ausdruck höchster Würdigung einer außergewöhnlichen Prosaform und einer ebenso außergewöhnlich begabten Autorin dar.


Aus dem Inhalt:

Der Basilikumdrache
Vertreibung aus dem Paradies
Absencen
Dölfchens wunderbarer Waschsalon
Wer et hätt jewoss
Mann oh Manna
Kill me not in Kilmarnock
Ein Schiff wird kommen
Alfons
Kellergeschichte
Hans hat Glück
Straelen für Einge-weihte
Fairmann
Kreuzworträtsel
Saat des Todes
Tonspur
Kant ist Kacke
Gefährlicher Zeuge
Stuhlprobe
Kleine weiße Frau
Web-Space
Rübenqual
Klappe zu – Balg tot
Riesling
Schönheitspflege
Besuch am Heiligen Abend
Totkäppchen und der Rolf
Monster
Nicht Fisch, nicht Frau
Der Mann ihrer Träume
Kopf in den Sternen
Beckmesserei
Schöpfungsgeschichte
Warte, warte nur ein Werthelchen
Schöpfungskrönchen
LanguageDeutsch
Release dateDec 1, 2016
ISBN9783959360548

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    Basilikumdrache und Schöpfungskrönchen - Die phantastischen Werke von Regina Schleheck - Regina Schleheck

    DAS BUCH

    Es soll Zechen geben, in denen sich stählerne Möchtegerndrachen verbissen ihre eigene Legende zu fauchen versuchen. Auch Märchen wie vom schlauen Papierfresserdrachen, der seine Artgenossen befreit, warten nur darauf, erzählt zu werden. Oder wie wäre es mit schaurig-schönem Grusel rund um plappernde unsichtbare Doppelgänger und sich verselbstständigende Killer-Navigationsgeräte? Mystische Fantasy mit heiratsunwilligen Meerjungfrauen oder göttlichen Wunderheilungen als ultimative Vergebung gefällig? Eins steht fest: Wo Regina Schleheck draufsteht, ist immer einzigartig-phantastischer Lesegenuss drin.

    Die Gattung der Kurzgeschichte erfährt zumeist wenig Wertschätzung, dabei gilt deren Formenreichtum und Experimentierfreude als Wegbereiter literarischer Strömungen. Das deutsche Phantastik-Genre ist zudem überschaubar und ob der Nähe zur Trivialität geringgeschätzt. Umso mehr stellt diese phantastische Kurzgeschichtensammlung den Ausdruck höchster Würdigung einer außergewöhnlichen Prosaform und einer ebenso außergewöhnlich begabten Autorin dar.

    DIE AUTORIN

    Regina Schleheck hat sich in der Phantastik wie in der Kriminalliteratur bereits einen beachtlichen Namen gemacht. Unter anderem wurden ihr mit dem »Deutschen Phantastik Preis« für das Sci-Fi-Hörspiel Mark Brandis Bordbuch Delta VII und dem »Friedrich-Glauser-Preis« der deutschsprachigen Krimiautoren die begehrtesten Auszeichnungen beider Genres zugesprochen. Ihre phantastischen Kurzgeschichten belegten u.a. immer wieder beim Kurzgeschichten-Wettbewerb des Corona Magazine die ersten Plätze. Im Jahr 2009 erschien mit Klappe zu – Balg tot ihr erster Kurzgeschichten-Band, auf den zahlreiche Herausgeberschaften, Erzählungen und hunderte Kurzgeschichten folgten.

    Regina Schleheck

    BASILIKUMDRACHE UND SCHÖPFUNGSKRÖNCHEN

    Kurzgeschichtensammlung

    Originalausgabe

    © 2016 Verlag in Farbe und Bunt

    Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Alle Rechte, auch die der Übersetzung, des Nachdrucks und der Veröffentlichung des Buches, oder Teilen daraus, sind vorbehalten.

    Kein Teil des Werkes darf ohne schriftliche Genehmigung des Verlags und des Autors in irgendeiner Form (Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

    Alle Rechte liegen beim Verlag.

    Cover-Gestaltung: Stefanie Kurt

    E-Book-Satz: Winfried Brand

    verantwortlicher Redakteur: Bettina Petrik

    Lektorat: Bettina Petrik

    Korrektorat: Telma Vahey

    Herstellung und Verlag:

    in Farbe und Bunt Verlags-UG (haftungsbeschränkt)

    Kruppstraße 82 - 100

    45145 Essen

    www.ifub-verlag.de

    ISBN Taschenbuch: 978-3-95936-053-1

    ISBN E-Book: 978-3-95936-054-8

    ISBN Audiobuch: 978-3-95936-055-5

    INHALTSVERSZEICHNIS

    Der Basilikumdrache

    Absencen

    Dölfchens wunderbarer Waschsalon

    Wer et hätt jewoss

    Mann oh Manna

    Kill me not in Kilmarnock

    Vertreibung aus dem Paradies

    Ein Schiff wird kommen

    Alfons

    Kellergeschichte

    Hans hat Glück

    Straelen für Einge-weihte

    Kreuzworträtsel

    Saat des Todes

    Tonspur

    Fairmann

    Kant ist Kacke

    Gefährlicher Zeuge

    Stuhlprobe

    Kleine weiße Frau

    Web-Space

    Rübenqual

    Schönheitspflege

    Klappe zu – Balg tot

    Riesling

    Besuch am Heiligen Abend

    Totkäppchen und der Rolf

    Monster

    Beckmesserei

    Nicht Fisch, nicht Frau

    Der Mann ihrer Träume

    Kopf in den Sternen

    Schöpfungsgeschichte

    Warte, warte nur ein Werthelchen

    Schöpfungskrönchen

    Danksagung

    Erstveröffentlichungen der Einzelgeschichten

    DER BASILIKUMDRACHE

    Zwischen dem Stadtpark Hochlarmark und der Halde Hoheward gibt es eine Brücke in Form eines riesigen Drachens. Fast zweihundert Tonnen Stahl schlängeln sich da durch das ehemalige Abbaugebiet. Das Bemerkenswerteste ist aber, dass der Drache zurückblickt. Wer über die Brücke geht, kann sich des beklemmenden Gefühls nicht erwehren, der Drache schaue sich gerade nach dem Leckerbissen um, der ihm da quasi als gefundenes Fressen vor den Rachen läuft.

    Keine Sorge, der reißt sein Maul nicht mehr auf! Und zwar gerade weil er sich umguckt! Täte er das nicht, stünde er nicht da.

    Und noch eine Besonderheit hat diese Brücke, die aber den wenigsten Besuchern bisher aufgefallen ist: Rund um die Brückenfüße wächst büschelweise Basilikum. Das pflanze ich dort jedes Jahr ganz frisch, weil der Schneckenfraß ihm doch immer wieder sehr zusetzt. Es ist mir ein persönliches Bedürfnis. Ein Stinkefinger gewissermaßen, den ich dem Drachen zeige. Dem Basilikumdrachen, der in Wirklichkeit gar kein Drache ist. Und auch wenn er sich nichts anmerken lässt – anmerken lassen kann –, ich weiß, dass es an ihm frisst. Das ist mir die Mühe in jedem Falle wert. Schließlich war er auch keinesfalls zimperlich.

    Anfang 2008 war es, als man mich in die Zeche Mont Cenis in die achte Sohle im Ostfeld schickte. Ich sollte einige für die Stabilität der Stützkonstruktion unverzichtbare Stahlträger in Hinsicht auf Korrosions- und sonstige Schäden kontrollieren und wo möglich Ausbesserungsarbeiten vornehmen. Sämtliche Aktivitäten in den östlichen Abteilungen waren nach dem Grubenbrand im Dezember 1965, also schon lange vor der endgültigen Stilllegung der gesamten Zeche im Jahr 1978, eingestellt worden. Zwar hatte man gerade 1963 erst die Mont Cenis mit der Zeche Friedrich der Große zu einer Verbundanlage zusammengefügt und die unterirdischen Verbindungswege erweitert. Aber von da an ging es mit der Steinkohle steil bergab. Der Abbau wurde abgebaut und die Bergmannschaft nach und nach angepasst, wie man den vorgezogenen Ruhestand beschönigend umschrieb. Ein Großteil der Schächte wurde verfüllt. Aber da die Verfüllungssäulen durch Grubenwasser immer wieder aufgeweicht wurden, mussten die abgeworfenen Schächte regelmäßig über Kontrollschächte inspiziert werden. Eine hundertprozentige Verwahrung gibt es nicht. Von dem labyrinthischen Gängesystem waren viele Fragmente erhalten geblieben, zum Teil aus Schlamperei, zum Teil zur Wetterführung bzw. weil man eben Kontrollen ermöglichen wollte. Ich gehörte 1978 noch nicht zum alten Eisen, daher hatte man mich umgeschult. Zum Schlosser und Fachschweißer. Und da ich mich unter Tage bestens auskannte, wurde ich von der Firma, die die Sicherheit der Verwahrung zu garantieren hatte, übernommen. Auch hier sparte man zuallererst am Personal, daher waren wir – natürlich mit Hochleistungs-Funkgeräten ausgerüstet – meist allein unter Tage unterwegs. Wenn der Job nicht ansonsten ganz anständig bezahlt worden wäre, hätte ich ihn sicherlich längst hingeschmissen. Er ist nichts für zartbesaitete Menschen. Die physischen Belastungen unter Tage sind schon schlimm genug. Dazu kommt das psychologische Moment. Die Einsamkeit, fern der Erdoberfläche, nur über das gelegentliche Knacken und Rauschen des Funkgeräts noch mit anderen Menschen verbunden. Und dann der Anblick der halb mit Schutt oder Beton verfüllten Schächte, der verrottenden Hinterlassenschaften und Arbeitsspuren von Bergleuten, die hundert Jahre hier geschuftet hatten! Angesichts des Verfalls überkommt einen unwillkürlich eine Ahnung davon, welcher Bedrohung die Kumpel sich – gerade in den Anfängen – ausgesetzt gefühlt haben mussten.

    Die Erinnerung an die Katastrophe: Mont Cenis war im Jahre 1921 Schauplatz eines dramatischen Zwischenfalls gewesen. Ein Schießhauer, hieß es damals, hätte verbotenerweise mit Dynamit in der Kohle gesprengt und so eine Schlagwetterexplosion ausgelöst, die fünfundachtzig Bergleute das Leben kostete. Einen Zusammenhang zu dem Grubenbrand vierundvierzig Jahre später sah niemand, und auch ich wäre nicht dahinter gekommen, wenn ich nicht die Akten gründlich studiert hätte. Daraus ging hervor, dass die Leichen der Kumpel, soweit sie noch hatten geborgen werden können, in einem fürchterlichen Zustand gewesen sein mussten. Abgerissene Gliedmaßen, zerfetzte Körperteile, zum Teil bis zur Unkenntlichkeit verbrannt. Der Gerichtsmediziner Dr. Paul Graeten, der zuvor in Deutsch-Südwestafrika gedient und nicht nur die Gräuel der Herero-Aufstände kennengelernt, sondern auch die unter menschenunwürdigsten Bedingungen schuftenden Arbeiter in den Diamanten- und Kupferminen untersucht hatte und leidenschaftlicher Safari-Jäger gewesen sein musste, notierte nach der Leichenschau: »Die Hingeschiedenen wiesen grässliche Verletzungen auf, die, wenn ich es nicht besser wüsste, von den Zähnen eines großen Raubtiers stammen könnten, zumal etliche Leiber nicht nur völlig verstümmelt sind, sondern die fehlenden Körperteile nicht aufgefunden wurden.«

    Als ich an jenem Aprilmorgen 2008 die Kontrollgänge abschritt, hatte ich diesen Befund zum Glück noch nicht im Kopf. Ein Gefühl der Beklommenheit war allerdings mein ständiger Begleiter da unten, und das Gefühl verstärkte sich, als ich auf die Abdeckplatte stieß. Sie hatte einen Abstiegsschacht bedeckt und war verschoben worden. Ich wunderte mich ein bisschen, weil ich mich nicht erinnerte, dass es im letzten halben Jahr einen Erdstoß gegeben hatte, der solche Kräfte hätte wirksam werden lassen. Die Platte war nicht nur ziemlich groß und schwer, sondern mit Schrauben gesichert gewesen. Die Schrauben waren bis auf eine gebrochen und die Platte so weit verschoben, dass der Schacht darunter fast vollständig freigelegt worden war. Das nächste, was mir in den Sinn kam, war eine Gasexplosion, deren Wucht die Platte bewegt haben mochte. Ich konnte das Loch darunter schlecht einsehen, weil meine Lampe nicht allzu weit reichte, aber Schäden waren nicht auszumachen. Es handelte sich um einen offenen Schacht, den man nicht verfüllt, aber dennoch verschlossen hatte, weil er zu Kontrollzwecken nichts hergab. Es kostete mich ziemlich viel Kraft, die Abdeckung wieder zurückzuschieben. Ich kniete am Boden und keuchte, und der leere Schacht unter mir verstärkte den Hall meiner Stimme. Als die Platte wieder exakt auf ihrer ursprünglichen Position angekommen war, machte ich mich auf den Weg zurück zum Förderkorb, um unter dem Werkzeug das transportable Schweißgerät hervorzukramen, packte es samt der Gasflaschen und einigen Bolzen, die ungefähr der Größe der Schrauben entsprachen, auf einen Rollwagen und kehrte zum Schacht zurück. Ich steckte die Bolzen in die ausgebrochenen Schraubenlöcher, schloss das Gerät an, setzte die Brille auf, öffnete die Flaschenventile, griff mir den Brenner, zündete die Flamme, klappte die Schutzgläser herunter und stellte das Gasgemisch ein. Dann begann ich die Bolzen einen nach dem anderen in den Schraubenlöchern festzuschweißen. So! Die Platte würde so ohne Weiteres nicht mehr verrutschen! Da müsste schon ein mächtiges Erdbeben kommen.

    Noch während ich das dachte, spürte ich die Sohle unter mir auf einmal so heftig vibrieren, dass ich das Gleichgewicht verlor und unsanft auf dem Gesäß landete. Im nächsten Moment sprang mich etwas Großes von links aus der Dunkelheit an, drückte mich auf den Boden und lastete schwer auf meiner Brust. Den linken Arm konnte ich nicht mehr bewegen, der rechte wurde hinter meinem Kopf heruntergedrückt, spitze Klauen bohrten sich in meine Schultern. Trotz des jähen Schmerzes ließ meine Hand den Brenner instinktiv nicht los. Das, was da auf mir lag, fühlte sich an wie ein riesiger Schuppenleib. Unter meiner Schweißerbrille war ich fast blind, registrierte aber etwas wie einen monströsen Kopf, der sich über mich beugte. Ein pestilenzartiger Geruch nahm mir schier die Luft, und meine Atemnot wurde nicht dadurch gemindert, dass dieses Monster auf meine Brust drückte.

    »Aarghh«, stöhnte ich.

    Das Funkgerät in meiner Tasche knarzte und schwieg wieder still. Ich hätte es ohnehin nicht erreichen können, um Hilfe zu rufen.

    Das Monster hielt inne, als stutzte es.

    Dann stieß es lang anhaltend Luft aus, fast wie ein überraschtes Pfeifen. Aus dem Geräusch schälten sich einzelne Worte, die nicht klangen, wie von einem Menschen gesprochen, eher zischend und gleichzeitig, als spräche jemand mit schwerer Zunge.

    »Wiesho lehpst du?«, stöhnte es.

    Es fiel mir schwer, darauf eine passende Antwort zu finden. Die Tatsache, dass sich etwas auf mich schmiss, war ja noch kein Grund, den Löffel abzugeben. »Wieso nicht?«, keuchte ich endlich.

    »Weihl ichch dichch anshehe!«, heulte das Monstrum.

    »Es tut mir sehr leid«, stammelte ich. Dieses Biest, das da auf mir hockte, konnte kein Mensch sein, so viel war auch ohne Augenschein evident. Aber immerhin konnte es sich artikulieren. Und es war nicht nur stärker als ich, sondern hatte mich im Moment in seiner Gewalt. Gleich mehrere gute Gründe, verbindlich zu sein. »Ich kann Sie gar nicht richtig erkennen! Wer sind Sie?«, versuchte ich, das plumpe Du, das mein Gegenüber angeboten hatte, zu vermeiden.

    »Ichch phin dhein Thot!«, kam es zurück.

    Ich kombinierte fieberhaft. Es schien ganz so, als sei dieses Monster durch den Schacht gekommen und habe die Befestigung der Platte gesprengt. Es musste übernatürliche Kräfte besitzen. Es kam tief unten aus der Erde. Es war riesig, hatte einen schuppigen Leib und Klauen, und es war ein Wesen, das sich nicht so ohne Weiteres in Brehms Tierleben einordnen ließ, zumal es sprechen konnte. Der letzte Punkt schloss gleichzeitig aus, dass es sich um einen prähistorischen Vertreter irgendeiner Dinosauriergattung handelte. Es konnte nur … »Sie sind ein Drache!«, platzte es aus mir heraus.

    Das Monstrum warf den Kopf zurück und stieß ein ohrenbetäubendes heulendes Geräusch aus. Ganz offensichtlich fühlte es sich von mir nicht richtig erkannt. Oder eben doch? Verzweifelt durchwühlte ich mein Gedächtnis nach rudimentären Märchenkenntnissen. Rumpelstilzchen hatte auch geheult, als die Müllerstochter seinen Namen genannt hatte. Ja, ganz offensichtlich fühlte der Drache sich erkannt, und das behagte ihm nicht!

    »Nheinnheinnhein!«, zischelte der Drache.

    »Was sind Sie denn dann?«, fragte ich listig, weil ich nicht wusste, was er anstellen würde, wenn uns der Gesprächsstoff ausginge.

    »Ein Phashlhiskh!«, schnauzte der Drache.

    Im ersten Moment hätte ich trotz meiner misslichen Lage fast laut aufgelacht. Ein Basilisk! Da kannte ich mich zufällig aus! Schließlich hatte ich Harry Potter gelesen! »Ein Basilisk, das ist doch das Fabeltier, das mit seinem Blick töten kann!«, vergewisserte ich mich dennoch höflich.

    »Ehhphhen!«, heulte er.

    »Nun«, sagte ich mit freundlicher Geduld, obwohl sie mir in dem Maße schwand, wie mir klar wurde, dass mein Gegenüber wie weiland Nepomuk, der Halbdrache aus Jim Knopf und die Wilde 13, offensichtlich auf gefährlicher machen wollte, als er wirklich war, »wenn Sie ein Basilisk wären, dann wäre ich jetzt tot. Wie Sie eingangs schon ganz richtig bemerkten, lebe ich aber. Ergo handelt es sich bei Ihnen um einen simplen Drachen, der gerne ein Basilisk wäre.«

    »Ichch phin ein Phashilhiskh!«, zischte es zurück.

    Ich hatte keinen Bock mehr. Ich lag auf dem harten Steinboden, ein Zentnergewicht auf mir, das bestialisch stank, dank der Schweißbrille sah ich so gut wie nichts – die Schweißbrille! Wieder kombinierte ich messerscharf. Sie war beschichtet! Möglicherweise schützte sie meine Augen ja vor dem tödlichen Blick dieses Monsters, falls es tatsächlich ein Basilisk sein sollte! So gern ich sie abgesetzt hätte, im Moment war ich heilfroh, dass ich es bis dato nicht geschafft hatte, weil meine Arme fixiert waren! Sollte ich meine Hände wieder frei kriegen, würde ich es nicht riskieren, sie abzuziehen! Und noch etwas wurde mir klar: Dieser Drache hatte einen schwachen Punkt, den ich für eine psychologische Kriegsführung nutzen konnte: Er wollte partout, dass ich ihn für einen Basilisken hielt. Wenn ich ihn ärgern wollte, müsste ich nur das Gegenteil behaupten.

    »Wissen Sie was? Sie sind allenfalls ein Basilikumdrache, der noch ein bisschen grün hinter den Ohren ist«, höhnte ich in der Hoffnung, dass er ein Einsehen hätte und sich trollte.

    Aber da hatte ich mich schwer verkalkuliert. Er drehte erst richtig auf. »Ichch khannh dichch auchch bei lhephenthikhem Lheiphe fresshen!«, schrie er und bäumte sich auf, als nähme er Schwung, um sich quasi mit Anlauf über mich herzumachen.

    Im gleichen Moment kam meine rechte Hand frei, und ich riss sie schützend vor mein Gesicht, ohne daran zu denken, dass ich immer noch den Flammenwerfer in der Hand hielt. Mein Drache kriegte die volle Ladung in den weit aufgerissenen Rachen und verbrannte sich derart die Schnauze, dass er seinen eigenen Schrei verschluckte. Er schnellte zurück und gab mich frei. Blitzschnell kam ich auf die Beine, die Schweißflamme wie eine Pistole vor mich und in die Richtung haltend, wo ich ihn vermutete. An seinem Heulen erkannte ich, dass ich ganz richtig lag. Vielmehr stand ich jetzt, und zwar auf der sicheren Seite, nämlich hinter dem Flammenwerfer. Er wich vor mir zurück.

    Mit der Linken packte ich das Wägelchen mit den beiden Gasflaschen und betete im Stillen, dass sie gut gefüllt seien, um mir noch eine Weile gute Dienste zu leisten. Ich trieb das Monster vor mir her bis zu dem Raum, wo der Förderkorb stand. Als ich ihn daran vorbei gescheucht hatte, suchte ich in dem Metallkäfig Zuflucht, zog den Gasflaschenwagen hinter mir in den schützenden Korb, schlug die Tür zu, legte den Riegel vor und den Hebel um, so dass das Gefährt sich ächzend aufwärts zu bewegen begann. Gerettet!

    Da! Ein Schatten flog vorbei, ein Ruck, und der Korb schwankte bedenklich. Die Bestie war mit einem Satz auf das Gitter geschnellt. Aber schon erreichte der Korb mitsamt seiner doppelten Last die Deckenhöhe und tauchte in den Schacht ein, der so eng war, dass es für den Drachen kein Entrinnen gab. Er konnte nicht mehr abspringen, sondern hockte auf dem Drahtkäfig, der sich unaufhaltsam dem Tageslicht entgegenbewegte. Nein, er hockte nicht, er führte gewissermaßen einen Tanz auf der heißen Herdplatte auf, weil ich mir ein Vergnügen daraus machte, seinen Allerwertesten von unten mit meinem Schweißbrenner zu bearbeiten! Währenddessen klapperte ich mein Hirnstübchen nach einem Plan ab, wie ich, oben angekommen, auch wieder den Korb würde verlassen können. Ich müsste es irgendwie schaffen, ihn zurück in den Schacht zu treiben, so dass er hoffentlich dort unten zerschellte.

    Aber was, wenn er ausbrach und davonliefe? Herne war nicht weit. Und er war jetzt ziemlich scheiße drauf. Wenn er tatsächlich ein Basilisk war, würde er die ganze Stadt mit seinem Blick flachlegen. Mindestens aber war davon auszugehen, dass er den einen oder anderen Mitbürger verspeisen würde.

    Was gab es bloß, womit man einen Basilisken zur Strecke bringen konnte? Der Sage nach hausten die Biester in Brunnenschächten und Kellern. Wer sie erblickte, war verloren, es sei denn – oh ja! Das war es!

    Wir hatten die Halle erreicht, von der aus mit dem Förderkorb eingefahren wurde. Ein Raum mit hohen Glasfenstern, rechts ging es zu den Waschräumen und einem Bereich, in dem noch die alten Bergmannsspinde standen. Ich hörte, wie der Drache vom Dach des Förderkorbs sprang und durch die Halle tobte. Dann klirrte und schepperte es laut. Er musste durch das Fenster ins Freie gelangt sein.

    Da endlich riss ich mir die Schweißerbrille von den Augen und rannte zur Umkleide, zog den Spiegel von der Wand und lief weiter zur Tür. Als ich sie aufriss, sah ich einen riesigen, langen, grünen, schuppigen Körper in Richtung der Halde Hoheward streben. Ich hielt mir den Spiegel vor den Kopf und schrie aus Leibeskräften: »Guck her, du feiger Basilikum-Drache!«

    Kurz darauf ertönte ein schrilles Kreischen. Er musste sich umgeguckt haben – und dann war Stille. Eine so vollkommene Stille, dass ich es schließlich wagte, den Spiegel wieder wegzuziehen.

    Es hatte funktioniert! Der Sage nach hätte ein Basilisk beim Blick in sein eigenes Spiegelbild zu Stein erstarren müssen. Aber dieser hier war mit der Zeit gegangen und zu Stahl erstarrt!

    Die Herner lieben ihn. Er ist ihre Drachenbrücke. Ich lasse sie gerne in dem Glauben. Sein Tod hat ja bewiesen, dass er tatsächlich ein Basilisk war. Ich bin der festen Überzeugung, dass er zwar zu Stahl erstarrt ist, aber trotzdem noch mitkriegt, was mit ihm passiert. Daher gönne ich ihm von Herzen, dass ihn jeder einen Drachen nennt. Von mir kriegt er außerdem jedes Jahr eine Extra-Ladung Basilikum zu Füßen gepflanzt.

    Man sollte die Biester allerdings nicht unterschätzen. Daher empfehle ich dringend: Sollten Sie mal wieder zu tief ins Glas und anschließend in die Toilettenschüssel geguckt haben – hängen Sie sich eine Schweißerbrille neben das Klo. Nur für den Fall der Fälle.

    ABSENCEN

    Als Benjamin nach seinem Fahrradunfall aus dem Koma erwachte, sah er zwei Ärzte an seinem Bett, die sich aufs Haar glichen. Der eine beugte sich über ihn und leuchtete ihm mit einer kleinen Taschenlampe in die Augen. Der andere hatte sich zunächst auch über ihn gebeugt, dann blickte er auf seine Armbanduhr, gähnte, setzte sich auf die Kante von Benjamins Krankenhausbett und begann sich ausgiebig den Rücken zu kratzen.

    »Na, wie geht es uns denn?«, fragte der erste Arzt aufmunternd und zog ein kleines Gummihämmerchen aus seinem Kittel.

    Benjamins Zunge war noch zu schwer, als dass er hätte antworten können.

    »Na, komm, zeig schon her«,

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