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Johanna Königin ohne Thron: Romanbiografie
Johanna Königin ohne Thron: Romanbiografie
Johanna Königin ohne Thron: Romanbiografie
Ebook439 pages5 hours

Johanna Königin ohne Thron: Romanbiografie

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About this ebook

Christa de Beers Romanbiografie erzählt das dramatische Leben der "Juana la Loca", der "Joan the Mad", der "Johanna der Wahnsinnigen", Tochter von Isabella der Katholischen und Ferdinand II., König von Aragón, geboren am 6. November 1479 in Toledo, gestorben am 12. April 1555 in Tordesillas.
Sie war zur Herrscherin geboren – aber sie musste ihr Leben in Gefangenschaft verbringen.
Sie vergötterte ihren Mann – aber ihre Liebe wurde grausam enttäuscht.
Sie schenkte sechs Thronerben das Leben – aber ihr selbst wurde der Thron verweigert.
Kindheit und Jugend Johannas waren von hochfliegenden Plänen und großen Erwartungen bestimmt. In einem Spanien, das nach Jahrhunderten maurischer Herrschaft wieder unter christlichen Königen vereint war, sollte sie die Regentin sein, die den Frieden und die Einheit des Landes bewahrt.
Doch nach der Heirat mit dem geliebten Mann, Philipp dem Schönen, wendete sich das Schicksal gegen sie: Seinen frühen Tod verschmerzte sie nie. Von den Mächtigen ihres Reiches in Staat und Kirche wurde sie für geisteskrank erklärt und in Haft genommen. Ihre Kinder wurden ihr entzogen und entfremdet – und selbst ihr Sohn, der als Kaiser Karl V. ein Weltreich regieren sollte, konnte und wollte sie nicht retten.
Man gab ihr den grausamen Beinamen "Johanna die Wahnsinnige", doch sie war alles andere als das: Sie hätte die Geschichte Spaniens, ja, Europas verändern können.

Zum Weiterlesen
Christa de Beer: Isabella Königin von Kastilien und Aragón
Christa de Beer: Catalina Königin im Weltreich Portugal
LanguageDeutsch
Release dateOct 28, 2014
ISBN9783864661082
Johanna Königin ohne Thron: Romanbiografie

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    Book preview

    Johanna Königin ohne Thron - Christa de Beer

    978-3-86466-108-2

    Erster Teil

    Zur Königin geboren

    Im Gefolge des heiligen Krieges

    Der letzte Schein der untergehenden Sonne verlosch rötlich in der Sänfte. Johanna klappte das kleine handgeschriebene Buch mit Heiligenlegenden entschlossen zu. Ihre jüngeren Schwestern, die sanfte, gottesfürchtige Catalina und die unbekümmerte Maria, hockten auf den verschlissenen Kissen der gegenüberliegenden Bank und blickten sie enttäuscht an.

    »Warum liest du nicht weiter?«

    »Schlaft jetzt, es ist dunkel. Irgendwann müsst ihr doch mal müde sein.«

    Johannas Stimme klang rau und unerbittlich, doch sie vermied es tunlichst, in die traurigen und bangen Augen der beiden Schwestern zu blicken. Diese nächtlichen Reisen in der Finsternis mit ihren seltsamen Geräuschen waren auch ihr nicht ganz geheuer.

    »Ihr braucht euch nicht zu ängstigen. Don Lorenzo und seine Soldaten werden uns, wie immer, gut bewachen. Morgen früh erreichen wir Córdoba.«

    Wie selbstverständlich hatte die zwölfjährige Johanna die Beschützerrolle übernommen.

    »Aber wir haben doch keine Angst«, beruhigte Catalina sie. »Es ist nur ...«, sie schluckte verlegen, »du liest so einfühlsam, als wärst auch du selbst eine Heilige.«

    »Ach was«, stieß Johanna kurz und trocken hervor und kratzte sich heftig an einem Flohbiss. Der Gedanke ihrer Schwester war absurd. Ungewollt hatte Catalina den Finger in die Wunde gelegt, die Johanna zur Zeit am meisten schmerzte. Niemals zuvor war sie so unsicher im Glauben gewesen wie in den zurückliegenden Wochen, doch es war undenkbar, ihre Zweifel vor den jüngeren Geschwistern zu offenbaren.

    Sie presste die Lippen zusammen, setzte sich in eine Ecke der Sänfte und zog die Füße unter sich, als unmissverständliches Zeichen, dass dies das Ende jeglicher Plauderei sei. Johanna war gereizt und erschöpft. Sie hasste die schäbige Sänfte, in der sie, gequält von Langeweile und Bewegungslosigkeit, seit Jahren unzählige Tage und Nächte dem Kriegszug ihrer königlichen Eltern gefolgt war: Isabella von Kastilien und Ferdinand von Aragon.

    Anfangs hatte sie noch die allegorischen Darstellungen betrachten können, die das Innere der Sänfte schmückten. Die Fantasie hatte ihr Flügel verliehen und sie davongetragen. Inzwischen aber waren die Farben verblichen und abgeblättert. Die einst rotgoldenen Kissen hatten einen unbestimmten Braunton angenommen. Ihre Wollfüllung hatte sich in den Ecken zu Klumpen zusammengeballt, und ihre dünne Mitte übertrug jeden Stoß, so dass die schmächtigen Körper der drei Prinzessinnen mit blauen Flecken übersät waren.

    Dieser Sommertag des Jahres 1491 war glühend heiß gewesen, und während sich Hofdamen und Dienerinnen in den kühlen Räumen des Klosters von den Strapazen der vorangegangenen nächtlichen Reise erholten, blieb es Johanna überlassen, ihre Schwestern zu beschäftigen.

    Erst am Abend, als die Sonne milder wurde, hatten sich alle, die zum Zug gehörten – weltliche und kirchliche Würdenträger, Lehrer, Erzieherinnen, Mönche, Dienerschaft, Stallburschen und berittene Soldaten – wieder auf den Weg gemacht, um die letzte Etappe zwischen Sevilla und Córdoba zu bewältigen.

    Endlich war Ruhe eingekehrt. Maria und Catalina hatten sich, eng aneinander geschmiegt, auf ihrer Bank ausgestreckt und waren eingeschlafen. Johanna schob den Vorhang am Einstieg der Sänfte ein wenig zur Seite. Eine sanfte Brise strich über ihre Wangen. Der dunkelblaue Horizont zeigte ein rosa Band, und die Sterne funkelten. Sie hörte das dumpfe Trommeln der Pferdehufe auf dem sandigen Boden, das leise Ächzen der Wagenräder und das gedämpfte Murmeln der vielen Menschen, deren ganze Aufmerksamkeit und Kraft nun gefordert war.

    Obwohl die Geräusche einschläfernd wirkten, fand Johanna keinen Schlaf. Als hätten ihre Sorgen und Ängste nur auf diesen Augenblick der Ruhe gewartet, brachen sie nun über sie herein. Ihre Unsicherheit und das Durcheinander von Gedanken und Empfindungen in ihrem Kopf machten sie zornig. Catalinas törichte Bemerkung kam ihr wieder in den Sinn, und widerstrebend ließ Johanna jene Fragen zu, die sie seit Wochen verdrängen wollte — bis zu dem Zeitpunkt, an dem sie ihre glaubensstarke Mutter, Königin Isabella, Wiedersehen würde.

    Monatelang hatten sich ihre Eltern schon nicht mehr um sie gekümmert. Unwillkürlich faltete Johanna die Hände. Wie sehnte sie das Wiedersehen herbei, und wie fürchtete sie es gleichzeitig! Ob sie die hohen Erwartungen ihrer verehrten Eltern erfüllte? Wussten sie womöglich schon von ihren Konflikten mit dem neuen Beichtvater?

    In Johanna regte sich ein erbitterter Widerstand gegen die Kirchenmänner ihres Gefolges. Seit sie zusammen die Bibel lasen, hatte Johanna sie in heftige Diskussionen über deren Auslegung verwickelt.

    Solange ihr alter Religionslehrer und Beichtvater, Bruder Salvador, gelebt hatte, waren solche Schwierigkeiten nicht vorgekommen. Er hatte mit unendlicher Geduld und Weisheit ihre vielen Fragen beantwortet.

    »Ihr seid eine anstrengende Schülerin«, hatte er manchmal gestöhnt. Er pflegte dann theatralisch gen Himmel zu blicken und zu seufzen: »Ihr würdet selbst unseren himmlischen Vater zur Verzweiflung bringen.«

    Tief unten aus seinem runden Bauch war dann ein befreiendes Lachen aufgestiegen, und seine rote Knollennase hatte zwischen den Wangen geglänzt.

    Johanna konnte in einer solchen Situation nicht umhin, in sein Gelächter einzustimmen, bis sie plötzlich ernst wurde und ihn unbarmherzig darauf hinwies, dass zwischen dem Wort Gottes und dem Verhalten vieler Priester und Mönche ein großer Widerspruch bestand.

    »Sie scheinen ihrem eigenen Wohlleben mehr Beachtung zu schenken als der Armut des Volkes. Wo leben sie die Nächstenliebe und haben Nachsicht mit anders Denkenden, wie es Jesus erwartet?«

    Bruder Salvador hatte die Prinzessin geliebt. Er schätzte ihren Lerneifer und wachen Verstand. Sie war eine Herausforderung für ihre Lehrer, und er war dankbar, dass Gott ihm das Rüstzeug gegeben hatte, sie ein Stück auf ihrem Lebensweg zu begleiten.

    Vor einigen Monaten war er in Sevilla gestorben.

    Johanna hatte weinend an seinem Sterbelager gesessen und gebetet: »Lieber Gott, lass ihn mir.«

    Gott hatte sie nicht erhört. Bruder Salvador hatte es ihr milde lächelnd prophezeit. Er wusste um sein schwaches Herz. »Ich segne Euch, Prinzessin. Gott sei mit Euch. Möge er Euren rastlosen Geist festigen. Übt Euch in Geduld, und habt ein wenig mehr Nachsicht mit Euren Mitmenschen«, hatte er lächelnd geflüstert. »Geht jetzt, lasst mich allein mit meinem Herrn, ich bin unendlich müde.«

    Wenige Stunden später war er tot. Johanna hatte bitterlich geweint, und der Verlust schmerzte sie noch immer so sehr, dass auch jetzt wieder Tränen über ihre Wangen liefen. Sie wischte sie entschlossen fort, als sie merkte, dass sie sich mit Tränen des Zorns über die nachfolgenden Geschehnisse zu vermischen drohten.

    Bruder Paolo war an die Stelle von Bruder Salvador getreten; wenigstens glaubten das die kirchlichen Würdenträger am Hof der Prinzessinnen. Niemand hatte Johanna um ihr Einverständnis gebeten. Für sie stand fest: Niemals würde er Bruder Salvador ersetzen können. Sie hasste und verachtete Paolo. Er besaß weder Humor noch Weisheit. In seinen heruntergezogenen Mundwinkeln bildete sich beim Sprechen immer ein wenig weißer Schaum.

    Johanna schüttelte sich. Voller Verachtung dachte sie an das große silberne Kreuz, das auf seiner mächtigen Brust prangte und in krassem Gegensatz zu Paolos tatsächlicher Bedeutung stand. Bruder Paolo war kein studierter Theologe, sondern er hatte sein Amt gekauft, eine Tatsache, die Johanna niemals akzeptieren würde.

    Während sie die lateinische Übersetzung der Bibel spielend lesen konnte, waren seine Sprachkenntnisse eher mäßig. Statt gelassen ihre Fragen zu beantworten, verwies er sie auf die Beschlüsse der Konzile, die jede anders lautende Interpretation der Bibel verboten, und drohte ihr mit der Inquisition.

    Dieser Drohung hatte sie bewusst keine Beachtung geschenkt, schließlich war sie die Tochter der Könige Isabella und Ferdinand. Aber sein Verhalten empfand sie als Beleidigung und Missachtung ihrer Stellung. Sie bezweifelte, dass ihre Mutter über die Unkenntnis des Priesters informiert war, denn bisher hatte die Königin immer größte Sorgfalt bei der Auswahl der Erzieher ihrer Kinder walten lassen.

    »Wenn die Königin wüsste, wie lüstern er den drallen Dienerinnen hinterherschaut und wie er der kleinen Maurin Maria in den Po gekniffen hat, müsste er umgehend den Hof verlassen«, dachte Johanna wütend.

    »Ein feiner Beichtvater! Jesus verlangt zu viel von mir, wenn ich meine Feinde lieben soll«, gestand sie sich verzweifelt ein.

    Bruder Paolo war schuld an ihrer Niedergeschlagenheit und Angst. Ihr waren das Lachen und die unbekümmerte Freude am Leben vergangen. Sie spürte Spannungen und Feindseligkeiten in ihrer nächsten Umgebung, für die sie keine Erklärung hatte.

    Seit die Königin befohlen hatte, den Hof der Kinder von Sevilla nach Córdoba zu verlegen, um dort das Ende des seit 1482 andauernden Krieges zwischen Spaniern und Mauren abzuwarten, waren Rivalitätskämpfe und Intrigen unter den Menschen um sie herum an der Tagesordnung. Die Mauer der Solidarität, die ihre Gemeinschaft bisher schützend umgeben hatte, begann zu bröckeln.

    »Es ist widersinnig«, hatte Johanna zu Marcus von Ecija, ihrem verehrten Lehrer, gesagt. »Je näher der Frieden kommt, umso feindseliger werden die Menschen. Was hat das zu bedeuten?«

    »Sie gehen einer ungewissen Zukunft entgegen. In unserer Gemeinschaft hatte jeder bisher seine feste Aufgabe, doch bald wird es nur noch einen großen königlichen Hofstaat geben. Es wird nicht mehr für alle Platz sein, und so versuchen sie, ihre jetzige Position zu stärken und sich auf Kosten anderer unentbehrlich zu machen«, hatte er geantwortet und verschwiegen, dass auch er, als konvertierter Jude, viele Feinde am Hof hatte.

    Johanna fuhr sich mit beiden Händen energisch übers Gesicht, um die quälenden Gedanken zu vertreiben. »Wenn ich doch wenigstens reiten dürfte!«, dachte sie verzweifelt. Ein scharfer Ritt auf einem Araberpferd machte immer den Kopf frei. Leise summte sie ein Lied und spielte mit ihrem langen, rotblonden Zopf, der sich unter der Haube gelöst hatte.

    Maria und Catalina schliefen fest.

    Vorsichtig schlüpfte Johanna ins Freie, ohne die Sänfte absetzen zu lassen. Sie atmete tief durch und legte den Zeigefinger über die Lippen, als ihr väterlicher Freund und Beschützer Don Lorenzo de Mendoza sein Pferd neben ihr zügelte. Beim Anblick der verschmitzt lächelnden Prinzessin hielt er seine Zurechtweisung zurück Johanna war unter seinem Schutz aufgewachsen, und er liebte sie, als wäre sie sein eigenes Kind.

    »Habt Ihr ein Pferd für mich?«

    Johanna sah ihn flehend an.

    Don Lorenzo schüttelte energisch den Kopf.

    »Ich kann Euch bei Überfällen nur schützen, wenn ich Euch in der Sänfte weiß. Wir wollen die bewährten Maßnahmen nicht noch in der letzten Nacht ändern. Sind wir uns einig?«, fragte er mit Strenge, aber auch Versöhnlichkeit in der Stimme.

    »Nehmt mich doch wenigstens ein kleines Stück mit!«, flehte Johanna ihn an und deutete auf die Kruppe seines Pferdes.

    »Ihr seid störrisch wie ein Maulesel, Johanna.«

    Don Lorenzo reichte ihr lächelnd die Hand und zog sie zu sich empor. Johanna umfing ihn und spürte unter seinem Wams die Rüstung. Sie fühlte sich geborgen in seiner Nähe und blickte schweigend in die Nacht. Sie wusste, dass er für Konversation nichts übrig hatte, besonders nicht in Augenblicken höchster Konzentration.

    Reisen bei Nacht hatten ihre Tücken. Man vermied zwar die Hitze des Tages, aber man brauchte ein gutes Gehör für die Geräusche in der Finsternis. Der Araber tänzelte, blähte die Nüstern und stellte die Ohren in ständig wechselnde Richtungen.

    »Was ist, mein Alter? Witterst du etwas?«, hörte sie Don Lorenzo leise fragen. Der Araber schnaubte.

    Don Lorenzo sah zu seinem Knappen hinüber, der neben ihm ritt. Der Kopf war ihm auf die Brust gesunken. »Pedro, wach auf und sag den Soldaten am Ende des Zuges, sie sollen Acht geben. Irgendetwas stimmt nicht«, raunte er ihm zu und gab den Soldaten in seiner Nähe ein Zeichen. Augenblicklich war Pedro aus seinem Dämmerschlaf erwacht und galoppierte davon.

    Johanna versuchte, mit den Augen die Nacht zu durchdringen. Sie sah das silbrig glänzende Band des Rio Guadalquivir und erkannte in der Ferne die Umrisse der

    Sierra Morena. Die schmale Sichel des zunehmenden Mondes erhellte die Landschaft kaum. »Was sind das für dunkle Flecken dort unten am Fluss?«, wisperte sie.

    »Das ist Buschwerk. Es eignet sich hervorragend als Deckung für Räuber«, erwiderte Don Lorenzo. »Kehrt in die Sänfte zurück und beruhigt, wenn nötig, Eure Schwestern, Prinzessin.«

    Wenn er so sprach, war jeder Widerspruch zwecklos. Gehorsam ließ sich Johanna vom Pferd gleiten und schlüpfte wieder in ihr sicheres Versteck. Nichts lag ihr ferner, als Don Lorenzo zu verärgern. Als das Gemurmel in dem langen Zug verstummte, wusste sie, dass Pedro seinen Auftrag zuverlässig ausgeführt hatte.

    Plötzlich zerriss ein Signalhorn die Stille. Es ertönte am Ende des Zuges bei den Proviantwagen. Johanna hörte Geschrei und Kampfgetümmel. Wie immer, wenn Gefahr drohte, wurde sie ganz ruhig.

    Pedro tauchte wieder auf und stieß atemlos hervor: »An die zwanzig Räuber sind aus dem Gebüsch dort drüben aufgetaucht. Es scheinen desertierte Soldaten und Bauern zu sein. Sie sind mit Schwertern, Äxten und Dreschflegeln bewaffnet. Einige sind schon tot.«

    »Sag Hauptmann Frederique, er soll mit dem Gemetzel aufhören und den Leuten Proviant geben. Sie und ihre Familien haben Hunger. Sollten sie jedoch andere Absichten verfolgen, schlagt sie tot«, befahl Don Lorenzo.

    »Was versteht Ihr unter anderen Absichten, Don Lorenzo?«, fragte Johanna mit heller Stimme.

    Don Lorenzo sah sie grimmig an. Er wusste nur zu gut, dass sie sich nicht mit einer Ausrede abfertigen lassen würde. »Schlafen die Kleinen noch?«

    Ihr Kopf verschwand für einen Augenblick hinter dem Vorhang. Dann kam er wieder hervor.

    »Es scheint so«, war die knappe Antwort, und sie fügte auffordernd hinzu: »Nun?«

    Betont sachlich gab Don Lorenzo Auskunft.

    »Felder und Bewässerungsanlagen sind von dem seit neun Jahren andauernden Krieg verwüstet. Die Sonne hat die Ernte der Bauern verbrannt. Sie haben Hunger, und ihre Kinder sterben. Da ist ihnen jedes Mittel recht, Abhilfe zu schaffen.«

    Er wusste, dass viele Familien durch die Vertreibung der Mauren und durch die Verwüstung des Landes in große Not geraten waren. Viele Juden verließen bereits das Land, um der Bedrohung durch die Inquisition zu entfliehen. Der Handel mit Nordafrika und den arabischen Ländern, der Kastilien Wohlstand gebracht hatte, war empfindlich gestört.

    Mit den Juden und Mauren verschwand das Gold und Geld, das dringend benötigt wurde, um das Land wieder aufzubauen. Der Reichtum der Mauren wurde unter dem Adel aufgeteilt, der kleine kastilische Bauer ging leer aus. Er stand auf verbrannter Erde.

    »Und welche Absichten, außer Überfällen auf unsere Proviantwagen, könnten die Räuber noch haben?«, fragte Johanna hartnäckig weiter.

    Don Lorenzo fluchte leise. Es widerstrebte ihm, Johanna mit seinen Sorgen zu belasten. Aber sie war kein Kind mehr, und so ließ sich ein offenes Wort nicht vermeiden.

    »Die Räuber könnten Euch entfuhren und Eure königlichen Eltern erpressen«, stieß er unwillig hervor.

    Johanna sah ihn ernst und nachdenklich an.

    »Warum sollten die Menschen so etwas tun? Alle kämpfen gegen die Mauren, aber doch gewiss nicht gegen die eigenen Könige. Meine Eltern nehmen große Entbehrungen auf sich, um die Ungläubigen aus ihrem Königreich zu vertreiben. Selbst der Papst heiligt diesen Krieg. Wollt Ihr sagen, sie hätten Feinde?«

    Don Lorenzo fühlte Zorn und Ratlosigkeit in sich aufsteigen. Aus Johannas Worten klang die Selbstgerechtigkeit von

    Adel und Kirche. Anscheinend hatte ihr niemand gesagt, wie es draußen im Land wirklich aussah.

    »Auch diese Menschen sind überzeugte Christen und verehren ihre Könige. Wenn jedoch ihre Kinder vor Hunger sterben, kämpfen sie gegen jeden, der Brot hat, gleichgültig, wer es ist«, erwiderte er, bemüht, seine Erregung zu verbergen.

    Johanna schwieg betroffen und dachte angestrengt nach. Sie und ihre Schwestern führten ein einfaches Leben. Aber allein die Tatsache, dass sie mit ihrem Hofstaat, von Soldaten beschützt, durchs Land ziehen konnten und in einer Festung oder einem Kloster ein Lager und eine Mahlzeit bereitet fanden, schien ein unschätzbares Privileg zu sein. Sie hatte in der Illusion gelebt, ihr Schicksal und das des Volkes seien eins. Sie hatte geglaubt, dass die Verehrung des Volkes für ihre Mutter, Königin Isabella von Kastilien, keine Grenzen kannte. Tatsächlich schien sich aber zwischen Königshaus und Volk ein Abgrund aufzutun, aus dem Verzweiflung, Hass und Gewalt erwuchsen. Und sie und ihre Schwestern konnten Opfer in diesem Spiel der Gewalten werden. Zum ersten Mal in ihrem Leben überlegte Johanna, wie wohl die Menschen in ihrer nächsten Umgebung dachten. Neben den engsten Vertrauten gab es die große, namenlose Gefolgschaft. Sie wusste nichts über sie. Die Waffen schwiegen derweil. Pedro tauchte erneut auf und erstattete Bericht: »Sie sind voll beladen abgezogen. Die Gefahr ist vorüber.«

    Erleichterung machte sich breit, Dankgebete stiegen zum nächtlichen Himmel empor, und Priester stimmten ein Loblied an, das weit durch die Flussebene klang.

    Plötzlich preschte Hauptmann Frederique heran.

    »Wir haben Verwundete, Don Lorenzo. Sie müssen versorgt werden. Der Wundarzt ist in Sevilla geblieben.«

    »Ich komme mit. Bringt mich zu ihnen«, befahl Johanna und überhörte Don Lorenzos Protest.

    Ihrem Gefühl folgend, hatte sie beschlossen, eine Brücke zu schlagen zwischen sich und jenen Menschen, die ihr Leben für sie eingesetzt hatten.

    Wie selbstverständlich hob Frederique Johanna vor sich in den Sattel und jagte mit ihr davon. Bruder Paolo folgte ihnen widerwillig auf seinem Maultier, die Utensilien für die Sterbesakramente im Gepäck.

    Die Verletzten erschraken bei Johannas Erscheinen. Die Ordnung unter den Menschen war von Gott vorherbestimmt und unumstößlich: Adel und Klerus auf der einen Seite und das einfache Volk auf der anderen. Die Kluft schien unüberbrückbar zu sein, doch plötzlich kniete Johanna neben den Verwundeten, sah sich ihre Wunden an und sprach ein paar beruhigende Worte zu ihnen. »Schafft Fackeln herbei«, befahl sie der Dienerschaft, die neugierig die Hälse reckte. »Bringt Branntwein und sauberes Leinen.«

    Immer mehr Menschen umringten sie und besprachen flüsternd die Lage. Ihre mächtige Königin hätte wohl ebenso tatkräftig reagiert. Wuchs in Johanna eine zweite Isabella heran?

    Missbilligend und voll Abscheu beobachtete Bruder Paolo die Szene.

    »Es ist einer Prinzessin unwürdig, Menschen aus dem Volk zu berühren«, zischte er wütend.

    »Diese Soldaten haben für meine und Eure Sicherheit gekämpft, Bruder Paolo. Ist es nicht Christenpflicht und ein Akt der Nächstenliebe, ihnen zu helfen? Jesus selbst hat uns dazu aufgefordert«, erwiderte Johanna scheinbar ruhig und freundlich.

    »Für solche Aufgaben sind andere da«, wies er sie zurecht. Voller Abscheu sah er zu, wie Johanna die Stich- und Schnittwunden der Soldaten sorgfältig mit Branntwein säuberte und mit sauberen Leinenstreifen verband.

    Ihr jüdischer Lehrer, Marcus von Ecija, hatte sie gelehrt, dass Reinlichkeit bei der Behandlung von Wunden wichtiger war als alles andere. Dieser war zu Johanna getreten, als sie die riesige Platzwunde am Kopf eines Soldaten behandeln wollte; ein Dreschflegel hatte ihn getroffen und niedergestreckt. Mit Marcus’ Hilfe reinigte sie die klaffende, heftig blutende Wunde. Dann schob Marcus behutsam die Hautfetzen zusammen und erklärte Johanna, wie der Verband anzulegen war. Mit ihren geschickten schmalen Händen folgte sie seinen Anweisungen.

    Als sie fertig war, hoben Mönche den Verletzten auf einen Leiterwagen und betteten ihn auf ein weiches Bündel aus Stroh.

    »Wo sind die verletzten Räuber?«

    Es war nicht nur Nächstenliebe, die Johanna zu dieser Frage bewog. Sie wollte ihren Feinden in die Augen sehen und mit ihnen reden, um sie besser zu verstehen.

    »Sie haben ihre Verwundeten und Toten mitgenommen«, erwiderte Frederique.

    Johanna sah ihn ungläubig an. Dann wandte sie sich Bruder Paolo zu.

    »Die Sterbesakramente werden gottlob nicht gebraucht, Bruder Paolo. Dank Gottes Beistand sind die Männer außer Lebensgefahr. Betet für sie.«

    Stolz und zufrieden blickte sie um sich. Sie sah Bewunderung und Zuneigung in den Augen der Umstehenden und Hass im Blick des Priesters. Er schüttelte den Kopf. Die Prinzessin maßte sich an, Gott ins Handwerk zu pfuschen. Er allein entschied über Tod oder Leben. Im Angesicht seiner Allmacht war das Leben dieser armen Kreaturen wertlos. Wann endlich würde die Prinzessin das begreifen?

    Bruder Paolo glaubte, den Grund von Johannas Widerborstigkeit zu kennen. Marcus von Ecija war den kirchlichen Würdenträgern schon lange ein Dorn im Auge. Sie verstanden nicht, weshalb die Königin ausgerechnet einen Ungläubigen als Lehrer an den Hof geholt hatte. Für die Priester waren konvertierte Juden — Marranen oder Conversos, wie sie sie nannten – keine wahren Christen. Sie warfen ihnen vor, dass sie sich nur unter dem Zwang der Inquisition hätten taufen lassen, jedoch insgeheim an ihren jüdischen Bräuchen festhielten.

    Paolo fragte sich, was Marcus von Ecija am Hof seiner gottesfürchtigen Königin zu suchen hatte. Er war fest entschlossen, den Großinquisitor über die ketzerischen Elemente in der Erziehung der Prinzessin zu informieren.

    »Ich danke Euch allen für Eure Tapferkeit. Gebt auf die Verwundeten Acht«, sagte Johanna zum Abschluss würdevoll und ließ sich zu ihren Schwestern zurückbringen. Maria und Catalina waren durch den Tumult wach geworden und blickten, umringt von ihren Erzieherinnen, Johanna erwartungsvoll entgegen. Wie hungrige Vogeljunge hängten sie sich an sie, um ihr die aufregenden Neuigkeiten zu entlocken. Überlegt und mit wohl gewählten Worten berichtete Johanna ihnen, was sie hören durften.

    Ein wenig schuldbewusst sah sie Don Lorenzo an, dessen Schutz sie sich zuvor einfach entzogen hatte. Er zwinkerte ihr zu, und erst dann folgte sie ihren Schwestern in die Sänfte, die ihr plötzlich wie ein schützendes Nest erschien.

    Es dauerte lange, bis Johanna einschlief.,

    »Ich werde alt«, dachte Don Lorenzo. »Diese Angst um die Königskinder habe ich früher nicht gekannt.«

    Er fragte sich, ob es bei dem Überfall dieser Nacht bliebe. »Wie ich diesen Krieg hasse! Seinetwegen ziehen wir wie die Vagabunden durchs Land!«

    Statt die Kinder sicher im befestigten Toledo aufwachsen zu lassen, wollte die Königin sie immer in ihrer Nähe haben. Eine verrückte Idee in seinen Augen und eine Herausforderung Gottes.

    Seit Beginn ihrer Herrschaft im Jahre 1474 war Isabella ständig in Kastilien unterwegs. Nur anlässlich der Geburten ihrer Kinder kam sie kurzzeitig zur Ruhe in ihrem von Rastlosigkeit und vielfältigen Verpflichtungen geprägten Leben. Hoch zu Ross hatte Isabella die Städte Dueñas, Sevilla, Toledo, Córdoba und Alcalá de Henares jeweils kurz vor einer Entbindung erreicht.

    Don Lorenzo und die Kinder folgten ihrem Kriegszug in sicherem Abstand, immer in irgendeinem Alcázar oder Kloster zwischen Segovia und Córdoba Schutz suchend. Die Verantwortung für die beiden Ältesten, Juan und Isabel, lastete gottlob nicht mehr auf ihm. Nach vielen Jahren des Dienstes für seine Königin sehnte sich Don Lorenzo jetzt nach Ruhe auf einem der Familiensitze des weit verzweigten Adelsgeschlechts der Mendoza.

    »Doch so, wie die Dinge liegen, werde ich eher als treuer Gefolgsmann Isabellas oder Johannas im Sattel sterben«, dachte er grimmig. Würden denn die Kriege gegen die Mauren nie ein Ende nehmen?

    Johanna erwachte, als durch ein Loch im Vorhang der Sänfte ein Sonnenstrahl auf ihr Gesicht fiel. Sie rieb sich die Augen und sah blinzelnd zu Maria und Catalina hinüber, die immer noch zusammengerollt auf der gegenüberliegenden Bank schliefen.

    Johanna streckte ihre steifen Glieder und gähnte. Die schleppenden Schritte der Träger ließen die Sänfte unregelmäßig schaukeln. Johanna fühlte sich elend. Der Gedanke an die unbekannten nächtlichen Angreifer hatte sie bis in ihre Träume verfolgt. Wie sahen sie aus? Glichen sie den hohläugigen Menschen, die mit gierigen Händen die Münzen aus dem Staub rafften, die ihnen die Reichen im Vorüberreiten zuwarfen? Sahen sie aus wie die Männer aus den Bergen mit ihren ledrigen Gesichtern und verwegenen Blicken? Es konnten doch nicht die Bauern oder Hirten gewesen sein, die mit ihren Ziegenherden ein so friedliches Bild boten oder unerschütterlich mit Maultier und Holzpflug den steinigen Boden bearbeiteten. In ihrem Traum hatten die Räuber alle eine merkwürdige Ähnlichkeit mit Bruder Paolo gehabt.

    Johanna schüttelte, ärgerlich über ihre abwegigen Gedanken, den Kopf. Die nervöse Anspannung nahm ihr die Luft zum Atmen.

    Vorsichtig teilte sie den Vorhang, um zu sehen, ob sie das Ziel nicht bald erreicht hatten. Eine dichte Staubwolke drang in ihre Atemwege und Augen. Schnell zog sie ihren Kopf zurück. Ein Hustenanfall schüttelte sie und weckte die Schwestern, die ungnädig und murrend um sich schauten.

    »Sind wir immer noch nicht in Córdoba?«

    »Haltet an. Wir wollen raus«, rief Johanna.

    Als hätten sie nur auf diesen Befehl gewartet, setzten die Träger die Sänfte mit einem Ruck ab. Der ganze Zug kam augenblicklich zum Stehen, dankbar für die kurze, erfrischende Rast am Fluss.

    Erst als sich der Staub ein wenig verzogen hatte, kletterten die Prinzessinnen aus ihrer Sänfte und stürmten lachend davon. Die Erzieherinnen folgten ihnen, als sie in einem verwilderten Orangenhain verschwanden.

    »Kommt, wir gehen zum Fluss.«

    Johanna zog Maria und Catalina mit sich. Sie spürte, wie sich ihre Ängste in der prickelnden Morgenluft zu verflüchtigen begannen.

    Sie standen mit nackten Füßen im Wasser und klatschten es sich mit beiden Händen in die erschöpften, staubigen Gesichter. Ihre Kleider trieften, und die Haare hingen ihnen wild ins Gesicht, als die Erzieherinnen am Ufer auftauchten.

    Ein Blick in die strengen Gesichter der Damen machte Johanna bewusst, dass sie zu weit gegangen war. Mit reumütigem Lächeln wandte sie sich Ena, Herzogin von Medina Sidonia und ihre engste Vertraute und Lehrerin, zu.

    »Ist Euer Temperament wieder einmal mit Euch durchgegangen?« Ena sah Johanna belustigt und verständnisvoll an. »Wollt Ihr Euch den Bewohnern von Córdoba in diesem Aufzug zeigen?«

    Johanna schüttelte verlegen den Kopf, und schon eilte eine Dienerin mit einem trockenen Kleid herbei. Ungeduldig ließ sie sich umkleiden und frisieren. Sie wollte mit Ena allein sein und mit ihr über die Ereignisse der letzten Nacht sprechen. Ob es Enas hohe Stellung war oder ihre Klugheit, die ihr Vertrauten einflößten, Johanna wusste es nicht. Ena war die Gemahlin des mächtigen Herzogs von Medina Sidonia, einem aufgeschlossenen treuen Gefolgsmann des Königspaars. Sie hatte immer, obwohl sie noch jung war, unendlich viel Geduld und Verständnis für Johanna aufgebracht und schien ihre Gedanken und Empfindungen erraten zu können.

    »Seht, dort liegt Córdoba«, jubelte Johanna wenig später, als sie noch ein Stück dem Flussufer folgten.

    »Ist es wahr, dass wir dort bis zum Ende des Krieges bleiben werden?«, fragte sie Ena.

    Ena nickte lächelnd. Córdoba war bereits erobert, und so freute sie sich auf den Aufenthalt in der berühmten Stadt. Der Alcázar, die einstige Maurenburg, würde ihnen Sicherheit und Normalität garantieren wie zuvor das herrliche Schloss in Sevilla. Auch sie war des Umherziehens müde.

    Der heiße Atem der Inquisition

    Die Prinzessinnen hatten sich ausgetobt und nahmen gehorsam wieder in ihrer Sänfte Platz. Sie näherten sich dem Stadttor.

    Viele Bewohner der Stadt waren herbeigeeilt und sahen neugierig dem Zug entgegen. Sie schwatzten und deuteten respektlos auf die Neuankömmlinge.

    Johanna lachte leise. Don Lorenzo hatte vor der Stadt vergeblich versucht, den müden Zug zur Ordnung zu rufen, um mit einem würdevollen Einzug das Volk zu beeindrucken. Staubige Ritter auf den edlen tänzelnden Pferden der Mauren führten ihn an, gefolgt von weltlichen und kirchlichen Würdenträgern auf ächzenden Wagen. Damen und Kinder hockten in schmucklosen Sänften. Priester und Mönche waren auf ihren trottenden Maultieren zusammengesunken. Die Dienerschaft und die Pferdeknechte umringten eine lange Reihe von Wagen mit Gepäck und Proviant, und den Abschluss bildeten Soldaten zu Fuß.

    Die befestigte Altstadt, die Medina mit ihren engen Gassen und schattigen Plätzen, nahm alle in sich auf. Die Erleichterung der Verantwortlichen war groß, als sie die Stadt und bald darauf die schützenden Mauern des Alcázar unbeschadet erreicht hatten. Die Pferde wurden getränkt und die Wagen entladen. Die Diener schleppten das Gepäck ins Innere des Schlosses.

    Schon waren die ersten Händler zur Stelle, um lautstark ihre Dienste und Waren anzupreisen. Es ging zu wie in einem Basar.

    Ena und einige Hofdamen begleiteten die Prinzessinnen zu ihren Schlafräumen.

    »Begebt Euch jetzt zur Ruhe. Es war eine anstrengende Nacht«, sagte sie freundlich und streichelte ihnen liebevoll über den Kopf.

    Johanna deutete einen Knicks an und entfernte sich erleichtert. Endlich war sie allein. Wie wohltuend kühl es in den Räumen war! Auf einem Tischchen war ein Teller mit Früchten, Schafskäse, Olivenöl und herrlich duftendem Brot für sie bereitgestellt. Ein Krug mit frischem Quellwasser stand in einer großen Schüssel auf einer Konsole. Johanna legte ihr staubiges Gewand ab und wusch sich sorgfältig. Erfrischt und erleichtert, als habe sie mit dem Staub ihre Sorgen hinweggeschwemmt, machte sie sich heißhungrig über die Köstlichkeiten her. Dann streckte sie sich auf ihrem Bett aus und schloss die Augen. Bald schlief sie tief und fest.

    Es war Abend, als sich im Innenhof des Palastes eine feierliche Prozession bildete. Johanna, Maria und Catalina reihten sich an der Spitze des Zuges ein. Die beiden Kleinen hielten sich an Johanna fest und schwiegen, als machte ihnen die fremde Umgebung Angst. Sie folgten den kirchlichen Würdenträgern und einem Mönch, der allen voran ein goldenes Kruzifix trug, durch die engen Gassen bis zur Mesquita, der früheren Moschee der Mauren.

    Es war für sie das erste Mal, dass sie einen maurischen Gebetsraum betraten. Im Halbdunkel waren unzählige Säulen mit rotweißen Bögen zu erkennen. Die Christen benutzten diese Moschee schon seit über hundert Jahren für ihre Gottesdienste, ohne an ihrer ursprünglichen Form Wesentliches geändert zu haben. Das war ungewöhnlich, denn meistens hatten Christen die maurischen Gotteshäuser zerstört und an ihrem Platz Kathedralen errichtet.

    Gemessen schritt Johanna voran, seltsam ergriffen und befremdet zugleich. Sie blickte scheu auf die arabischen Spruchbänder und die herrlichen Mosaiken mit floralen und geometrischen Ornamenten. Man konnte erkennen, dass die Christen die einst großzügigen Öffnungen zum Innenhof mit Mauern verschlossen hatten. Dadurch war der Innenraum dunkel geworden. In Nischen standen die ver trauten Altäre und Heiligenbilder, und Öllampen wiesen den Weg zur Kapelle, wo die Messe gelesen werden sollte. Johanna war zutiefst bewegt. Widersprüchliche Gefühle kämpften in ihr. Warum waren die Erbauer dieses schönen Gotteshauses ihre Feinde? Weshalb bezeichneten die Christen sie als Ungläubige? Sie erschrak über ihre ketzerischen Gedanken, die ihr als einem unbedeutenden Glied in der mächtigen Christengemeinde nicht zustanden. Sie murmelte ein kurzes Gebet, bekreuzigte sich hastig und zwang sich dem Bischof zuzuhören. Seine Worte über den strengen Gott, der die Sünden der Menschen mit Tod und Verdammnis bestraft, ließen den weiten Raum bedrohlich und düster erscheinen.

    Trotzig richtete Johanna ihre Gebete an einen gnädigen, väterlichen Gott und bezog Catalina und Maria, ihre Eltern und die fernen Geschwister Isabella und Juan mit ein. Sie war sicher, dass Gott sie verstand, und fühlte dankbar Frieden und Ruhe in sich einkehren.

    Die Sonne war gerade aufgegangen, als das Leben erwachte. Noch hielt sich die Frische der Nacht in den Höfen des Alcázar.

    Der Unterricht begann mit Latein und Französisch. Marcus erwartete Johanna bereits. Ein Blick in ihr zartes Gesicht offenbarte ihm ihre düstere Stimmung. Sie war äußerst feinfühlig. Er vermied es, Fragen zu stellen und lenkte ihre Aufmerksamkeit auf die gemeinsame Lektüre. Johanna war eine kluge, lebhafte Schülerin, die ihm das

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